Südkorea/USA/F 2013 · 126 min. · FSK: ab 16 Regie: Bong Joon-ho Drehbuch: Bong Joon-ho, Kelly Masterson Kamera: Hong Kyon-pyo Darsteller: Chris Evans, Jamie Bell, John Hurt, Ed Harris, Tilda Swinton u.a. |
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Klaustrophibisch und gnadenlos brutal: eine treffliche Comic-Verfilmung |
Das macht man eben so als Filmemacher, zumal im Genre der Science Fiction: Man erschafft Welten. Und dann presst man diese Welten in die Kadrage und tut sein Bestes, dass die Zuschauer ihnen nicht ansehen mögen, dass sie nur dort existieren. Diese Rauminszenierung spielt eine besondere Rolle in Bong Joon-hos Snowpiercer. Draußen, so menschenfeindlich, dass sie als Folterinstrument eingesetzt werden kann, ist eine Wüste aus Schnee und Eis, entstanden durch ein Öko-Experiment, das eigentlich den Klimawandel hätte stoppen sollen. Drinnen ist die Welt: ein riesiger Zug mit den wenigen Überlebenden des ewigen Winters, unter denen sich eine gewaltsam hierarchisierte Klassengesellschaft herausgebildet hat.
Dieser klaustrophobische Weltentwurf, dem in der Diegese die eisernen Wände der Waggons ihre Grenzen setzen, war dem legendär streitbaren Filmmogul Harvey Weinstein, der Verleihrechte für alle englischsprachigen Territorien hält, noch zu komplex: Er verlangte, den gut zweistündigen Film um zwanzig Minuten zu kürzen und mit erklärenden Voiceover-Monologen in und aus der Handlung zu führen. Dies wird nun nicht geschehen – aber Weinstein erscheint der Film als so anspruchsvoll, dass er ihm nur einen »limited release«, also einen Start mit geringer Kopienzahl, in den USA zutraut. Wann, steht im Moment noch in den Sternen.
Ob dies der Mehrsprachigkeit der koreanisch-amerikanisch-französischen Koproduktion geschuldet ist oder dem politischen Anspruch der Handlung, kann nur gemutmaßt werden. Die amerikanische Kritik etwa in der »Variety« jedenfalls feierte Bong Joon-hos Arbeit als außergewöhnlich klugen Genrefilm, und dumm ist Snowpiercer tatsächlich nicht geworden. Dabei liegt seine Stärke nicht unbedingt im sozialkritischen Impetus des Plots, der sich den Standards der Dystopie erst zum Ende entwindet – und da auch im Dialog, also in einem tendenziell eher unbeholfenen Modus der Darlegung und Enthüllung.
Auf dem Weg dorthin legt Bong Joon-ho, der den bemerkenswert leichten Monsterfilm The Host und den deutlich konzentrierteren, ernsten Thriller Mother gedreht hat, seinen neuen Film als Collage an. Curtis, gespielt von »Captain America« Chris Evans, plant gemeinsam mit seinem Ziehbruder Edgar (Jamie Bell) eine Rebellion gegen das Regime des Zugbauers Wilford und seiner ach so heiligen Maschine, die den Rest der Menschheit am Leben, die meisten davon aber auch in Armut und Dreck halten. Es ist eine graubraune, farbentsättigte Vorhölle aus Stahl und Lumpen, in denen diese Reise zum Triebwagen ihren Anfang nimmt, inspiriert von gnadenlos brutalen Vorbildern wie 1984 – dem Jahr übrigens, in dem die französische Comic-Vorlage »Le Transperceneige« zum ersten Mal eigenständig veröffentlicht wurde.
Überaus trefflich, dass einer von Curtis' Mitverschwörern von John Hurt gespielt wird, dem Hauptdarsteller aus 1984. Sein Rollenname? Gilliam. Und tatsächlich bilden, nachdem das Voranschreiten der Rebellen gegen große Widerstände mit viel Blut erkauft wurde, die vorderen Waggons eine Dekadenzsatire von bonbonbunter Schrille, die mehr als nur ein wenig an Terry Gilliams selbst schon postmodern überästhetisiertes Brazil erinnert. Durch diese Welt der Nachtclubs, Saunen, Aquarien, Wohlfühlschulen und Sushi-Bars führt die exzentrische Ministerin Mason, eine Handlangerin von Wilford, die Curtis kidnappen konnte. Tilda Swinton spielt, nur scheinbar gegen ihr Rollenimage, mit ausladenden Gesten und wabernder Stimme ein androgynes Monster mit glattem Gesicht und peinlich schlechtem Gebiss. Das macht Spaß – genauso wie das Aufhäufen von Verweisen und Referenzen, das lustvolle Entwerfen und Durchschreiten bombastischer »set pieces« auf dem doch eigentlich so engen Raum des Zuges, das, womöglich geschult an der Leveldramaturgie des digitalen Spiels, mehr auf eine überbordende Lust am Zeigen verweist denn auf eine stilistische konsequente Ästhetik des Zitats.
Und die Klugheit? Sie liegt, mehr als alles andere, in der Inszenierung der Gewalt. Snowpiercer ist ein überaus gewalttätiger Film, einer, in dem sich durch die Waggons gemetzelt und geschlachtet werden muss, bis das falsche Paradies erreicht ist. Es ist auffällig, wie oft Bong Joon-ho die Aktionszeit in Zeitlupen dehnt, die aber nie zur Erhebung des Kriegerpathos' dienen: Dicht an dicht stechen, treten, schlagen sie, und der Zuschauer begreift, dass in diesem Chaos der Leiber ein bewusster inszenatorischer Eingriff noch entscheidender ist als auf den Schlachtfeldern des Historienfilms. Unten die Opfer, oben der stählerne Held? Nicht bei Boong Joon-ho, nicht in der Enge seines Zuges. Hier leiden, morden und fallen sie alle in- und durcheinander – und die Zeitlupe rettet sie aus der Anonymität, als wäre dies das einzige, das der Regisseur noch für sie tun kann.