Deutschland 1998 · 95 min. · FSK: ab 16 Regie: Nico Hofmann Drehbuchvorlage: Elsa Lewin Drehbuch: Susanne Schneider Kamera: Hans-Günther Bücking Darsteller: Götz George, Corinna Harfouch, Barbara Auer, Tim Bergmann u.a. |
Die Menschen sind kalt: Auf ebenso eindringliche, wie von der wahren Heiterkeit tiefer Weisheit geprägte Art hat uns erst unlängst Andreas Dorau diese Einsicht filmisch nähergebracht. (À propos, geschätzte Leserinnen und Leser: Wo bitte waren Sie denn alle, als Die Menschen sind kalt letzte Woche im Werkstattkino lief? Bis Montag liegen gefälligst die schriftlichen Entschuldigungen auf meinem Tisch – und ich möchte keinen dabei erwischen, wie er die Unterschrift der Eltern fälscht.)
Die Menschen sind kalt: Das ist auch die Botschaft von Solo für Klarinette. Aber wo bei Dorau noch der Silberstreif der Hoffnung sichtbar wird – wo die hinterhältige List des kleinen Ulf enttarnt wird, mit der er sich den Sieg im Radrennen gegen den Bären erschleichen wollte, wo unser Protagonist dank Einsatzes seines von Uri Geller geerbten Löffles doch noch beim Kuhroulette gewinnen kann – herrscht in Nico Hofmanns Film völlige Trostlosigkeit.
Ein Mann wird in seinem Bett tot aufgefunden; mit einer Klarinette erschlagen, ein Teil seines Penis abgebissen. Die Frau, die der grausamen Tat schuldig ist, wird verhaftet und erhält einen Vertrag bei einem Pharmakonzern, für den sie in der Werbekampagne »Al dente dank Viagra« auftritt... – Nein, Verzeihung, das ist gelogen.
Vielmehr muß Kriminalhauptkommissar Bernie Kominka (Götz George) die Ermittlungen aufnehmen, die ihn bald Bekanntschaft mit Anna Weller (Corinna
Harfouch) machen lassen. (Nur nebenbei: Ist es nicht ganz prinzipiell und kategorisch ausgeschlossen, je in einem Land einen coolen Polizeithriller zu drehen, in dem die Protagonisten Dienstgrade wie »Kriminalhauptkomissar« innehaben?) Selbstverständlich ist Anna der Tat höchst verdächtig, und selbstverständlich beginnt Bernie eine Affäre mit ihr.
So weit, so bekannt – aber anders, als die Grundkonstellation vermuten läßt, gerät Solo für Klarinette nicht zum Loblied auf die rettende Kraft der Liebe. In der Welt dieses Films ist Liebe nur noch eine ferne Illusion, ein dem Griff entschwindendes Trugbild; die Menschen in dieser Welt sind zu Beziehungen unfähig, die nicht über die gewissenlose Ausnutzung von Macht laufen. Solo für Klarinette ist bevölkert von ewig Einsamen, zu Gefühlen unfähigen Menschen, die ständig auf der Suche sind nach einem warmen Körper für ein paar Nächte. Und es wird zunehmend klar, daß der Mord geschah, weil jemand diese Welt nicht länger ausgehalten hat.
Prinzipiell ist dies alles eine höchst willkommene Abwechslung vom ach so lustigen, ach so fröhlichen Beziehungsreigen unserer allseits heißgeliebten deutschen Filmkomödien. Nur leider, leider auch ein allzu kalkulierter, konstruierter Gegenentwurf: Die emotionalen Katastrophen, die niederschlagenden Enthüllungen häufen sich derart gewollt, daß Solo für Klarinette zeitweise schon selbst auf dem Grat zur (absurden) Komödie wandelt. Nicht genug damit, daß Bernie Kominkas Kollege sich eine von ihm verhaftete Hure zur Freundin macht, nicht genug, daß der Nachbar des Ermordeten (der sich bald auch als wahres Schwein entpuppt) mit dessen minderjährigem Sohn Sexspiele treibt, nicht genug, daß Bernie mit einer Mordverdächtigen (und was ein geschmackvoller Mord!) anbandelt, und auch nicht genug, daß seine Ehe in Trümmern liegt, sein Vorgesetzter sein fieser Schwager ist und er seinen Frust brutal an einer Prostituierten abreagiert – nein, Bernie muß auch noch einen geistig zurückgebliebenen Sohn haben, mit dem er in ganz herzzerreißend rührenden Szenen verzweifelte Versuche der Kommunikation unternimmt.
Und dies alles ohne jene Ironie, die eine nicht minder düstere Welt in Die Menschen sind kalt (wo der Hausmeisterjunge andere Kinder für Geld Steine auf einen kleinen Hund werfen läßt, die Pflegerin die tote Mutter bestiehlt, und undankbare Museumsgäste den Spendenteller mitgehen lassen) sowohl erträglicher, als auch authentischer machte.
Vielleicht hätte ein sehr guter Regisseur auch aus diesem Tränental geballter Hoffnungslosigkeit noch einen überzeugenden Film herausholen können, aber Solo für Klarinette ist ja nun mal von Nico Hofmann. Dem gelingt es vor allem, den Film sehr teuer aussehen zu lassen – was aber kein so atemberaubendes Kunststück ist, weil der Film mit DM 7 Mio. für deutsche Verhältnisse schlichtweg sehr teuer war. Was ihm aber nicht gelingt, ist, den Bildern unter ihrer Oberfläche der professionell durchstilisierten, »amerikanischen« Optik auch Gehalt, Tiefe und Aussagekraft zu verleihen. (À propos amerikanisch: Mit ein Grund dafür, daß der Film derart in Künstlichkeit gefangen wirkt, ist, daß der amerikanische Ursprung der Romanvorlage noch so stark durchscheint, daß die Geschichte nie in ihrem angeblichen Handlungsort Berlin angekommen scheint, sondern in einem deutschen Traum von Hollywood gefangen bleibt. Wie ungleich näher am Leben da der Einsatz der norddeutschen Tiefebene in Die Menschen sind kalt!)
Bei Solo für Klarinette offenbart sich einmal mehr der verheerende Einfluß der Fernsehästhetik auf das deutsche Kino: Hofmann leidet unter Ideenarmut und einer Erzählschwäche, die seinen Film zum geschwätzigen, bebilderten Hörspiel werden läßt. Weil er die Mittel des Kinos nicht einsetzen kann, um etwas zu sagen, muß alles Wesentliche dauernd von den Dialogen geliefert werden. Was eine Figur fühlt, was sie bewegt, was sie tut und warum: Stets muß sie sich hinstellen und dies explizit erklären. Und so wird geredet, geredet, geredet, anstatt daß mal jemand sich von der Schlagerwand einen Titel von Andreas Dorau wünscht.
Da ist es freilich nicht allzu hilfreich, daß der Film mit einem Drehbuch gestraft ist, dessen Dialoge gutteils in einem Gewächshaus für Stilblüten gereift scheinen. (Wobei ja folgende Sätze aus Bernies Voice over-Erzählung schon wieder ein besserer Lacher sind, als ihn die vereinten Bemühungen deutscher Komödien im vergangenen Jahr zustande gebracht haben, und somit eigentlich fast das Eintrittsgeld wert: »Osteuropäische Nutten in einem Altersheim festgenommen. Leichtes Spiel. Aber der Beruf macht müde. Unendlich müde.«) Ein Manko, das leider nicht das einzige des Buchs ist: Noch gravierender wirkt, daß Solo für Klarinette als Thriller (der er sich dauernd bemüht zu sein) hint und vorn nicht funktioniert. Statt ein raffiniertes, überlegenes Spiel mit dem Publikum zu treiben, kann sich der Film selbst nicht entscheiden, wieviel Information über den/die Täter(in) schon bekannt ist und versucht, Spannung zu erzeugen mit Dingen, die er längst verraten hat.
Bleiben die Schauspieler, um den Karren aus dem Dreck und das Publikum ins Kino zu ziehen. Götz »Warum bin ich nicht so gut wie mein Vater?« George ist einmal mehr in der Rolle von Götz George zu sehen. Wie üblich weigert er sich beharrlich, hinter seinem Charakter zu verschwinden, und läßt mit einer Reihe einstudierter Manierismen auch die Leute auf den hintersten Plätzen keine Sekunde vergessen, daß hier ein Großschauspieler an der Schwerstarbeit ist, den es gefälligst zu bewundern gilt. (Eigentlich sollte Götz eher mit Jack Nicholson als mit Heinrich George verwandt sein – heruntergekommener Cousin dritten Grades oder so, der auf Familienfeiern immer alle nervt.)
Kein Problem für Corinna Harfouch, den aufgeblasenen Chargen sowas von an die Wand zu spielen, daß es kracht. Vielschichtig, subtil und mit atemberaubender Kraft gibt sie der Anna Weller – den gekünstelten Dialogen, den danebengeratenen Thriller-Allüren des Buchs zum Trotz – in einer bravourösen tour de force so völlig überzeugend Leben, daß dem Film dann doch noch einige Momente von Wahrhaftigkeit geschenkt sind.
Wie man hört, hat Corinna Harfouch bei den Dreharbeiten heftig darum gefochten, Solo für Klarinette weiter weg vom Genre-Stück zu bringen, und näher hin zum Psychogramm der Anna Weller. Manches konnte sie wohl durchsetzen, vieles scheiterte offenbar vor allem am Willen von Hofmann und George – die Menschen sind kalt. Schade – den Ansatz zu einem guten Film hatte Solo für Klarinette. Hätten die Herren doch nur mal diese Frau machen lassen.