Suburbicon

USA/GB 2017 · 106 min. · FSK: ab 16
Regie: George Clooney
Drehbuch: , , ,
Kamera: Robert Elswit
Darsteller: Matt Damon, Julianne Moore, Oscar Isaac, Noah Jupe, Glenn Fleshler u.a.
Ein echtes Coen-Bild inmitten des Clooney-Films

Herrschaft der Vollidioten

»Welcome to Subur­bicon, a town of great wonder and exci­te­ment...«, lockt ein Werbefilm. Der titel­ge­bende Ort ist eine fiktive Vorstadt­sied­lung irgendwo in einem dauer­son­nigen Kali­for­nien, ideal­ty­pi­sches Suburbia-Leben von 60.000 Einwoh­nern, durch­zogen von einem Hauch jenes heiteren Irrsinns und der Irrea­lität, die man aus Peter Weirs Truman Show kennt. Datiert ist alles aber genau auf das Jahr 1959, also das vorletzte Jahr der Eisenhower-Ära, als das »ameri­ka­ni­sche Jahr­hun­dert« bereits frag­würdig und die ameri­ka­ni­schen Träume brüchig wurden. Und es ist der Beginn der Hochzeit des (Schwarz­weiß-)Fernsehen. Es fungiert in diesem Film zusammen mit dem Radio als eine Art zweite Traum­fa­brik, eine welt­ord­nende und welt­glie­dernde, auch beru­hi­gende und damit quasi religiöse Macht.

Zum ideal­ty­pi­schen 50er-Jahre Leben, wie es sich Regisseur George Clooney (zuletzt: Monuments Men) vorstellt, gehört auch eine komplett weiße Community. Als eine neu hinzu­ge­zo­gene Familie schwarze Hautfarbe hat, zeigt diese Gemeinde ihr häss­li­ches Gesicht: »We don’t want them here!« wird gerufen, und bald darauf macht ein Haufen von Spießer-Faschos mit »Crew Cut«-Kurz­haar­schnitt vor dem Haus der Familie hasser­füllte Dauer­ran­dale. Es ist auch sonst eine wahre Horror-Welt, die der Film zeigt: »The night was listening to her …then there was a sound, and she was running now down the steps, plunging faster and faster, down… down…« Im Radio boomen die letzten großen Radio­shows, in denen Gothic Tales über »Hounted Houses« und Seri­en­mörder im Zentrum stehen, und draußen sieht es nicht besser aus.

Erzählt werden in dieser von Joel and Ethan Coen geschrie­benen schwarzen Komödie aus doppelter Kinder­per­spek­tive ein paar Tage im Leben von Nicky und Noah. Nicky (Noah Jupe) lebt mit Vater Gardner (Matt Damon), seiner quer­schnitt­gelähmten Mutter Rose (Julianne Moore) und deren Zwil­lings­schwester Maggie (wieder Moore) in Subur­bicon, Noah (Tony Espinosa) ist der neu hinzu­ge­zo­gene schwarze Nach­bars­junge. Eines Nachts wird Nicky geweckt, zwei fremde Männer sind ins Haus einge­drungen, haben die Erwach­senen als Geiseln genommen. Alle werden gefesselt und betäubt, am nächsten Morgen ist die Mutter tot und das Paradies der Kindheit zerstört.

Schnell und gradlinig entwi­ckelt sich die Handlung weiter: Nickys Vater beginnt bald nach dem Überfall wieder mit der Büro­ar­beit. Dann kommt ein Anruf der Polizei: Zwei Verdäch­tige wurden gefasst, es soll eine Zeugen-Gegenüber­stel­lung geben. Maggie bringt Nicky mit, und darum sieht dieser, was er nie sehen sollte: Die Verdäch­tigen sind nämlich tatsäch­lich die Täter, aber Vater und Tante wollen sie nicht iden­ti­fi­zieren. Der Sohn ist erschüt­tert. Stündlich wächst sein Miss­trauen gegen Vater und Tante, nicht erst, als die Tante zu einer hexen­ar­tigen bösen Stief­mutter mutiert, als er sieht, wie der Vater nachts ins Zimmer der Tante schleicht, als er beide einmal im Killer bei Sado-Maso-Sexspiel­chen mit dem Tisch­ten­nis­schläger erwischt – Clooney erzählt hier auch eine radi­ka­li­sierte Form des Erwach­sen­wer­dens, der Eman­zi­pa­tion eines Kindes von den Eltern. Nickys Vater spürt die Distan­zie­rung des Kindes, und da er zugleich offen­kundig etwas zu verbergen hat, soll der Sohn auf eine Militär­aka­demie geschickt werden, »um Disziplin zu lernen«.

Es ist die zeit­genös­si­sche Perver­sion des »American Dream«, um die es Clooney geht, die aber in seinem Blick eine histo­ri­sche Tiefen­di­men­sion bekommt. Denn dieses Amerika hat Leichen im Keller. Die sicher­heits­pen­dende, zum Vorbild taugende Vater­figur des ameri­ka­ni­schen Kinos wird hier ein für alle mal beseitigt – gar nicht so sehr, weil der Vater kriminell ist, sondern vor allem, weil er ein Vollidiot ist.
Denn es ist bald klar, dass Vater und Tante profes­sio­nelle Killer enga­gierten, um an die Versi­che­rungs­po­lice der Mutter zu kommen, und es ist bald ebenso klar, dass sie dabei so dilet­tan­tisch agierten, dass das Verbre­chen auffliegen wird. Offen ist nur, wie schnell das passiert, und wie viele Menschen vorher noch sterben werden. Der Fall-Ermittler der Versi­che­rung taucht auf, ein profes­sio­neller Skeptiker, der an Koin­zi­denzen und Zufälle nicht glauben will: »That happens in the opera a lot, but in real life its quite rare.«
So wird die Komödie Szene für Szene abgrün­diger und härter, ähnelt mehr und mehr dem Film noir, bleibt aber immer satirisch und schräg.

Clooney nutzt die Mittel des Paranoia-Films, um über »Coin­ci­dences« und Wahr­schein­lich­keiten zu reflek­tieren. Seine Paranoia ist anti­au­to­ritär, anar­chis­tisch und am Ende überaus abgründig. Denn die 50er Jahre dieses Films wirken vor dem Hinter­grund der rassis­ti­schen Exzesse der Gegenwart, wie jenen in Char­lot­tes­ville überaus zeitgemäß. Alles was Nicky passiert, passiert auf andere Weise auch Noah – nur dass hier seine Eltern (Leith M. Burke und Karimah Westbrook) ebenfalls Opfer sind. Der Horror in Nickys Eltern­haus lenkt insofern auch wieder von der Lynch­stim­mung des Mobs auf der Straße vor Noahs Eltern­haus ab – diese Auswüchse sind genau­ge­nommen die weitaus empö­ren­deren Vorfälle des Films. Mit diesem Janus­ant­litz der Handlung spielt der Film.
Im Gegensatz zu Noah ist für Nicky der Alptraum irgend­wann zuende. Erst im letzten Bild bietet Clooney einen versöhn­li­chen Moment: Da spielen Noah und Nicky Baseball – über den Garten­zaun hinweg.