Deutschland 2018 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Felix Moeller Drehbuch: Felix Moeller Kamera: Börres Weiffenbach, Kumuran Herold Schnitt: Gisela Zick |
||
Sympathisanten hießen heute womöglich »drohende Gefahr«. Willkommen in Bayern |
»Die Richter und Staatsanwälte, für wen sind die da?
Für die Kapitalisten und für ihren Staat!
Sie verurteilen uns, nach ihrem Gesetz!
Wer das Geld hat, hat die Macht und wer die Macht hat, hat das Recht!
…
Sie sperren uns hinter Gittern
– weil sie zuhause sitzen und vor uns zittern.
Sie sperren uns hinter Gittern – weil sie zuhause sitzen und vor uns zittern
Denn sie wissen, der Kampf geht weiter.
Und sie wissen, die Wahrheit wird siegen.«
Ton Steine Scherben: »Der Kampf geht weiter«
Dies ist ein persönlicher Film, von Anfang an: »Lange Zeit habe ich gar nicht gewusst, dass meine Mutter Margarethe von Trotta seit Jahrzehnten ein Tagebuch führt ... Meine Mutter und mein Stiefvater Volker Schlöndorff, sie haben Filme über diese Zeit gemacht. Wichtige politische Filme die man auch heute noch kennt. Sie waren ziemlich nahe dran, die Frage ist, wie nahe.«
Felix Moeller, der Regisseur, der bisher bereits mehrere Dokumentarfilme zur deutschen Filmgeschichte
herausbrachte, erzählt nun eine Episode aus der Geschichte seiner Familie. Moellers Mutter ist die Filmemacherin Margarethe von Trotta, sein Stiefvater ist Regisseur Volker Schlöndorff.
Da macht einer also einen Film über seine Familie, über Freunde der Familie und Weggefährten. Dadurch bekommt er privilegierten Zugang, diese Nähe führt aber auch zu einem erkennbaren Bedürfnis, sich zu distanzieren, wie zu einer gewissen Beißhemmung. Diese Beißhemmung ist übrigens wechselseitig. Mitunter dachte ich, ob Trotta und Schlöndorff diesem Regisseur bestimmte Unklarheiten, und falsche Fragen und Naivität vielleicht nur durchgehen lassen, weil er ihnen nahe
steht.
Über den Film hinaus habe ich mich gefragt, ob Moeller der Richtige für diesen Film ist, und noch immer bin ich mir der Antwort nicht sicher. Aber auch dieser Film ist keineswegs das letzte Wort zum Thema, eher das erste.
Aber die Offenheit dieses (wohl durch die Schuld des koproduzierenden Fernsehens) viel zu kurz und viel zu oberflächlich geratenen Films, der Fragen Antworten vorzieht, ist sein großes Verdienst.
Trotta und Schlöndorff galten in den 70er Jahren als Sympathisanten der RAF, der linksterroristischen Bewegung, durch deren bewaffneten Kampf sich die Bundesrepublik zu Sondergesetzen und Reaktionen provozieren ließ, die im Rückblick auch von vielen Akteuren in Frage gestellt wurden: »Man hatte das Gefühl, es sollte wieder mit polizeistaatlichen Mitteln etwas gelöst werden, was eigentlich in einer Auseinandersetzung in der Zivilgesellschaft geschehen sollte«, erklärt Volker Schlöndorff in Moellers Film seine damaligen Beweggründe. Und über diesen Eindruck müsste man länger reden.
Auch der Sänger Marius Müller-Westernhagen berichtet von seinen Erfahrungen: »Es gab ja etwas, was es im deutschen Staat in der Form noch nicht gab: Man hat das gemerkt, wie hysterisch die Polizei reagiert hat – weil sie weder für diese Aufgabe ausgebildet war, noch genügend wussten. Die wussten ja gar nicht, wie sie reagieren sollten, und es ist zum Teil dann auch überreagiert worden: Ich kann mich erinnern, wie ich in Düsseldorf durch die Stadt fuhr, und ich wurde da angehalten und es wurde sofort eine Maschinenpistole durchs Fenster gesteckt, und man musste sich sehr, sehr vorsichtig bewegen, noch dazu, wenn man lange Haare hatte und irgendwelche nicht-bürgerlichen Klamotten an – das war dann schon heikel.«
Die grundsätzliche Staatsskepsis als Haltung und die Furcht, mitunter auch die Feindschaft gegenüber manchen Vertretern und selbsternannten Verteidigern des Staates wird durch das seltene, neue und hochinteressante Material, das dieser Film präsentiert, nachvollziehbar. Und natürlich durch das immer noch virulente und lebendige Erbe der NS-Zeit, die erst 25, 30 Jahre zurück lag.
Moeller interviewt seine Eltern und sucht ehemalige Freunde und Weggefährten auf. Sein Film hat über den rein historischen Aspekt aber noch eine andere, überraschend aktuelle Komponente: Denn das Wort vom »Sympathisant« ist bei genauerem Hinsehen eigentlich ein bizarrer Begriff, und etwas, für das es im Rest Europas kein zweites Beispiel gibt. Die »Sympathisanten«, das waren für die westdeutsche Öffentlichkeit nicht etwa in erster Linie die direkten Unterstützer der RAF.
Sondern es waren jene, die man im Jargon der 70er Jahre »geistige Wegbereiter des Terrors« nannte.
Der Vorwurf des Sympathisantentums traf Schriftsteller, Künstler, Filmemacher, auch Theologen wie Helmut Gollwitzer und Heinrich Albertz – eben Intellektuelle aller Coleur, die es wagten, zum Beispiel eine humane Behandlung der Gefangenen in Stuttgart-Stammheim zu fordern, in einer Zeit, als der »Münchner Merkur« als Antwort auf die Schleyer-Entführung sehr ernsthaft den
Vorschlag machte, pro Tag einen RAF-Häftling zu erschießen, bis Schleyer frei sei.
Apropos Hanns Martin Schleyer: Er wird heute in den Rückblicken allein als das Opfer beschrieben, das er auch (!) war. Es ist ausgerechnet der skeptische Schriftsteller Peter Schneider, der an Schleyers Vergangenheit als eines überzeugten, willigen SS-Mannes verweist – und damit indirekt natürlich auch Verständnis für die Beweggründe seiner Entführer äußert. »Wie ist es möglich, dass ein ehemaliger SS-Mann, der noch seine Dienste bei seinen Vorgesetzten in Briefen angepriesen hat, und um Verlängerung ersucht, dass so ein Mann mit dieser Vorgeschichte zum mächtigsten Mann des Arbeitgeberverbandes wird?«
Denken wir einen Schritt weiter: Hätte Schleyer, was gut möglich gewesen wäre, 1942, heute vor fast auf den Tag genau vor 74 Jahren, mit im Auto von Hitlers »Reichsprotektor von Böhmen und Mähren«, Reinhard Heydrich gesessen, und wäre mit diesem von den Handgranatensplittern oder den Maschinengewehrpistolen der Attentäter getötet worden – sein Tod wäre das Ergebnis eines heroischen Widerstandsakts gewesen, der alle Sympathie verdient hätte. Hangmen also die.
Auch die RAF hatte ihre Chance, aus Schleyer keinen falschen Märtyrer des Rechtsstaats zu machen: »Ich hab nicht verstanden, warum die Gruppe, die ihn entführt hat, die Verhörprotokolle [im Untergrundgefängnis; RS] nicht veröffentlicht hat. Wenn sie ihn anschließend freigelassen hätte – es wäre eine völlig andere Aktion geworden. Und die ganze Welt hätte sich gefragt: Wie konnte ein solcher Mann zum Arbeitgeberpräsidenten werden, und warum hat es einer solchen Gruppe bedurft, um mal sein ganzes Leben zu erforschen?«
Die RAF hat diese Chance so wenig genutzt, wie die Sympathisanten. Stattdessen Selbstverteidigung.
Der Nobelpreisträger Heinrich Böll schilderte seinerzeit sehr emotional in einem Fernsehinterview seine Eindrücke: »Es macht mich wahnsinnig, ewig, ewig mich gehetzt zu fühlen ... jeder Idiot, der ein bisschen zuviel getrunken hat, kann meinen Namen im Zusammenhang mit Bombenlegern nennen.«
40 Jahre später kommentiert das Volker Schlöndorff: »Ich hab nie die Aufregung gegen Böll und gegen uns alle verstanden – was hat er denn getan? Er hat ein Buch geschrieben, und
dann hat er einen Artikel im ›Spiegel‹ geschrieben, dann hat er die ›Katharina Blum‹ geschrieben – warum dann diese Aufregung, die sich nicht nur in der Springer-Presse, wo das alles angefangen hat, mit dem 'geistigen Vater der Gewalt', überall fortgesetzt hat?«
Es war eine deutsche Hexenjagd. Eine Hatz, bei der Elemente aus den übelsten Jahren der deutschen Geschichte wieder aus dem Unbewussten an die Oberfläche gespült wurden: Denunziantentum, Verdacht, Gleichschaltung des Denkens, Gesinnungs-Terror.
Es war ein moralischer Krieg – und nirgendwo wird das deutlicher, als in dem Redeausschnitt von Bundeskanzler Helmut Schmidt, mit dem der Film beginnt, und in dem er »die moralische Isolierung der Terroristen« fordert – ein Eingeständnis, dass sie das nicht waren.
Diese abgründige Verbindung ist es, die diesen Film aktuell macht. Denn auch heute wird Politik wieder als moralischer Kampf gesehen, auch heute geht es in der Politik wieder um Freund und Feind, nicht um Wahrheit und Wohlwollen. Und auch heute dienen in der Politik Begriffe allzuoft der Ausgrenzung.