Österreich 1996 · 125 min. · FSK: ab 16 Regie: Christian Frosch Drehbuch: Christian Frosch Kamera: Johannes Hammel Darsteller: Ursula Ofner, Blixa Bargeld, Sophie Rois, Lars Rudolph u.a. |
Es war vor ein paar Jahren, als Heike Makatsch noch bei Viva als gutgelauntes Girlie arbeitete und tagsüber an die braven Kleinen vor dem Fernseher Tips und Hilfe in Sachen Pickel, Analverkehr und Drogensucht verteilte. Die Frau half gern und doch war ihr das irgendwann nicht mehr genug und sie versuchte die ambitionierte Berufsfrau mit großen Zielen zu geben. Imagewechsel eben. Vor ihrem Sprung (na ja, Sprüngchen) in die Schauspielerei probierte sie sich als Journalistin und jeden Donnerstagabend flimmerte einer ihrer »Hausbesuche« über den Bildschirm. Locker-flockige Interviews mit Prominenten. Das war dann hübsch anzuschauen, informativ eher nicht, aber Makatsch machte ihren Job durchaus ernst und professionell. Bis zu jenem rabenschwarzen Tag, an dem man ihr Blixa Bargeld vorsetzte. Makatsch brach auseinander, sie heulte nicht und sie schrie nicht, aber auf irgendeine Weise schaffte Bargeld es durch seine bloße Anwesenheit und ein paar knappe Aussagen zuerst das Viva-Lächeln Makatschs zu entstellen und schließlich das ganze Konzept der Sendung (schöne und erfolgreiche Menschen treffen sich zu schönem und erfolgreichem Geplaudere) zu zerlegen. Das Gespräch offenbarte nicht viel von Bargeld aber es zeigte viel von der naiv-kindlichen Einstellung und völligen Überforderung Makatschs. Nach einer guten halben Stunde war man sich bewußt, dass Bargeld auf einer völlig anderen Ebene ist. Sittsam saß er da, rauchte Gitanes und Makatsch lief ein ums andere Mal ins Leere und in ihr Verderben. Bargeld war nicht einmal arrogant, er ließ sich nur nicht auf die platten Schmeicheleien, die gute Laune verbreiten sollten, ein. Er ließ sich vom Format Fernsehen nicht prostituieren und sprach ein ums andere Mal nur das aus, was sowieso schon alle wußten: dass Makatsch vielleicht zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen war und deshalb einen gewissen Grad an Popularität erreicht hatte, aber auch, dass das noch gar nichts heißen muß. Er schaute durch sie durch, entblößte und entlarvte sie, kratzte die Schminke vom Gesicht.
In Christian Froschs Die totale Therapie ist Bargeld nun wieder so und auf der Leinwand zu sehen. Er spielt den dekadenten Psycho-Guru Roman Romero, der seinen Klienten Hilfe verspricht auf der Suche nach dem eigenen Ich. Eine Gruppe von Bedürftigen findet sich dann auch ein im österreichisch-ländlichen Idyll und fügt sich den Prämissen: zwei Wochen auf einem verfallenen Gutshof, kein Auto, kein Handy, kein Alkohol und keine Zigaretten. Statt dessen Joggen, Yoga, ein bißchen Analyse, ein bißchen Gespräch und was da sonst noch so in der Menschheitsgeschichte erfunden wurde, um den zivilisationsgestressten Neurotiker zurück auf den rechten Weg zu bringen.
Die Atmosphäre schwankt zwischen Selbsterfahrungstrip und Esoterik-Ranch, zwischen Helfenwollen und blankem Sadismus und wann die ganze Situation eskalieren wird bleibt von Anfang an nur eine Frage der Zeit. Frosch geht den Idioten-Weg von Triers niemals konsequent zu Ende. Wo in Dänemark kollektiv gerammelt wird, bleibt es in Österreich bei Atemübungen und der Simulation erotischer Erfüllung. Wirkliche Erklärungen zum Ich im 21. Jahrhundert kann der Film nicht liefern, die Angereisten sind bei weitem mehr Typen als Individuen (die Mütterliche, der Zyniker, usw.) und so bleiben die besten Szenen des Films den Entlarvungen vorbehalten, immer dann wenn Dr. Romero das Innerste seiner Schäfchen nach Außen kehrt. Wie auf der Couch bei Makatsch läßt sich der Therapeut Bargeld auf keine Finten ein. Als der Einzelkämpfer Wolfgang sich dem allgemeinen »Ich will wirklich sein und alle meine Konflikte nach Außen tragen«-Geschrei während einer Sitzung anschließt antwortet Roman mit einem mitleidigen »Na das ist aber jetzt billig. Wenn du nichts zu sagen hast, dann sei still.« Roman ist der charismatische Führer, der immer genau die Wurzel der Probleme seiner Klienten zu treffen scheint.
Er bringt die dunkelsten Affekte ans Tageslicht und mit seinem Tod gerät die ganze Situation außer Kontrolle. Sein versprochenes »anything goes« bewahrheitet sich tödlich. Schon zu Beginn hatte er in einer Szene mit seiner Assistentin das Truthahnessen im Hause der Morrissons in Stones The Doors simuliert, die Waffe an der Brust und der Satz »Töte mich doch!«. Beim zweiten Mal geht es schief, Roman bittet die verkorkst-neurotische Außenseiterin Gaby zur Einzelsitzung. Er läßt sich vom sexuellen Begehren verführen und Gaby, mit dem Messer in der Hand, läßt sich nicht zweimal bitten. »Stich doch zu...«. Während Dr. Romero in seinem Zimmer verblutet mutiert die stille Gaby zum Racheengel, wer Macht über Andere ausübt, ob psychisch oder physisch, wird ihr Opfer. Sie ist die Einzige die überlebt und letztlich ihr Problem mit dem Mord an der tyrannischen Schwester auf eine zugegeben sehr krasse Weise lösen kann.
Romans Tod hinterläßt einen Berg von Fragen (zuerst die nach dem Mörder) und Mißverständnissen. Unter der Leitung der überforderten Assistenten dreht sich die Gewaltspirale langsam hoch, um am Ende alles mit sich in den Abgrund zu reißen. Mit Roman verschwindet das Auge, das in all dem Psycho-Chaos das Wesentliche sehen konnte. Die Kassette, die sich in der Videokamera befand als Gaby ihren Doktor meuchelte, steht einfach auf dem Regal und ist als einzige in einer langen Reihe mit einem roten (statt einem schwarzen) Punkt gekennzeichnet. Nur, keinem der Anderen ist es möglich, dieses Zeichen zu lesen, statt dessen versuchen sie verzweifelt eine Mörder zu finden, den sie lynchen können.
Wirkliche Sympathie mit seinen Protagonisten kann man Frosch nicht zuschreiben. Das langsame Sterben der Gruppenmitglieder im zweiten Teil des Films geschieht genüßlich. Schon in den Therapiesitzungen werden die Momente, in denen alles herausbricht unbarmherzig in Szene gesetzt. Das Psycho-Outcoming der verkorksten Holländerin zeigt Die totale Therapie in einer einzigen Einstellung, frontal auf ihr Gesicht. Da ist kein Mitleid, da werden Dinge ausgestellt, dem Gelächter der Zuschauer preisgegeben. Die Kamera bleibt seltsam unentschieden, irgendwo zwischen Stilleben-Motiven und den Zappeleien der Handkamera.
Am Ende kann man sich nur wünschen, dass alle Städter in den Städten bleiben und alles unter der Oberfläche bleibt. Und dass Heike Makatsch nach ihrer letzten Begegnung mit Blixa Bargeld nicht zu viel nachgedacht hat...