USA 2003 · 154 min. · FSK: ab 12 Regie: Anthony Minghella Drehbuch: Anthony Minghella Kamera: John Seale Darsteller: Nicole Kidman, Jude Law, Renée Zellweger, Donald Sutherland u.a. |
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Law, Kidman und Sutherland |
Eine Explosion, eine große Schlacht. Menschenkörper wirbeln durch Luft, mit den Kleidern wird ihnen auch gleich die Haut mit vom Leib gerissen, anderen bohrt sich das Bajonett durch den Hals sodass sie am eigenen Blut ersticken. Zu Beginn ist Unterwegs nach Cold Mountain ein harter Kriegsfilm, und die ersten Bilder erinnern an Spielbergs Saving Private Ryan, so sehr badet die Kamera in Blut, um den Schrecken des Geschehens zu zeigen. Nord kämpft gegen Süd im US-Bürgerkrieg, die Menschen sind zur zuckenden Masse zusammengepresst, und auch dieser Film passt zur augenblicklichen, schon bei Lord Of The Rings erkennbaren Tendenz, Kämpfe mit Hilfe der Computertechnik wieder als Panoramen zu malen, die an Schlachtengemälde des Barock erinnern – Altdorfers »Alexanderschlacht« zum Beispiel.
Fast unberührt inmitten der Massen steht ein Mann: Inman, gespielt von Jude Law. Inman ist ein aufrechter, braver, einfacher Junge des Südens. Im Gegensatz zu seinen blutdurstigen Kameraden denkt er nicht an Kampf und Vaterland, sondern an Ada, »sein Mädchen«, das zu Hause sitzt, auf ihn wartet und ihn im Krieg nur in Briefen und durch eine Fotografie begleitet, die er nahe seinem Herzen bei sich trägt. In der folgenden Nacht wird er schwer verwundet, und zwischen Leben und Tod hört er die Stimme der Krankenschwester, die ihm aus Adas Briefen vorliest: »Komm nach Haus, komm zu mir, komm nach Cold Mountain« wispert es zu ihm im Fieberwahn, und schon zuvor hatte Nicole Kidman als Ada aus dem Off davon gesäuselt, sie sei hierher gekommen, »to escape from Charleston« – von Anfang an ist dieses Cold Mountain also gleich doppelt ein Fluchtort, eine idyllische Traumlandschaft gewissermassen, ein Kinoraum.
Jene Episode dieses episodisch erzählten Films, erinnert besonders stark an Anthony Minghellas The English Patient. Wiedergenesen desertiert Inman, und wandert fortan über 300 Meilen zu Fuß heimwärts, bedroht von Deserteursjägern, gequält von den Folgen der Verwundung – So-weit-die-Füße-tragen. Regisseur Minghella erzählt diese Geschichte recht eng an die Form der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Literaturvorlage von Charles Frazier angelehnt. Diese scheint wie für Minghella gemacht: Eine verschachtelte Erzählstruktur, die Einerseits zwischen der Erinnerung an die Vergangenheit Inmans und Adas, ihrer Begegnung vor dem Krieg, und der Gegenwart andererseits hin und herspringt. Und das in Zehnminuten-Häppchen. Denn diese Gegenwart ist wiederum in zwei Ebenen unterteilt, die parallel von Adas und Inmans Leben erzählen. Weil deren schließliche Wiederbegegnung im Bergdörfchen Cold Mountain dramaturgisch unvermeidlich ist, ist der Weg des stocksteif schweigenden, immer schmaler werdenden Inman nur mäßig spannend. Um sein Überleben muss man bei allem Bemühen Minghellas um Spannung, nie ernsthaft fürchten – alles erinnert etwas an die TV-Serie »Dr.Kimble auf der Flucht«, bei der auch in Augenblicken höchster Spannung die einzige Frage lautete: Wie schafft erst diesmal?
Da schaut man noch lieber Adas Leben an der Heimatfront zu. Lange Zeit hatte man sie nur in tadellos gebügelten Spitzenblüschen gesehen, doch mit dem Hunger kommt auch der Dreck. Der Tod des Vaters und die Ungewissheit um den Geliebten tun ein Übriges – Ada verwahrlost, und es bedarf der Unterschichtfrau Ruby, um ihr Überleben bis Filmschluss zu sichern. Die Passagen in denen hier Bildung und Praxis und mit Nicole Kidman (Ada) und Renée Zellweger (Ruby) zwei ganz unterschiedliche Darstellercharaktere aufeinandertreffen, gehören zum besten dieses Films. Vor allem Zellweger überzeugt, gerade weil sie chargiert bis zur Karikatur, und damit wenigstens ein wenig Spaß bereitet, während man Kidman lange nicht so blutleer gesehen hat.
Eine Episode ist immerhin der Rede, und womöglich den Besuch im Kino wert: In einem nur 15minütigen Auftritt spielt Natalie Portman nämlich Jude Law, der im Verlauf des Films immer mehr Ralf Bauer ähnelt, mal so eben an die Wand, nein: eigentlich durch sie durch. Portman ist da eine junge Südstaaten-Witwe mit kleinem Baby, die dem Deserteur Unterschlupf bietet, und von ihm dann vor der Vergewaltigung durch Nordstaatler gerettet wird. Die ganze Zeit über denkt man bereits, Portman könnte eigentlich als neue Scarlett O’Hara besetzt werden, und wenn sie dann plötzlich mit blutbeschmiertem Gesicht selbst zur Flinte greift und den letzten Soldaten, den einzigen, der ihr nichts getan hat, eigenhändig erschießt, dann wirkt sie in diesem einzigen wahrhaftigen Moment des ganzen Films wie aus einer anderen Welt: Wahnsinn, Verzweiflung und Rachelust in einem; eine Ikone dessen, was der Krieg aus Menschen macht.
Der Rest lässt sich bestenfalls als »Panorama des Südens« genießen, allerdings ein zutiefst verlogenes und geschichtsblindes. Tatsächlich kommen in dem Filme fast keine Schwarzen und keine Sklaverei vor. Man traut seinen Augen nicht. Nur ein Mal sieht man Schwarze – ausgerechnet als Eierdiebe im Maisfeld, und einmal ist von ihnen die Rede: Als Kidman, hier noch sauber, berichtet, sie wolle gerade »cider to the negroes« bringen. Bei der brutalen Schlacht von Petersburg, die am Beginn des Films steht, bestand tatsächlich ein Großteil der Nordstaatentruppen aus Schwarzen – hier kommt kein einziger vor, abgeschlachtet werden nur Weiße. Dafür gibt Esoterik und Pseudo-Südstaatenkitschmusik, Singen in der Kirche, warmherzige und gutmütige Menschen – das Abgründige dieser Dorfgemeinschaft aus Sklavenhaltern und religiösen Fundamentalisten wird hingegen in keinem Bild gezeigt. Das Böse des Südens beschränkt sich auf ein paar protofaschistische Angehörige der »Home Guard«, sodass der Film alles in allem einer entweder unglaublich naiven oder mies berechnenden Reinwaschung der Südstaaten gleichkommt.
Ein Epos a la Vom Winde verweht mag Minghella vorgeschwebt haben, doch dieses Niveau, erreicht er weder visuell, noch erzählerisch. Nicht allein, dass die Oscar-Kalkulationen Minghellas gründlich fehlgeschlagen sind: Der 83 Millionen Dollar teure Cold Mountain ist auch ein einfach missglückter, weil langatmiger Film, der so gekünstelt und aseptisch ist, wie leider viele Produkte aus dem Hause Miramax-Films: The Cider House Rules, oder Chocolat, um nur die schlimmsten zu nennen.
Zunehmend schlurfen die Hauptfiguren wie Zombies durch die Gegend, und am Ende von real zweieinhalb, gefühlt gut fünf Stunden Film steht eine ziemlich penetrante, melodramatische, seifige Idylle: Nach einer einzigen Liebesnacht stirbt der Geliebte – und stört nicht länger den Frauenbund, der ohne ihn viel besser funktioniert. Das einzige, für das er nötig war, hat er getan: Ada ist schwanger, und am Ende sitzen sie, Mutter und Kind und Ruby unter schattigen Bäumen – der Krieg ist vorbei. Noch einmal ein Gemälde, aber ein ganz anderes. Das einzige, was da noch fehlt, ist ein röhrender Hirsch.
Cold Mountain ist ein Bergkaff in North Carolina, in dem die Pfarrerstochter Ada den Arbeiter W.P. Inman kennen – und bei ihren kurzen Begegnungen so lieben lernt, dass sie ihm bei seinem Auszug in den amerikanischen Bürgerkrieg verspricht, auf ihn zu warten. Auch Inman findet in den Gedanken an Ada die Kraft, die Schlachten zu überstehen und, von einer schweren Verletzung erst halb genesen, die Desertion zu wagen. Während er sich auf den 400 Meilen langen Heimweg macht, ständig in Gefahr, vom Feind oder den eigenen Leuten erschossen zu werden, muss Ada in Cold Mountain ihren eigenen Kampf führen: Die Verantwortung der zurück gebliebenen Frauen für Haus und Landwirtschaft wiegt doppelt schwer für eine Städterin, bei deren Erziehung jede praktische Tätigkeit als unschicklich vermieden wurde. Mit Hilfe der zupackenden Ruby Thewes lernt sie allerdings, sich durchzusetzen – Ada und Inman legen in den Jahren des Wartens einen Weg zurück, der sie verändern wird.
Am Eröffnungsfilm der 54. Berlinale ist vor allem eines interessant: wie die Menschen auf ihn reagieren. Cold Mountain ist kein Film, der sich für kontroverse Diskussionen anbietet, und dementsprechend beherrscht ein mäßiges, kritisches Wohlwollen die Gespräche. Es scheint, als ob der Vernissage-Status einen gewissen Zwang zum Enthusiasmus beinhaltet, dem keiner so recht nachzukommen gewillt ist, obwohl auch niemand enttäuscht wirkt. Anthony Minghella, bekannt geworden mit Der Englische Patient, hätte mit seiner soliden Literaturverfilmung an anderer Stelle des Programms möglicherweise offenere Geister getroffen: Aber ein Eröffnungsfilm weckt nun mal die Erwartungen auf ein wahrhaft außergewöhnliches Meisterwerk, und Cold Mountain ist nur ein ganz gewöhnliches.
Die herausgehobene Stellung erweist sich als Hypothek, und die gesteigerten Erwartungen kann das gediegene Epos nicht vollends bedienen. Sicher, neben Nicole Kidman und Jude Law spielt eine ganze Reihe bekannter Gesichter mit, die Charaktere der Haupt- wie der Nebenrollen sind überzeugend besetzt. In kürzesten Auftritten zeigen sie ihr Können: So liefert beispielsweise Philip Seymour Hofmann als lüsterner Prediger eine ebenso reizende Miniatur wie Nathalie Portman als Waffen verachtende junge Witwe (die zunächst so gar keine Ähnlichkeit mit dem kindlichen Mädchen hat, als das sie in Leon das Killerhandwerk lernte). Doch so sehr es beeindruckt, dass die Details stimmig sind (beispielsweise spielen alle Darsteller ihre Instrumente selbst), so maniriert und überzogen wirkt der »Realismus« stellenweise im Gesamtbild.
Minghella versucht sich einmal mehr darin, die (unzeitgemäße?) Nachfolge David Leans und seiner großen Epen anzutreten: An Stelle der russischen Steppen (wie bei Doktor Schiwago) oder arabischen Wüsten (Lawrence von Arabien) sieht man hier Sümpfe und Wälder, wie sie die amerikanischen Südstaaten vor 150 Jahren geprägt haben. Es führte in den USA zu Protesten, dass das »Vaterland« in diesem vaterländischen Film nicht an Originalschauplätzen, sondern in Rumänien aufgenommen wurde. Die Kamera schwelgt in der herrlichen, aber rauen Natur und in den vielfältigen Landschaften, denen Inman auf seiner Wanderschaft begegnet, und begibt sich in den Schlachtenszenen der sicheren Distanz, die wir Zuschauer angesichts der Gräuel bevorzugen würden. Akustisch wird der Film von elegischen Melodien beherrscht, nur selten sind die Ausbrüche in die wilden Bluegrass-Melodien des amerikanischen Südens.
Doch so zwiespältig die Gefühle sind, die sich bei der ausführlichen Darstellung von menschlichem Leid, von Vergeltungsgedanken und seltener Großzügigkeit einstellen-am Schluss gibt es nichts zu diskutieren. Über zweieinhalb Stunden füllt Minghella problemlos mit den Prüfungen, denen Ada und Inman auf ihrem Weg zur inneren Reife begegnen. Und das Ende bietet ein Bild einer besseren Gesellschaft, die gelernt hat, äußerliche Werte von den Inneren zu unterscheiden. Ein wenig Idealismus ist nach den Gefühlsstürmen und den menschlichen Abgründen, die der Zuschauer miterlebt, ein Balsam, dem man gerne zuspricht.