GB/Irland 2002 · 119 min. · FSK: ab 12 Regie: Peter Mullan Drehbuch: Peter Mullan Kamera: Nigel Willoughby Darsteller: Geraldine McEwan, Anne-Marie Duff, Nora-Jane Noone, Dorothy Duffy u.a. |
Es beginnt mit einer Hochzeit. Die Musik klingt fast archaisch, der Raum ist dunkel und rotgelb das Licht. Ein Priester spielt verzückt irische Volkslieder, und für einen Moment glaubt man der Wärme, die hier die Verhältnisse an ihrer Oberfläche prägt. Doch kurz darauf zerreißt der Firnis des Glücks, wird die unterdrückte Sexualität sichtbar, die man auch im Antlitz des Priesters zu erkennen meint: Noch während der Feier kommt es zu einer Vergewaltigung auf dem Dachboden. Der Täter
ist ein Verwandter des Pfarrers, und sein Opfer will nicht schweigen.
Wie dieser Anfang erzählt wird, ist stärker als vieles, was zuletzt im Kino zu sehen war: Der Ton bleibt weg, man sieht nur die Gesichter, die reden, hört nicht, was geredet wird, kann es nur ahnen. Und in dieser ganz anderen Form von Aufmerksamkeit inmitten völliger Verwirrung und Unübersichtlichkeit spürt man bereits: Alles wird unter den Teppich gekehrt werden.
»They sent me to the sisters for the way men looked at me« – Joni Mitchells Ballade schildert, wie wenig es unter Umständen bedurfte, um als junge Frau im katholischen Irland des vergangenen Jahrhunderts zum »gefallenen Mädchen« zu werden. Die »Sisters«, das waren die Nonnen der Magdalene-Convents, benannt nach Maria Magdalena, der reuigen Hure aus der Bibel. In Irland kannte jeder diese über das ganze Land verteilten Heim-Institutionen, in denen vornehmlich Töchter
armer Familien oft über Jahre, mitunter ihr ganzes Leben, unter entwürdigenden Bedingungen gefangengehalten wurden.
The Magdalene Sisters, so der Originaltitel der Regiearbeit des schottischen Schauspielers Peter Mullan (bekannt etwa aus Ken Loachs My Name Is Joe), hat insofern das gewichtige Argument historischer Korrektheit auf seiner Seite. Offenbar ist es
kaum übertrieben, wenn Mullan diese Kloster-Welt als ein katholisches Konzentrationslager zeichnet: Sadistische Wärterinnen quälen und drangsalieren ihre ohne Gerichtsurteil inhaftierten Gefangenen willkürlich und jenseits aller Menschenrechte. Sie prügeln bei geringfügigen Vergehen, verhindern alle Außenkontakte, scheren ihnen nach einem Fluchtversucht die Köpfe kahl und zerstören noch den letzten Rest von Individualität und Selbstachtung; Priester erzwingen
sexuelle Handlungen, die Arbeitskraft der Mädchen wird in der Wäscherei der Heime sklavengleich ausgebeutet – alles unter dem Deckmantel christlicher Nächstenliebe.
Zum Auftakt präsentiert Mullan den Zuschauern das irische Umfeld Anfang der sechziger Jahre, eine Welt väterlicher Allmacht und -gewalt, des allgemeinen Unter-den-Teppich-Kehrens. Darin deutet er die Vorgeschichten dreier Mädchen an, ihr sang- und klangloses Verschwinden im Konvent: Eben jener Margaret (Anne-Marie Duff), die vergewaltigt wurde, der jungen Waisen Bernadette (Nora-Jane Noone), die »zu hübsch« fürs Waisenhaus war, und der unehelichen minderjährigen Mutter Rose (Dorothy Duffy). Voller Pathos verfolgt der Film den Passionsweg der drei bis zur Befreiung nach Jahren. Weil dies alles die schockierende historische Wahrheit, unter der über 30.000 Irinnen litten, eher noch abschwächt, scheint es nachvollziehbar, dass der Film das dortige Publikum bewegt und in Irland bereits über ein Viertel der Landesbewohner ins Kino lockte.
Das ändert freilich nichts daran, dass Die unbarmherzigen Schwestern filmisch einiges zu wünschen übrig lässt. Nie wieder erreicht er die Subtilität der ersten Minuten, wo er es bei Andeutungen belässt. Allzu detailliert und dabei eher plump zeichnet die Regie den Heimalltag, eindimensional und ohne allen Subtext, jede Doppelbödigkeit, es gerät der Film mehr als einmal zum grellen Pamphlet. Ein schales Thesenstück, das den Zuschauer schon deshalb ärgert, weil er längst verstanden hat, was ihm hier wieder und wieder eingebläut werden soll. Und mitunter glaubt man beim Regisseur gar ein gewisses sadomasochistisches Behagen zu bemerken, eine klammheimliche Lust am immer neuen Zeigen von Frauenqualen, eine Perspektive, die fatal an jene der »Frauengefängnisfilme« der 70er Jahre erinnert: Kaum ein Klischee wird ausgelassen, es wird geprügelt und gepeitscht, weder fehlt die Szene, in der sich alle ausziehen, noch die gemeinsame Morgenwäsche, noch das Flüstern im Schlafsaal, noch das nächtliche Schleichen auf den Gängen, noch die kleinen Quälereien am Speisetisch.
Obwohl Gut und Böse, Opfer und Täter unmissverständlich klar verteilt sind, gesteht Mullan immerhin auch einigen der Nonnen menschliche Regungen zu, zeigt er, dass nicht alle Konvents-Insassinnen nur grundgut sind. Trotzdem ist es auch im Rückblick nur schwer verständlich, dass man ausgerechnet Die unbarmherzigen Schwestern beim letzten Festival von Venedig mit einem Goldenen Löwen prämierte, einen filmischen Meilenstein wie Takeshi Kitanos Dolls aber leer ausgehen ließ.
Es sei denn, man sieht von filmischen Kriterien weitgehend ab, und fragt dafür nach dem Politischen. Denn schon der Haupteinwand mancher, dass der Film Türen einrenne, die hier zu Lande sperrangelweit offen stehen, überzeugt nur teilweise. Immerhin wurde das letzte »Magdalene Convent« erst vor sechs Jahren 1996 geschlossen, bis dahin existierten die beschriebenen Zustände. Und auch die harsche Reaktion des Vatikan auf die Preisverleihung deutet auf fortwährende Empfindlichkeiten und die Aktualität dieser Verbindung von Katholizismus, Gewalt und Demütigung hin. Die schockierende Geschichte, die Mullan erzählt, erhält zusätzliche Brisanz, wenn man sie als Parabel über allgemeine Verlogenheit und Doppelmoral, über jede Form von Fundamentalismus begreift. Die Nähe von Religion und Terror, die Mullan hier unverhüllt anklagt, ist eben keineswegs dem islamischen Kulturkreis vorbehalten. Mullan nennt die Dinge jederzeit beim Namen: Unterdrückung von Frauen, Intoleranz und Rechtlosigkeit sind keine »kulturelle Besonderheit«, wie manche es gern verniedlichen, sondern ein Verbrechen.
Noch ein anderer Aspekt, ist des Nachdenkens wert: In Zeiten, in denen es auch im Westen plötzlich wieder manchen (wie erst dieser Tage Gesine Schwan in der SZ) nach einer Renaissance des Religiösen verlangt, in denen – zumal in der Bundesrepublik – die öffentliche Rolle der Kirche als Mahner und moralische Instanz für alle Lebensfragen gern in Anspruch genommen wird, lohnt es sich, auch wieder einmal die repressiven Traditionen dieser Kirche, ihre sündhafte Seite in Erinnerung zu rufen.
Gegen Ende des Film erlebt man die alte, brutale Äbtissin einmal in einem Moment relativer Ausgelassenheit. Der Anlass ist eine Filmvorführung für die Heiminsassen. Es läuft Leo McCareys The Bells of St. Mary’s mit Ingrid Bergman als Nonne – eine gnadenlose Verklärung der Katholischen Kirche im Geist der späten 40er. Zu solcher Verklärung, das macht Die unbarmherzigen Schwestern deutlich, besteht nicht der geringste Anlass.