USA 1999 · 127 min. · FSK: ab 12 Regie: Clint Eastwood Drehbuch: Larry Gross, Paul Brickman Kamera: Jack N. Green Darsteller: Clint Eastwood, Isaiah Washington, Denis Leary, Lisa Gay Haaamilton u.a. |
Steve Everett ist nach Kalifornien gekommen, sagt er, um die Liebe zu finden. Niemand tut das sonst. Der Mann muß also ein wenig verrückt sein und Kalifornien ist ja – D.H. Lawrence hat das vor langer Zeit schon vermerkt – ein amerikanisches Bedlam, ein Ort, der die Psychopathen anzieht.
Kalifornien, als Gemischtwarenladen betrachtet, hat Einiges im Angebot, wenn man sich so umsieht und Menschen haben Kontinente überquert, um sich in diesem Dorado zu bedienen:
an Ruhm und Reichtum, dem Gold, das auf der Straße liegt.
Steve Everett aber, mit seinen ausgefallenen Wünschen, hat keine guten Karten. Er ist ein typischer Charakter, wie ihn der Regisseur Eastwood für den Schauspieler Eastwood sich gerne aussucht: ein Professioneller zweifellos, aber schon etwas verbraucht, etwas müde geworden und einer, der sich nicht mehr grämt über die Ungerechtigkeiten der Welt. Dieser Steve Everett, der – was soll´s – die Liebe nicht findet, hat
einen Job zu erledigen, als Reporter für die Tribune. Jetzt stolpert er über den Fall Frank Beachum, der auf seine Hinrichtung wartet, weil er eine weiße, schwangere Frau ermordet haben soll. Frank ist unschuldig meint Everett, seine Nase verrät es ihm, eine Ahnung, a hunch.
Eastwood eröffnet seinen Film vom Ozean und aus der Freiheit kommend, gleichsam im Raum schwebend. Kalifornien ist ein Gefängnis, eine Zelle in der death row. Was dieses amerikanische Gelobte Land zu bieten hat ist das Äquivalent zur Liebe: den Tod. Ganz gleichgültig tritt der auf, schlägt um sich im Vorbeigehen, aber: ohne jede böse Absicht. Der Tod ist Zufall und mehr noch die Steigerung des Zufalls, Unfall.
Der Tod kommt als Autounfall, in einer Regennacht umarmt er die
junge blonde Frau, die eben noch den Kuß eines lebendigeren Verehrers ausgeschlagen hatte. Wenn das Auto als Symbol der Mobilität das amerikanische Ideal darstellt, so der Autounfall dessen Scheitern. Der Tod ist immer schneller bei Eastwood, verhöhnt den amerikanischen Bewegungsdrang durch erzwungenen Stillstand.
Der Unfall ist unparteiisch, deswegen kann man nicht von Fügung sprechen, wenn er einmal etwas Gutes mit sich bringt. »Where were you all this time?«
schreit die Frau des zum Tode Verurteilten, für den Everett sich nun einsetzen wird. »It wasn´t my story.« entgegnet der Reporter, »It was an accident.«
True Crime gibt sich aus als Reporter-Film des klassischen Hollywood, eine Zeitungswelt bevölkert von anständigen aber rauhen Kerlen, eine Howard-Hawks-Welt. Aber Steve Everett ist ein Fossil, einer, der seine Zeit überlebt hat. Einer, der die alten Reporter-Tugenden pflegt – Kette rauchend,
unaufgeräumt, unausgeschlafen – in einer Welt, da diese Tugenden längst zur Sünde verkommen sind. Kein Jimmy Stewart, adrett im Anzug und ganz organisiert arbeitend am Beweis der Unschuld eines unglücklichen Jungen in Call Northside 777.
Frank Beachum ist unschuldig, aber in Eastwoods Kalifornien hat das nicht viel zu bedeuten und der erbrachte Beweis muß den Hals des Mannes nicht unbedingt retten. Wen kümmert´s? Meine Nase ist alles, was ich habe, sagt Everett, ich glaube an meine Nase. Freilich hat ihn seine Nase auch einmal schon die Unschuld eines Vergewaltigers erahnen lassen, der dann als ganz und gar schuldig sich herausstellte. Alles ist Zufall, ist Unfall.
Eastwood ist natürlich ein Westerner, und in seinen
eigenen Filmen geht er mit den amerikanischen Mythen nicht weniger zimperlich um als Dirty Harry mit Gangstern und Ganoven. Das Bild vom Westen hat Eastwood in True Crime ins Gefängnis geschmuggelt, die Tochter des Verurteilten malt eine bessere Welt. »Green pastures« sagt sie, da klingt etwas Sakrales mit, das religiöse Moment im pastoralen Abbild des Westens, der frontier: gedacht zur Kontemplation hinter Gittern, und das kleine Mädchen bricht in Tränen
aus, als es die grüne Malkreide nicht finden kann, will eine andere Farbe partout nicht verwenden. Der Westen als Paradiesgarten will realistisch gezeichnet sein, wenn er denn realiter schon nicht existiert.
Kalifornien ist eine Todeszelle. Die Liebe wirkt so fehl am Platz hier, so idiosynkratisch wie Weihnachten. Das Ende, wie es Eastwood uns ausmalt, ist eine Vision, ein schöner Traum von den Dingen, wie sie hätten sein sollen. Trotzdem bleiben wir etwas unbefriedigt am Schluß, wie das manchmal ist, wenn ein gewiefter Regisseur – Michael Mann kann das auch oder Sean Penn – das Happy End so euphorisch uns präsentiert, daß wir eine Ahnung bekommen – a hunch – er könnte das genaue Gegenteil gemeint haben. Unser Held ist heimatlos geworden, »Santa Claus rides alone«. Man findet keine Liebe in Kalifornien, nicht mal Freundschaft. Hier ist dem Don Quixotte – Steve Everett – gar die Gesellschaft eines Sancho Pansa noch verwehrt.