Deutschland 2006 · 105 min. · FSK: ab 6 Regie: Marcus Rosenmüller Drehbuch: Christian Lerch, Marcus Rosenmüller, Julia Schwarz Kamera: Stefan Biebl Darsteller: Markus Krojer, Fritz Karl, Jule Ronstedt, Jürgen Tonkel, Saskia Vester u.a. |
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Der einzige Ausweg: »Nie nicht sterben!« |
Die Frage nach »den letzten Dingen«, nach Tod, Himmel, Hölle und ewigen Leben kann ganz schön kompliziert sein. Die Erwachsenen können zu diesem Thema einen ganz schönen Schmarrn zusammen erzählen. Doch das kann einen echten bayrischen Lausbuben nicht abschrecken.
Gleich in der Eröffnungsszene rast der 11jährige Sebastian mit seinem Fahrrad durch den Stall zur Hintertüre ins Haus und durch Küche und Wirtsstube zur Vordertüre wieder hinaus. Das sei der kürzeste Weg. Sein alleinerziehender Vater, der Gastwirt des oberbayrischen Dorfes, hat dem außer einer Watschn nichts entgegenzusetzen. Diese direkte, ungestüme Art behält der Lausbub den ganzen Film über bei, auch wenn es nicht mehr um Fahrradfahren sondern um sein Seelenheil geht. Schon seine Fahrt durch das Haus endet beinahe tödlich. Sein Fahrrad wird vom Bierlaster erfasst und eingeklemmt. Sebastian bleibt wie durch ein Wunder unverletzt. Doch als er sein Fahrrad unter dem LKW herausholen will und eigenmächtig den Bierlaster vorsetzt, kracht dieser in den Stall und tötet die Hasen seines älteren Bruders. Von diesem muss er sich vorhalten lassen, er bringe nur Tod und Verderben. Neben den Hasen habe er auch die eigene Mutter auf dem Gewissen, die bei Sebastians Geburt gestorben ist.
In der nächsten Nacht vermengen sich die Vorwürfe des Bruders, katholischer Volksglaube und Dialogfetzen aus einem Bauerntheaterstück, das in der väterlichen Wirtschaft geprobt wird, zu einem veritablen Alptraum. Sebastian landet vor dem Jüngsten Gericht und sieht sich für sein ellenlanges Sündenregister nach dem Tod ewiglich im Fegefeuer schmoren. Der einzige Ausweg: »Nie nicht sterben!«
Doch wie soll man das mit der Unsterblichkeit anstellen? Nach Transsylvanien reisen und sich von einem Vampir beißen lassen? Wie Jimi Hendrix über die Musik unsterblich werden? Kinder bekommen und in ihnen weiterleben? Die Ratschläge des Pfarrers über den Weg zum ewigen Leben sind Sebastian zu wenig konkret. Die Stammtischrunde verrät ihm – nach einigem Herumgedruckse – schon handfesteres über den Weg der Fortpflanzung. Aber auch da die Umsetzung in die Praxis für Sebastian ihre Tücken.
Solange der Film in der Perspektive des Jungen bleibt und beobachtet, wie Sebastian die Bemerkungen der Erwachsenen über Tod und ewiges Leben wörtlich nimmt und sie mit seinem Lausbubencharme umsetzen will, funktioniert er gut. Das Drehbuch schafft es, dies humorvoll umzusetzen ohne jemals zu platt zu wirken. Die Vorstellungen des Jungen werden dabei teilweise in originelle Bilder gepackt, etwa für das Jüngste Gericht oder die These, dass es gut sei, dass wir alle einmal sterben müssen, weil sonst kein Platz mehr für uns wäre, und sich plötzlich all die verstorbenen Stammtischbrüder in der Wirtschaft drängeln. In punkto Lausbubencharme kann der Film sich voll auf seinen jungen Hauptdarsteller Markus Krojer verlassen. Brillant, wie sich Sebastian bei der Nachbarin einschleimen will, um sie mit seinem Vater zu verkuppeln.
Die Erwachsenen im Film sind leider weniger gelungen angelegt. Am besten gefiel mir noch die durch einen Schlaganfall gelähmte Urgroßmutter. Sie hat ein erfülltes Leben geführt. Jetzt wartet sie auf den Tod. Sebastian bittet sie, ihm doch Bescheid zu geben, wenn sie im Himmel seine Mutter trifft. Mit der Erwachsenengeneration tut sich die Inszenierung deutlich schwerer. Die Stammtischrunde fungiert nur als Stichwortgeber. Jule Ronstedt als junge Lehrerin ist zwar hübsch anzusehen, ihre Figur bleibt aber ebenso blass und wenig überzeugend wie Sebastians Vater oder der Radiomoderator Alfred, der irgendwo zwischen altersweise, Alt-Rock'n'Roller und Alt-Hippie angelegt ist.
Überhaupt frage ich mich, warum so viele Drehbuchautoren zur Figur eines Radiomoderators greifen, der einsam in seinem Studio hoch über der Stadt – oder hier auf dem wolkenumwaberten Wendelstein noch höher über dem Dorf – sitzt und mit Musik und persönlichen Kommentaren auf magische Weise das Schicksal steuert. Wird das in irgendwelchen Standard-Drehbuchseminaren gepredigt? Klar, das soll eine moderne Version des Gott-Vater sein, aber ich kann damit nichts anfangen. Liegt das nur an mir? Weil ich lieber ins Kino gehe als Radio höre? Oder wähle ich einfach nur die falschen Radiosender? So einem Radiogott bin ich im Äther oder meiner Phantasie noch nie begegnet und auch auf der Leinwand lassen diese Figuren mich kalt. (Zur Ehrenrettung der Radiomoderatoren: Andreas Dresen hat in Halbe Treppe gezeigt, dass solch eine Figur auch interessant sein kann, wenn man etwas vom Standardrezept abweicht. Marcus Rosenmüller gelingt das leider nicht.)
Für die Schwächen bei der Zeichnung der Erwachsenen wird man aber durch eine kurze Szenenfolge mehr als entschädigt. Hier zelebriert Regisseur Marcus Rosenmüller leicht eingeschwärzten Humor auf eine angenehm beiläufige, sehr lakonische Art: Sebastian versucht einen der verstorbenen Hasen in Frankenstein-Manier zu reanimieren. Als der Strom für den Versuchsaufbau eingeschaltet wird, explodiert der Hase. Die Gesichter von Sebastian und seiner Klassenkameradin sind mit Blut bespritzt. Sie fachsimpeln aber weiter, als ob dies die normalste Sache der Welt wäre. Anschließend erfährt Sebastian, dass Katzen sieben Leben haben sollen. Schnitt. Man sieht, wie Sebastian einen nassen Sack aus der Regentonne zieht und, als sich nichts regt, nur leise »Scheiße« murmelt. Später am Esstisch – es gibt Ragout von den getöteten Hasen – fragt er nur »Gibt es bald auch Katzenragout?«. Auf die verständnislosen Blicke von Vater und Bruder ergänzt er: »Der Beppi hat wohl schon sechs Leben gehabt.« Das sind vermutlich die lustigsten Minuten, die der deutsche Kinofilm in den letzten Jahren zu bieten hatte.