Deutschland 2018 · 95 min. · FSK: ab 16 Regie: Henning Gronkowski Drehbuch: Henning Gronkowski Kamera: Adam Ginsberg Darsteller: Malik Blumenthal, Janaina Liesenfeld, Emily Lau, Joy Grant, Abbie Dutton u.a. |
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Durchgemacht, S-Bahn gefahren |
Das mit der Authentizität im Film ist so eine Sache. Eine äußerst komplizierte, von vielen Filmen gewollte, von den wenigsten allerdings wirklich erreichte. Wenn es dann allerdings gelingt, wenn ein Spielfilm sich anfühlt wie ein Splitter aus der Realität und uns einen unverstellten, vielleicht sogar wahrhaftigen Blick gewährt: Dann kann das Kino uns im besten Fall besonders nahe kommen, es kann uns berühren und verstehen lassen.
Henning Gronkowskis Spielfilmdebüt Yung ist genau ein solcher Film. Einer zwar, der aufgrund seiner nicht völlig nach außen getragenen, aber doch kalkulierten Radikalität diskutiert werden muss. Fragwürdig ist etwa jene Vergewaltigung gegen Ende des Films, ein Moment, in dem die sicherlich streitbare Erzählhaltung des Regisseurs mit ihm durchzugehen scheint.
Aber dennoch: Yung fühlt sich wahr an, ist in Film gegossenes Lebensgefühl und so etwas wie eine deutsche Generation-Z-Antwort auf Larry Clarks Jungendfilmklassiker Kids. Und das sogar, obwohl Gronkowski seinen Film in der deutschen Hauptstadt verortet und mit seiner Geschichte um jugendlichen Leichtsinn, Sex, Drogen und Techno quasi alle Grundparameter bedient, an denen sich der mittlerweile zum eigenen Genre mutierte »Berlin-Film« seit Jahren abreibt. Yung ist keine schnöde Fußnote, sondern eine eigenwillige Ergänzung.
Gronkowski, der mehrfach für Regisseur Klaus Lemke als Schauspieler vor der Kamera stand (zuletzt in Unterwäschelügen) und in dem deutschen Independent-Enfant-terrible so etwas wie einen Mentor gefunden hat, erzählt von vier Freundinnen, alle zwischen 16 und 18 Jahre alt. Der Film beginnt mit einer Irritation: Eine junge Frau steigt in einen Wagen. »Wie war dein Tag in der Schule?« fragt der Fahrer, der ihr Vater sein könnte, der dann, wenige Minuten später, im Hotelzimmer den Hosenstall öffnet.
So begegnen wir Janaina (Janaina Liesenfeld), die sich ihr Taschengeld mit sexuellen Dienstleistungen vor der Webcam und im real life aufpoliert. Dann sind da noch die lesbische Emi (Emily Lau), die dauerbreit durch den Tag laviert und selbst anfängt, Drogen zu kochen, Joy (Joy Grant) die sich als Dealerin verdingt und Abbie (Abbie Dutton), die von Los Angeles träumt. Alle befinden sich, manche mehr, manche weniger, kurz vor dem Abi, sie feiern bis zum Abwinken und nehmen Liquid Ectasy, im Film nur kurz »G« genannt. Eine schwer kontrollierbare Droge, die bei minimaler Überdosierung zu toxischem Koma führen kann.
Man merkt in jeder Sekunde, dass Gronkowski, der auch das Drehbuch geschrieben hat, weiß, wovon er erzählt. Zwei Jahre war er in den Techno-Clubs der Szene unterwegs, auf Feldforschung und auf der Suche nach geeigneten Protagonistinnen. Mit den vier Frauen hat er sie gefunden. Allesamt sind sie, wie so oft bei Lemke auch, Laien. Sie spielen sich mehr oder weniger selbst in Situationen, die sie selbst so oder so ähnlich erlebt haben. Und allesamt sind sie eindrückliche Typen, zuvorderst Janaina und Emi.
Dass ein solcher semifiktionaler Ansatz kein Selbstläufer sein muss, ließ sich erst kürzlich an Tamer Jandalis Debüt Easy Love beobachten. Auch darin spielen Laien sich selbst bei ihren Irrungen und Wirrungen über Liebe, Sex und Hedonismus. Der nüchtern-dokumentarisch eingefangene Film fühlt sich allerdings eher an wie ein Werbespot und hat mit Lebenswirklichkeiten wenig zu tun.
Gronkowskis Film funktioniert anders. Er ist noch Plot-befreiter, folgt wenigen bis keinen dramaturgischen Linien und beobachtet das immergleiche Treiben: Partys, Drogen, Sex und Musik. Der Exzess in konzentrischen Bewegungen, bisweilen nervig in seiner Wiederholung und dem selbstzerstörerischen Gebaren, jedoch ist es genau dieser Modus, der uns diese Frauen in ihrem Ausprobieren und Suchen nahe bringt. Ohne falsche Komfortzone und glattgeschliffene Dramaturgie wird das Jungsein als komplexe Irrationalität gefeiert.
Aufgebrochen wird die Handlung durch Interviewsituationen, in denen die Frauen in die Kamera blickend über sich reflektieren. »Was erwartest du vom Leben?« wird da einmal gefragt. Auch wenn diese Interviews nicht alle gleichermaßen gut funktionieren und einen pädagogischen Unterton entwickeln, sind sie dem Film dennoch zuträglich: Als pseudo-dokumentarische Kommentare verweisen die auf die Gemachtheit des Films und verstärken gerade dadurch noch den Eindruck, dass der Film nah dran ist an dem, was wir Wirklichkeit nennen.
Bei aller Nacktheit ist Yung keine voyeuristische Fantasie, vielmehr gibt er den vier Frauen die Bühne für das Reenactment der eigenen Erfahrungen. Die sind teils krass und nicht immer schön, aber sie werden auch nicht ausgestellt. Ohne falsche Moral blickt Gronkowski voller Empathie auf seine Protagonistinnen und ihr (zumindest in den meisten Fällen) selbst bestimmtes Treiben.
Durch ein Brennglas erzählt Yung von einem eng abgesteckten Mikrokosmos. Genau dadurch, durch Janaina, Emi, Abbie und Joy bekommen wir eine Ahnung von den Vibrationen und dem Lebensgefühl dieser Generation. Und genau das ist groß. Wenn sich am Ende der Kreislauf durch ein paar kurze Kameraeinstellung öffnet, versteht man erst recht, wie weit zugespitzt Gronkowski agiert. Produktive, radikale Konzentration, sozusagen.