Frankreich/Deutschland 2007 · 115 min. · FSK: ab 16 Regie: Claude Chabrol Drehbuch: Claude Chabrol, Cécile Maistre Kamera: Eduardo Serra Darsteller: Ludivine Sagnier, Benoît Magimel, François Berléand, Mathilda May u.a. |
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Rituale der Bourgeosie |
Ein berühmter und erfolgreicher Schriftsteller, ein verwöhnter Sohn aus allzu gutem Hause, eine ebenso hübsche, wie intelligente, wie freie junge Frau – das ist die explosive Kombination, die am Ausgangspunkt von Claude Chabrols neuestem Film, einem überaus Chabrol-typischen Gesellschaftsdrama, steht.
Der deutsche Titel Die zweigeteilte Frau verrät schon das Naheliegende: Gabrielle (Ludovine Sagnier in einer ebenso reizenden wie großartigen Performance als kokettes Naturkind, das durchs Leben klug wird) wird von zwei Männern umworben, und daran ist sie selbst nicht völlig unschuldig, macht die Wetterfee beim Regionalfernsehen im südfranzösischen Lyon doch beiden Hoffnungen: In den alternden Schriftsteller, Charles Saint-Denis (François Berléand), der gut und gern ihr Vater sein könnte, verliebt sich die Vaterlose Hals über Kopf, aber er ist zu abgebrüht, erfahren, einfach zu alt, um den Überschwang angemessen zu erwidern, und lässt die junge Frau nach der ersten Nacht einfach sitzen. Der andere, der steinreiche Pharmazieerbe und Berufssohn Paul (Benoît Magimel) ist ein Dandy, der Gabrielle zunächst vor allem begehrt, um dem Feind Saint-Denis eins auszuwischen – und damit fast eine Figur aus dem 19. Jahrhundert, oder aus einem der Romane Saint-Denis'. Dann allerdings – auch diesen Twist kennt man nicht nur aus dem Leben, sondern auch aus Erzählungen Maupassants, Baudelaires und Oscar Wildes – verliebt er sich wider Willen in Gabrielle, die ihm ihre Gesellschaft vor allem gönnt, um Charles eifersüchtig zu machen.
Alle drei Zentralfiguren sind hochinteressant, und ein wenig »erfunden«, denn sie haben Abgründe, gegen die das Rhônetal nur ein Sandkasten ist. Am normalsten erscheint noch der alte Großschriftsteller. Normal, nicht unbedingt sympathisch: Er ist eitel, kalt, bevorzugt Bordelle, schweren Wein und leichte Konversation. Der junge degenerierte Millionenerbe ist dagegen derart hyperaktiv, forsch und plump, dass seine Unsicherheit mit Händen zu greifen ist, aber dabei nicht den geringsten Charme entfaltet. Immer wieder benimmt sich Paul exzentrisch und in Gesellschaft daneben, kann seinen Hass auf Charles kaum unterdrücken, und ist womöglich einfach verrückt. Wenn man im Laufe des Films seine Familie kennenlernt, versteht man auch warum. Und auch bei Gabrielle sitzt möglicherweise die eine oder andere Schraube nicht so, wie vorgesehen.
Sie sind alle ein bisschen krank, die Menschen in Claude Chabrols Bourgoisie. Auch ihre Welten sind zweigeteilt – in Paris würde man sagen: zwischen linkem und rechten (Seine-) Ufer, jedenfalls zwischen Geist und Geld, zwischen dem Milieu der Künstler und Intellektuellen, die erst im Scheinwerferlicht der medialen Öffentlichkeit so richtig aufleben, und den lieber diskret im Hintergrund bleibenden Schwerreichen und Industrieellen, dem dummen Kapital, das sich nur
durch Etikette noch zusammenhält. Aber beiden Kreisen gemeinsam ist: Sie sind zutiefst bourgois.
Hier spätestens ist Chabrol ganz in seinem Element. Auch diesmal darf eine für diesen Regisseur so typische Essenszene nicht fehlen, auch diesmal blickt Chabrol genüsslich auf ihren hohlen Small Talk, ihre Rituale – Lesung, Benefizgala, Club, Cocktail, Signierstunde, Kerzendiner, etc. – ihre schwerreichen Fresstempel, altmodischen Rosengärten und ihre gediegenen
Inneneinrichtungen, um danach auch die Interieurs ihrer Psyche zu sezieren.
Kein zweiter Regisseur kann das mit so viel Präzision und Understatement wie Claude Chabrol; und seine Filme sind von einer so unscheinbaren Souveränität, dass man erst wirklich begreifen wird, was man an ihnen hat, wenn es sie eines Tages nicht mehr gibt.
Immer wieder trifft es einen beim Zusehen ins Mark, und das liegt außer an Chabrol auch an der großartigen Hauptdarstellerin: Ludovine Sagniers libertäre, ganz gegenwärtige Gabrielle ist die Lichtgestalt und Heldin dieses
Films. Ihr gilt unsere ganze Anteilnahme, und am Ende hat zumindest sie etwas erreicht, wenn auch unter hohen Opfern: sie ist sie selbst. Chabrol beweist hier, dass er eben nicht nur der Portraitist der französischen Provinz und der Provinzialität des französischen Bürgertums ist, sondern auch immer wieder ein großer Frauenregisseur: Unter dem Klassenkampf liegt der Kampf der Geschlechter. Oft zeigt Charbol dabei, wie Frauen an den männlich-patriarchalischen
Gesellschaftsstrukturen und ihren eigenen Prägungen scheitern. Diesmal erzählt er, wie eine Frau an den Verhältnissen von einer Romantikerin zur Realistin wird. The Making of a Woman – der richtige Film zum 100. Geburtstag von Simone de Beauvoir.
La fille coupée en deux heißt Chabrols Werk auf französisch, das ist viel besser als der unpräzise deutsche Titel (nicht nur weil er betont, dass es sich bei Gabrielle um ein Mädchen handelt), denn geteilt wird
hier gar nichts; »coupée« heißt schneiden. In einem Chabrol-Film, und das gehört zu den vielen Stärken dieses wahren Hitchcock-Erben, kann das nun alles bedeuten: Schizophrenie, ein Serienkiller oder ein Zaubertrick.