Cinema Moralia – Folge 47
»Sie nennen es Urheberrecht. Aber sie meinen Verwertungsmonopol« |
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Mundtot gemachte Piraten |
Merken Sie was, verehrte Leser? Seit einigen Wochen melden sich dauernd irgendwelche tatsächlichen oder angeblichen „Urheber“ öffentlich zu Wort und möchten uns klar machen, wie böse die Forderungen der Piratenpartei sind, wie dumm die Idee einer Kulturflatrate, und überhaupt: »Diebstahl bleibt Diebstahl«, verkündet ausgerechnet Til Schweiger. »Kreative zeigen Flagge«, jubelt dazu das erweiterte Presseheft „Blickpunkt Film“, jene Branchengazette, die bekanntlich interessierten Kreisen jederzeit zu Diensten ist. Und dann wird auch noch überaus breit und mit genüsslicher Kommentierung über die Verurteilung des kino.to-Programmierers berichtet.
Ganz offenbar hat das etwas mit dem für viele überraschenden Wahlsieg der Piratenpartei bei der saarländischen Landtagswahl zu tun, und mit den guten Umfragewerten der Piraten in NRW, Schleswig-Holstein und zuletzt auch noch bundesweit. Denn in der Woche nach der Saarland-Wahl am 25. März setzte dann in sämtlichen Mainstreammedien etwas ein, was man nur als Anti-Piratenkampagne bezeichnen kann: Um nur mal ein paar zu zitieren: Die Tante „Zeit“ ist fünf Tage nach der Saarland-Wahl noch völlig fassungslos: »Die Piraten haben das Unfertige zum Stilmittel erhoben, und überraschenderweise finden das auch Wähler außerhalb von Berlin-Mitte gut. Sie mögen die Piraten, weil die so anders sind als jene Politiker, die in Talkshows unverständliche Sätze zur Euro-Krise sagen. Die Piraten werden als wilde Politrebellen imaginiert, obwohl die meisten eher uncharismatische Systemadministratoren, Software-Entwickler und IT-Ingenieure sind.« Die „SZ“ gibt Saures: »Die Piratenpartei hat zu vielem keine Meinung, wohl aber diese: Die Kunst dem Volke – und zwar gratis. Unter den Kreativen in Deutschland wächst die Wut: 'Das ist die Pervertierung des Freiheitsbegriffs.'« Auf Seite 3, sechs Tage nach der Saarland-Wahl. Dass die Piraten die neue FDP sind, meint die taz, auch sechs Tage nach der Saarland-Wahl. »Warum die Piraten nicht modern sind« weiß die Welt am Sonntag eine Woche nach der Saarland-Wahl.
Im „Cicero“ gibt es zur »Partei ohne Plan immerhin sieben Seiten – nur dafür zu sagen, dass die Piraten nix zu sagen haben und wenn doch, das falsche. Unter Bezug auf „geistiges Eigentum“ mischen sich dann Selbstverständlichkeiten – ›Das Urheberrecht ist wichtig‹ – mit Halbwahrem. Eine wirkliche Auseinandersetzung zum Thema findet nicht statt. Ansonsten ist kein Argument ist zu billig: Dass es ein Parteiausschlussverfahren gegen einen Querulanten gebe, als ob es so was bei Schwarzrotgrün noch nie gegeben hätte. Sie scheinen es jedenfalls alle sehr sehr nötig zu haben – ganz schön viele Zeilen Gülle für so einen Haufen Quatschköppe.«
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Gegen all dies ist erstmal im Einzelnen nicht unbedingt etwas zu sagen, die Debatte ist grundsätzlich wichtig. Was uns misstrauisch machen sollte, ist das plötzliche, gehäufte Auftreten dieser „Debattenbeiträge“ und ihre sehr einseitige, nämlich sehr klar gegen die Piraten zielende Tendenz. Und unsere Intuition könnte uns sagen: Dass da etwas so plötzlich und so einseitig auftritt; kann kein reiner Zufall sein.
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Die konzertierte Aktion wird offenbar auch von anderen bemerkt. In der Sprache von „Blickpunkt Film“: »Die Politik hat die Kreativen ermahnt, stärker öffentlich für das Urheberrecht einzutreten – und diese kommen der Aufforderung nun mehr und mehr nach.« Dieser schöne Satz verlangt nach einer kurzen textkritischen Analyse: »Die Politik« – wer ist das? Alle Politiker? Alle Parteien? Eine Institution? Oder doch nur der Kulturstaatsminister? Oder einfach ein Medienfuzzi der CSU? Da wüssten wir gern mehr. Dann: »die Kreativen«. Wer ist nun dies? Und was bitte bedeutet in diesem Zusammenhang eigentlich „Urheberrecht“. Wir haben dazu noch manches zu sagen, aber in diesem Zusammenhang ist ja etwas sehr Bestimmtes gemeint: Es hätte, liebe BF-Redaktion, zumindest heißen müssen: »das bestehende Urheberrecht«. Denn, auch wenn es vielen nicht passt, und der Lobbyarbeit nicht dient, aber selbst die Piratenpartei ist nicht „gegen“ „das“ Urheberrecht. Sie will es einfach ändern. So wie die CSU den Datenschutz, und die SPD das Steuerrecht. Schließlich: »ermahnt«. Das klingt nach einer Mischung aus Sonntagskanzelpredigt und sanftem Druck. Im nächsten Satz ist dann von »Aufforderung« die Rede. wer also hat ermahnt und aufgefordert mit welchen Druckmitteln?
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Schuld ist die GEMA. Eine weltweit einmalige Institution. Selbsternannte Rächer der Enterbten, kreativ aber nur im Erfinden von Geldquellen. Das sind die, die daran Schuld sind, dass man immer wieder mal liest: »Dieses Youtube-Video ist in Deinem Land nicht verfügbar«. Die, die Kindergärtnerinnen verklagen, weil sie einen Ringelreim gesungen haben, auf den die GEMA Rechte hat. Die Clubs zum Schließen zwingen. Die mit dem erklagten Geld gerade eine fette Imagekampagne fahren: »Musik ist uns was wert« Die Gema schaltet sechs Motive auf Plakaten in 14 Großstädten. Hinzu kommen Print- und Online-Anzeigen. Auf Gema.de können Besucher zudem ein Konzert im eigenen Wohnzimmer gewinnen. Die die Taz so beschreibt: »Mit schick inszenierten Wohlfühl-Plakaten. Und positiven Botschaften über das Kulturgut Musik«. Ohne die GEMA wären die „Tatorte“ am Sonntag ohne Titelmelodie. Mein Gott!
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Da sind wir beim Thema: Der „Offene Brief“ der „Tatort-Autoren“. Veröffentlicht am 29.3., vier Tage nach der Saarland-Wahl. Nachzulesen auf http://www.drehbuchautoren.de/. Ein um mal damit anzufangen, überraschend schlecht formulierter Brief – immerhin ist er doch von Autoren geschrieben. Da wundert einen gar nichts mehr am Sonntagabend. Schon der Beginn: »Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!« Sind das jetzt die Feinde der Unterzeichner, oder die einzigen, die „gegen uns“ sind. Oder die, von denen man noch was erwartet? Dann ist in hohem Ton vom hohen Ton im Netz die Rede, von Lebenslügen und von Kreativen.
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All das ist, mit Verlaub in der Zusammenballung und Tendenz ziemlicher Unsinn, und im Übrigen voll von Lebenslügen. Um mal ein paar, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit aufzuzählen: Natürlich müssen Autoren und Regisseure und Produzenten (gern „Urheber“ und „Kreative“ genannt) bezahlt werden! Natürlich kostet die Produktion (gern „Schöpfung“ genannt) von Kunst und auch von gehobener Unterhaltung und auch von Unterhaltungs-Massenware Zeit und Aufwand, der vergütet werden soll. Wer aber sagt, dass dieses Geld aus über die Jahre erstreckten Verwertungserträgen kommen muss? Wer hindert irgendwen daran, dass Künstler für ihre Arbeit bezahlt werden? Wie ein Lieferant, wenn er die Ware abliefert.
Um mal ein blödes Beispiel zu nehmen: Wenn Michelangelo ein Bild gemalt hat, hat er vom Auftraggeber dafür Geld bekommen. Und aber nicht für den Rest seines Lebens jährliche Tantiemen. Vielleicht haben die Museumsbesucher auch schon im 16. Jahrhundert Geld bezahlt. Aber natürlich durften sie das Bild im Museum abmalen (kopieren), und diese Kopie mit nach Hause nehmen, ohne Michelangelo oder seinem Nachkommen oder dem Papst dafür Geld zu bezahlen.
Vielleicht ein blödes Beispiel wie gesagt. Aber der Punkt ist: Die, die es tun müssten, bezahlen die Autoren zu schlecht. Bei einer Diskussion, die im vergangen Jahr in Ludwigsburg stattfand, berichtete der Frankfurter Dokumentarfilm-Regisseur Niko Apel von der Erfahrung mit seinem Diplomfilm Sonbul (2008), die man nur mit dem Wort Ausbeutung bezeichnen kann: »Der Film wurde dreizehn Mal innerhalb von zwei Jahren in den Dritten Programmen wiederholt. Davon habe ich finanziell kaum etwas.« Der 60-Minuten-Film hat den SWR 23.000 Euro Beteiligung gekostet – wofür man sich extrem umfangreiche Verwertungsrechte überschreiben lässt. Davon abgesehen, dass die häufige Wiederholung die Plätze für andere Regisseure reduziert, wurden dreizehn Stunden öffentlich-rechtliches Kino-Programm damit für nur 23.000 Euro produziert. »Das steht in keinem Verhältnis zueinander.« meinte auch der Produzent Jochen Laube, gleichfalls Ludwigsburg-Absolvent.
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Die Verfasser des Briefs schreiben: »Die Grundrechte der Urheber bzw. der von ihnen beauftragten Rechteinhaber aber werden ... marginalisiert.« Die Crux liegt bei den »von ihnen beauftragten Rechteinhaber«. Denn wer sind die? Natürlich die Sender. »Die von ihnen beauftragen Rechteinhaber« ist eine ungemein schönfärberische, genaugenommen verlogene Formulierung. Das reine „newspeak“. Denn die gemeinten Rechteinhaber sind ja keineswegs von den Autoren „beauftragt“. Die Formulierung des Briefes suggeriert, hier hätte man in freier Entscheidung einen Auftrag vergeben, womöglich unter verschiedenen Bewerbern. Einen Auftrag, den man auch hätte nicht vergeben können. Liebe Drehbuchautoren – geht’s noch? Geht’s noch dümmer? Macht Euch doch nicht zu Affen und uns zu Vollidioten. Wir wissen doch alle, dass ihr sauschlecht bezahlt werdet. Von den Sendern. Dass die Sender Euch eure Drehbücher zerpflücken und zerstückeln und sie umschreiben lassen, ohne Euch für zusätzliche Arbeit irgendein ein Geld zu bezahlen. Dass ihr schon vorher kein angemessenes Geld bekommt. Was soll also diese Formulierung? Die Autoren des Briefes haben nicht verstanden, wer sie bezahlt, und wer sie beraubt. Sie stellen diejenigen als Räuber hin, ohne die sie gar keine Arbeit hätten. Um denen zu gefallen, die sie wie Sklavenbesitzer halten, gerade so über dem Existenzminimum. Die sie in verschiedenster Weise demütigen und ihre kreative Leistung gering schätzen. Andersrum gefragt: Was hindert die Sender eigentlich, ihre Autoren ausreichend zu bezahlen, und dafür sämtliche Verwertungsrechte zu erwerben. Dann wären die Kreativen schon mal aus dem Schneider.
Wovon die Verfasser völlig schweigen, ist, dass sie von ihren Auftraggebern ausgebeutet und entrechtet werden, nicht von den Zuschauern. Ihnen fehlt der Mut, irgendetwas gegen die Sender, gegen die Produzenten, gegen Förderer und Politiker zu sagen. Da sind sie zu feige und zu uneinig. Nur zur Politikerschelte langt es, und zur Userschelte, das heißt zur Schelte genau derjenigen, von denen die Unterzeichner noch irgendetwas Gutes zu erwarten hätten. Aber es langt noch nicht mal zu einem vernünftigen Gegenvorschlag der zur Urheberrechtsdebatte, die nicht »kommen wird«, sondern da ist, etwas Substantielles, Neues beizutragen hätte. Sie bringen auch seit Jahren keinen Streik auf die Reihe, wie die Drehbuchautoren in den USA. Das macht den Brief der Autoren so mickrig.
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Wovon auch nie die Rede ist, ist eine weitere Lebenslüge: Die User, auch Zuschauer, oder, je nach Bedarf, die Bürger genannt, haben den „Tatort“ längst bezahlt, auch wenn sie ihn nicht mal angeguckt haben. Und zwar doppelt und dreifach: Über TV-Gebühren, über Filmförderung, über Steuergelder. Das genügt den mutigen Kreativen aber nicht: Sie wollen Geld für Wiederholungen, Geld für Streaming, Geld für den Verkauf der Tatort-DVD. Vielleicht haben sie sogar recht mit alldem. Aber hierüber muss man reden, über die Sender und die Gebührenverteilung, nicht über böse User, die paar, die tatsächlich einen Tatort kostenlos irgendwo downloaden, den jeder sich sowieso zuhause aufnehmen und verleihen kann – wofür die Drehbuchautoren VG-Wort und VG-Bild-Erträge kassieren. Das ausgerechnet die „Tatort“-Autoren, die mittels Zwangsabgabe GEZ seit Jahrzehnten alimentiert werden, und unter ihresgleichen eine Luxusposition besitzen, jetzt um Gerechtigkeit bitten, ist ein wenig sonderbar.
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Weitere Lebenslüge: Die Digitalisierung. Von allen gepriesen. Nun ist es aber so, dass wie immer das Gute auch ein Schlechtes hat. Wer nicht digitalisiert, kann nämlich auch nicht digital kopiert werden. Wer aber digitalisieren will, sollte dann über die ungeliebten Folgen der Digitalisierung auch nicht klagen. Zu Sven Regner, mit dessen „Wutrede“ beim BR die neueste Debattenwelle anfing muss man daher etwas sehr sehr Schlichtes antworten: Wenn es Sven Regner nicht passt, dass er auch kopiert wird, dann muss er ja nicht singen. Genau gesagt: Er kann ja singen. Unter der Dusche oder in der Wanne oder mit Freuden in der Stammkneipe, überall, wo es keine digitalen Aufnahmegeräte gibt. Wenn er aber in ein Studio geht um damit sehr viel Geld zu verdienen, dann weiß er vorher, dass eine bestimmte Marge seiner Musik illegal downgeloaded wird. Das ist wie der Rest Teil des Spiels, dass Regner spielen will. Mitleid hat er nicht verdient.
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Da ist das Justizministerium schon viel weiter: »Wer Recht ändern will, muss es auch verstehen.« twitterte das BMJ gegen einen Cyberangriff einer Anonymus-Gruppe. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer: »Wer Recht behalten will, auch.«
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Die einzige, die etwas differenzierter und klüger argumentiert, ist die neue SPIO-Vorsitzende, die X-Filme Chefin Manuela Stehr. Sie wünscht in einem Interview beim Thema Urheberrecht »eine neue Gesprächskultur«: »Viele der Probleme haben mit Unwissenheit und Missverständnissen zu tun.« Hoffentlich gilt diese Feststellung in alle Richtungen. Dann wäre das eine Chance.
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Zum Schluss noch einige Fakten: – In dieser Debatte geht nicht um Urheberrechte, sondern um die Zementierung des Status quo, bevor es Internet gab, bzw. um dessen Anpassung an die neuen Verhältnisse. – Der klassische Eigentumsbegriff lässt sich nicht einfach auf immaterielle Güter übertragen. – Die alten Bezahlmodelle sind am Ende, die Zukunft der Kultur liegt im Schwarm. – Eigentumsrechte werden sich in Zugangsrechte wandeln. – Viele Bürger, die es öffentlich leugnen, oder dagegen wettern, laden selbstverständlich kostenlos Filme herunter ohne Unrechtsbewusstsein. Die Gesamtzahlen derer, die das in Umfragen zugeben, liegen zwischen 20 und 7 Prozent. Wenn ein derart großer Anteil der Bevölkerung ein Verhalten akzeptabel findet, ist der Punkt gekommen, wo sich das Recht dem Rechtsbewusstsein anpassen muss. Recht ohne oder gar gegen das Rechtsbewusstsein funktioniert nicht. Vielleicht ex-post, aber das gilt, die lieben Juristen unter den Lesern wissen es, in beide Richtungen.
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Ganz zum Schluss eine Anmerkung in eigener Sache: Dieser Text kann selbstverständlich downgeloaded und kopiert werden. Unser Risiko. Die artechock-Redaktion und ich selbst freuen uns natürlich über private Spenden in möglichst hoher Höhe. Erfahrungsgemäß kommt aber nix. Dafür schreiben wir hier, was wir wollen:-
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.