30. Filmfest München 2013
Ende eines Mythos |
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Der Acid-Western El Topo machte 1970 Jodorowsky zum Kultregisseur | ||
(Foto: Drop-Out Cinema) |
Von Dunja Bialas
Das Filmfest hat noch gar nicht begonnen, da hat es schon den ersten Aufreger hinter sich. Eigentlich wie jedes Jahr, aber so ist das eben, wenn man im Rampenlicht steht. Diesmal ging es um die Retrospektive »Jodorowsky«. Letztes Jahr konnte man im Programm des Filmfests insgesamt sechs Werkschauen oder Hommagen zählen, dieses Jahr gibt es noch drei Hommagen, eine für den Schauspieler und »Gentleman« Sir Michael Caine, eine für den italienischen Regisseur Paolo Sorrentino (La grande bellezza, Cheyenne – This Must Be the Place, Il divo) und ein dritte für Alejandro Jodorowsky, den »großen Kino-Anarchisten« (Gebhard Hölzl). Die Aufregung entstand um die Filme des Letztgenannten, den vermutlich eher wenige Menschen kennen, und der deshalb eine umso eingeschworenere Fangemeinde hinter sich zu sammeln weiß. In den Filmen des mittlerweile 84-jährigen chilenischen Kultregisseurs gibt es, wie es im Programmheft heißt, »unerhörte Bilder zu bestaunen, gekreuzigte Ziegen, viel nacktes Fleisch, Ströme von Blut, Gewalt, Sex«.
Nicht aber der Inhalt erregte im Vorfeld (wie es sich vormals für provokante Regisseure gehörte), sondern die Form. Bis auf seinen letzten Film La danza de la realidad von 2013, der auf dem Festival in Cannes uraufgeführt wurde und nach 22 Jahren Abwesenheit als großes Comeback des 84-Jährigen gilt, wird das Filmfest seine Filme ausschließlich auf BluRay oder auf DVD (Kurzfilm La Cravate) zeigen. Während der »ersten umfassenden Retrospektive seines Werkes« (Filmfest München) kommt keine einzige Filmkopie zum Einsatz. Bei der Netzcommunity, die teilweise seine Filme schon im Original sehen konnte, hat dies Empörung ausgelöst. Der berechtigte Eindruck ist entstanden, dass in Windeseile eine Retro zusammengestellt wurde und keine Zeit (und vielleicht Liebe) blieb, sich um die sicherlich nicht leicht zu findenden Originalkopien zu kümmern. Und, wer weiß, selbst wenn man sie gefunden hätte, in welchem Zustand wären sie gewesen? Bernd Brehmer vom Münchner Werkstattkino, das zwei Filme von Jodorowsky als – allerdings deutsche – Kopie im Archiv liegen hat, gesteht: »Die sind sehr sehr rotstichig.«
Eine kleine Rekonstruktion, wie vermutlich die Retrospektive entstanden ist: La danza de la realidad wurde auf den Filmfestspielen von Cannes gefeiert, der auch auf dem Filmfest laufende Dokumentarfilm Jodorowsky’s Dune hatte ebenfalls in Cannes Premiere. Letzterer befasst sich mit dem allseits bekannten Science-Fiction-Filmprojekt Dune, für das ursprünglich einmal Jodorowsky vorgesehen war, für das dann aber David Lynch letztlich den Auftrag erhielt. Zwei aktuelle Filme also, Mitte Mai gesehen, der Regisseur schon etwas betagt, das schreit geradezu nach einer Hommage, da haben die Programmer des Filmfest München Recht. Dass da dann wenig Zeit blieb für eine Suche nach den Filmkopien, ist klar. Dass das Geld knapp ist, ist auch klar, und eine BluRay zu erwerben ist allemal einfacher als eine Kopie aufzutreiben. Das Filmfest hatte damit eine Vorführsicherheit, wie es jetzt, anlässlich der Proteste, mitteilt: »Schwierigkeiten bei Kopienbeschaffung und -transport (wurden) ausgeschlossen: Kopien und Kino-Vorführrechte sind von einem deutschen Unternehmen lizensiert.« Und weiter: »Dem Filmfest (wurde) eine Vorführung auf dem Format BluRay vom Ehrengast Alejandro Jodorowsky persönlich als geeignetste Lösung vorgeschlagen.«
Der Rest folgt der üblichen Argumentation des Lagers pro digitale Restaurierung: »Denn im Unterschied zum von Exemplar zu Exemplar variierenden Erhaltungszustand einer 35mm-Kopie ist deren Bildqualität gesichert: Für die Erstellung der BluRays wurde eine restaurierte 35mm-Version der Filme neu in HD abgetastet und im Anschluss digital restauriert, so dass das digitale Ergebnis auf der BluRay weniger Kratzer, Staubspuren und andere Bildmängel aufweist als viele 'originale'
35mm-Kopien.«
Die Position der anderen, die jetzt die Filmkopien vermissen, ist auch klar: Nur als 35mm-Kopie können die Filme überhaupt zur Vor- oder gar Aufführung kommen, im digitalen Medium gerinnen sie zum bloßen Content des Trägermediums und werden allenfalls gezeigt. Außerdem fehlt natürlich insgesamt die organisatorische Anstrengung, die Retrospektiven in der Größenordnung von Jodorowsky allgemein großen Respekt und Anerkennung einbringt: Die Kopien aufzutreiben
bedeutet allein schon ein Stück Rezeptionsgeschichte nachzuvollziehen und damit auch ansatzweise filmhistorisch zu arbeiten. Kopien auf ihren Zustand hin prüfen zu lassen, beweist großes Kennertum der technischen Kinogeschichte. Kopien dann vorzuführen, verweist auf eine große Sorgfalt in der Durchführung einer Retrospektive.
Der Pressesprecher des Filmfests, Michael Amtmann, weist auf das fehlende Geld hin, eine solches Unterfangen durchzuführen und auf die unsichere Kopienlage, und fragt abschließend: »Was ist dann besser? Die Retro gar nicht zu zeigen? Vielleicht die Chance zu verpassen, Jodorowsky in München zu haben?«
Klar ist es gut, dass sich jetzt – hoffentlich – viele mit dem Werk von Alejandro Jodoroswky vertraut machen. Die Argumente aber, dass der Inhalt wichtiger sei als die Form und diese deshalb zu vernachlässigen sei, und dass Digitalfassungen originalgetreuer seien als gealterte 35mm-Kopien, werden sich in der Zukunft wiederholen. Eine Entwicklung, die einem durch und durch beunruhigenden State of the Art zustrebt, und der nicht nur das Filmfest München erliegt.
Veranstaltungen anlässlich der Retrospektive:
Filmmakers Live: Alejandro Jodorowsky und Nicolas Winding Refn verfilmen live die Comic-Serie »L’Incal« von Moebius/Jodorowsky, Sa., 29.06., 16:00 Uhr, Black Box
Q+A: Alejandro Jodorowsky beantwortet Fragen des Publikums, So., 30.06., 18:00 Uhr, Black Box