28.06.2013
30. Filmfest München 2013

Ende eines Mythos

El Topo
Der Acid-Western El Topo machte 1970 Jodorowsky zum Kultregisseur
(Foto: Drop-Out Cinema)

Was gilt heute noch eine Filmkopie? Die Retrospektive zu Alejandro Jodorowsky auf dem Münchner Filmfest findet auf BluRay statt

Von Dunja Bialas

Das Filmfest hat noch gar nicht begonnen, da hat es schon den ersten Aufreger hinter sich. Eigent­lich wie jedes Jahr, aber so ist das eben, wenn man im Rampen­licht steht. Diesmal ging es um die Retro­spek­tive »Jodo­rowsky«. Letztes Jahr konnte man im Programm des Filmfests insgesamt sechs Werk­schauen oder Hommagen zählen, dieses Jahr gibt es noch drei Hommagen, eine für den Schau­spieler und »Gentleman« Sir Michael Caine, eine für den italie­ni­schen Regisseur Paolo Sorren­tino (La grande bellezza, Cheyenne – This Must Be the Place, Il divo) und ein dritte für Alejandro Jodo­rowsky, den »großen Kino-Anar­chisten« (Gebhard Hölzl). Die Aufregung entstand um die Filme des Letzt­ge­nannten, den vermut­lich eher wenige Menschen kennen, und der deshalb eine umso einge­schwo­re­nere Fange­meinde hinter sich zu sammeln weiß. In den Filmen des mitt­ler­weile 84-jährigen chile­ni­schen Kult­re­gis­seurs gibt es, wie es im Programm­heft heißt, »unerhörte Bilder zu bestaunen, gekreu­zigte Ziegen, viel nacktes Fleisch, Ströme von Blut, Gewalt, Sex«.

Nicht aber der Inhalt erregte im Vorfeld (wie es sich vormals für provo­kante Regis­seure gehörte), sondern die Form. Bis auf seinen letzten Film La danza de la realidad von 2013, der auf dem Festival in Cannes urauf­ge­führt wurde und nach 22 Jahren Abwe­sen­heit als großes Comeback des 84-Jährigen gilt, wird das Filmfest seine Filme ausschließ­lich auf BluRay oder auf DVD (Kurzfilm La Cravate) zeigen. Während der »ersten umfas­senden Retro­spek­tive seines Werkes« (Filmfest München) kommt keine einzige Filmkopie zum Einsatz. Bei der Netz­com­mu­nity, die teilweise seine Filme schon im Original sehen konnte, hat dies Empörung ausgelöst. Der berech­tigte Eindruck ist entstanden, dass in Windes­eile eine Retro zusam­men­ge­stellt wurde und keine Zeit (und viel­leicht Liebe) blieb, sich um die sicher­lich nicht leicht zu findenden Origi­nal­ko­pien zu kümmern. Und, wer weiß, selbst wenn man sie gefunden hätte, in welchem Zustand wären sie gewesen? Bernd Brehmer vom Münchner Werk­statt­kino, das zwei Filme von Jodo­rowsky als – aller­dings deutsche – Kopie im Archiv liegen hat, gesteht: »Die sind sehr sehr rotsti­chig.«

Eine kleine Rekon­struk­tion, wie vermut­lich die Retro­spek­tive entstanden ist: La danza de la realidad wurde auf den Film­fest­spielen von Cannes gefeiert, der auch auf dem Filmfest laufende Doku­men­tar­film Jodo­rowsky’s Dune hatte ebenfalls in Cannes Premiere. Letzterer befasst sich mit dem allseits bekannten Science-Fiction-Film­pro­jekt Dune, für das ursprüng­lich einmal Jodo­rowsky vorge­sehen war, für das dann aber David Lynch letztlich den Auftrag erhielt. Zwei aktuelle Filme also, Mitte Mai gesehen, der Regisseur schon etwas betagt, das schreit geradezu nach einer Hommage, da haben die Programmer des Filmfest München Recht. Dass da dann wenig Zeit blieb für eine Suche nach den Film­ko­pien, ist klar. Dass das Geld knapp ist, ist auch klar, und eine BluRay zu erwerben ist allemal einfacher als eine Kopie aufzu­treiben. Das Filmfest hatte damit eine Vorführ­si­cher­heit, wie es jetzt, anläss­lich der Proteste, mitteilt: »Schwie­rig­keiten bei Kopi­en­be­schaf­fung und -transport (wurden) ausge­schlossen: Kopien und Kino-Vorführ­rechte sind von einem deutschen Unter­nehmen lizen­siert.« Und weiter: »Dem Filmfest (wurde) eine Vorfüh­rung auf dem Format BluRay vom Ehrengast Alejandro Jodo­rowsky persön­lich als geeig­netste Lösung vorge­schlagen.«

Der Rest folgt der üblichen Argu­men­ta­tion des Lagers pro digitale Restau­rie­rung: »Denn im Unter­schied zum von Exemplar zu Exemplar vari­ie­renden Erhal­tungs­zu­stand einer 35mm-Kopie ist deren Bild­qua­lität gesichert: Für die Erstel­lung der BluRays wurde eine restau­rierte 35mm-Version der Filme neu in HD abge­tastet und im Anschluss digital restau­riert, so dass das digitale Ergebnis auf der BluRay weniger Kratzer, Staub­spuren und andere Bild­mängel aufweist als viele 'originale' 35mm-Kopien.«
Die Position der anderen, die jetzt die Film­ko­pien vermissen, ist auch klar: Nur als 35mm-Kopie können die Filme überhaupt zur Vor- oder gar Auffüh­rung kommen, im digitalen Medium gerinnen sie zum bloßen Content des Träger­me­diums und werden allen­falls gezeigt. Außerdem fehlt natürlich insgesamt die orga­ni­sa­to­ri­sche Anstren­gung, die Retro­spek­tiven in der Größen­ord­nung von Jodo­rowsky allgemein großen Respekt und Aner­ken­nung einbringt: Die Kopien aufzu­treiben bedeutet allein schon ein Stück Rezep­ti­ons­ge­schichte nach­zu­voll­ziehen und damit auch ansatz­weise film­his­to­risch zu arbeiten. Kopien auf ihren Zustand hin prüfen zu lassen, beweist großes Kennertum der tech­ni­schen Kino­ge­schichte. Kopien dann vorzu­führen, verweist auf eine große Sorgfalt in der Durch­füh­rung einer Retro­spek­tive.

Der Pres­se­spre­cher des Filmfests, Michael Amtmann, weist auf das fehlende Geld hin, eine solches Unter­fangen durch­zu­führen und auf die unsichere Kopi­en­lage, und fragt abschließend: »Was ist dann besser? Die Retro gar nicht zu zeigen? Viel­leicht die Chance zu verpassen, Jodo­rowsky in München zu haben?«

Klar ist es gut, dass sich jetzt – hoffent­lich – viele mit dem Werk von Alejandro Jodo­roswky vertraut machen. Die Argumente aber, dass der Inhalt wichtiger sei als die Form und diese deshalb zu vernach­läs­sigen sei, und dass Digi­tal­fas­sungen origi­nal­ge­treuer seien als gealterte 35mm-Kopien, werden sich in der Zukunft wieder­holen. Eine Entwick­lung, die einem durch und durch beun­ru­hi­genden State of the Art zustrebt, und der nicht nur das Filmfest München erliegt.

Veran­stal­tungen anläss­lich der Retro­spek­tive:
Film­ma­kers Live: Alejandro Jodo­rowsky und Nicolas Winding Refn verfilmen live die Comic-Serie »L’Incal« von Moebius/Jodo­rowsky, Sa., 29.06., 16:00 Uhr, Black Box
Q+A: Alejandro Jodo­rowsky beant­wortet Fragen des Publikums, So., 30.06., 18:00 Uhr, Black Box