09.02.2016
66. Berlinale 2016

Es war einmal der deutsche Autoren­film...

WILD von Nicolette Krebitz
Nicolette Krebitz' Wild
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Filmwelt Verleihagentur GmbH)

Alles, was fehlt: Warum laufen die Filme von Nicolette Krebitz und Tom Tykwer eigentlich nicht auf der Berlinale? Zum Stand der Dinge im deutschen Kino – Berlinale-Tagebuch, 1. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Wie gut geht es dem deutschen Kino? Die Jubel­mit­tei­lungen der Film­för­der­an­stalten über­schlagen sich regel­mäßig: Zuschau­er­zahlen, Markt­an­teile, alles super.
Ande­rer­seits scheint das Autoren­kino, also indi­vi­du­elle Kunst, die von der persön­lich-einma­ligen Hand­schrift eines Filme­ma­chers geprägt sind, zunehmend auf der Strecke zu bleiben. Bei der Berlinale, die am Donnerstag beginnt, laufen diesmal, obwohl insgesamt über 400 Filme gezeigt werden, so wenig deutsche Filme wie noch nie.
Wo sind die deutschen Autoren­filme? Sie werden nicht mehr gemacht – weil Förderer und Finan­ciers nur noch auf wenige, so sichere wie lang­wei­lige Publi­kums­hits setzen.

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400 Leute haben sich angeblich inzwi­schen ange­meldet zur Konferenz »Kino machen andere – Warum der deutsche Film nur unter sich feiert«, die der »Verband der deutschen Film­kritik« (VDFK) und die Heinrich-Böll-Stiftung am Vorabend der Berlinale veran­stalten (Die Konferenz findet am Mitt­woch­abend, 10. Februar 2016 um 18:30 Uhr im »silent green Kultur­quar­tier« im Berliner Wedding statt).
Mich über­rascht das offen gesagt ein bisschen, nicht nur, weil man am Tag vor der Berlinale doch in der Regel anderes zu tun hat. Und außerdem: Reden wir nicht alle schon echt genug über den deutschen Film? Und dann noch Deutsche auf Englisch... Oh weia! Ich bin auch nicht so sicher, ob ich ernsthaft erwarte, dass Ausländer wie der Leiter der »Semaine de la Critique« in Cannes, oder Richard Brody (The New Yorker) oderSergio Fant (Festival del film Locarno) in Deutsch­land schlecht, oder sagen wir besser »offen« über den deutschen Film reden werden. Und ob der sehr geschätzte Leiter der Ober­hau­sener Kurz­film­tage, Lars Henrik Gass, so viel über deutsche Langfilme zu sagen hat. Und ob er sich mit der Münchner Film­hoch­schul­chefin Bettina Reitz darüber substan­ziell streiten wird, was sie zu ihrer Zeit als BR-Redak­teurin und DEGETO-Chefin so für Filme verant­wortet hat, und ob die alle das deutsche Kino voran­brachten.
Das alles gesagt, ist es trotzdem eine groß­ar­tige Sache. Nicht allein für den Film­kri­ti­ker­ver­band. Und allein die Tatsache, dass sich 400 anmelden, zeigt das Bedürfnis: Man will disku­tieren, man ist nicht zufrieden, man sieht den anhal­tenden Miss­erfolg deutscher Filme auf inter­na­tio­nalen Festivals: 2015 war der Tiefpunkt. Kein einziger Beitrag aus Deutsch­land in den Wett­be­werben von Cannes, Venedig, San Sebastian und Locarno.
Natürlich darf man auch mal kurz daran erinnern, dass es viel­leicht nicht so wichtig ist, dass des dem DEUTSCHEN Film gut geht. Wichtiger ist doch wohl, wie es dem Kino geht.

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Das deutsche Kino ist in der Krise. Dass das so ist, belegt etwa der Fall Thomes. Denn statt zu fragen, warum Rudolf Thome keine Filme mehr macht, mehr machen kann, warum sich unter den Film­för­de­rern und finan­zie­renden Fern­seh­sen­dern für diese Art von Kino keine Finan­ciers mehr finden, könnte man auch fragen: Warum macht Alexander Kluge seit 30 Jahren nur noch tolles Fernsehen, aber kein Kino mehr? Oder: Warum macht Klaus Lemke nur noch Guerilla-Filme, wie jetzt gerade in Fuer­te­ven­tura, aber warum zeigt die niemand? Die Berlinale hat Klaus Lemkes letzten Film gerade abgelehnt.
Man könnte auch einfach fragen: Was ist bloß los im deutschen Kino?

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Denn die Fakten sind klar: Bei den Inter­na­tio­nalen Berliner Film­fest­spielen, die über­morgen beginnen, läuft nur ein deutscher Film im Wett­be­werb – und auch in den anderen Sektionen findet man so wenig deutsche Filme wie nie. Dabei tritt das Festival mit dem Anspruch an, dem deutschen Film eine besondere Plattform zu bieten, ihm Sicht­bar­keit zu verschaffen. Nur: Wie zeigt man etwas, das nicht existiert?

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Auch auf anderen inter­na­tio­nalen Film­fes­ti­vals laufen schon in den letzten Jahren immer weniger deutsche Filme. Es gibt jedes Jahr ein paar Werke, wie Fack ju Göhte, Honig im Kopf und ähnliches, die Millionen einhei­mi­sche Zuschauer finden, im Ausland inter­es­sieren sie niemanden.
Doch das Autoren­kino scheint langsam aber sicher zu verschwinden. Der Zustand des deutschen Gegen­warts­kinos wirkt durch­wachsen, und allemal verun­si­chert: Die »Berliner Schule« ist kein Vorbild mehr, und der »Berliner Flow« des so genannten »German Mumb­le­core« wird es nicht werden – zu amateur­haft ist der Stil, der aus einem unun­ter­scheid­baren Mix aus Fiktion und doku­men­ta­ri­schem Natu­ra­lismus mit mal mehr, mal weniger Ideen eine Tugend zu machen versucht. Und auch die Regis­seu­rin­nen­lobby Pro Quote produ­ziert mehr Manifeste als Filme.
Und was tun eigent­lich Hans-Christan Schmid, Oskar Roehler, Tom Tykwer, Andreas Dresen, oder Fatih Akin? Warum machen die nicht jedes Jahr einen Film? Von etablierten Regis­seuren wie ihnen kommt zur Zeit wenig Anregung. In die Gesell­schaft, meine ich jetzt.

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»Über welche deutschen Filme wird heute geredet?« fragt Ellen Wietstock, die seit vielen Jahren den schlechthin groß­ar­tigen, nur analog zu bezie­henden, »film­po­li­ti­schen Infor­ma­ti­ons­dienst« blackbox macht, gestern im Gespräch. Ellen erinnert an die Besu­cher­zahlen der 1970er Jahre, als in einen Film von Ulrike Ottinger noch 160.000 Zuschauer gingen. Wir haben also auch ein Publi­kums­pro­blem in Deutsch­land. Den Leuten fehlt es an Inter­essen und Offenheit. Sie sind verdorben von 30 Jahren Trash-Fernsehen und Post-Autoren­kino, von den Wortmanns und Schwei­gers.

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Es gibt Ausnahmen und Gegen­bei­spiele. Ein solches scheint Nicolette Krebitz zu sein. Die Schau­spie­lerin hat gerade ihre dritte Regie­ar­beit mit dem Titel Wild gedreht und beim Film­fes­tival im ameri­ka­ni­schen Sundance vorge­stellt. Aber diesen Film, der schon in seinem Trailer faszi­niert und der von einer jungen Frau handelt, die beginnt, mit Wölfen zu leben, hätte Krebitz fast nicht machen können. Sechs Jahre lang kämpfte sie um die Finan­zie­rung ihres radikalen Drehbuchs. Erst gemeinsam mit einer sehr beson­deren und besonders hart­nä­ckigen Produ­zentin, Bettina Brokemper aus Köln, konnte sie ihre Idee doch noch reali­sieren.
Immerhin.
Diesen Film wollte die Berlinale gerne einladen. Nach allem, was man hört. Aber Krebitz und ihre Produ­zentin gingen lieber weg aus Deutsch­land, nach Sundance. Auch kein Ruhmes­blatt für die deutsche Filmszene.
Aber das ist eine andere Geschichte.

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Über Tom Tykwers neuen Film hört man ähnliches. Fertig ist er, denn ich kenne Menschen, die ihn schon gesehen haben. Tykwer selbst hat im Herbst erzählt, er wolle ihn auf der Berlinale einrei­chen. Seitdem hat man nichts weiter gehört. Auf der Berlinale läuft er nicht.
Was ist geschehen? Da man den offi­zi­ellen Verlaut­ba­rungen in solchen Fällen nicht glauben kann, gibt es zwei Möglich­keiten: a: Der Film wurde doch nicht einge­reicht; b: Die Berlinale hat ihn nicht einge­laden; c: Die Berlinale hat ihn einge­laden, aber nicht in den Wett­be­werb, und das wollte Tykwer nicht. Mal sehen, was man an den nächsten Tagen so redet...

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Fest­stel­lung zum Abschluss: Dass die Berlinale es in 15 Jahren unter Kosslick nicht geschafft hat, eine solche Veran­stal­tung übers deutsche Kino auf die Beine zu stellen, in der offen, hart und notfalls schmerz­haft über die Schwächen des deutschen Films geredet wird, über alles, was jenseits der Jubel­mit­tei­lungen nicht funk­tio­niert, ist natürlich ein Armuts­zeugnis für das Festival. Dieter Kosslick wird es wissen. Die deutsche Woche der Kritik hält ihm den Spiegel vor, und zeigt nicht einfach noch ein paar Filme, sondern alles, was fehlt.