66. Berlinale 2016
Es war einmal der deutsche Autorenfilm... |
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Nicolette Krebitz' Wild | ||
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Filmwelt Verleihagentur GmbH) |
Wie gut geht es dem deutschen Kino? Die Jubelmitteilungen der Filmförderanstalten überschlagen sich regelmäßig: Zuschauerzahlen, Marktanteile, alles super.
Andererseits scheint das Autorenkino, also individuelle Kunst, die von der persönlich-einmaligen Handschrift eines Filmemachers geprägt sind, zunehmend auf der Strecke zu bleiben. Bei der Berlinale, die am Donnerstag beginnt, laufen diesmal, obwohl insgesamt über 400 Filme gezeigt werden, so wenig deutsche Filme
wie noch nie.
Wo sind die deutschen Autorenfilme? Sie werden nicht mehr gemacht – weil Förderer und Financiers nur noch auf wenige, so sichere wie langweilige Publikumshits setzen.
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400 Leute haben sich angeblich inzwischen angemeldet zur Konferenz »Kino machen andere – Warum der deutsche Film nur unter sich feiert«, die der »Verband der deutschen Filmkritik« (VDFK) und die Heinrich-Böll-Stiftung am Vorabend der Berlinale veranstalten (Die Konferenz findet am Mittwochabend, 10. Februar 2016 um 18:30 Uhr im »silent green Kulturquartier« im Berliner Wedding statt).
Mich überrascht das offen gesagt ein bisschen, nicht nur, weil man am Tag vor der
Berlinale doch in der Regel anderes zu tun hat. Und außerdem: Reden wir nicht alle schon echt genug über den deutschen Film? Und dann noch Deutsche auf Englisch... Oh weia! Ich bin auch nicht so sicher, ob ich ernsthaft erwarte, dass Ausländer wie der Leiter der »Semaine de la Critique« in Cannes, oder Richard Brody (The New Yorker) oderSergio Fant (Festival del film Locarno) in Deutschland schlecht, oder sagen wir besser »offen« über den deutschen Film reden werden. Und ob der sehr geschätzte
Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, Lars Henrik Gass, so viel über deutsche Langfilme zu sagen hat. Und ob er sich mit der Münchner Filmhochschulchefin Bettina Reitz darüber substanziell streiten wird, was sie zu ihrer Zeit als BR-Redakteurin und DEGETO-Chefin so für Filme verantwortet hat, und ob die alle das deutsche Kino voranbrachten.
Das alles gesagt, ist es trotzdem eine großartige Sache. Nicht allein für den Filmkritikerverband. Und allein die Tatsache, dass sich
400 anmelden, zeigt das Bedürfnis: Man will diskutieren, man ist nicht zufrieden, man sieht den anhaltenden Misserfolg deutscher Filme auf internationalen Festivals: 2015 war der Tiefpunkt. Kein einziger Beitrag aus Deutschland in den Wettbewerben von Cannes, Venedig, San Sebastian und Locarno.
Natürlich darf man auch mal kurz daran erinnern, dass es vielleicht nicht so wichtig ist, dass des dem DEUTSCHEN Film gut geht. Wichtiger ist doch wohl, wie es dem Kino geht.
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Das deutsche Kino ist in der Krise. Dass das so ist, belegt etwa der Fall Thomes. Denn statt zu fragen, warum Rudolf Thome keine Filme mehr macht, mehr machen kann, warum sich unter den Filmförderern und finanzierenden Fernsehsendern für diese Art von Kino keine Financiers mehr finden, könnte man auch fragen: Warum macht Alexander Kluge seit 30 Jahren nur noch tolles Fernsehen, aber kein Kino mehr? Oder: Warum macht Klaus Lemke nur noch Guerilla-Filme, wie jetzt gerade in
Fuerteventura, aber warum zeigt die niemand? Die Berlinale hat Klaus Lemkes letzten Film gerade abgelehnt.
Man könnte auch einfach fragen: Was ist bloß los im deutschen Kino?
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Denn die Fakten sind klar: Bei den Internationalen Berliner Filmfestspielen, die übermorgen beginnen, läuft nur ein deutscher Film im Wettbewerb – und auch in den anderen Sektionen findet man so wenig deutsche Filme wie nie. Dabei tritt das Festival mit dem Anspruch an, dem deutschen Film eine besondere Plattform zu bieten, ihm Sichtbarkeit zu verschaffen. Nur: Wie zeigt man etwas, das nicht existiert?
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Auch auf anderen internationalen Filmfestivals laufen schon in den letzten Jahren immer weniger deutsche Filme. Es gibt jedes Jahr ein paar Werke, wie Fack ju Göhte, Honig im Kopf und ähnliches, die Millionen einheimische Zuschauer finden, im Ausland interessieren sie niemanden.
Doch
das Autorenkino scheint langsam aber sicher zu verschwinden. Der Zustand des deutschen Gegenwartskinos wirkt durchwachsen, und allemal verunsichert: Die »Berliner Schule« ist kein Vorbild mehr, und der »Berliner Flow« des so genannten »German Mumblecore« wird es nicht werden – zu amateurhaft ist der Stil, der aus einem ununterscheidbaren Mix aus Fiktion und dokumentarischem Naturalismus mit mal mehr, mal weniger Ideen eine Tugend zu machen versucht. Und auch die
Regisseurinnenlobby Pro Quote produziert mehr Manifeste als Filme.
Und was tun eigentlich Hans-Christan Schmid, Oskar Roehler, Tom Tykwer, Andreas Dresen, oder Fatih Akin? Warum machen die nicht jedes Jahr einen Film? Von etablierten Regisseuren wie ihnen kommt zur Zeit wenig Anregung. In die Gesellschaft, meine ich jetzt.
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»Über welche deutschen Filme wird heute geredet?« fragt Ellen Wietstock, die seit vielen Jahren den schlechthin großartigen, nur analog zu beziehenden, »filmpolitischen Informationsdienst« blackbox macht, gestern im Gespräch. Ellen erinnert an die Besucherzahlen der 1970er Jahre, als in einen Film von Ulrike Ottinger noch 160.000 Zuschauer gingen. Wir haben also auch ein Publikumsproblem in Deutschland. Den Leuten fehlt es an Interessen und Offenheit. Sie sind verdorben von 30 Jahren Trash-Fernsehen und Post-Autorenkino, von den Wortmanns und Schweigers.
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Es gibt Ausnahmen und Gegenbeispiele. Ein solches scheint Nicolette Krebitz zu sein. Die Schauspielerin hat gerade ihre dritte Regiearbeit mit dem Titel Wild gedreht und beim Filmfestival im amerikanischen Sundance vorgestellt. Aber diesen Film, der schon in seinem Trailer
fasziniert und der von einer jungen Frau handelt, die beginnt, mit Wölfen zu leben, hätte Krebitz fast nicht machen können. Sechs Jahre lang kämpfte sie um die Finanzierung ihres radikalen Drehbuchs. Erst gemeinsam mit einer sehr besonderen und besonders hartnäckigen Produzentin, Bettina Brokemper aus Köln, konnte sie ihre Idee doch noch realisieren.
Immerhin.
Diesen Film wollte die Berlinale gerne einladen. Nach allem, was man hört. Aber Krebitz und ihre Produzentin gingen
lieber weg aus Deutschland, nach Sundance. Auch kein Ruhmesblatt für die deutsche Filmszene.
Aber das ist eine andere Geschichte.
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Über Tom Tykwers neuen Film hört man ähnliches. Fertig ist er, denn ich kenne Menschen, die ihn schon gesehen haben. Tykwer selbst hat im Herbst erzählt, er wolle ihn auf der Berlinale einreichen. Seitdem hat man nichts weiter gehört. Auf der Berlinale läuft er nicht.
Was ist geschehen? Da man den offiziellen Verlautbarungen in solchen Fällen nicht glauben kann, gibt es zwei Möglichkeiten: a: Der Film wurde doch nicht eingereicht; b: Die Berlinale hat ihn nicht eingeladen; c: Die
Berlinale hat ihn eingeladen, aber nicht in den Wettbewerb, und das wollte Tykwer nicht. Mal sehen, was man an den nächsten Tagen so redet...
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Feststellung zum Abschluss: Dass die Berlinale es in 15 Jahren unter Kosslick nicht geschafft hat, eine solche Veranstaltung übers deutsche Kino auf die Beine zu stellen, in der offen, hart und notfalls schmerzhaft über die Schwächen des deutschen Films geredet wird, über alles, was jenseits der Jubelmitteilungen nicht funktioniert, ist natürlich ein Armutszeugnis für das Festival. Dieter Kosslick wird es wissen. Die deutsche Woche der Kritik hält ihm den Spiegel vor, und zeigt nicht einfach noch ein paar Filme, sondern alles, was fehlt.