Anonym und manipuliert? |
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Das Münchner Künstler*innen-Kollektiv »Groupe Maudit« macht sich seinen eigenen Reim auf die Ereignisse unserer Zeit | ||
(Foto: Groupe Maudit) |
Von Dunja Bialas
Uns haben nicht wenige Zuschriften erreicht, seit der Veröffentlichung des Offenen Briefs von deutschen Filmschaffenden. Viele haben ihre Dankbarkeit ausgedrückt. Viele haben uns ihre Unterschrift zum Unterzeichnen geschickt. Aber: Um all diesen Zuspruch, den wir bekommen haben, soll es diesmal nicht gehen. Sondern um die kritischen Stimmen, um die Zwischenrufe. Auf einen Zwischenruf ist unser Kollege Rüdiger Suchsland in seinem letzten Text eingegangen: dass die Unterzeicher*innen des Offenen Briefs der Filmschaffenden zumindest dem Namen nach vermutlich alles weiße Bio-Deutsche seien. Was fehle, seien Menschen mit Migrationshintergrund. Diesen Zwischenruf kann man auf zweierlei Weise lesen: Als feststellendes Bedauern, dass sich nur Weiße hinter dem Brief zusammenfinden; als insinuierende Kritik, die auf den angeblichen, jedoch in den Medien breit diskutierten »importierten Antisemitismus« abzielt, was rassistisch ist und weiteren Hass schürt, anstatt die Wogen zu glätten. Wir haben den Zwischenruf wohlwollend als Feststellung aufgefasst.
Vielleicht aus Gründen der zitierten Leserzuschrift, vielleicht aber auch aus anderen Gründen, erhielten wir eine Mail einer befreundeten Kuratorin. Der Text von Rüdiger Suchsland enthielte eine »quasi-afd-position, die nicht nur anklingt«. Wir haben sie gebeten, uns zu erklären, wo in dem Text sie das festmache. Welche Argumentation, welche Sprachlichkeit haben wir übersehen? OMG, sind wir plötzlich auf dem rechten Auge blind? Wir haben ihr auch geschrieben, dass wir interessiert an einer Replik wären und ihr angeboten, diese hier zu veröffentlichen. Leider wurde die Gelegenheit nicht ergriffen. Letzte Worte waren, vernichtend: »Schade um artechock.« Aber sie hat sich für das Angebot bedankt.
Währenddessen geht es auf Facebook rund und runder. Eine Antwort an die »Deutschen Filmschaffenden« wurde im geschlossenen Raum von Social Media gepostet, die sich gegen die Vereinnahmung von allgemein »Juden« durch den Offenen Brief bei »artechock« wendet. Auf die Replik sind wir nur gestoßen, weil Dritte uns darauf aufmerksam gemacht haben. Wir haben der Person angeboten, die »Antwort« hier zu veröffentlichen. »As the editor of the magazine I'd like to get the whole discussion out of the heated and closed space of social media and transfer it to an open and transparent debate between addressable people«, haben wir ihr geschrieben. Leider hat die Person, die ihren Namen nicht auf »artechock« lesen möchte, das Angebot zurückgewiesen. Wir kennen aber die Gründe, akzeptieren und respektieren sie.
Wir wünschen uns die Auseinandersetzungen weg aus dem überhitzten Selbstbestätigungs-Reinforcement der eigenen Bubble auf Social Media. Wir wünschen uns einen Austausch in der Öffentlichkeit, mit Transparenz und namentlich ansprechbaren Personen. Nur so, denken wir naiv und fühlen uns schon fast wie ein öffentlich-rechtliches Medium, kommen wir da wieder raus. Raus aus dem Grabenkampf zwischen den Kulturleuten, die nicht von ihren Positionen abrücken. Weil sie andere Sichtweisen haben, weil sie aus anderen Hintergründen kommen, weil sie in einer anderen Bubble leben. Viele sprechen von ideologischen Gräben. Keiner sagt mehr zum anderen: Aber wir haben gute Dinge zusammen gemacht. Der Nahost-Konflikt zieht die Filmwelt gerade unerbittlich in seinen Mahlstrom hinein und in den Abgrund hinab. Und obwohl Texte geschrieben werden, offene Briefe und Posts auf Social Media, Erklärungen und E-Mails: kommen wir aus der Verhärtung nicht heraus. Klar denkt jeder, auch wir denken das, dass die eigene Position die richtige sei. Und dennoch ergibt sich wohl aus einer Kombination von text misreading und misleading interpretation die große Unüberbrückbarkeit. Obwohl man sich kennt, obwohl man sich schätzt.
Wir begrüßen es aber, das sei noch einmal betont, dass auch Freunde und Bekannte, die nicht unserer Ansicht sind, Kontakt mit uns aufnehmen und sich die Zeit nehmen, uns lange Mails zu schreiben. Wir finden, das ist ein gutes Zeichen, auch wenn am Ende nichts dabei rumkommt. Denn miteinander zu sprechen ist dem Debattenklima zuträglich und sollte demokratisches Grundverständnis sein. Okay Boomer, wir hören uns schon wie das Zentralorgan der politischen Bildung an. Aber, es sollte doch klar sein: Auf Social Media gehen leicht mal die Emotionen mit einem durch. Schnelle Posts werden in die Tasten gehämmert, manchmal auch schnell wieder gelöscht. Impulskommunikation nennt man das wohl. Da geht dann auch der Respekt für den anderen verloren.
Es gibt aber auch durchdachte und mit Bedacht formulierte Texte, die wie Brandbriefe wirken können. Die »Message to the international film community«, die anlässlich eines umstrittenen Facebook-Posts des Leiters der Kurzfilmtage Oberhausen Lars Henrik Gass verfasst wurde (wir berichteten), ist so ein Fall. Um die 2000 Menschen haben die »Message« unterschrieben, die dem Gestus nach eine Petition ist – »We, the undersigned …«. All die gesammelten Namen, die hier auftauchen, sind aber nicht die Urheber, bilden nicht die Autorschaft des Briefes. Ihre Unterschrift ist eher eine zirkuläre Empfangsbestätigung, sind die Unterzeichnenden doch selbst Teil der »international film community«, an die die »Message« adressiert ist.
Wer hat den Brief aufgesetzt, wer sind die Urheber*innen? Das Statement wurde »decentralized and collectively written«, heißt es in der ebenfalls nicht gezeichneten Pressemitteilung. Wer aber hat das Statement lanciert? Es gibt kein Impressum auf entsprechender Seite. So ist das ein im Grunde anonymes Schreiben, das sich unter der Tarnkappe des Kollektivs versteckt: Denn es macht keinen Unterschied, ob zwei- oder viertausend Namen unter dem Statement stehen. Sie sind alle nicht adressierbar, weil sie keine Urheber, sondern Unterzeichner sind. Das ist ein Unterschied.
Weil wir danach gefragt werden, und weil wir Transparenz wollen: Ja, wir sind in Kontakt mit dem Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage Lars Henrik Gass. Und nein, Überraschung: Wir sind nicht das Sprachrohr von Gass. Nein, wirklich, Hand aufs Herz: Wir haben uns eine eigene Meinung gebildet. Und selbst wenn wir finden, dass Gass eine zu heftige Sprache benutzt hat, zumindest eine, die wir selbst nicht verwenden würden, kommen wir nicht umhin, seinen inkriminierten Post zu kontextualisieren, was wir gemacht haben. Seine Erklärungen und Entschuldigungen bleiben aber auffällig wirkungslos, als würden sie gegen eine Mauer laufen. Und ja, es war keine Entschuldigung für seine Sprache, wie manche es fordern, und ja, er hat seinen Post nicht verändert, wie wiederum andere es fordern. Und es folgte auch keine zerknirschte »Selbstkritik«, wie sie aus anderen Kontexten bekannt ist. Es erfolgte auch kein Canossagang. Aber es kamen Entschuldigungen, im Plural, die zumindest erkennen ließen, dass es nicht so gemeint war, wie es ankam. Und ja, klar, das ist auch wieder nur so eine »Entschuldigung«, wie wir sie von den Politikern kennen. Aber kommen wir uns nicht langsam wie Eltern aus den Fünfzigerjahren vor, die ihren Kindern sagen, wie sie das Entschuldigungskärtchen bitteschön zu verfassen haben? Gass hat sein Bedauern ausgedrückt und sich dafür entschuldigt, falls er jemanden verletzt haben sollte. Können wir es dabei nicht bewenden lassen?
Nein, können wir nicht. Es geht weiter. Als »Vergeltungsmaßnahme« habe Gass die in Oakland ansässigen Kurator*innen Astria Suparak und Brett Kashmere, die für 2024 das »Thema« von Oberhausen kuratieren sollten, »gecancelt«, weil sie die Petition gegen ihn unterzeichnet haben, heißt es jetzt in einem Statement der Kurator*innen. Die von uns sehr geschätzte »Screen Slate« x-te (oder wie heißt jetzt das neue Wort für »twittern«?): »This is contemptible behavior by Lars Henrik Gass on behalf of Oberhausen. Astria Suparak and Brett Kashmere are two of the most talented and principled curators we have, and their statement is just and humbling.«
Zum Kurator*innen-Fall wollen wir uns hier nicht äußern, die Darstellungen divergieren erheblich: von »entlassen« zu »Vertrag nicht verlängert«, über angebliche BDS-Anhängerschaft der beiden, was nach einem Bundestagsbeschluss von 2019 ein Ausschlusskriterium für eine Beschäftigung im deutschen Kulturbetrieb darstellt
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Edit: Wir müssen unsere Aussage korrigieren und bedanken uns für den entsprechenden Leserhinweis. Im Nachgang zum Bundestagsbeschluss wurde in der »Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags« Ende Dezember festgestellt: »Der Beschluss des Deutschen Bundestages stellt keine Rechtsgrundlage für Entscheidungen dar, durch die Auftritte von Einzelpersonen in öffentlichen Räumen oder mit öffentlichen Mitteln geförderte Veranstaltungen untersagt werden können. Solche Entscheidungen bedürfen stets einer Rechtsgrundlage im Einzelfall.« Allerdings gibt es aus dem Jahr 2018 einen Beschluss des Landtags von NRW mit folgendem Inhalt: »Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen dürfen der BDS-Kampagne keine Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und keine Veranstaltungen der BDS-Kampagne oder von Gruppierungen, welche die Ziele der BDS-Kampagne verfolgen, unterstützen.«
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Was auch immer der Grund für die Beendigung der Zusammenarbeit sei: Interessant ist, wie die »Gecancelten« selbst die »Message to the international community« zusammenfassen: »This was not a call to boycott the festival, but rather a public response by a collective of artists and cultural workers who were attempting to hold an organization we respect to account and to take responsibility for hurtful language. We agreed with the concerns raised in the letter, and were confused as to why the festival’s official social media channel would be used as a platform for distributing such a message.«
Beanstandet wird also die verwendete Sprachlichkeit, und dass Gass für seinen Post den Facebook-Account des Festivals verwendet habe. Es soll kein Boykott-Aufruf gewesen sein, nur eine öffentliche Antwort.
Wurde da von den Kurator*innen etwa folgender Passus aus der von ihnen unterzeichneten »Message« überlesen?
»We, the undersigned, will not allow our work to be aligned with such a position. We call on the festival’s staff and partners to recognize the danger created by their director’s statements, to revise this position, and to take the appropriate measures to ensure responsible leadership in the future. We encourage members of the international film community to reassess their position towards the festival as submitting and visiting filmmakers, as distributors, curators, and guests.«
Es ist strittig, ob der Passus einem Boykott-Aufruf gleichkommt oder nicht, die Unterzeichnenden weisen das von sich, siehe Suparak und Kashmere. Auch wenn das B-Wort nicht fällt, fordert der Passus jedoch bei Ausbleiben einer Revision der Gass'schen Position, »geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um in Zukunft eine verantwortungsvolle Führung zu gewährleisten«. Ihre »Position als einreichende Filmemacher und Festivalgäste« in Bezug auf das Festival zu überdenken, wenn der Gass'sche Post nicht revidiert wird, heißt zwar nicht zwingend, dass man der Veranstaltung fern bleiben soll, es wird aber als bewusster Akt markiert, wenn man in diesem Fall hinfahren oder einreichen sollte.
Was anderes ist das als suggerierter Boykott und die Forderung nach einer anderen Leitung, wenn Gass sich nicht seinen Äußerungen gegenüber »responsible« zeigt?
Genau dieser vielsagende Abschnitt der »Message«, das wurde jetzt von einem der Unterzeichner im persönlichen Gespräch selbst aufgeworfen, soll nach Unterschriftenleistung der Petition erst hinzugefügt worden sein. Der Unterzeichner im Gespräch wörtlich: »They manipulated the petition.« Zwei weitere Unterzeichner*innen bestätigten dies unabhängig voneinander, auf unsere Nachfrage hin, ob sie die insinuierte Sanktion nicht etwas überzogen fänden.
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Edit: In einer Zuschrift nach Publikation des Textes gibt es eine Gegendarstellung: »Den Vorwurf, dass die Petition 'manipuliert' wurde, kann ich entkräften. Ich bin nicht Mitautor, habe aber vor Veröffentlichung verschiedene Versionen gelesen. Die von Dir genannte Passage ist sehr spät aufgenommen worden, aber unterschreiben konnte man dort erst unter die Endfassung.«
Unabhängig von dem ominösen Brandbrief ohne Autorschaft: Wir bedauern, dass unser Angebot zur öffentlichen Debatte nicht angenommen wurde. Wir halten es aber aufrecht. Wie sagt man doch so schön: Wir wünschen uns, dass die zerstrittenen Parteien die Gespräche wieder aufnehmen.