74. Berlinale 2024
Lektionen der Schwäche |
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1933 war es ganz genauso – manche deutsche Filmorganisation gab es damals schon und es gibt sie heute... (Szene aus The Zone Of Interest) | ||
(Foto: Leonine) |
»The people who were really dehumanized in Auschwitz were those who cut themselves off from love. They did degrade themselves in exchange for the will of power. It’s a decision to be a person like that. We choose that hate. Just as we choose love.«
– Regisseur Jonathan Glazer in Berlin, aus Anlass von Zone of Interest
Es geht gar nicht um die AfD bei dieser Debatte. Es geht erst recht nicht um die Berlinale. Es geht um uns. Es geht darum, ob und wie wir uns einer existentiellen Herausforderung stellen. Ob die Rede von der »wehrhaften Demokratie« eine blöde Phrase ist, oder Substanz hat. Und ob wir in der Lage sind, unser Verhalten zu verändern, weil sich die Lage geändert hat.
Nur insofern ist die Berlinale und die neueste Berlinale-Debatte, die um die Berlinale Einladungspolitik, ein Schulbeispiel. Wir lernen etwas aus ihr. Wir lernen etwas über uns.
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»Wie kann man in Deutschland eine Revolution niederschlagen? Indem man eine rote Ampel vor das Parlament stellt« – es ist dieser alte, durchaus etwas abgehangene Witz, der auch hier wieder vollkommen zutrifft: Eine unzweideutige Haltung gegenüber den Antidemokraten und Faschisten von der AfD scheitert an formaljuristischen Einwänden, an Bürokratie und an falscher Nachsicht.
Das neueste Beispiel dieser schlechten Charaktereigenschaften und der praktischen Schwächen unserer demokratischen Verhältnisse bietet gerade die Berlinale – und es ist nur ein Beispiel. Kommende Woche wird die 74. Ausgabe dieses größten und einstweilen noch wichtigsten deutschen Filmfestivals eröffnet.
Zu der Eröffnungsgala sind mehrere AfD-Parlamentarier des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses eingeladen worden – der Bund und das Land
Berlin sind Träger und mit einem Gesamtanteil von rund 40 Prozent am Etat öffentlicher Geldgeber des Festivals.
Gegen diese Einladungen gibt es seit vergangener Woche massiven und wachsenden öffentlichen Widerstand. Dies kann eigentlich niemanden überraschen.
Das Ergebnis ist »ein PR-Desaster«, wie jetzt der Deutschlandfunk treffend kommentierte.
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Der »Tagesspiegel« schreibt dagegen auch hier wieder mal Unsinn. Wie oberflächlich auch dieser Text ist, zeigt bereits der erste Satz: Die AfD ist nämlich nicht »seit 2021« im Bundestag vertreten, sondern seit 2017! Das zumindest sollte selbst dem »Tagesspiegel« nicht entgangen sein.
In Berlin sitzen sie seit 2016.
Zweitens: »Dass AfD-Mitglieder, die für ihre Partei in den Kulturausschüssen sitzen, zur Berlinale-Eröffnung eingeladen werden, gehört zunächst mal zur kulturpolitischen Etikette.«
Da bin ich mir nicht so sicher, mag sein, könnte aber auch eine gern wiederholte Behauptung sein. Nur – was folgt daraus denn eigentlich? Was ist denn schon eine »Etikette«, erst recht gegenüber Leuten, die selbst fortwährend die Etikette verletzen? Etikette bedeutet Umgangsformen oder
Benimmregeln. Wie wichtig sind diese denn gegenüber Faschisten?
Man kann die Etikette verändern, in einer neuen Lage neue Verhaltensweisen festlegen.
Und gilt denn die Etikette auch, wenn das Haus brennt?
Wer jetzt erwidert, das sei hysterisch, dem antworte ich: Okay, dann sagt mir doch, ab wann für Euch das Haus brennt? Gibt es eine Rote Linie? Wo liegt sie?
Weiter dann: »Die Gefahr besteht jedoch, dass der Protest vor allem der AfD in die Hände spielt.« Diesen Satz hören wir immer wieder seit dem Aufkommen der AfD.
Schauen wir auf Wahlergebnisse und Entwicklung der Partei, könnte es eher sein, dass dieser Satz der AfD in die Hände spielt.
Aber egal. In jedem Fall äußert der Satz eine unbewiesene Behauptung. Wenn alle nichts tun, nicht protestieren, könnte auch das der AfD in die Hände spielen. Auch eine unbewiesene Behauptung. Dann doch lieber Protest. Meine Position gegenüber dieser Partei ist: Tabus errichten, Rote Linien ziehen, Ausgrenzen, und diejenigen, die Brandmauern einreißen und unter dem Mantel der Gleichbehandlung das Ungleiche, Unvergleichbare gleichsetzen, dafür gnadenlos und ohne falsches »Verständnis« kritisieren.
Das sage ich ohne jede Panik und Empörung. Ich glaube, wir schaffen das. Wir müssen es aber wollen.
Nochmal meine Frage von oben: Wo ist unsere Rote Linie? Ich erwarte keine Antwort, aber würde mich freuen, wenn ihr alle, liebe Leser darüber mal ehrlich mit Euch selbst nachdenkt.
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Der Rückzug aufs Formaljuristische und ein Einladungsprotokoll, das für entspannte liberale Zeiten, aber nicht für Kulturkämpfe zwischen autoritären und demokratischen Parteien entstanden ist, ist de facto eine Kapitulationserklärung von Demokraten.
Sie höhlt die Grundlagen aus, auf denen die Demokratie steht. Die Extremisten wissen das auszunutzen.
Welcher der vielen linken Hipster, die jetzt gegen ein AfD-Verbot sind, und sich überall, nicht nur bei der Berlinale aufs Protokoll herausreden, hat schon mal mit seinem AfD-wählenden Nachbarn debattiert?
Wer hört sich mal einen Rechtsextremismus-Podcast an? Tut das mal, um zu verstehen!
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Gegen diese kitschige Achtsamkeitspoesie, die sich im öffentlichen Diskurs in letzter Zeit so breit macht, muss man sagen: Rechtsextremisten verdienen keine Achtsamkeit, »Protokoll« und »Etikette« sind nicht für Faschisten.
Die Berlinale muss keineswegs ein »safe space« sein, für niemanden und als Allerletztes für Rechtsextremisten. Die Berlinale soll auch nicht zur Selbstbestätigung einer gewissen Hipster-Linken der Wohlstandsländer dienen.
Sondern die Berlinale soll verunsichern, irritieren, herausfordern, infrage stellen. Nur dann hat sie als Festival überhaupt eine Existenzberechtigung.
Wir brauchen rote Linien. Die rote Linie für Kunst ist das Selbstverständnis von Kunsträumen und links/liberalen Räumen. Die AfD ist aus manchen öffentlichen und parteipolitischen Räumen nicht fernzuhalten. Das ist schlimm genug. Kunsträume sollten diesen Leuten nicht die Tür öffnen und sie schon gar nicht einladen, auch nicht einladen müssen. Daher braucht es jetzt eine Veränderung des Protokolls. Damit das Problem auch diejenigen Festivalleitungen verstehen, die ansonsten zu träge sind, und damit nächstes Jahr über Wege nachgedacht wird, so eine Einladung gar nicht mehr aussprechen zu müssen.
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Was gestern demokratische Praxis war, kann heute trotzdem ein Skandal sein.
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»Gegen die Berlinale« wollen sie nichts tun, die Berlinale nicht kritisieren, sagen manche Stimmen. Oder gar »Berlinale schützen« – echt jetzt? Vor sich selber dann wohl. Gehört die Berlinale ins Reservat, um vor der bösen Wildnis geschützt zu werden? Oh oh oh, nur nix Strenges, Kritik am besten nur intern.
Tatsächlich aber richtet sich eine Kritik der Einladungspolitik der Berlinale (mit der ich nicht alleinstehe) keineswegs »gegen die Berlinale«. Es kritisiert sie auch nicht, sondern allenfalls einen bestimmten Punkt.
In meinem Verständnis helfen wir mit klaren Protesten der Berlinale bzw. stärken jene Seite von ihr, die sich klar gegen die AfD und ihre Werte positionieren will.
Im Gegenteil könnte es sogar sein, dass »der Berlinale« vor dem Licht der Debatte und ihrer eigenen öffentlichen Einlassungen eine klare Stellungnahme unsererseits hochwillkommen ist. Um der Politik zu signalisieren: Die deutsche Kulturschaffenden wollen dieses Business-as-usual nicht.
Umgekehrt liefern windelweiche Statements der Politik den Vorwand, dass »die Branche auch nicht weiß was sie will«, und zu argumentieren, dass der Sturm sich doch gerade schon wieder
legt. Es wäre falsch verstandene Solidarität.
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Wo bleibt das »Bündnis Film gegen Rechts«, das jetzt schon recht wischi waschi »Netzwerk Film und Demokratie« heißt?
Andere tun etwas: Der Schauspielverband ist kurz und klar: »Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.
Demokratieverächter sind eine Schande für die Berlinale, aber ein noch größeres Unglück für unsere Parlamente
Mit großer Empörung hat die Kulturszene, haben auch viele von uns Schauspieler*innen die Neuigkeit aufgenommen, dass zwei Politiker*innen, ausgewiesene Demokratie- und Kulturfeinde, als Gäste der Berlinale geladen sind. Diese Nachricht ist in der Tat
bedrückend.«
Danke für die unzweideutige Sprache: Demokratieverächter ... Schande für die Berlinale ... Empörung .... bedrückend.
So einfach kann es gehen.
Eine wehrhafte Demokratie braucht wehrhafte Demokraten.
Es gibt aber zu viele superweiche Statements – und zwar deswegen, weil die entscheidenden Verbände und Akademien hammerharte konservative Funktionärsorganisationen mit entsprechenden Mitgliedern sind. Solche Industrievertreter sind – man muss es so hart sagen – genau die Organisationen, die sich dann als allererste sehr gut mit einem Kulturstaatsminister der AFD verstehen und arrangieren werden. Sie werden dann sagen: »Das müssen wir jetzt so machen«. Um das schlimmste zu verhindern. 1933 war es ganz genauso – manche deutsche Filmorganisation gab es damals schon und es gibt sie heute.
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Was könnte man aber denn jetzt tun? Nochmal: Es ist gar nicht schwer: Alle anderen demokratischen Parteien müssten auf ihren Sitz bei der Berlinale-Eröffnung öffentlich verzichten und ihre Einladung zurückgeben.
Das würde die Berlinale von dem angeblichen Zugzwang befreien, alle »demokratisch gewählten« Parteien einladen zu müssen.
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Das Leben ist ein Lernprozess. Wir lernen etwas über uns, habe ich oben geschrieben. Bislang allerdings leider vor allem über unsere Schwäche(n).