Urängste, Evolution und Überleben um jeden Preis |
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Filmplakat zum ersten Alien-Film (1979) von Philip Gips | ||
(Plakat: Wikipedia) |
»Es ist an der Zeit, sich gegen die Zukunft zur Wehr zu setzen.«
– Michael Althen, SZ vom 17.11.1986 über Aliens
Am Anfang war die Stille. Keine friedliche Stille, sondern richtige Stille. Gnadenlos. Horror Vacui. »Im Weltraum hört dich niemand schreien« – mit diesem Slogan warb der Verleih für den ersten Alien-Film. Und als dann etwas zu hören war, wurde es nicht besser.
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Eine unheimliche Begegnung der anderen Art. Plötzlich war im Kino alles anders: 1979 war auch in der Kinogeschichte ein Wendejahr: Das Jahr, in dem Apocalypse Now herauskam. In dem Paul Schraders American Gigolo den Ton setzte für den Sieg des Scheins über das Sein. Gemeinsam mit Alien markieren diese zwei Filme das endgültige Ende des Hippie-Flower-Power-Lebensgefühls. Das Ende auch das Fortschrittsoptimismus der 60er Jahre, in denen der Weltraum allenfalls »neue Frontiers« bedeutete, aber keinesfalls die finale Bedrohung des Endes aller Dinge. Doch nun war die Stille plötzlich nicht mehr die Stille des Paradieses, sondern die Stille des Horrors.
Alien – der in Deutschland den Untertitel trug: »Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt«, in Frankreich poetischer »Der achte Passagier« – war ein teures B-Movie, dessen Finanzierung angeblich mit der Ankündigung gesichert wurde: »Jaws in Space«, »Der weiße Hai im Weltraum«.
1979 setzte auf diesen Film kaum einer einen Pfifferling. Der »Spiegel« spottete, aber auch in den
USA waren die ersten Kritiken verhalten. So etwa Jonathan Rosenbaum: »An empty-headed horror movie with nothing to recommend it beyond the disco-inspired art direction and some handsome, if gimmicky, cinematography.« Plötzlich versetzte einer die Effekte des B-Movies in den Blockbuster. Ridley Scott war damals vor allem für seine Werbespots bekannt, Sigourney Weaver in der Hauptrolle war eine völlig unbekannte Schauspielerin.
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Die Parallele zu Coppola wurde übrigens auch damals schon gesehen, zumindest von den Klügeren: Peter Buchka, dem Film gegenüber skeptisch, schrieb am 12.12.79 in der SZ: »Alien also als Weltraum-Pendant zu Colonel Kurtz aus Apocalypse Now, ebenfalls einem Dolby-Film.«
Buchka, ein erklärter Wenders-Fan, bespricht »diesen merkwürdigen hochgeputschten« Film nicht als Autorenkino – »Der Regisseur heißt übrigens Ridley Scott« heißt sein ätzender Schlusssatz –, sondern als reines Industrieprodukt und hier wieder als Schaufenster des damals neu eingeführten Dolby-Systems. Ihn interessiert vor allem die Rolle des Tons: »Bei leisen oder ganz stillen Passagen sind nicht mehr wie früher Nebengeräusche zu hören, die einen unbewußt immer daran erinnerten, einer technischen Vorführung beizuwohnen. Dies also ist nun 'unterdrückt', darum ist der Schock desto größer, wenn es einmal urplötzlich ganz laut wird. So ersetzt der Ton quasi die Monsterhand, die früher zupackend ins Bild schnellte.«
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Es gibt aber noch mehr. Um es zu schätzen, musste man jünger sein, oder Hollywood-affiner oder Wenders-skeptischer. Auch Filmkritik ist eine Generationenfrage.
Denn mit diesem Film kam ein Monster auf die Leinwand, wie man es noch nie gesehen hatte. Schon äußerlich der Ausdruck aller Schreckensvorstellungen, die unser Unbewusstes erzeugen kann: Eine Mischung aus Krake und Spinne und Schlange, rasend schnell wie eine Ratte, ausgestattet mit den scharfen Zähnen eines Piranhas,
glitschig und sabbernd. Das Alien sabbert allerdings eine ätzende Säure.
Alien ist unter anderem eine Geschichte über die Evolution: Über die Urangst des Menschen, dass es etwas geben könnte, das sich als überlebensfähiger und stärker im »Kampf ums Dasein«, dem darwinistischen »Survival of the fittest«, erweist als der Mensch selbst.
Natürlich fasst das alles auch andere menschliche Urängste zusammen: Das »Alien« ist ein Wesen, das in den Menschen eindringt, sich
dort fortpflanzt, ein Parasit, der uns zu einem Wirtstier degradiert. Es ist Natur pur und reine Kraft, Monster gewordener Fortpflanzungstrieb; Psychoanalytiker vergleichen das Monster auch wahlweise mit einem Penis oder einer Vagina dentata.
Dieses unfassbare, extrem wandlungs- und anpassungsfähige »Alien« steht aber auch für vieles mehr: Es ist, wie der Name schon sagt, das Fremde, das Andere. Schon in den 80er Jahren entdeckten Kulturwissenschaftler hier eine
AIDS-Metapher, und heute kommt man auf die Pandemie.
Aber die »Alien«-Geschichten sind immer auch Geschichten über Kapitalismus und Ausbeutung, und über die Macht transnationaler Unternehmen, die nicht weniger alle Grenzen triebhaft einreißen, und zum Monster werden, als das Alien-Vieh.
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Und »Alien« ist natürlich eine feministische Reihe: Denn das »Alien« ist ein weibliches Muttertier, das Eier legt und in der von Sigourney Weaver großartig gespielten Weltraumfahrerin Ripley eine ebenbürtige Gegenspielerin hat, die sie bald als Alter Ego erkennt. Nicht zuletzt, weil sie beide Mütter sind oder werden. Wobei das Alien-Wesen ein Hermaphrodit ist und die Fähigkeit zur Selbstbefruchtung besitzt.
Der Computer des ersten Films heißt übrigens schon Mother –
und es ist hoffentlich ein paar Leuten aufgefallen, dass man das auch »(M)Other« schreiben kann.
Ellen Ripley wurde so oder so zu einer weiblichen Ikone, zum Vorbild für Empowerment, für zahllose Frauen, die als Polizistinnen oder Soldatinnen oder einfach Menschen das Böse bekämpfen, und dabei alles das tun, was Männer im Kino schon lange tun durften.
Der brutalste Moment in Ripleys Film-Existenz ist jener in Jean-Pierre Jeunets Alien: Resurrection, den Michael Althen in seiner Besprechung in der SZ vom 26. November 1997 folgendermaßen beschrieb:
»Es gibt eine Szene in Alien – Die Wiedergeburt, in der die atemlose Action innehält und zu einem Moment findet, der einem den Atem stocken lässt. Wenn Ripley von den Toten auferstanden ist, findet sie auf ihrem Arm eine eintätowierte Acht. Auf ihrem Weg durch das Raumschiff kommt sie an einer Türe mit der Aufschrift 1-7 vorbei, zu der ihr der Zutritt streng verwehrt ist. Als sie
sich doch Einlaß verschafft hat, erkennt sie den Grund: In großen Reagenzgläsern finden sich die ersten sieben Klone jener Reihe, deren achter Versuch sie ist.
Eigenartig bewegt und entsetzt, wandert sie durch dieses Schreckenskabinett von Mißgeburten, die im Grunde ihre Geschwister, wenn nicht gar ihre Doppelgänger sind. Das siebte Experiment, das ihr schon ziemlich ähnelt, muß sie sogar noch eigenhändig aus seiner Qual befreien. Dieses Museum einer grauenvollen künstlichen
Evolution, dieses Spiegelkabinett ihrer zerstörten Identität ist wirklich ein würdiger Höhepunkt einer faszinierenden Serie.«
Ripley ist immer wieder eine Überlebende, das Vorbild weniger für die »Surviver«, die heute in den sozialen Netzwerken ihren Opferstatus ein wenig zu eitel zur Schau tragen, als für jene »Final Girls«, die »Last Woman Standing«, die etwa zur gleichen Zeit in den »American Nightmare«-Movies von John Carpenter, Wes Craven und George A. Romero auftauchten, und die einzigen waren, die es mit den Monstern aufnahmen – auch weil sie verweigerten, zum Opfer zu werden, oder sich diesen
Status zuzuschreiben, weil sie stattdessen den Mut hatten, ihr Täter-sein, – gut katholisch gesprochen: ihre Erbsünde – anzunehmen und eigene Schuld, notwendiges Schuldig-werden qua Existenz anzuerkennen.
Diese Film-Frauen riefen nicht »Me Too!«, sondern den viel ergreifenderen Ripley-Satz: »I’m a stranger here myself.«
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So erfolgreich Alien war, so schwer war der Film fortzusetzen oder zu kopieren. Sieben Jahre dauerte es, bis sich James Cameron, damals auch noch nicht so bekannt wie heute, an eine Fortsetzung wagte. Und noch einmal sechs Jahre später verdiente sich David Fincher, der bis dahin nur als begabter Musikvideoregisseur galt, ebenfalls seine ersten Regie-Sporen mit dem dritten Teil der zum
Franchise gewordenen »Alien«-Reihe. Alien 3 ist der metaphysischste Film der ganzen Reihe. Der Erfolg ließ aber nach und kam auch nicht mit dem französischen Fantasy-Regisseur Jean Pierre Jeunet zurück. Obwohl dessen vierter Teil Alien – Die Wiedergeburt ein unglaublich poetischer,
schöner und eben sehr fantasievoller Film gewesen ist.
In diesem vierten Teil wird die Geschichte des Horrorwesens auch zu einer Geschichte über die Essenz des Menschlichen und seine Beziehung zu künstlicher, digital erzeugter Intelligenz. Denn das einzige menschliche Wesen, das hier an Empathie und Überlebensfähigkeit Ripley auf Augenhöhe gleichgestellt ist, ist die von Winona Rider gespielte Call, die sich am Ende des Films als eine Androidin entpuppt.
Es folgten zwei Prequels von Ridley Scott, die nicht schlecht sind, aber die Standards der vier ersten Filme auch nicht erfüllen. Der neueste »Alien«-Film, der jetzt in die Kinos kommt, knüpft an die alte Geschichte ziemlich unmittelbar an und erzählt in manchem sogar die direkte Handlung des ersten Teils parallel weiter.
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Was für eine dunkle, böse schmerzhaft-faszinierende Film-Reihe!
Man sollte dabei daran erinnern, dass es sich um europäisch geprägte Horrorfilme handelt: Ridley Scott ist Brite, Jean-Pierre Jeunet ist Franzose, auch H R Giger, der für das Design des schleimigen Monsters verantwortlich ist, ist ein Schweizer.
Die Alien-Filme werden oberflächlich oft als ein fragmentiertes Franchise wahrgenommen, in dem jeder Film nur lose mit den anderen zusammenhängt. Sie sind nicht linear aufeinander aufgebaut, sondern eine komplexe Sammlung von Genrefilmen, die von Horror über Krieg bis hin zur Farce reichen. Bei näherer Betrachtung aber gibt es eindeutige Bezüge und »rote Fäden«, die diese Filme zusammenhalten.
Die Alien-Reihe ist eine Variation über die Idee des Bösen, über seine Ursprünge
und seine Folgen. Das Böse wird hier verstanden als Ausbeutung, nicht zuletzt körperliche. Jeder Film erweitert diese Idee und schreibt sie zeitgemäß fort.
Das tut auch der neue Film, der das Franchise um zweierlei erweitert: Um ein neues »Final Girl«, die Romantikerin Rain, ein jüngeres Alter Ego von Ellen Ripley, die hier fast etwas zu eindeutig in die Fußstapfen der Vorgängerin tritt. Und in der Aufmerksamkeit für androide Roboter und deren künstliche Intelligenz. Sie kann die Menschen schützen, deren perfekte Kopie sie ist. Aber es bleibt eine immer präsente Ambivalenz: Je besser die Kopie, um so weniger menschlich erscheinen diese Hybrid-Wesen. Die Androiden und die KI sind jetzt das, was immer schon das schwarze diffuse Alien-Monster für uns Menschen war: »unsere eigene Frage als Gestalt.«