16.01.2025
Cinema Moralia – Folge 343

Gespenster der Freiheit

Plakat »Sieben«
Im Rahmen der Reihe Best of Cinema kurz wieder in den Kinos: Sieben von David Fincher
(Plakat: Warner/Best of Cinema)

Rückblicke auf »American Beauty«, »Seven« und das »Netzwerk Film gegen Rechts« und ein erster Vorausblick auf die Berlinale und nach Frankfurt – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 343. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Pressure is a privilege.« – Zheng Qinwen, Tennis­pro­fi­spie­lerin und aktuelle 5. der WTA

»Wir alle sind dafür verant­wort­lich, unsere Demo­kratie und den Rechts­staat zu bewahren und dafür einzu­treten.« – Konrad Adenauer, Bundes­kanzler 1949-1963

Vor 25 Jahren, als die Welt noch in Ordnung war, jeden­falls ein bisschen, da kam Sam Mendes’ erster Film American Beauty in die Kinos und galt als Oscar-Favorit. Zu recht, wie sich heraus­stellte.

Michael Althen schrieb damals, am 21.12.1999, in der SZ in einem Porträt über Mendes: »Wenn man als Thea­ter­re­gis­seur schon Erfolge gefeiert hat, heißt das noch lange nicht, dass man auch weiß, wie man beim Film Regie führt. Der englische Thea­ter­wun­der­mann Sam Mendes hatte zwar schon am Broadway mit seiner Neuin­sze­nie­rung von 'Cabaret' Erfolge gefeiert, aber es kam der Punkt, da musste er seinem Produ­zenten Steven Spielberg die entschei­dende Frage stellen: 'Wie geht das nun, die Sache mit der Filmregie?' Und der Meister antwor­tete schlicht: 'Mach dir mal keine Sorgen, vertrau einfach deinem Instinkt. Spielberg hatte Recht – vor allem, was den eigenen Instinkt angeht, der ihn den Stoff von 'American Beauty' nicht alten Hasen wie Mike Nichols oder Robert Zemeckis anver­trauen ließ, sondern dem Newcomer Mendes. ... Als alles fertig war, ließ sich Mendes sogar frei­willig auf ein Test-Screening ein – eine Prozedur, an der schon mehrere Regis­seure verzwei­felt sind. Das Studio hatte gar nicht darauf bestanden, aber Mendes wollte es so, mit dem Unter­schied, dass er das Publikum keine Frage­bögen ausfüllen lassen, sondern selbst mit ihnen reden wollte. Er fuhr also nach San Jose in ein Kino, das voll von Jugend­li­chen war, bei deren Anblick sich Mendes dachte, dass sie viel zu jung seien, um den Film zu verstehen. Er ging also auf die Bühne und fragte auf britisch-zurück­hal­tende Art: 'Wer konnte dem Film was abge­winnen?' Ein Drittel hob die Hand, und Mendes dachte 'Oh shit!'. Dann fragte er, wer den Film nicht leiden konnte. Zwei Hände gingen in die Höhe. Aus der ersten Reihe kam schließ­lich ein Zuruf, er solle doch mal fragen, wer den Film toll fand. Das tat er, und fast alle hoben die Hand.
Dies ist also eine Geschichte mit einem Happy End – und ein weiteres jener Wunder, von denen sich das ameri­ka­ni­sche Kino seit jeher nährt. Spielberg hatte übrigens noch einen weiteren Tipp für seinen Schütz­ling Mendes parat, als er fürs Regie­führen Rat suchte: 'Zieh bequeme Schuhe an.'«

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Vor 30 Jahren, als die Welt schon nicht mehr in Ordnung war, kam Sieben ins Kino. Ein hoch­span­nender und brisanter Film über eine geschei­terte Moderne, über den Hass auf die Stadt, und die Verklärung des Landes,
Sieben ist einer der Filme, die mich persön­lich zum Kino gebracht haben. Ein Film, den man im Kino sehen muss, keines­falls im Fernsehen, oder auf Beamer. Erst im Kino entfaltet sich die ganze Wirkung.
Und es ist ein Film, der nie wieder so gut wirkt wie beim ersten Mal, wenn die Über­ra­schungen noch Über­ra­schungen sind. Es ist nicht ein Film, der damit wächst, dass man ihn mehrfach sieht. Und doch muss man ihn mehrfach sehen. Beim zweiten Mal entdeckt man vieles, was man am ersten Mal übersah, aber spätes­tens danach wartet man vor allem auf bestimmte Momente oder verfolgt Figuren oder sucht bestimmte Zusam­men­hänge.
Trotzdem ist dies ein Film, der unbedingt eine Revision erfordert, ein neues, genaues Sehen, Nach­denken und Schreiben über ihn.

Den Beginn einer solchen Revision leistet unser heutiger Podcast: Im Gespräch mit der in Zürich lebenden, in den Neun­zi­gern mal in München lehrenden Film- und Kultur­wis­sen­schaft­lerin Elisabeth Bronfen ziehe ich eine kleine Bilanz der Neunziger Jahre und der lang­an­hal­tenden Wirkung dieses Kino-Meis­ter­werks. »Wir lebten damals in geborgter Zeit« meint Bronfen, F.Scott Fitz­ge­rald zitierend.

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Was macht eigent­lich das »Netzwerk Film gegen rechts« so? Das Wort »rechts« kommt noch nicht mal vor auf der Webseite, wohl jeder weiß worum es geht und Doktor Google bei der Suche nach »Netzwerk Film gegen rechts« das »Netzwerk Film und Demo­kratie« immerhin an erster Stelle anzeigt. Es geht nämlich nicht darum, dass man Angst vor der Links­partei hat, oder vor den Marxisten-Leni­nisten der MLPD, sondern es geht um die AFD. Es geht um eine in großen Teilen faschis­ti­sche und sich immer weiter radi­ka­li­sie­rende Partei, die man auch faschis­tisch nennen sollte. Aber das »Netzwerk Film und Demo­kratie« tut bisher nichts von Außen Erkenn­bares. Nichts im Vorfeld der kommenden Wahl. Was wird das »Netzwerk Film gegen Rechts« aber tun im Vorfeld der jetzigen Berlinale?

Denn hier läuft man sehenden Auges auf den nächsten Berlinale-Skandal zu. Nichts deutet bisher an, dass sich nicht die unseligen Debatten des vergan­genen Jahres eins zu eins wieder­holen werden. Also eine einsei­tige interne Israel-Debatte, die mit guten Gründen von Außen­ste­henden als Anti­se­mi­tismus bestimmter Berlinale Kreise wahr­ge­nommen werden wird. Und im Folgenden dann ein neuer Anti­se­mi­tismus-Skandal, weil irgend­welche Leute auf der Berlinale-Bühne irgend­welche Erklärungen öffent­lich abgeben und offi­zi­elle Berlinale-Mitar­beiter dann besten­falls betreten zu Boden schauen und nicht wissen, was sie machen sollen.

Noch schlimmer ist aber die weiterhin unge­klärte Frage, wie man nun eigent­lich mit dem Protokoll, den Berlinale Tradi­tionen und der bishe­rigen Praxis umgeht, nach der Parla­ments­ver­treter aller Frak­tionen zur Berlinale Eröffnung einge­laden werden – also auch Mitglieder der AFD. Über die Praxis solche Einla­dungen kann man sehr unter­schied­li­cher Meinungen sein und beide Posi­tionen – für eine Einladung und gegen sie – lassen sich mit guten Argu­menten begründen. Aber solche Begrün­dungs­leis­tungen und die öffent­liche Debatte darüber muss man von den offi­zi­ellen Vertre­tern erwarten. Erst recht in Wahl­kampf­zeiten. Das gilt für die Kultur­staats­mi­nis­terin und für den Berliner Senat ebenso wie für alle der jetzt neu in ihren Ämtern sitzenden Berlinale-Funk­ti­onäre inklusive der Direk­torin aus Amerika.

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Was wird das Netzwerk überhaupt tun? Wie adres­siert es in diesen Wochen eine CDU, die Narrative der Rechts­extre­misten und Faschisten übernimmt? Wo steht das Netzwerk in der Frage eines Partei­en­ver­bots der AFD? Für dieses Partei­en­verbot gibt es zahl­reiche Argumente und über hundert Bundes­tags­ab­ge­ord­nete aller demo­kra­ti­schen Frak­tionen treten dafür ein. Die poli­ti­sche Über­le­gung lautet: Was wäre gewesen, wenn man die NSDAP 1932 verboten hätte? Die demo­kra­ti­schen Kräfte unter­schätzen aber weiterhin mehr­heit­lich die Gefahr durch die AfD.

Künstler anderer Sparten über­nehmen Verant­wor­tung. Sie bekennen sich, sie sagen, wo sie stehen. Sie machen sich angreifbar und viel­leicht irren sie auch mal – aber wenigs­tens tun sie etwas.
Aber ein »Netzwerk Film gegen Rechts« gibt es eben nicht. Und das »Netzwerk Film und Demo­kratie« hat viele tolle sympa­thi­sche Einzel­mit­glieder, ist aber als Gesamt­heit unsichtbar. Das ist keine Schande für den deutschen Film, aber sehr traurig.

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Das Zentrum für Poli­ti­sche Schönheit (ZPS) macht in seiner neuesten Perfor­mance vor, was man tun könnte, sollte, müsste. Die Künst­ler­gruppe hatte jetzt Presse und inter­es­sierte Öffent­lich­keit einge­laden, um den »Adenauer SRP+« zu präsen­tieren.
Dabei handelt es sich um einen ausran­gierten Gefan­ge­nen­trans­porter, der mit Spen­den­gel­dern von über 225.000 Euro – die über Crowd­fun­ding in weniger als 36 Stunden gesammelt wurden – von der Gruppe in einen »Gefechts­stand für die Zivil­ge­sell­schaft« umge­wan­delt wurde.
Mit dem Bus will das ZPS in den kommenden Wochen den Bundes­tags­wahl­kampf aktiv begleiten, und neben AfD-Veran­stal­tungen demons­trieren. Den Auftakt macht am heutigen Samstag ein Besuch des AfD-Wahl­par­tei­tags in Riesa.
Es folgt in den nächsten Wochen die – laut Veran­stalter – »aggres­sivste Roadshow in der Geschichte der Bundes­re­pu­blik«.

Hierüber habe ich an anderer Stelle ausführ­lich geschrieben.

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Eine nicht sehr weih­nacht­liche Weih­nachts­bot­schaft wollen wir auch drei Wochen später gern noch zitieren: Das Frank­furter Lichter-Filmfest lädt zum »5. Kongress Zukunft Deutscher Film« vom 23. – 25. April 2025 und fragt implizit, wie lange es diese Zukunft noch gibt?

Mit Z beginnt nicht nur die Zukunft, sondern »auch das Wort Zufall, denn gerade zufällig wurde gestern das neue FFG verab­schiedet. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, darüber redet man sich gerade film­landauf, landab die Köpfe heiß.
Wir für unseren Teil können nur sagen, dass die subtilen Anzeichen fürs Genervt­sein, die uns seit dem Spät­sommer begleitet haben, einer Stimmung gewichen ist, die man auch unter dem Begriff Z wie ›Zorn‹ einsor­tieren kann.
Zorn darüber, dass die poli­ti­schen Entschei­dungs­pro­zesse die Hand­lungs­fähig­keit und Existenz einer ganzen Branche aufs Spiel setzen können. Und dass der große Wurf auf halber Strecke im Sinkflug zu Boden ging.
Das bringt uns zu dem Leitthema, mit dem sich der Kongress nächstes Jahr beschäf­tigen möchte: Angst.
Beim Thema Angst sind wir auch ganz schnell bei der ›German Angst‹, bei der wir uns gerade fragen: Gibt es sie wirklich oder ist es nur der zu strenge Blick auf uns selbst?
Seit der ersten Ausgabe des Kongresses begegnen wir ihr auf jeden Fall immer wieder, der Angst vor Reformen, der Angst vor außer­ge­wöhn­li­chen Geschichten, der Angst vorm Kinosterben, der Angst vor der Zukunft des deutschen Films und der Angst darüber zu sprechen.
Darüber sprechen wollen und müssen wir! Denn die Republik wird nach der Wahl eine andere sein.
Enden wollen wir mit der Frage: Darf man die Entschei­dung aus Berlin als weih­nacht­li­chen Gruß verstehen? Wohl kaum. Eher als Auffor­de­rung, Wider­spruch einzu­legen und die anste­henden Themen kontro­vers zu disku­tieren. Wir sehen uns in Frankfurt!«