Cinema Moralia – Folge 343
Gespenster der Freiheit |
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Im Rahmen der Reihe Best of Cinema kurz wieder in den Kinos: Sieben von David Fincher | ||
(Plakat: Warner/Best of Cinema) |
»Pressure is a privilege.« – Zheng Qinwen, Tennisprofispielerin und aktuelle 5. der WTA
»Wir alle sind dafür verantwortlich, unsere Demokratie und den Rechtsstaat zu bewahren und dafür einzutreten.« – Konrad Adenauer, Bundeskanzler 1949-1963
Vor 25 Jahren, als die Welt noch in Ordnung war, jedenfalls ein bisschen, da kam Sam Mendes’ erster Film American Beauty in die Kinos und galt als Oscar-Favorit. Zu recht, wie sich herausstellte.
Michael Althen schrieb damals, am 21.12.1999, in der SZ in einem Porträt über Mendes: »Wenn man als Theaterregisseur schon Erfolge gefeiert hat, heißt das noch lange nicht, dass man auch weiß, wie man beim Film Regie führt. Der englische Theaterwundermann Sam Mendes hatte zwar schon am Broadway mit seiner Neuinszenierung von 'Cabaret' Erfolge gefeiert, aber es kam der Punkt, da musste er seinem Produzenten Steven Spielberg die entscheidende Frage stellen: 'Wie geht das nun, die
Sache mit der Filmregie?' Und der Meister antwortete schlicht: 'Mach dir mal keine Sorgen, vertrau einfach deinem Instinkt. Spielberg hatte Recht – vor allem, was den eigenen Instinkt angeht, der ihn den Stoff von 'American Beauty' nicht alten Hasen wie Mike Nichols oder Robert Zemeckis anvertrauen ließ, sondern dem Newcomer Mendes. ... Als alles fertig war, ließ sich Mendes sogar freiwillig auf ein Test-Screening ein – eine Prozedur, an der schon mehrere Regisseure verzweifelt
sind. Das Studio hatte gar nicht darauf bestanden, aber Mendes wollte es so, mit dem Unterschied, dass er das Publikum keine Fragebögen ausfüllen lassen, sondern selbst mit ihnen reden wollte. Er fuhr also nach San Jose in ein Kino, das voll von Jugendlichen war, bei deren Anblick sich Mendes dachte, dass sie viel zu jung seien, um den Film zu verstehen. Er ging also auf die Bühne und fragte auf britisch-zurückhaltende Art: 'Wer konnte dem Film was abgewinnen?' Ein Drittel hob die Hand,
und Mendes dachte 'Oh shit!'. Dann fragte er, wer den Film nicht leiden konnte. Zwei Hände gingen in die Höhe. Aus der ersten Reihe kam schließlich ein Zuruf, er solle doch mal fragen, wer den Film toll fand. Das tat er, und fast alle hoben die Hand.
Dies ist also eine Geschichte mit einem Happy End – und ein weiteres jener Wunder, von denen sich das amerikanische Kino seit jeher nährt. Spielberg hatte übrigens noch einen weiteren Tipp für seinen Schützling Mendes parat, als er
fürs Regieführen Rat suchte: 'Zieh bequeme Schuhe an.'«
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Vor 30 Jahren, als die Welt schon nicht mehr in Ordnung war, kam Sieben ins Kino. Ein hochspannender und brisanter Film über eine gescheiterte Moderne, über den Hass auf die Stadt, und die Verklärung des Landes,
Sieben ist einer der Filme, die mich persönlich zum Kino gebracht haben. Ein Film, den man im
Kino sehen muss, keinesfalls im Fernsehen, oder auf Beamer. Erst im Kino entfaltet sich die ganze Wirkung.
Und es ist ein Film, der nie wieder so gut wirkt wie beim ersten Mal, wenn die Überraschungen noch Überraschungen sind. Es ist nicht ein Film, der damit wächst, dass man ihn mehrfach sieht. Und doch muss man ihn mehrfach sehen. Beim zweiten Mal entdeckt man vieles, was man am ersten Mal übersah, aber spätestens danach wartet man vor allem auf bestimmte Momente oder verfolgt
Figuren oder sucht bestimmte Zusammenhänge.
Trotzdem ist dies ein Film, der unbedingt eine Revision erfordert, ein neues, genaues Sehen, Nachdenken und Schreiben über ihn.
Den Beginn einer solchen Revision leistet unser heutiger Podcast: Im Gespräch mit der in Zürich lebenden, in den Neunzigern mal in München lehrenden Film- und Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ziehe ich eine kleine Bilanz der Neunziger Jahre und der langanhaltenden Wirkung dieses Kino-Meisterwerks. »Wir lebten damals in geborgter Zeit« meint Bronfen, F.Scott Fitzgerald zitierend.
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Was macht eigentlich das »Netzwerk Film gegen rechts« so? Das Wort »rechts« kommt noch nicht mal vor auf der Webseite, wohl jeder weiß worum es geht und Doktor Google bei der Suche nach »Netzwerk Film gegen rechts« das »Netzwerk Film und Demokratie« immerhin an erster Stelle anzeigt. Es geht nämlich nicht darum, dass man Angst vor der Linkspartei hat, oder vor den Marxisten-Leninisten der MLPD, sondern es geht um die AFD. Es geht um eine in großen Teilen faschistische und sich immer weiter radikalisierende Partei, die man auch faschistisch nennen sollte. Aber das »Netzwerk Film und Demokratie« tut bisher nichts von Außen Erkennbares. Nichts im Vorfeld der kommenden Wahl. Was wird das »Netzwerk Film gegen Rechts« aber tun im Vorfeld der jetzigen Berlinale?
Denn hier läuft man sehenden Auges auf den nächsten Berlinale-Skandal zu. Nichts deutet bisher an, dass sich nicht die unseligen Debatten des vergangenen Jahres eins zu eins wiederholen werden. Also eine einseitige interne Israel-Debatte, die mit guten Gründen von Außenstehenden als Antisemitismus bestimmter Berlinale Kreise wahrgenommen werden wird. Und im Folgenden dann ein neuer Antisemitismus-Skandal, weil irgendwelche Leute auf der Berlinale-Bühne irgendwelche Erklärungen öffentlich abgeben und offizielle Berlinale-Mitarbeiter dann bestenfalls betreten zu Boden schauen und nicht wissen, was sie machen sollen.
Noch schlimmer ist aber die weiterhin ungeklärte Frage, wie man nun eigentlich mit dem Protokoll, den Berlinale Traditionen und der bisherigen Praxis umgeht, nach der Parlamentsvertreter aller Fraktionen zur Berlinale Eröffnung eingeladen werden – also auch Mitglieder der AFD. Über die Praxis solche Einladungen kann man sehr unterschiedlicher Meinungen sein und beide Positionen – für eine Einladung und gegen sie – lassen sich mit guten Argumenten begründen. Aber solche Begründungsleistungen und die öffentliche Debatte darüber muss man von den offiziellen Vertretern erwarten. Erst recht in Wahlkampfzeiten. Das gilt für die Kulturstaatsministerin und für den Berliner Senat ebenso wie für alle der jetzt neu in ihren Ämtern sitzenden Berlinale-Funktionäre inklusive der Direktorin aus Amerika.
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Was wird das Netzwerk überhaupt tun? Wie adressiert es in diesen Wochen eine CDU, die Narrative der Rechtsextremisten und Faschisten übernimmt? Wo steht das Netzwerk in der Frage eines Parteienverbots der AFD? Für dieses Parteienverbot gibt es zahlreiche Argumente und über hundert Bundestagsabgeordnete aller demokratischen Fraktionen treten dafür ein. Die politische Überlegung lautet: Was wäre gewesen, wenn man die NSDAP 1932 verboten hätte? Die demokratischen Kräfte unterschätzen aber weiterhin mehrheitlich die Gefahr durch die AfD.
Künstler anderer Sparten übernehmen Verantwortung. Sie bekennen sich, sie sagen, wo sie stehen. Sie machen sich angreifbar und vielleicht irren sie auch mal – aber wenigstens tun sie etwas.
Aber ein »Netzwerk Film gegen Rechts« gibt es eben nicht. Und das »Netzwerk Film und Demokratie« hat viele tolle sympathische Einzelmitglieder, ist aber als Gesamtheit unsichtbar. Das ist keine Schande für den deutschen Film, aber sehr traurig.
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Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) macht in seiner neuesten Performance vor, was man tun könnte, sollte, müsste. Die Künstlergruppe hatte jetzt Presse und interessierte Öffentlichkeit eingeladen, um den »Adenauer SRP+« zu präsentieren.
Dabei handelt es sich um einen ausrangierten Gefangenentransporter, der mit Spendengeldern von über 225.000 Euro – die über Crowdfunding in weniger als 36 Stunden gesammelt wurden – von der Gruppe in einen »Gefechtsstand für die Zivilgesellschaft« umgewandelt
wurde.
Mit dem Bus will das ZPS in den kommenden Wochen den Bundestagswahlkampf aktiv begleiten, und neben AfD-Veranstaltungen demonstrieren. Den Auftakt macht am heutigen Samstag ein Besuch des AfD-Wahlparteitags in Riesa.
Es folgt in den nächsten Wochen die – laut Veranstalter – »aggressivste Roadshow in der Geschichte der
Bundesrepublik«.
Hierüber habe ich an anderer Stelle ausführlich geschrieben.
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Eine nicht sehr weihnachtliche Weihnachtsbotschaft wollen wir auch drei Wochen später gern noch zitieren: Das Frankfurter Lichter-Filmfest lädt zum »5. Kongress Zukunft Deutscher Film« vom 23. – 25. April 2025 und fragt implizit, wie lange es diese Zukunft noch gibt?
Mit Z beginnt nicht nur die Zukunft, sondern »auch das Wort Zufall, denn gerade zufällig wurde gestern das neue FFG verabschiedet. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, darüber redet man sich gerade filmlandauf, landab die Köpfe heiß.
Wir für unseren Teil können nur sagen, dass die subtilen Anzeichen fürs Genervtsein, die uns seit dem Spätsommer begleitet haben, einer Stimmung gewichen ist, die man auch unter dem Begriff Z wie ›Zorn‹ einsortieren kann.
Zorn darüber,
dass die politischen Entscheidungsprozesse die Handlungsfähigkeit und Existenz einer ganzen Branche aufs Spiel setzen können. Und dass der große Wurf auf halber Strecke im Sinkflug zu Boden ging.
Das bringt uns zu dem Leitthema, mit dem sich der Kongress nächstes Jahr beschäftigen möchte: Angst.
Beim Thema Angst sind wir auch ganz schnell bei der ›German Angst‹, bei der wir uns gerade fragen: Gibt es sie wirklich oder ist es nur der zu strenge Blick auf uns
selbst?
Seit der ersten Ausgabe des Kongresses begegnen wir ihr auf jeden Fall immer wieder, der Angst vor Reformen, der Angst vor außergewöhnlichen Geschichten, der Angst vorm Kinosterben, der Angst vor der Zukunft des deutschen Films und der Angst darüber zu sprechen.
Darüber sprechen wollen und müssen wir! Denn die Republik wird nach der Wahl eine andere sein.
Enden wollen wir mit der Frage: Darf man die Entscheidung aus Berlin als weihnachtlichen Gruß verstehen? Wohl kaum.
Eher als Aufforderung, Widerspruch einzulegen und die anstehenden Themen kontrovers zu diskutieren. Wir sehen uns in Frankfurt!«