Cinema Moralia – Folge 346
Wo bleibt das Sondervermögen für das deutsche Kino? |
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Face the Facts: Einziger Lichtblick ist Tim Fehlbaums September 5 | ||
(Foto: Constantin Film) |
Sieben, sechs und drei Kulturpolitiker von SPD, CDU und CSU verhandeln gerade in Berlin seit einer knappen Woche in einer »Arbeitsgruppe« über die neue Kulturpolitik. Und man muss hoffen und an alle Beteiligten appellieren, dass es eine der ersten Maßnahmen der neuen Regierung sein wird, die Deutschen Filmpreise wieder zu dotieren, und sowieso das ganze neue Filmfördergesetz, das am 21. Dezember 2024 noch durch den Bundestag gepeitscht wurde, wieder rückgängig zu machen.
Das deutsche Kino muss – muss! – auf allen seinen Ebenen finanziell besser ausgestattet werden. Denn ästhetische Fragen sind ökonomische Fragen.
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Was im deutschen Film mehr als alles andere fehlt, das ist Überschuss! Das ist das Überflüssige, das, was gute Filme haben, bevor sie durch den Förderfleischwolf des deutschen Films gedreht werden. Das, was Hollywood – also gutes Studiokino und amerikanischer Autorenfilm – von europäischem Kino unterscheidet: Unnötige Szenen, eine Balance aus Humor und Ernst und erleichternde Humoranteile in ernsten Geschichten und die Tiefe in Komödien.
In Deutschland
geschieht es gerade jedem zweiten Film, dass er nachdem (!) er »durchfinanziert« ist, doch immer noch zu wenig Geld hat und deswegen Drehbücher, die vielleicht sogar preisgekrönt sind, um fünf Drehtage und zehn Szenen zurechtgestutzt werden müssen. Denn man muss Drehtage einsparen, man muss hier und da und dort einsparen und die Produzenten bekommen auch noch das zu wenige Geld, was sie irgendwann bekommen werden, zunächst einmal nicht. Sondern sie müssen es zwischenfinanzieren zu
horrenden Zinsen bei irgendwelchen obskuren Förderbanken oder bei noch viel obskureren privaten Geldgebern. Das ist die Realität im deutschen Film.
Und dann, nachdem die Drehtage gekürzt sind und die Szenen weggekürzt sind und noch mal zwei, drei weitere Tage gekürzt werden und zwei wichtigere Nebenrollen und noch einmal ein paar Szenen und keiner mehr weiß, wie das überhaupt gehen soll, dann bleibt etwas übrig, was man nur als Film-Zombie bezeichnen kann, als Abklatsch des
ursprünglich Geplanten, ein Gerüst, das irgendwie noch funktioniert, dem aber alles fehlt, was Filme interessant macht: das Fett, der Überschuss, das Bigger than Life.
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Wo bleibt das Sondervermögen für das deutsche Kino? Ein solches wäre dringend nötig. Wenn sich der deutsche Film endlich aus seiner grundsätzlichen ästhetischen Armseligkeit und Selbstbeschränkung und Normierung lösen will, der seine letzten Jahre bestimmt hat, wenn die ästhetische Erstarrung aufhören soll, die sich wie Mehltau über das Land und seine Künstler gelegt hat, wenn deutsche Kinofilme langsam wieder interessant für andere Länder werden sollen, dann ist nichts
weniger nötig als eine 180-Grad-Wende im Handeln und Denken.
Was nötig ist, ist, dass viel Geld, sehr viel auf einmal in die Hand genommen wird, dass geklotzt und nicht mehr gekleckert wird, dass die dümmste Rede aus dem Peter-Dinges-Stehsatz ein für allemal gelöscht wird, in der der Refrain lautet, dass wir weniger deutsche Filme brauchen.
Das Gegenteil ist der Fall: Wir brauchen mehr deutsche Filme, verbunden mit mehr wirtschaftlicher Eigenverantwortung und mehr Risiko, aber eben auch echten Gewinnmöglichkeiten für deutsche Produzenten. Verbunden mit so wenig wie möglich Bürokratisierung und der ersatzlosen Streichung aller kunstfremden Verpflichtungen der Kunst: Verzicht also auf alle (nicht-ästhetischen) Diversitätsregeln, alle Green-Shooting-Pflichten – freiwilliges Green-Shooting wäre ja cool, man könnte dafür dann nach getaner Produktion sogar tolle grüne Siegel und meinethalben auch Geldpreise und Vergünstigungen vergeben, aber halt die Prozesse umkehren: Unternehmer machen, was sie wollen, die Behörden belohnen, aber sie bestrafen und sekkieren nicht –; Verzicht auch auf das Verbot oder die Einschränkung von Selbstausbeutung und Rückstellung: Ich möchte, dass mir erlaubt wird, für meine Freunde für umsonst zu arbeiten, ohne dass ich dafür belügen und betrügen muss. Tun werde ich es sowieso.
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Um überhaupt mit jenen Ländern irgendwann wieder mithalten zu können, die schon ganz lange bessere Filme machen, weil sie längst viel Geld in die Hand genommen haben, Ländern wie Frankreich und Großbritannien, wie Österreich und Dänemark, darum muss auch in Deutschland gelten: Einfach mehr Geld! Mehr Infrastruktur. Mehr Freiheit. Es muss gelten, dass die Bürokratisierung des deutschen Films abgeschafft wird, der Fördertourismus, die eisernen Zwangskorsette, in die die
Produzenten ökonomisch festgeschraubt werden und in die die Filmregisseure ästhetisch festgeschraubt werden.
Es braucht klare Hierarchien, also Schluss mit der Gleichmacherei von allem und jedem, Schluss damit, dass unter dem Mantel des Empowerment und der Diversität, der Anerkennungs-Rhetorik und dem Achtsamkeitsgefasel die Maskenbildnerin plötzlich genauso viel wert sein soll wie der Regisseur.
Also Kassen auf und Köpfe frei!
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Die Nominierungen für die Deutschen Filmpreise sind in diesem Jahr schon besonders merkwürdig, noch merkwürdiger als sonst. Vielleicht hat es auch damit was zu tun, dass die Deutschen Filmpreise zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht mehr dotiert sind. Das hat man der vom deutschen Film wider besseres Wissen lange verteidigten sogenannten Kulturpolitikerin Claudia Roth zu verdanken, die sich in der Praxis vor allem als Kulturabschafferin und Kulturverhinderin betätigt
hat.
Damit ist ja jetzt Schluss und ich kenne niemanden, auch nicht bei den Grünen, der sich darüber nicht freut.
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Ich hatte in diesem Jahr etwas, was ich sonst nicht habe, nämlich Zugang zur »Kiste«, also der Mediathek der Filmakademie, in der man sich einige Filme anschauen oder nochmal sehen konnte. Erste Beobachtung: es ruckelt gewaltig, jedenfalls in Berlin.
Die Stream-Qualität lässt zu wünschen übrig und Filme bleiben immer wieder mal kurz stehen, vor allem abends, und sie sind, wenn man sie auf der großen Leinwand sieht, auch nicht wirklich auf der Höhe ihrer Bildmöglichkeiten. Es ist
sowieso schlecht, dass man Filme im Stream sieht anstatt im Kino, aber Filme auf diese Weise zu sehen, geht gar nicht.
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Da kommt dann bei raus, was bei raus kommt: Die Nominierungen sind größtenteils erwartbares, spießiges Mittelmaß, außer September 5 keine guten Filme. Alles, was etwas extrem ist, ist weg. Sogar das extrem Schlechte wie Tom Tykwer, dessen Nichtnominierung dann auch wieder im Gesamtzusammenhang falsch ist.
Nicht nominiert wurden Nicolette Krebitz und Lars Eidinger für Das Licht, Lilith Stangenberg für Haltlos. Nicht der Film Kein Tier. So wild, nicht Spirit in the Blood, nicht Klandestin, nicht Die Ermittlung – Leute habt ihr sie eigentlich noch alle?!
Diese Nichtnominierungen allein sind ein Plädoyer für die Abschaffung des Abstimmungsverfahrens und die Rückkehr zum Juryprinzip. Es wird eines Tages passieren. Das garantiere ich den Beteiligten. Aber da die Filmakademie sich auch hier wie überall als unfähig zur Selbstreform erweist, wird sie wieder, wie im letzten FFG-Herbst, einer von außen erzwungenen Reform ausgesetzt werden. Und wenn es für sie schlecht läuft, und weil sie diese Reform nicht selbstbestimmt in die Wege geleitet hat, wird diese Filmakademie als ganze – die keinen anderen Selbstzweck hat, als die Verleihung des Deutschen Filmpreises und dessen Organisation – diese weitere von außen erzwungene Reform nicht mehr überleben. Eine Filmakademie, die ihren Namen verdient und die eine eigene Würde hat, würde mutig sein, würde nicht reformieren, sondern revolutionieren, würde neugierig sein, würde experimentieren. Die real existierende deutsche Filmakademie ist das Gegenteil von all dem.
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Zweite Beobachtung: Hier das Gedächtnisprotokoll kombiniert mit Tonausschnitten aus einem Gespräch von über drei deutschen Filmemachern und Akademiemitgliedern, nicht nur aus Berlin, manche Träger von Filmpreisen:
»Im letzten Jahr wurde die Wahl zum Deutschen Filmpreis geändert. Es gibt keine sogenannte Vorauswahl mehr, in der eine Gruppe von Mitgliedern der Filmakademie alle eingereichten Filme sichtete und daraus eine Auswahl der Mehrheit der Akademie dann für die Nominierungen vorlegte. So ist es auch in diesem Jahr, aber für alle Mitglieder. Man müsste also eine nicht zu schaffende Anzahl an Kinofilmen sichten, um alle eingereichten Filme zu sehen. Nicht schaffbar, nicht sinnvoll. Um
sicherzustellen, dass auch jeder Film wenigstens von einigen Mitgliedern geschaut wird, wurde Folgendes eingerichtet. Jedes Mitglied muss etwa 10 zugeloste Filme ansehen, um überhaupt wählen zu dürfen. Unter diesen Filmen findet sich natürlich auch der totale Schund, bei dem man sich fragt, warum die Produzenten so etwas überhaupt wagen einzureichen.
Was heißt sehen? Es heißt den Rechner laufen zu lassen, während man in der Küche Essen zubereitet oder die Kinder ins
Bett bringt…«
Natürlich darf man auch die anderen vielen Filme gucken, um zu wählen, aber wie viele schaut man da dann wirklich und zu welchen Filmen »greift« man von selbst?
Neu ist auch seit dem letzten Jahr, dass alle Mitglieder auch in der Nominierungsphase die Filme für den Besten Film nominieren dürfen. Das durften früher nur die Sektionen Regie, Produktion und Buch. Und natürlich darf jede Sektion die eigene Gruppe nominieren: Also Schauspieler Schauspieler, Kamera Kamera etc pp. Da nun alle abstimmen, wer der 'Beste Film' ist, sind wir nun endlich beim 'Publikumspreis der sich als Profis Ausgebenden' angekommen.
Und darüberhinaus
muss man sich nicht nicht einmal entscheiden, was man wirklich richtig preiswürdig hält, sondern man hat unendlich viele Stimmen. Absurderweise dürfen alle Mitglieder alle Filme mit jeweils einer Stimme für die Nominierung wählen. Keine Begrenzung auf 3 oder 6 Filme... Das bedeutet in der Realität: Ich muss durch die 10 zugelosten Filme durch, danach gucke ich vielleicht noch 5 bis 6 Filme, die ich mir gern mit meiner Familie anschaue und für die ich bei der Berlinale keine Karten mehr
bekommen habe oder die eben beim Oscar liefen.
Und welche Filme ich nett finde oder wo ich die Gewerke ganz toll fand oder ich mich abgeholt fühlte, die wähle ich einfach. So kommt dieses himmelschreiende Mittelmaßfilm-Publikumspreis-Deutscher-Filmakademie-Durchschnittslevel zustande. Das eigentlich nur die Antwort auf die Frage abbildet, 'welche Filme wollte ich im Wohnzimmer mit meinen Hund im Februar/März 2025 gucken...'. Und genau diese 6 Filme sind es geworden: Hilde von Dresen findet zwar so gut wie niemand gut, aber Liv Lisa Fries und die Gewerke schon und man will natürlich gern ein Kreuz abgeben für 'Sex unterm Hakenkreuz ohne Politik' (Und der Film war auch noch auf der Berlinale!).
Oder für Köln 75: Feelgood, gerade Kinostart und ein leichter Berlinale-Hype im Nebenprogramm, bestens gesetzt für den Filmpreis. Die Saat des heiligen Feigenbaums hat die Oscar-Nominierung und die politische Moral auf seiner Seite und man ist damit auch 'gegen Rechts', aber es ist schön weit
weg und es gibt keine Juden, bloß gut.
September 5 hat den Oscar-Hype und das Geld der Constantin im Rücken.
Vena ist das feministische Feigenblatt, ein netter und mutiger Debütfilm und hat den Hype durch den der Akademie eigenen First-Steps-Award als Gewinnerfilm.
Islands kam als letztes durch, die Berlinale im Rücken und sieht nett aus, kann man nett gucken und sich als Filmliebhaber fühlen.
Aber bitte bitte keine Filme, die irgendwie anstrengen mit ihrer Länge, mit ihrer Form, ihrer Ästhetik oder dem Inhalt oder dem Gezeigten.
In den letzten Jahren hat die Constantin immer gestänkert über die Auswahl, was auch zu den Änderungen führte: Dieses Mal sind sie aber happy mit September 5 und den unglaublichen Nominierungen für Hagen.
Eigentlich müssten sich jetzt die zusammentun, die eigentlich nichts gemeinsam haben: Die echten und auch auf ihre Art guten Mainstreamer mit echten Zuschauerzahlen, Verhoevens Weißer Mann, Herfurths Wunderschöner, Dagtekins Chantal mit den Filmkünstlern, Kahls Die Ermittlung, mit Thomas Arslan, Irene von Alberti, etc pp., mit dem, was besser ist als dieses Akademiequatschkino, um gemeinsam aus der Filmakademie auszutreten und bei dem neuen Kulturstaatsekretär durchzusetzen, dass die Filmakademie den Filmpreis wieder weggenommen bekommt und eine echte Jury sich die Arbeit
macht.
Die Deutsche Filmakademie hat versagt.
Es gibt in diesem Jahr zwar keine Filmpreisgelder mehr, aber dafür sagt die Nominierung nun: Wir können nur eine Art 'Publikumspreis ohne die Filme zu gucken' vergeben.
Besser noch: Die Filmakademie löst sich auf, aus Einsicht, denn im so wichtigen Filmdiskurs und dem Fordern von besseren Rahmenbedingungen für einen besseren deutschen Film hat die Akademie in zwanzig Jahren aber auch gar nichts zustande gebracht.
Auflösen und ggf. neu gründen, aber erst einmal ohne Filmpreis. Die größte Demütigung war es: Tom Tykwers Machwerk Das Licht damit zu erledigen, ihn in den unwichtigsten Kategorien zu nominieren, und die Möglichkeit, Krebitz und Eidinger als Darsteller zu würdigen, links liegen zu lassen.
Zusammenfassend: Berlinale, Oscar und First Step Award machen Nominierungen. Geguckt wird, wenn der
Film nicht zu lang ist, nicht zu lustig, nicht zu dämlich und zu Diskussionen mit den Schwiegereltern tauglich ist. Genau die sechs Filme, die das erfüllen, wurden nominiert. Auch in den jeweiligen Gewerken natürlich, wir sind ja so tolle Profis, und können differenzieren.
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Der Gipfel von allem ist aber der iranische Film und deutsche Oscarkandidat: Die Saat des heiligen Feigenbaums.
Natürlich wird der Film den Oscar, den er zu Recht nicht bekommen hat, und die Goldene Palme, die er zu Recht nicht bekommen hat, jetzt doch noch gewinnen in Form vieler deutscher Filmpreise.
Aber wir sollten uns fragen: Ist nicht das, was hier passiert, genau das, was ansonsten vielerorts beklagt wird: Nämlich ein Paradebeispiel von »kultureller Aneignung«? Das deutsche Kino eignet sich das an, was es selber so gar nicht hat: Widerstandsgeist und ästhetische Radikalität und Genrekino. Es tut dies, indem es diesen iranischen Film ungefragt adoptiert. Was für eine Feigheit, was für ein Zynismus, was für ein erbärmlicher Akt!