17.04.2025
Cinema Moralia – Folge 350

Das wüste Land

Centerum

April ist der grausamste Monat: Der Koalitionsvertrag ist kein guter Tag für die Filmwirtschaft. Und was war jetzt nochmal mit Filmkunst und Kultur? – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 350. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»It’s so elegant/ So intel­li­gent/ ›What shall I do now? What shall I do?‹
›I shall rush out as I am, and walk the street
‘With my hair down, so. What shall we do tomorrow?
‘What shall we ever do?‹«
T.S.Eliot: »The Waste Land«

»Ich möchte niemals werden wie Friedrich Merz.«
Katharina Dröge; Oppo­si­ti­ons­füh­rerin der Grünen

»Unsere Kultur ist das Fundament unserer Freiheit. ... Ohne freie und kraft­volle Kunst verküm­mert, was jedem Fort­schritt zugrunde liegt: die Fähigkeit, unser Leben zu reflek­tieren und uns ein besseres vorzu­stellen. Kultur­po­litik ist gesell­schafts­re­le­vant.«
Aus dem Koali­ti­ons­ver­trag von CDU/CSU und SPD, April 2025

»Die Kultur ist nicht einfach nur eine Subven­ti­ons­empfän­gerin. Ja, sie ist vieler­orts ein wichtiger Stand­ort­faktor, doch vor allem ist sie eines: Ausdruck von Humanität.«
Monika Grütters, Staats­mi­nis­terin für Kultur und Medien 2013-2021

Wird Joe Chialo (CDU) doch nicht Kultur­staats­mi­nister? Letzte Woche schien er gesetzt, und die »BZ« meldete seine Ernennung, drei Tage später zog die gleiche Zeitung ihre Meldung in Zweifel und in den letzten Tagen wuchsen in der Berliner Kultur­szene die Hoff­nungen, dass Chialo noch verhin­dert werden könnte.
Es wäre eine gute Nachricht. Denn der amtie­rende Berliner Kultur­se­nator ist ohne echte Erfahrung in Kultur oder Kultur­po­litik und macht vor allem deutlich, dass es in der Kultur­po­litik an ausge­wie­senem Personal fehlt, wie der Berliner »Tages­spiegel« kommen­tiert: »Der Neuling Chialo hat Etat­kür­zungen von bisher unvor­stell­barem Ausmaß hinge­nommen. Er ist viel mehr ein Mann der Wirt­schaft als der Kultur, so wie Claudia Roth in ihrer Biografie mehr Politik als Kultur verkör­pert.«

Eine »beschä­mende Bilanz« attes­tiert der »Tages­spiegel« auch der schei­denden Staats­mi­nis­terin Roth zum Ende ihrer Amtszeit.

Chialo brachte mit seiner rohen Kürzungs­po­litik und seinem zur Schau getra­genen Desin­ter­esse an vielen kultu­rellen Feldern vor allem die Berliner Kultur­szene über alle Partei­grenzen hinweg gegen sich auf. Das zeigt etwa ein RBB-Gespräch über die Berliner Kultur mit dem Chef der Berliner Landes­bi­blio­theken.

Zu Konkur­ren­tinnen könnte die versierte Kultur­po­li­ti­kerin und im Gegensatz zu Chialo partei­ü­ber­grei­fend geachtete Chris­tiane Schen­der­lein (43) werden. Die gut vernetzte Poli­ti­kerin war Verhand­lungs­füh­rerin für die Union im Kultur­be­reich. Auch der Nürn­berger Kultur­de­zer­nentin Julia Lehner (CSU) werden Chancen nach­ge­sagt. Zum Nachteil für Chialo könnte auch werden, dass die Merz-Union großen Nach­hol­be­darf an weib­li­chen Minis­te­ri­en­chefs hat.

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Aber es geht gar nicht primär um Perso­na­lien. Besonders im Bereich der Film­po­litik, für den der Bund maßgeb­lich verant­wort­lich ist, brachten die gut drei Jahre unter Claudia Roth klare Verschlech­te­rungen.

Das kurz vor Jahres­ende noch durch den Bundestag gepeitschte neue Film­för­der­ge­setz wird von allen Seiten und allen Betei­ligten als überaus produ­zen­ten­lastig empfunden. Insbe­son­dere die Inter­essen des Vertriebs, also der Verleiher und der Kinos, sind hier fast gar nicht berück­sich­tigt.

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Einen Monat ist es her, da verab­schie­deten sechs Verbände – die AG Dok, die AG Kino, die Produk­ti­ons­al­lianz, der Bundes­ver­band Regie, der Deutsche Dreh­buch­ver­band und der PROG (Producers of Germany) sowie die Deutsche Film­aka­demie, die hier aus uner­find­li­chen Gründen mit drauf­steht, ein gemein­sames Papier, um mitten in den Koali­ti­ons­ver­hand­lungen an die Verhandler und die »Verant­wor­tung für den Produk­tions- und Kino­standort Deutsch­land« zu appel­lieren.

Da wird in vielen allzu­freund­li­chen Worten die Krise beschworen – die wirt­schaft­li­chen Rahmen­be­din­gungen seien nicht »auf Welt­ni­veau«, die deutsche Film­pro­duk­ti­ons­land­schaft »in einer struk­tu­rellen Krise« – um »Inves­ti­tionen in den Standort Deutsch­land« zu fordern.

Aber die Argumente sind falsch. Man will auf »Wirt­schaft­lich­keit« setzen, redet von »Wachs­tums­schub« und »Arbeits­plätzen«, aber nicht von der Kunst. Es ist richtig, dass auch in Deutsch­land dringend eine Inves­ti­ti­ons­ver­pflich­tung einge­führt werden sollte; es ist auch richtig, dass die Streamer weit mehr einzahlen müssten, als sie bisher tun. Aber wer immer nur vom Geld redet, darf sich nicht wundern, wenn ihm dann plötzlich auch ökono­mi­sche Argumente entge­gen­ge­halten werden.
Der Kinofilm ist ein Zuschuss­be­trieb – und das ist auch gut so. Jeden­falls ist es nicht schlimm. Das Problem ist nicht, dass es sich um Zuschüsse handelt, sondern für was für einen Quatsch manchmal das Geld ausge­geben wird.

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Aber auch hier hatte man keinen Erfolg. Die neuen Koali­ti­onäre zeigen sich von den Forde­rungen der soge­nannten deutschen Film­in­dus­trie weit­ge­hend unbe­ein­druckt und setzen nichts von dem wirklich um, was in diesem Papier flehent­lich erbeten wird. Viel­leicht sollte die unter­zeich­nenden Funk­ti­onäre und Verbände also daraus lernen.

Einen Monat später aber jubelt der PROG dann liebe­die­ne­risch: »Koali­ti­ons­ver­trag: Ein guter Tag für die Film­wirt­schaft.« Echt jetzt? Warum? Begrün­dung?

Und was war jetzt nochmal mit Filmkunst und Kultur? Schon klar: »Denn Film ist nicht nur Wirt­schafts- sondern auch Kulturgut, das es in all seiner Vielfalt zu stärken gilt.«

Es bleibt aber »große Hoffnung«, und »ein Zeichen der Hoffung [sic!], dass der Film­standort Deutsch­land wieder attraktiv wird. … Entschei­dend ist nun, dass auch die kultu­relle Film­för­de­rung im Haushalt gut ausge­stattet wird, um mutige, unab­hän­gige Kino­film­pro­duk­tionen zu ermög­li­chen.«

Warten wir es ab.

Immerhin klagt Christoph Friedel, Produzent bei Pandora Film und Vorstands­mit­glied: »Deutsch­land als größtes und stärkstes Land Europas gibt im Jahr einen 'symbo­li­schen Betrag' von € 1 Mio. aus FFA Mitteln für mino­ri­täre Co-Produk­tionen aus, viel weniger als die meisten unserer kleineren Nachbarn. Dies zu einer Zeit, wo inter­na­tio­nale Zusam­men­ar­beit in Europa dringend geboten ist.«

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Viel deut­li­cher und präziser ist da im Vergleich die AG Film­fes­tival: »Koali­ti­ons­ver­trag vernach­läs­sigt Film­kultur? AG Film­fes­tival vermisst das explizite Bekenntnis zur Förderung der Film­prä­sen­ta­tion und Film­ver­mitt­lung als Teil des kultu­rellen Auftrags«, heißt es am 15. April.

»Sehr irritiert zeigt sich die AG Film­fes­tival als Verband der Film­fes­ti­vals in Deutsch­land beim nun vorlie­genden Koali­ti­ons­ver­trag von CDU/CSU und SPD. Zwar würdigt das neue und knapp vor Ende letzten Jahres beschlos­sene Film­för­de­rungs­ge­setz (FFG) die Bedeutung der Film­fes­ti­vals erstmals mit einem Sitz im Verwal­tungsrat der Film­för­de­rungs­an­stalt (FFA). Im Koali­ti­ons­ver­trag für die neue Regierung wird aber die Relevanz der Film­fes­ti­vals – ganz im Gegensatz zum letzten Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel­re­gie­rung – überhaupt nicht mehr erwähnt. Die schon oft gefor­derte Ausba­lan­cie­rung zwischen Förder­maß­nahmen für die Produk­tion von Filmen und der rezep­ti­ons­re­le­vanten Unter­s­tüt­zung von Distri­bu­tion und Präsen­ta­tion, ist für den Verband erneut in weite Ferne gerückt. Der mit der Förderung deutscher Filme verbun­dene kultu­relle Anspruch kann nur mit der möglichst breiten Wahr­neh­mung durch Publikum erfüllt werden. Die Präsen­ta­tion und Auswer­tung von rele­vanter Film­kultur muss deswegen bei allen Förder­maß­nahmen mitge­dacht werden!«

»Kultur­po­litik ist gesell­schafts­re­le­vant« heißt es im Koali­ti­ons­ver­trag – über die Rolle und Bedeutung von Film­fes­ti­vals für die Film­kultur kann man in diesem Zusam­men­hang nicht mehr streiten.

Der neue Koali­ti­ons­ver­trag ist insofern ein Rück­schritt, als er die Film­kultur nur in ein paar Floskeln für die nächsten Sonn­tags­reden vorkommen lässt, im Konkreten aber weit­ge­hend ignoriert.

Unmiss­ver­s­tänd­lich benennt die AG Film­fes­tival, dass auch Film­fes­ti­vals neben dem regulären Kino­be­trieb »die Grund­ver­sor­gung mit Film­kultur gewähr­leisten, die von den gewerb­li­chen Kinos nicht mehr aufge­nommen wird und aus diesem Grund förder­würdig« ist.

Die Festivals legen die Finger in die offene Wunde der deutschen Situation, und selten wurde es so klar ausge­spro­chen: Deutsche und produk­ti­ons­ge­för­derte Filme werden oft exklusiv auf Festivals zum Publikum gebracht. »Diese Filme schaffen es in den gewerb­li­chen Kinos teilweise überhaupt nicht oder zumindest immer weniger, auf die Leinwände zu kommen. Auch der Talent­film hätte ohne Festivals keinen diskurs­ori­en­tierten Zugang mehr zum Publikum.«

Nur am Ende der langen Pres­se­mit­tei­lung schwenkt die AG leider auf die – falsche und feige – ökono­mi­sche Argu­men­ta­tion ein: »Damit gehören Film­fes­ti­vals – neben der kultu­rellen Bedeutung – längst zu den ganz wichtigen Bestand­teilen der wirt­schaft­li­chen Auswer­tungs­ketten auch deutscher Filme.«

Als ob die kultu­relle Bedeutung nicht Grund genug wäre.

(to be continued)