Cinema Moralia – Folge 350
Das wüste Land |
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»It’s so elegant/ So intelligent/ ›What shall I do now? What shall I do?‹
›I shall rush out as I am, and walk the street
‘With my hair down, so. What shall we do tomorrow?
‘What shall we ever do?‹«
T.S.Eliot: »The Waste Land«»Ich möchte niemals werden wie Friedrich Merz.«
Katharina Dröge; Oppositionsführerin der Grünen»Unsere Kultur ist das Fundament unserer Freiheit. ... Ohne freie und kraftvolle Kunst verkümmert, was jedem Fortschritt zugrunde liegt: die Fähigkeit, unser Leben zu reflektieren und uns ein besseres vorzustellen. Kulturpolitik ist gesellschaftsrelevant.«
Aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD, April 2025»Die Kultur ist nicht einfach nur eine Subventionsempfängerin. Ja, sie ist vielerorts ein wichtiger Standortfaktor, doch vor allem ist sie eines: Ausdruck von Humanität.«
Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien 2013-2021
Wird Joe Chialo (CDU) doch nicht Kulturstaatsminister? Letzte Woche schien er gesetzt, und die »BZ« meldete seine Ernennung, drei Tage später zog die gleiche Zeitung ihre Meldung in Zweifel und in den letzten Tagen wuchsen in der Berliner Kulturszene die Hoffnungen, dass Chialo noch verhindert werden könnte.
Es wäre eine gute Nachricht. Denn der amtierende Berliner Kultursenator ist ohne echte Erfahrung in Kultur oder Kulturpolitik und macht vor allem deutlich, dass es in der
Kulturpolitik an ausgewiesenem Personal fehlt, wie der Berliner »Tagesspiegel« kommentiert: »Der Neuling Chialo hat Etatkürzungen von bisher unvorstellbarem Ausmaß hingenommen. Er ist viel mehr ein Mann der Wirtschaft als der Kultur, so wie Claudia Roth in ihrer Biografie mehr Politik als Kultur verkörpert.«
Eine »beschämende Bilanz« attestiert der »Tagesspiegel« auch der scheidenden Staatsministerin Roth zum Ende ihrer Amtszeit.
Chialo brachte mit seiner rohen Kürzungspolitik und seinem zur Schau getragenen Desinteresse an vielen kulturellen Feldern vor allem die Berliner Kulturszene über alle Parteigrenzen hinweg gegen sich auf. Das zeigt etwa ein RBB-Gespräch über die Berliner Kultur mit dem Chef der Berliner Landesbibliotheken.
Zu Konkurrentinnen könnte die versierte Kulturpolitikerin und im Gegensatz zu Chialo parteiübergreifend geachtete Christiane Schenderlein (43) werden. Die gut vernetzte Politikerin war Verhandlungsführerin für die Union im Kulturbereich. Auch der Nürnberger Kulturdezernentin Julia Lehner (CSU) werden Chancen nachgesagt. Zum Nachteil für Chialo könnte auch werden, dass die Merz-Union großen Nachholbedarf an weiblichen Ministerienchefs hat.
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Aber es geht gar nicht primär um Personalien. Besonders im Bereich der Filmpolitik, für den der Bund maßgeblich verantwortlich ist, brachten die gut drei Jahre unter Claudia Roth klare Verschlechterungen.
Das kurz vor Jahresende noch durch den Bundestag gepeitschte neue Filmfördergesetz wird von allen Seiten und allen Beteiligten als überaus produzentenlastig empfunden. Insbesondere die Interessen des Vertriebs, also der Verleiher und der Kinos, sind hier fast gar nicht berücksichtigt.
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Einen Monat ist es her, da verabschiedeten sechs Verbände – die AG Dok, die AG Kino, die Produktionsallianz, der Bundesverband Regie, der Deutsche Drehbuchverband und der PROG (Producers of Germany) sowie die Deutsche Filmakademie, die hier aus unerfindlichen Gründen mit draufsteht, ein gemeinsames Papier, um mitten in den Koalitionsverhandlungen an die Verhandler und die »Verantwortung für den Produktions- und Kinostandort Deutschland« zu appellieren.
Da wird in vielen allzufreundlichen Worten die Krise beschworen – die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seien nicht »auf Weltniveau«, die deutsche Filmproduktionslandschaft »in einer strukturellen Krise« – um »Investitionen in den Standort Deutschland« zu fordern.
Aber die Argumente sind falsch. Man will auf »Wirtschaftlichkeit« setzen, redet von »Wachstumsschub« und »Arbeitsplätzen«, aber nicht von der Kunst. Es ist richtig, dass auch in Deutschland dringend eine Investitionsverpflichtung eingeführt werden sollte; es ist auch richtig, dass die Streamer weit mehr einzahlen müssten, als sie bisher tun. Aber wer immer nur vom Geld redet, darf sich nicht wundern, wenn ihm dann plötzlich auch ökonomische Argumente entgegengehalten
werden.
Der Kinofilm ist ein Zuschussbetrieb – und das ist auch gut so. Jedenfalls ist es nicht schlimm. Das Problem ist nicht, dass es sich um Zuschüsse handelt, sondern für was für einen Quatsch manchmal das Geld ausgegeben wird.
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Aber auch hier hatte man keinen Erfolg. Die neuen Koalitionäre zeigen sich von den Forderungen der sogenannten deutschen Filmindustrie weitgehend unbeeindruckt und setzen nichts von dem wirklich um, was in diesem Papier flehentlich erbeten wird. Vielleicht sollte die unterzeichnenden Funktionäre und Verbände also daraus lernen.
Einen Monat später aber jubelt der PROG dann liebedienerisch: »Koalitionsvertrag: Ein guter Tag für die Filmwirtschaft.« Echt jetzt? Warum? Begründung?
Und was war jetzt nochmal mit Filmkunst und Kultur? Schon klar: »Denn Film ist nicht nur Wirtschafts- sondern auch Kulturgut, das es in all seiner Vielfalt zu stärken gilt.«
Es bleibt aber »große Hoffnung«, und »ein Zeichen der Hoffung [sic!], dass der Filmstandort Deutschland wieder attraktiv wird. … Entscheidend ist nun, dass auch die kulturelle Filmförderung im Haushalt gut ausgestattet wird, um mutige, unabhängige Kinofilmproduktionen zu ermöglichen.«
Warten wir es ab.
Immerhin klagt Christoph Friedel, Produzent bei Pandora Film und Vorstandsmitglied: »Deutschland als größtes und stärkstes Land Europas gibt im Jahr einen 'symbolischen Betrag' von € 1 Mio. aus FFA Mitteln für minoritäre Co-Produktionen aus, viel weniger als die meisten unserer kleineren Nachbarn. Dies zu einer Zeit, wo internationale Zusammenarbeit in Europa dringend geboten ist.«
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Viel deutlicher und präziser ist da im Vergleich die AG Filmfestival: »Koalitionsvertrag vernachlässigt Filmkultur? AG Filmfestival vermisst das explizite Bekenntnis zur Förderung der Filmpräsentation und Filmvermittlung als Teil des kulturellen Auftrags«, heißt es am 15. April.
»Sehr irritiert zeigt sich die AG Filmfestival als Verband der Filmfestivals in Deutschland beim nun vorliegenden Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Zwar würdigt das neue und knapp vor Ende letzten Jahres beschlossene Filmförderungsgesetz (FFG) die Bedeutung der Filmfestivals erstmals mit einem Sitz im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt (FFA). Im Koalitionsvertrag für die neue Regierung wird aber die Relevanz der Filmfestivals – ganz im Gegensatz zum letzten Koalitionsvertrag der Ampelregierung – überhaupt nicht mehr erwähnt. Die schon oft geforderte Ausbalancierung zwischen Fördermaßnahmen für die Produktion von Filmen und der rezeptionsrelevanten Unterstützung von Distribution und Präsentation, ist für den Verband erneut in weite Ferne gerückt. Der mit der Förderung deutscher Filme verbundene kulturelle Anspruch kann nur mit der möglichst breiten Wahrnehmung durch Publikum erfüllt werden. Die Präsentation und Auswertung von relevanter Filmkultur muss deswegen bei allen Fördermaßnahmen mitgedacht werden!«
»Kulturpolitik ist gesellschaftsrelevant« heißt es im Koalitionsvertrag – über die Rolle und Bedeutung von Filmfestivals für die Filmkultur kann man in diesem Zusammenhang nicht mehr streiten.
Der neue Koalitionsvertrag ist insofern ein Rückschritt, als er die Filmkultur nur in ein paar Floskeln für die nächsten Sonntagsreden vorkommen lässt, im Konkreten aber weitgehend ignoriert.
Unmissverständlich benennt die AG Filmfestival, dass auch Filmfestivals neben dem regulären Kinobetrieb »die Grundversorgung mit Filmkultur gewährleisten, die von den gewerblichen Kinos nicht mehr aufgenommen wird und aus diesem Grund förderwürdig« ist.
Die Festivals legen die Finger in die offene Wunde der deutschen Situation, und selten wurde es so klar ausgesprochen: Deutsche und produktionsgeförderte Filme werden oft exklusiv auf Festivals zum Publikum gebracht. »Diese Filme schaffen es in den gewerblichen Kinos teilweise überhaupt nicht oder zumindest immer weniger, auf die Leinwände zu kommen. Auch der Talentfilm hätte ohne Festivals keinen diskursorientierten Zugang mehr zum Publikum.«
Nur am Ende der langen Pressemitteilung schwenkt die AG leider auf die – falsche und feige – ökonomische Argumentation ein: »Damit gehören Filmfestivals – neben der kulturellen Bedeutung – längst zu den ganz wichtigen Bestandteilen der wirtschaftlichen Auswertungsketten auch deutscher Filme.«
Als ob die kulturelle Bedeutung nicht Grund genug wäre.
(to be continued)