»Es ist alles Nahrung« |
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Königin der Schmuckkunst: Helen Britton | ||
(Foto: W-Film) |
Helen Britton ist eine unablässige Sammler- & Jägerin. Überall stöbert sie nach zurückgelassenem Material, vergessenen Techniken, der Geschichte von Handwerken, Industrien, Menschen, Orten, um sie in ihrer Kunst in verdichteter Form zu bewahren, ihnen Nachhall, Nachleben zu schenken. Britton arbeitet u.a. als Malerin, Fotografin – doch am berühmtesten ist sie als eine führende Vertreterin der Schmuckkunst.
Geboren im australischen Newcastle, kam sie als Studentin
von Otto Künzli an die Kunstakademie nach München. Seither ist die Stadt ihre Lebens- und Arbeitsbasis.
Die Münchner Filmemacherin Elena Alvarez Lutz hat Britton mit Hunter from Elsewhere ein kongeniales Portrait gewidmet. Für alle, die sich mit der Materie auskennen, ein faszinierender Einblick aus respektvoller Nähe ins Leben und Arbeiten der Künstlerin. Für alle, die von Autorenschmuck bisher wenig wussten, dazu noch mit der augenöffnenden Erkenntnis verbunden, dass eine Brosche einen ebenso tief berühren kann wie eine Skulptur, eine Halskette soviel Weltsicht enthalten kann wie ein Gemälde.
Das Gespräch führte Thomas Willmann
artechock: Sie arbeiten mit vielen Materalien und Techniken, in verschiedenen Kunstgattungen. Könnte man als verbindendes Element sagen: Sie sind eine Geschichtenerzählerin?
Helen Britton: Ja, das ist mir auf jeden Fall ein wichtiger Punkt. Bei den Recherchen zu meinen verschiedenen Interessen erfahre ich die Geschichten etwa von Materialien. Und dann ich will das kommunizieren – aber nicht auf eine trockene, historische Art und Weise. Manchmal ist es eine sehr poetische Sache. Dinge berühren mich – und das packe ich dann in meine Kunst.
artechock: Wann und wie merken Sie, dass etwas zu Ihnen spricht?
Helen Britton: Ich bin fasziniert von vielen Sachen. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Ich hab tausende von Ideen, es gibt immer viel zuviel Ideen und viel zuviel zu tun. Etwas muss sich schon immer wieder vordrängen, warum auch immer. Da frag ich auch nicht zu sehr nach. Ich vertraue der Intuition, dem Instinkt, und dann folge ich dem.
Ich bin zum Beispiel um 2001 zuerst in den Thüringer Wald. Und habe die ersten Arbeiten dazu gemacht 2007. Es kann sehr lange dauern. Ich liebe es wirklich, Zeit zu haben. Ich brauche Zeit.
Es sind nicht nur diese Produkte, die am Ende ausgestellt werden, sondern das Hingehen, das Rumreisen, das Recherchieren, darüber Lesen, mit Leuten sprechen, das Fotografieren – das ist meine Kunst. Das ist mein Leben. Das Ganze gehört zusammen.
Es ist alles Nahrung. Es fließt alles irgendwo rein. Auch wenn man merkt: Ah, das ist fantastisch – aber es ist nicht ganz mein Ding. Trotzdem – es ist für mich alles wahnsinnig interessant. Mehr oder weniger alles. (Lacht)
artechock: Im Film sagen Sie einmal: »It’s fantastically important to know where things come from«. Herkunft, Verwurzelung spielt eine wichtige Rolle in Ihrer Arbeit – aber mir scheint zugleich mit einer gewissen Distanz, ob in Raum oder Zeit...
Helen Britton: Auf eine Art könnte man sagen, das spiegelt mein Leben. Denn ich lebe in einem Spalt zwischen Europa und Australien. Ich bin viel unterwegs – bin nicht wirklich in einem Ort oder dem anderen. Und das kann dann sein, dass es zu dieser Art von Distanz führt: Ich beobachte etwas, aber es ist nicht ganz meins. Das ist manchmal sehr gut, weil ich kann Dinge aus einer ganz anderen Perspektive sehen. Zum Beispiel diese Glas-Geschichte im Thüringer Wald. Das ist für viele einheimische Personen nur Weihnachtsbaumschmuck, die rennen schreiend weg, weil es mit einem unglaublichen Kitsch verbunden ist. Aber ich sehe was anderes da drin...
artechock: Gilt also immer noch: Your home is Newcastle, und in München sind Sie eine Fremde?
Helen Britton: Leider erlebe ich mehr oder weniger täglich in Deutschland, obwohl ich einigermaßen okay Deutsch spreche, dass wir als Ausländer schon immer wieder als fremde Person behandelt werden. Beim Brotkaufen, auf dem Markt... in diesen alltäglichen Sachen ist es sehr klar, dass ich nicht dahin gehöre. Und das hält natürlich irgendeine Form von Heimatgefühl sehr fern.
Aber natürlich hat das ganze Leben, das ich führe, mich auch verändert. Ich bin auch nicht mehr komplett in Newcastle zugehörig. Deswegen beschreibe ich immer, dass ich eigentlich in einem Spalt lebe zwischen allen diesen Dingen. Das klingt im ersten Moment wahrscheinlich ein bisschen unangenehm, vielleicht tragisch. Aber es ermöglicht sehr viel.
Und das sind letztendlich Luxusprobleme. Ich kann mich bewegen. Ich kann diese Entscheidungen treffen. Ich könnte natürlich sagen: »Ich verlasse Europa.« Aus privaten Gründen kann ich das nicht. Aber man muss auch eine gewisse Distanz halten von dieser ganzen Problematik, wo man hingehört. Weil man immer noch den Luxus hat, sich bewegen zu können.
artechock: Und man kann sich auch am eigenen Geburtsort fremd fühlen...
Helen Britton: Ja, absolut. Das war wahrscheinlich auch ein Teil dessen, was mich in die Welt getrieben hat. Ich habe mich in Newcastle nicht sehr zugehörig gefühlt. In Europa gibt es für mich als Künstlerin in jedem Moment gesellschaftlich eine große Akzeptanz. Ich will das nicht verallgemeinern – ich bin auch in Australien sehr gut aufgehoben und habe super Unterstützung. Aber als ich hier aufgewachsen bin, war das nicht der Fall. Ich war eher ein Outsider.
artechock: Wie war Ihre erste Reaktion auf Elenas Alvarez' Idee, einen Film über Sie zu machen?
Helen Britton: Ich hab gesagt: Vergiss es! Sie hat mich jahrelang gefragt. Sie hat regelmäßig angefangen von diesem Film mit mir. Und ich wollte das nicht. Ich bin eine sehr introvertierte Person, eine sehr private Person. Ich brauche auch relativ viel Zeit allein. Ich bin nicht anti-sozial, aber Menschen machen mich meistens relativ schnell müde. Und um meine Kunst zu machen, brauche ich auch sehr, sehr viel Konzentration. Die Vorstellung, ewig jemand um mich zu haben...
Aber sie ist eine sehr charmante Person. Und hat eine Ernsthaftigkeit, eine Eigenartigkeit, die nicht unähnlich ist meiner Eigenartigkeit, glaube ich. Ich bin der festen Meinung, dass es ein Film mehr oder weniger über Elena ist. Und ich bin sozusagen nur das Material – im besten Sinn.
Anyway, sie hat es dann irgendwann geschafft. Sie kam immer wieder, und dann hat sie angefangen, mit einem iPhone zu filmen. Und sie hat gesagt: »Jetzt habe ich angefangen! Jetzt muss ich auch weiter...«
Ich bin weichgeworden und habe gesagt: Okay. Dann ging es weiter... Aber ich hab gesagt: Elena, mach deinen Film – aber frag mich bitte nicht. Ich will nur ein Veto-Recht am Rohschnitt. Du musst das für dich machen, wie du es haben willst. Und ich glaube, das war sehr gut, für uns beide.
artechock: Wie haben Sie während des Drehs die Grenzen verhandelt?
Helen Britton: Sie hat immer wieder, besonders am Anfang, Leute geschickt, die filmen sollten. Und sie hat schon vorher bestimmt – und das fand ich gut –, dass ich die einfach völlig ignorieren soll. Ich soll nicht mit ihnen sprechen, ich soll versuchen, so zu tun, als wären sie einfach nicht da. Irgendwann konnte ich das. Und dann konnte ich das so auch mit Elena. Weil es gab dieses Grundvertrauen. Sie war einfach da, irgendwo, während ich gearbeitet habe, und ist sozusagen in der Ecke verschwunden. Und das war die beste Möglichkeit.
Dann war es okay. Wir sind rumgereist, und sie war dabei. Und es war sehr, sehr unterhaltsam und... I mean, wir sind nicht enge Freunde, und ich glaube, das ist sehr wichtig. Weil es geht nicht um eine Freundin, die eine Freundin filmt. Sie hat auch eine gewisse Distanz gehalten. Und ich auch. Manchmal war es eher wie eine berufliche Situation. Für die Qualität des Films war das glaube ich sehr, sehr wichtig.
artechock: Und wie fühlt es sich nun rückblickend an, selbst das »Rohmaterial« für die Kunst einer anderen Person zu sein?
Helen Britton: Es ist nicht immer einfach. Der Film kommt sehr nah an mich dran. Und ich fühle mich manchmal ein bisschen verletzlich. Es ist fantastisch – aber es ist nicht ganz mein Ding.
Auf der anderen Seite können die meisten Leute nur davon träumen, dass eine begabte Filmemacherin kommt und sagt: Hey, ich folge dir und halte dich vier Jahre lang aus, und dann mache ich daraus einen tollen Film. Es ist wirklich auch ein unglaubliches Geschenk. Aber es ist eine Mischung.
Und für diese komische Welt des Autorenschmuck, der Schmuckkunst oder wie auch immer man es nennen will, ist es natürlich auch eine unglaubliche Leistung – weil dieser Bereich wird so missverstanden. Dieser tiefe Einblick ist schon sehr hilfreich für viele Künstler – nicht nur für mich. Dass Leute erkennen: Ah, ja, es ist nicht nur irgendwelcher Schnickschnack, den man irgendwie trägt. Das ist schon sehr, sehr wertvoll – nicht, weil der Film über mich ist, sondern über dieses Genre. Und das schätze ich sehr.
artechock: Sie erwähnen im Film, dass in Ihrer Jugend Musik, speziell Post-Punk, sehr prägend für Sie war. Ist Ihnen Musik noch immer wichtig?
Helen Britton: Sure... Musik ist für mich wahnsinnig wichtig. Das Newcastle, in dem ich aufgewachsen bin, war eine Arbeiterstadt, sehr links; das waren die ’70er Jahre, Anfang der ’80er Jahre, da gab es eine sehr radikale Gewerkschaftsbewegung. Es gab fantastische Proteste und Streiks, die wirklich viel für die Arbeitsbedingungen in Australien bewirkt haben. Meine Mutter war auch darin involviert, politisch sehr aktiv. Und dann kamen alle diese Bands wie The Gang of Four, The Fall, diese neue Welle... Die sind in sogenannten Worker’s Clubs aufgetreten, wo wir sie gehört haben. Es gibt die kaum mehr. Die Welt hat sich radikal verändert. Aber das war sehr, sehr prägend. Es war eine fantastische Jugend. Ich hab viele tolle Bands gesehen. Ohne die Bedeutung zu ahnen, die sie jetzt haben. Die haben einfach gespielt. Das war sehr wichtig für mich.
Ich gehe immer noch sehr gerne in Konzerte und höre Musik. Auch oft, wenn ich arbeite. Das ist immer noch eine wichtige Facette meines Lebens.
artechock: Ihre Arbeit scheint mir auch eine Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit. Wie ist Ihr Verhältnis dazu?
Helen Britton: Ja, ich will was behalten. Ich will, dass es nicht vergeht. Auf jeden Fall. Aber ich spiele auch damit. Zum Beispiel mit diesen Betonobjekten, bei denen ich in absolut unvergänglichem, komplett robustem Beton sehr fragile, sehr ephemeral Sachen präserviere. Dass sie nicht vergehen können. Und ich finde das sehr spannend. Dieses Bedürfnis.
Ich will nicht sagen, dass es ein vorrangiges Thema ist. Aber es steckt auf jeden Fall drin.
Und ja, man wird auch älter, und man ist – dadurch, dass die Eltern sterben, oder sehr alt werden – konfrontiert mit diesem: Was bleibt übrig? Was ist wichtig, dass es weitergegeben wird, dass es nicht in Vergessenheit geht? Ich weiß nicht... ich kann das gerade nicht so gut formulieren.
artechock: Sie wurden in Ihrer Heimat ausgewählt für die prestigeträchtige, landesweite Ausstellung »Living Treasures – Masters of Australian Crafts« 2025. Was können Sie darüber schon verraten?
Helen Britton: Das ist ein Riesending. Es ist nicht nur eine ganz neue Gruppe von Arbeiten von mir – sondern es reist auch in zehn Museen, über zweieinhalb Jahre, und dann geht es nach New York. Und dann kommt auch eine große Publikation mit Arnoldsche, ein Komplett-Monograph, der heißt »The Story So Far«.
Und ich mache eine neue Arbeitsgruppe. Die basiert auf einer Fotoserie, die ich gemacht habe, über ein ähnliches Haus wie jenes vom Anfang des Films. Das ist das Haus meiner Patentante – der ältesten Schwester meiner Großmutter. Sie war auch eine Künstlerin, eine autodidaktische Künstlerin. Sie hat sehr viele Sachen gebastelt und experimentiert, und ich habe wichtige Momente in meiner Kindheit und Jugend mit ihr verbracht. 2018 bekam ich Zugang zu diesem Haus. Es stand seit fast 30 Jahren unberührt verlassen – ihr Bleistift noch auf dem Tisch und alles. Das habe ich fotografiert, in drei Etappen. Das ist mein Ausgangspunkt.
artechock: Am Anfang des Films stöbern Sie im Erzgebirge durch ein verlassenes Haus, in dem ein Glasbläser gelebt hat. Angesichts des zurückgelassenen, verstreuten Hausrats sagen Sie: Es ist so unwürdig, wie die Sachen da liegen. Ist Ihre Arbeit auch ein Versuch, Dingen ihre Würde wiederzugeben?
Helen Britton: Ja, absolut. Das ist ein sehr, sehr guter Punkt. Der Geschichte von Menschen, was sie gemacht haben, und auch den Dingen selber. Auf eine subtile Art ist das auch eine sehr politische Haltung. Ich glaube wirklich, wenn man – »man« allgemein, die Menschen – gefühlsamer mit dem allen umgehen würde, dann wäre das für uns alle ein besserer Planet.