USA 2023 · 117 min. · FSK: ab 12 Regie: Jeff Nichols Drehbuch: Jeff Nichols Kamera: Adam Stone Darsteller: Austin Butler, Tom Hardy, Jodie Comer, Michael Shannon, Damon Herriman u.a. |
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Offene Beziehung... | ||
(Foto: Universal) |
Well in the river was whiskey I wasn’t drive and drunk
– Canned Heat, Rollin‘ and Tumblin‘
Die Erwartungshaltung bei Motorradfahrern und der Zeit der Gegenkultur der 1960er und frühen 1970er Jahre dürfte recht schnell auf den großen Klassiker dieser Zeit, auf Dennis Hoppers Easy Rider (1969) festgelegt sein, ein filmisches Statement der Superlative, das so ziemlich alles beschwor, was wir heute mit Hippiekultur verbinden: die freie Liebe, ein befreites Leben, und befreiende Drogen. Und eine Gegenwelt dieser Gegenkultur, die das nicht versteht und diesen Traum, dieses radikale Versprechen, am Ende zerstört.
Dass auch die in Easy Rider als Vehikel der Befreiung dargestellte Biker-Kultur nicht nur eine Hippie-Sache, sondern weitaus diverser aufgestellt war, zeigt Jeff Nichols in The Bikeriders. Nichols hat sich für seinen Film von dem Fotoband The Bikeriders von Danny Lyon aus dem Jahr 1967 inspirieren lassen, den der Fotograf und Dokumentarfilmer als Mitglied des Chicago Outlaw Motorcycle Club zusammengestellt hatte. Doch Nichols erweitert Lyons Feldforschungsmomentum und lässt den semi-fiktiven Lyons (Mike Faist) als Interviewer bis in die frühen 1970er mit Fotoapparat und Aufnahmegerät bei Kathy (Jodie Corner) vorbeischauen, die ihm im Lauf der Jahre von ihrer Beziehung zu Benny (Austin Butler) erzählt, dem zweiten Mann der »Vandals«, eines Biker-Clubs unweit von Chicago.
Diese weibliche Perspektive als roter Faden ist eine großartige Entscheidung, zeigt sie doch nicht nur den Alltag einer Gegenkultur, die nichts mit den Hippies aus Easy Rider zu tun hat, sondern sich allenfalls vage auf James Dean beruft. Als irgendwann ein Biker aus Kalifornien bei den Vandals aufschlägt, gleicht das einem Ufo von einem anderen Stern, und die Vorstellung, die Biker in Nichols’ Film und aus Lyons Bildband in dem legendären Dokumentarfilm Monterey Pop (1968) von D.A. Pennebaker zu sehen, so wie die Hells Angels vor dem Auftritt von Canned Heat, ist völlig undenkbar. Denn Nichols führt uns vielmehr in die Gegenkultur der unteren weißen Schicht ein, Menschen, die als Truckfahrer arbeiten, um ihre liebevoll hergerichteten Motorräder zu finanzieren, und weder von freier Liebe noch von Joints oder vom musikalischen Aufbruch der West Coast etwas wissen. Nichols’ Bilder dieses Soziotops sehen sich faszinierend real an, sein überragendes Ensemble treibt diese Realität mit einer stillen, aber gewalttätigen Wucht voran, die wie die Jahresringe eines Baumes in die Weite und nach oben treiben, bis irgendwann die Axt ansetzt.
Doch völlig anders als bei Easy Rider sind es keine Rednecks, die irgendwann den Rotstift ansetzen, sondern eine noch tiefer liegende Armut, der White Trash, der sich mit den Rückkehrern aus Vietnam vereint, die neue Drogen und neue Waffen mitbringen und vor allem eine durch schwere Kriegstraumata angeschlagen Moral einführen, die mit dem klar ausgerichteten Moral-Katalog der alten »Vandals« nichts mehr zu tun hat. Die Abgehangenen von damals sind hier genauso die treibende Kraft wie die Abgehangenen von heute.
Nichols erzählt den Verlust des alten Traums von unschuldiger Freiheit vor allem über Johnny (Tom Hardy), den ersten Mann der »Vandals« und Bennys väterlichen Mentor, erzählt aber auch hier nicht nur von dem Leben auf dem Motorrad, sondern auch von disparaten Familienverhältnissen, die wie Nichols’ Vorgängerfilme Take Shelter – Ein Sturm zieht auf und Midnight Special immer auch etwas klaustrophobes und autoaggressives haben.
Klassische Liebesbeziehungen sind für die Männer in The Bikeriders tatsächlich nur durch die Flucht auf dem Motorrad zu ertragen; warum die Frauen, warum Kathy das mitmacht, diese bizarre »offene« Beziehung, weiß sie eigentlich selbst nicht so recht. Vielleicht nur, weil sie schon sehr früh ahnt, dass die Gegenkultur so wie jede Gegenkultur sich irgendwann selbst kannibalisieren wird.
Nicht nur dafür findet Nichols eindrückliche Bilder, die immer zwischen äußerer Gewalt und der Sehnsucht nach innerem Frieden changieren und die letztendlich immer auch ein Spiegel der amerikanischen Gesellschaft sind, die durch die Kriege, die das Land geführt hat und bis heute führt, durch die vielen Toten, die für ein besseres Amerika gekämpft haben, so fragmentiert ist, dass es für den Einzelnen am Ende nur einen Ausweg gibt. Die Flucht in das Private, die Kleinfamilie, die vielleicht spießig und langweilig sein mag, doch zumindest Sicherheit verspricht und ein Leben, das dann und wann auch ein Lächeln wert ist.