65. Filmfestspiele Cannes 2012
»Welcome to socialist France ... quit the fucking past!« |
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Ulrich Seidls Paradies: Liebe: haarscharf vorbei an diversen Abgründen | ||
(Foto: Neue Visionen Filmverleih GmbH) |
Der allererste Blick geht aufs Meer. Sehr oft werden wir da nicht mehr hinschauen, an den nächsten zwei Wochen. Irgendwie zu friedlich sieht es aus, das Mittelmeer im gleißenden Sonnenlicht: unschuldig, erwartungsvoll. Aber auch vertraut. »Es ist ja ein bisschen, wie nach Hause kommen, hier in Cannes« hat eine Kollegin am Vorabend des Beginns der Filmfestspiele beim Essen gesagt. Nun ja, mein Zuhause und ihres sowieso, sieht glücklicherweise ein bisschen anders aus, als das schattige Zimmer, das kaum größer ist, als das französische Bett, das drin steht, und in dem ich die nächsten 14 Tage wohnen werde. Aber ich weiß schon, was sie meint, klar: Man kennt die Bars und überteuerten Restaurants, in denen wir essen werden, man kennt den Supermarkt und den Zeitungsstand, man weiß, wo man sich eine französische Sim-Card besorgt und die Wege im Palais du Cinema, die kennt man sowieso. Zum zehnten Mal Cannes, das heißt, ich habe schon fast ein halbes Lebensjahr in dem Trubel verbracht.
Jeder hat da so seine Rituale. Zu meinen gehört, dass ich die Freunde und Kollegen, die ich treffe, frage, worauf sie sich am meisten freuen: Da ergibt sich ein buntes Bild. Jacques Audiard wird genannt, »auf die Amerikaner bin ich gespannt«, sagt eine deutsche Redakteurin, die Nebenreihen nennt dagegen keiner. Etwas schade, dass sie so links liegen gelassen werden. Ugo aus Verona nennt Rivette. Dana vom »Filmkrant« aus Holland sagt Haneke, und dann kommen wir beide lachend auf die Frage,
ob das am Ende was mit ihrem Unterbewussten zu tun hat: Schließlich soll es in Hanekes neuem Film um das selbstbestimmte Sterben eines alten Paares gehen – und in Holland sind die Gesetze zu Sterbehilfe und begleitetem Freitod so freiheitlich wie nirgends sonst.
Meine eigene Antwort ist entweder allgemein – die Filme außer Konkurrenz von Miike, Dario Argento, die »Cannes Classics« von Sergio Leone und David Lean – oder sehr konkret: Ohne genau zu wissen, warum,
freue ich mich sehr auf David Cronenbergs Cosmopolis.
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Am Morgen geht es los mit dem Eröffnungsfilm: Wes Andersons Moonrise Kingdom. Vertrautes Gelände. Meine Erwartungen sind gering, denn Andersons ist alles andere als mein Lieblingsregisseur. Gespannt bin ich höchstens darauf, wie Bruce Willis, weiterhin der amtierende Actionkönig des amerikanischen Kinos, die Herausforderung eines überaus gekünstelten, verkitschten Independent-Films meistert. Mal sehen. Immerhin läuft Moonrise Kingdom im Gegensatz zu den meisten Eröffnungsfilmen auch im Wettbewerb.
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Dann aber echte Wow-Momente! Wer hätte das gedacht? Es gibt kaum eine bessere Erfahrung, als meine sehr persönliche mit diesem Eröffnungsfilm: Da mag man einen Regisseur eigentlich überhaupt nicht, sitzt entsprechen kühl abwartend im Kino, und plötzlich findet man etwas von ihm total super. Toll, schön, dass einem das weiterhin passiert.
Und zugleich kurz der Gedanke: Das kann ja heiter werden, wenn jetzt jeder Film die Erwartungen derart unterläuft, wie Anderson.
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Woody Allen ist üblicherweise ein Stammgast im Wettbewerb von Cannes. Merkwürdigerweise lief sein neuester Film, To Rome with Love, bei dem es sich um eine moderne Version von Bocaccios klassischem Renaissance-Liebesreigen »Decamerone« handeln soll, aber bereits vor zwei Wochen in Italien an, wo der Film auch produziert wurde – damit ist er trotz Stars wie Penelope Cruz, Roberto Benigni und Alec Baldwin für Cannes verbrannt. Trotzdem fehlt der witzigste Regisseur des amerikanischen Kinos nicht an der Croisette: Woody Allen: A Documentary heißt Robert B. Weides Dokumentarfilm über Persönlichkeit und Schaffen des Kultregisseurs, die im Rahmen der Spezialreihe »Cannes Classics« präsentiert wird. »Was Sie schon immer über Woody Allen wissen wollten« trompetet das Marketing – doch da der Filmemacher mit diesem Projekt kooperiert hat und an der Cote d’Azur sogar für Interviews zur Verfügung steht, darf man keine großen Enthüllungen oder Tabuverletzungen erwarten, vermutlich auch keinen »allenesken« schwarzbösen Humor bei der Betrachtung seiner Hauptfigur. Der Film, für den der Regisseur den als überaus scheu geltenden Allen zwei Jahre lang begleitete, ist ein kurzweiliges Kinoerlebnis, gesäumt von viel Archivmaterial und Ausschnitte aus Allens Komödien.
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Kurz darauf ging der Wettbewerb gleich weiter mit einem Film, der in jeder, wirklich jeder Hinsicht das Gegenteil von Moonrise Kingdom war. After the Battle von Yousry Nasrallah ist sozusagen Cannes' verspätete Verbeugung vor dem Arabischen Frühling, der inzwischen zu einem Winter des Missvergnügens geworden ist. Nasrallah beschwört noch einmal das brodelnde Klima vom Kairoer Tahrir-Platz im Januar/Februar 2011. Das ist dort sehenswert, wo er in seine völlig fiktionale Inszenierung dokumentarische Bilder eingebaut hat. Man spürt die Intensität und Energie des Aufbruchs. Interessant sind auch bestimmte Beobachtungen: Etwa die mediale Präsenz des Aufstands. Ob im Fernsehen, im Radio, ob über Mobiltelefone und Internet-Netzwerke, ob in den Gesprächen der Leute, ob beim Blick aus dem Fenster – keiner der seinerzeit in Kairo lebte, und sich nicht ohne Medienverbindung in sein Zimmer einschloss, konnte den Ereignissen entkommen.
Der Rest des Films ist allerdings völlig wertloser, naiver Naturalismus. Mit miserablen Schauspielern erzählt After the Battle von der Liebe einer reichen Frau zum Proletariat: Zunächst verguckt sich die frisch geschiedene moderne Rheem in einen verheirateten Arbeitslosen. Als die aufkeimende Romantik zu stocken beginnt, denn Proletarier sind konservativ, beginnt sie sich
um seine Familie zu kümmern, und wird zu einer Art guter Fee der Erniedrigten und Beleidigten im Armenviertel Nazlet, unweit der Pyramiden. Das kann nicht gutgehen, zumal Rheem, auch noch mit der Revolte sympathisiert und moderne Gedanken verbreitet, bald aber merken muss, dass man die als »amerikanische und zionistische Ideen« diffamiert, und dass das so reaktionäre wie dumme Volk gar nicht befreit werden möchte, erst recht nicht von höheren Töchterchen ohne Schleier, aber mit
Flausen im Kopf. Denn deren böse Väter zahlen besser, wenn sie Schlägertrupps brauchen, um die Demonstranten zu verprügeln. Die Welt ist also auch in Ägypten so schlecht wie immer, darum kehrt Rheem in ihr Appartement zu ihrem apple-iBook und ihrem Mulholland Drive-Poster zurück.
Am besten gefiel mir noch der böse dicke Reiche, der auf dem Laufband schwitzend abspeckt, während er
Dialog-Sprüche aufsagt wie »The country will exactly be what it was, but without Hosni Mubarak.« Oder »Dont shit where you eat.« Und der ansonsten für den Ernstfall im Pferdestall ein beeindruckendes Waffenlager hortet, mit Handgranaten und Uzis.
Das ist natürlich nur im Kino lustig.
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»Da muss man gar net drüber schreiben«, meinen unsere österreichischen Freunde am nächsten Morgen, »der kann’s eh nicht besser. Der Audiard aber, der kann’s besser, darum muss ma den verreißen.«
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Stimmt..., ja..., leider. Doch... Der hier hoch gehandelte französische Autorenfilmer (Un prophète) machte den ersten Film im Wettbewerb, der die Gemüter spaltete, und enttäuschte gerade die Hälfte all derjenigen, die von ihm besonders viel erwarteten. Die andere Hälfte mochte den Film genau deshalb, weil er wieder lieferte, was ihnen gefällt.
Ich selbst mochte Jacques Audiards Filme, war aber nie so enthusiastisch, dass ich nun mit irgendwelchen Offenbarungen rechnete. Insofern ist De rouille et d’os (»Rust and Bone«) für mich nur eine leichte Enttäuschung, weil ich Un besser fand. Zugleich aber bestätigt der Film auch Stärken wie Schwächen dieses Filmemachers. Gerade die Haupt-Schwäche, die schon immer sichtbar war, das Konstruierte der Story und ein schwerer, tragischer Symbolismus von allem und jedem, kommen diesmal deutlicher heraus.
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Die ersten Worte heißen »J'ai faim«/»Ich hab Hunger«, die letzten gut zwei Stunden später »Je t'aime«/»Ich liebe Dich«, und diese zwei Eckpfeiler markieren den Bogen und den Gang der Dinge. Die ersten Bilder zeigen Wasser, Blut darin, ein Baby, man glaubt zu wissen, aber weiß doch nix, wie man erst später begreift. Dann Schnitt, ein junger Vater mit seinem kleinen Sohn, sie sind ein bisschen schmutzig und machen Autostop. »Oh je, Elend« notierte ich, noch bevor der Junge dann jammert: »Ich hab Hunger«. Der Vater hat kein Geld, er sammelt im Zug zurückgelassenes Essen, ein kleiner moralischer Seitenhieb auf die böse Wohlstandsgesellschaft und Essenswegschmeißer, es wird nicht der letzte bleiben. Dazu Kitsch-Musik; klimper, klimper. Der Vater, inzwischen sind sie an der Cote, stiehlt auch noch einen Fotoapparat, nur um dem Bub wieder ein Spielzeug zu kaufen. Er liebt seinen Sohn, das wird vorausblickend deutlich etabliert.
Es fängt also ganz blöd an, wird aber dann besser. Der Typ heißt Ali, und zieht mit dem Sohn, den er von einer unsichtbaren bösen Mutter geholt hat, zu seiner Schwester. Die arbeitet in Antibes in einem Supermarkt an der Kasse, im Kühlschrank gibt es viel Joghurts und andere abgelaufene Ware, auch das wird deutlich etabliert, auch das wird wichtig.
Ali kann kickboxen, sonst nicht viel, also wird er Sicherheitstyp, steht an einer Discotür. Dort lernt er eine junge Frau kennen, als die verprügelt wird. Er bringt sie nach Haus, sagt ihr, sie sähe aus »comme une pute«, sie findet ihn auch sonst ganz nett.
Jetzt sind wir und die Kamera eine Weile bei ihr. Stephanie arbeitet in der Wal-Show von Marineland, und diese Minuten, in denen Audiard die erste Show zeigt, sind mit die besten des ganzen Films: Man guckt einfach zu bei den Übungen, sieht die riesigen Tiere und ihre Kunststücke, und spürt Stephanies geradezu zärtliches Verhältnis zu ihnen, spürt auch die Gefahr, die dabei immer in den »Killerwalen« liegt. Das ist wirklich toll gemacht, wie hier diese Gefahr angedeutet wird, wie bei Audiard immer, etwas zu deutlich, quasi mit Ansage, trotzdem in diesem Fall gut, denn es überrascht dann doch, wenn plötzlich einer der Wale aus dem Bassin schießt, die Plattform auf der die Dresseure stehen, zerschmettert, und Stephanie plötzlich im Wasser ist, und Blut darin. Remember? Erstes Bild!
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Als sie aufwacht, hat sie keine Beine mehr, auch das dauert einen Moment, bis man es als Zuschauer merkt, zumal Stephanie von Marion Cotillard gespielt wird, die, das muss auch mal gesagt sein, hier super ist. Gar nicht so zuckersüß und allerweltshübsch wie sonst, natürlich gut aussehend, aber mit einem harten, proletarischen Zug. Und wie gesagt: Ohne Beine. Wirklich ohne Beine, nur mit zwei hässlich vernarbten Stümpfen am Knie! Es dürfte mit einigem Abstand vielleicht das größte Problem dieses Films sein, dass man sich dauernd, bei jeder neuen Szene, die die nackten Beinstümpfe der Cotillard ausstellt, fragt: Wie ham sie das jetzt gemacht? Zumal vieles draußen spielt, man Haut sieht, das Wasser, den Körper von Sam, der sie ins Wasser trägt. Natürlich: CGI, Cotillard hatte grüne Strümpfe an, am Computer ist heute alles möglich. Aber es lenkt eben ab, so wie 3D. Und das subtile Ausstellen dieses Effekts, der spürbare Macherstolz, tun ein Übriges.
Audiard hatte schon in Un prophète eine Schwäche für Körper-Diskurse, für Varianten von Muskeln und Fleisch, und ein bisschen erscheint dies hier alles als Selbstzweck.
Sam rückt wieder ins Zentrum, er wird gespielt vom Belgier Mathias Schoenaerts, dem Star von Bullhead und in mancher Hinsicht ist
De rouille et d’os eine Art Bullhead II. Auch Ali ist ein Schweiger, auch er wird etwas zu schnell wütend, auch er kann vor allem zuschlagen, auch er ist innen ganz zart, kann aber nicht über Gefühle reden.
Und so nimmt alles seine Lauf: Die beiden werden ganz lange kein Paar, sind nur »gute Freunde« nicht ohne Gelegenheitssex mit Beinstümpfen. Dafür verdient Ali Geld als Boxer – da zeigt uns Audiard mal einen blutigen Zahn. Allein im Bild. Ach nee, warum nur? – sie wird seine Managerin. Irgendwann aber müssen die losen Neben-Erzählfäden wieder aufgenommen werden, darum wird Alis Schwester vorhersehbar entlassen, sie macht vorhersehbar zu Unrecht Ali dafür verantwortlich, Ali haut vorhersehbar schweigend ab.
Es folgen zwei Epiloge, die diesen durchwachsenen Film auf hohem Niveau endgültig kaputt machen: Zuerst bekommt Ali Besuch von Sohn Sam. Ein Winterspaziergang im Schnee, doch als er mal kurz beim Pinkeln wegguckt, ist der Sohn prompt ins Eis eingebrochen. Doch dann hilft diesem Nichtsnutzpapa seine dumme, saublöde Kraft am Ende doch noch, indem er den Bub wieder herausholt, indem er das feste Eis einfach per Hand aufprügelt. Nochmal Wasser und Blut, remember again? Erstes Bild!
Und dann dient das Unglück in der Kälte auch noch dem emotionalen Auftauen: »Je t'aime« sagt er am Telefon zu Stephanie. Und Bilder unter Musikgeklimper zeigt uns, wie Gott ihn belohnt: Ali wird Weltmeister in wasauchimmer und wohnt mit Kleinfamilie plötzlich im Sheraton...
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Hm. Wieviel Kolportage da drin steckt, merkt man erst später, wenn man zum Nachdenken kommt: Zwei Ungleiche, die trotz vieler Hindernisse zusammenfinden. Die gute Leistung der beiden Hauptdarsteller wird ein bisschen durch die allzu absehbare Handlung überlagert. Die Moral des Films reduziert sich darauf, dass man auch als Krüppel glücklich sein kann, und dass Frauen es generell toll finden, wenn Männer nett zu Kindern sind. Aber das wussten wir schon vor diesem Film.
Ansonsten
nutzt es auch nichts, dass der Regisseur im Presseheft an die Romanvorlage von Craig Davidson erinnert, an die »Ästhetik der Großen Depression«. Und wenn man sowas mal mit Antonioni vergleicht, oder anderen, die früher im Cannes-Wettbewerb liefen, ist es endgültig Müll.
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Kuriose Folge am Rand: Den ganzen Tag über sehe ich jetzt plötzlich überall Menschen ohne Beine. Der eine sitzt aber nur im Schneidersitz beim Schreiben, im andern Fall hat einfach ein Möbelstück den Blick auf die Unterschenkel verdeckt.
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Noch in paar weitere Stimmen zu unserer Privatumfrage, auf welchen Film sich die Kollegen hier am meisten freuen: Janet Baris aus Istanbul, die zum ersten Mal in Cannes ist, nennt Haneke an erster Stelle, dann Matteo Garrone, und Abbas Kiarostami, obwohl der ja in Japan gedreht hat. Hoffen wir, dass Janet recht hat. Josef Lederle aus Köln sagt dagegen : Im Sang-soo.
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Dann 'rüber, zur Eröffnung der Sektion »Un Certain Regard«. Es läuft zunächst einmal ein schrecklicher pro-Haiti-clip. »Artists for peace and justice«. Ach was. Warum nicht »for war and injustice«, das wär' wenigstens was. Bitte bitte, Herr, gebe uns Zeiten, in denen Künstler wieder Vereinigungen gründen, die gescheitere Titel haben.
Sean Pean macht mit und Paul Haggis – und genau so allgemeinverbindlich deppert sind auch deren Filme.
Dann bitte der »Künstlerische
Direktor« von Cannes die Jury nach vorne, stellt vor, die hübsche gucke ich mir ganz genau an, und dann bekommt Jurypräsident Tim Roth das Wort: Er sagt die üblichen Platitüden, aber dazwischen: »By the way: Welcome to socialist France ... quit the fucking past!«
Genau!
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Der Eröffnungsfilm dieser zweiten offiziellen Sektion ist dann der neue Film von Lou Ye, dem sehr eigenwilligen Chinesen, der hier schon zweimal im Wettbewerb vertreten war, mit Summer Palace (2006) und Spring Fever (2009). Einer meiner persönlichen Lieblingsregisseure, ein Vertreter der Sechsten Generation, politischer, als viele Kollegen. Er hat gerade ein fünfjährigres Berufsverbot hinter sich. In dieser Zeit hat er allerdings zwei Filme gemacht – »das war« wie er sagt, »meine art zu zeigen, dass ihr Bann undurchsetzbar war.«
Mystery ist eine komplexe Beziehungsgeschichte über eine Frau, die dahinter kommt, dass ihr Mann ein Doppelleben führt, und mit einer anderen noch ein Kind hat.
Im Prinzip ein Portrait chinesischer bourgoiser Thirtysomethings. Ein melancholischer Film, erfüllt von ganz viel Leben.
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Gleich muss ich in den nächsten Film, aber im Presseraum kommt es zu einer lustigen, sehr sprechenden Verwechselung: Ich treffe eine Kollegin, die ich ein paar Stunden zuvor in Fatih Akins sehr ernst gemeintem Ökodrama Müll im Garten Eden gesehen hatte: Ich will wissen, wie sie den Film fand, fange aber, statt zuzuhören gleich selber an zu reden: »In dem Film steckt ja auch 'ne Provinzkomödie drin.« sage ich, »Und wie dann der Damm bricht am Ende, und die Flut kommt, das ist ja absurd. Wie in einer Klamotte. Aber der Film ist viel zu lang, und kommt nicht richtig auf den Punkt. Da stecken eigentlich drei Filme drin.« Sie nickt immer mit dem Kopf und ist ganz meiner Ansicht, bevor wir nach etwa drei Minuten doch darauf kommen, dass sie die ganze Zeit über glaubt, ich spräche vom neuen Ulrich-Seidl-Film, Paradies: Liebe, den sie selbst gerade gesehen hat. Ich gehe aber erst später rein. Aber man könne das alles, versichert sie, tatsächlich auch über den neuen Seidl sagen. Ich würde schon sehen...
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Wir wollen unseren Seidl natürlich nicht missen. Ich gucke mir jeden Seidl an, aber inzwischen hat das auch etwas Masochistisches. Man weiß: Man wird jetzt etwas sehen, was man nicht sehen will.
Ulrich Seidl ist dennoch auch der Kulminationspunkt eines gewissen Kinos, das zwar unbedingt sehenswert ist, dass fast alle von uns aber auch ein bisschen fürchten: Die Elendsfilme, deren Regisseure unserer Ansicht nach insgeheim Menschheitsfeinde sind, die auch ihr Publikum leiden sehen wollen.
Sie stehen absolut unter Misanthropie-Verdacht. Im Wettbewerb von Cannes finden sich in diesem Jahr gleich mehrere solche Menschenfeind-Regisseure, die mit diesem Typ Film ihre Karriere gemacht haben: Seidl ist nur der erste in der Reihe: Es folgen noch Christi Mungiu, Carlos Reygadas, und Sergej Loznitza.
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Glaube, Liebe, Hoffnung – diese Dreieinigkeit des Katholizismus untersucht Ulrich Seidl in seinem neuen Projekt, das uns im ganzen folgenden Jahr noch weiter beschäftigen wird. Es sind gleich drei Filme, die er gerne alle drei in Cannes gezeigt hätte, aber Thierry Fremaux wollte offenbar nicht, und tatsächlich denkt man: Einer ist erstmal wirklich genug. Wobei die Idee eines Tryptichon über Religion, bzw. religiöse Motive natürlich ihren Reiz hat. Paradies: Glaube soll von einer katholischen Missionarin erzählen, Paradies: Hoffnung von einem Teenager-Mädchen in einem Diätcamp. Nur dass dies alles wenn man halbwegs bei Sinnen ist, nicht anders, denn als Ironisierung religiöser Motivik verstanden werden kann. In Paradies: Liebe erzählt Seidl nahe an einem Dokumentarfilm von einer Gruppe von älteren Frauen, die in Kenia Urlaub machen – als Sextouristinnen.
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Dies ist nicht der erste Film zum Thema – denken wir an Vers le sud – aber der proletarischste: Die Schwarzen heißen hier Neger, und gleich nach dem Film notiere ich mir: Wenn die Neger auch noch singen würden, könnte dieser Film immer wieder eine faschistische Revue sein. Das ist natürlich ein hartes Urteil, aber wie soll man es denn sonst nennen, wenn drei Afrikaner in einem Schwimmbad – schön Schwarz auf Blau – bei gleißendem Sonnenschein auf exakt gleicher Höhe im gleichen Tempo nach vorn schreiten. Wenn sie am Ende rhythmisch das Rad schlagen. Wenn sie dazwischen schweigend und bewegungslos auf einer Linie stehen und in die gleiche Richtung gucken. Es gibt noch mehr von solchen Ballettmomenten, wo alles, vor allem Schwarzafrikaner und Möbel so hübsch ordentlich aufgestellt sind.
Und wenn auch noch die schönen nackten Männerkörper und ihre langen Schwänze ausgestellt, pardon: ins Bild gesetzt werden, denkt man spätestens auch an Leni Riefenstahl und die Nuba. Wohlgemerkt: Damit möchte ich Seidl keinen Faschismus-Vorwurf machen, das liegt mir fern. Aber man muss feststellen dürfen dass es ästhetische Anklänge gibt, und dass Seidl an manchen Abgründen nur ganz haarscharf vorbei schrammt.
Ähnlich, von der anderen Seite kommend, scheint es auch der Kritiker von »Variety« empfunden zu haben: »Salo mit Sonnenbrand« schrieb er – das können nur puritanisch verschreckte Amerikaner schreiben. Schön wär’s, denke ich.
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Der arme Ed Lahman hab ich gedacht, weil der doch mehr anarchistisch veranlagt ist, und wo haben wir hier noch irgendeinen Anarchismus? Paradies: Liebe ist zuallererst einmal überraschend langweilig. So ging’s mir noch nie mit Seidl. Der Film zieht sich ungemein.
Es geht zwar los mit einer tollen Szene und dem ersten echten Seidl-Bild: Eine Gruppe von Mongoloiden fährt
Autoscooter. Dann sieht man deren Betreuerin, sie schleppt Tüten. Verabschiedet sich von Tochter und Schwester – das werden dann die Hauptfiguren der nächsten Filme. Dann Afrika. Typische Seidl-Bilder: Wohlgestylte Halbtotalen. Die Hauptfigur Theresa reinigt ihr Zimmer mit Desinfizierspray. Sie lernt andere alleinreisende Frauen ähnlichen Alters kennen.
Gespräche über den eigenen, zunehmend unattraktiven Körper: »Ich scheiß mi nix mehr. Jetzt nehms' mi so, wie i bin.« Der Zynismus den diese Frauen sich selbst, ihrem eigenen Körper gegenüber haben, gefällt mir ganz gut. Da mag Seidl später noch zehnmal sagen, dass er diese Leute alle wahnsinnig liebt und schön findet, aber er muss doch konstatieren, dass sie es selber nicht tun. Interessant wäre es, den Film vor lauter Frauen zu zeigen, die genau so drauf sind. Deren Reaktion sähe ich
gern.
Gespräche über den Reiz des Fremden. Was die Afrikaner für die Frauen attraktiv macht, ist dass sich die Frauen wieder begehrenswert fühlen dürfen.
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Für Seidls Verhältnisse ist alles recht straightforward erzählt. Mainstream fast. Es geht um Einsamkeit, ja klar. Sagt Seidl dann auf der Pressekonferenz selber. Aber bitteschön um was denn auch sonst? In Seidls Filmen (und in gefühlt 70% der übrigen Autorenfilme) geht’s immer um Einsamkeit. Das ist banal, und es ist enttäuschend banal, was der Regisseur zum Thema zu sagen hat.
Nämlich, dass die Frauen auch als Sextouristinnen immer einsamer werden. Dass sich Afrika
entzieht, wie die Affen auf dem Balkon – die Erfahrung wird Theresa machen, und zur richtigen »Suger Mama« werden, die sich ihre »Beach Boys«kauft. Und dass die Ökonomie am Ende am mächtigsten ist.
Der Film könnte also auch einfach heißen: »Theresa oder: Die Interessen einer blonden Weißen können nicht die Interessen der Afrikaner sein.«
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Natürlich muss man hier auch die Klassenfrage stellen. Die Frauen sind Kleinbürger- bis Unterschicht. Zu Hause. In Afrika werden sie plötzlich zur Oberschicht, weil es hier Menschen gibt, die sozial noch weit drunter stehen. Die Opfer werden zu Ausbeutern. Das sagt Seidl sehr deutlich, und damit auch: Der Mensch ist schlecht, entsprechende Abgründe schlummern in uns allen. Das finde ich banal, weil tausendmal gehört. Wichtiger noch: Mich interessiert’s nicht, und zwar, weil mich der Regisseur zu sehr auf Distanz hält.
Die Leute reden hier, wie sie eben reden. Die Österreicherinnen sagen Worte wie »Blunzengröstl«, die Afrikaner radebrechen wie in Onkel Toms Hütte: »Keine mehr Liebe.«
Der, der das macht, redet so aber nicht. Er ist ein Großbürger und Intellektueller, der Filme für seinesgleichen dreht. Was er natürlich darf und andere auch tun. Aber ein Haneke oder Resnais oder Desplechin oder viele andere machen dann auch Filme über ihresgleichen, und wenn sie, wie Woody Allen oder Ken Loach, Figuren aus den »niedrigeren Ständen« zeigen, geben sie sie nicht so zwanghaft preis, wie Seidl. Nie tun seine Figuren etwas Unerwartetes, Unstandesgemäßes.
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Was man auch stellen muss, ist die Rassenfrage. Was ich mich nämlich weiterhin frage, ist, ob es angemessen ist, Seidl Rassismus vorzuwerfen, oder doch ungerecht? Wie er die Afrikaner zeigt, mag das im naturalistischen Sinne schon irgendwie stimmen – viele Afrikaner »sind so«, aber es ist doch sehr einseitig. Die Afrikaner sind nur aufs Geld der Weißen aus, sind gerissen, dabei doch naiv, und prostituieren sich alle. Hm. Seidls-Afrika-Bild ist ohne jede erkennbare Neugier. Ohne jeden Anarchismus. Darum passt hier die Rede von der Exploitation.
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Seidls Bilder sind ausgezeichnet und hochästhetisch. Aber sie zeigen nichts, was man nicht bereits kennen würde, bewegen sich vielmehr oft stark an der Oberfläche, vor allem wenn er Afrikaner zeigt. Sein Mitleid mit Sextouristinnen, deren Einsamkeit und Sehnsüchte er ernst nimmt, glaubt man Seidl – und moralisch angreifbar ist es auch nicht, denn er zeigt, dass das Verhältnis zu den Afrikanern ein Geben und Nehmen ist. Dennoch: Es fehlen Überraschungen, es fehlt ein Moment des Suchens in einem besserwisserischen, glatten, allerdings sehr gut gemachten Film.
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Keine Hand regt sich zum Applaus am Ende der Pressevorführung. Und man schleppt sich schon am ersten Tag reichlich müde, um zehn Minuten nach Mitternacht aus dem Kino. Treffe Diego und die Spanier, Augenrollen, alle müssen noch schreiben, man geht nur zu McDonalds.
Ich trinke noch ein Bier, zusammen mit meinem Computer, und hacke Notizen in die Tasten. Um einsam zu sein, muss man jedenfalls nicht nach Afrika fahren
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Man möchte danach erstmal duschen, schreibt am nächsten Tag die Variety über Paradies: Liebe. Ich denke zweierlei: Erstens sollte Seidl auch mal mit Kindern arbeiten, wie Wes Anderson, das würde seinen Filmen gut tun. Zweitens: Was mich noch mehr nervt, als die Haltung dem Sujet gegenüber, ist Seidl penetrante ästhetische Pädagogik. Die langen stylischen Einstellungen auf Hässliches, aber von ihm per Kamera Lackiertes. Seidl macht’s mit den Bildern im Grunde nicht anders, wie die Alte mit ihrem Desinfizierspray. Und diese Bilder sagen dem Zuschauer dauernd: Hier musst Du jetzt gefälligst hingucken.
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»It’s a rotten world«, »es ist eine dreckige verfaulte Welt« sagt die Hauptfigur, ein reaktionärer orthodoxer Priester in dem insgesamt fragwürdigen rumänischen Exorzismus-Film Beyond the Hill (Dupa dealuri) von Cristi Mungiu, dem zweiten großen Elendsfilm im Wettbewerb, der ein typischer »Messagemovie« ist, der um Bedeutung buhlt, und dessen – zuende gedacht: reaktionäre – Botschaft sich hinter den bekannten, längst zur Pose erstarrten Gesten des gegenwärtigen europäischen Kunstkinos – Lakonie, lange Einstellungen, Verzicht auf Musik, schockartige Gewaltakte in unerwarteten Momenten – gut versteckt.
Zudem ist seine Handlung recht beliebig interpretierbar und daher konsensfähig: In einem rumänischen Nonnenkloster, überaus karg, ohne Wasser und Strom, versucht eine junge Frau, Alina vergeblich, Voichita, ihre beste Freundin, die dort Nonne geworden ist, aus den Klauen eines fanatischen Popen zu befreien. Man nimmt das einsame Mädchen auf, das sich aber bald merkwürdig benimmt. Statt die offenkundige psychische Störung zu behandeln, wird das Mädchen zunächst zur Außenseiterin; später praktiziert der fanatische orthodoxe Priester an ihr eine Teufelsaustreibung: Sie wird mit Metallketten an ein Kreuz gefesselt und gefoltert, man entzieht ihr Nahrung und Wasser, und an der an der gewalttätigen »Teufelsaustreibung« geht sie schließlich zugrunde.
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Der Priester heißt hier »Papa«, eine verräterische Gleichsetzung, und nochmal verdoppelt, da Voichita einst aus dem Waisenhaus kam. Der Papa ist ein reaktionärer Depp und führt schlaue Tischgespräche mit Gott und sich selbst, die Mädels hören mit großen Augen zu: »The West has lost the true faith ... drugs everywhere. When sins are forgiven, man finds peace ... God has a plan for you... God gives us what we want, no what we need. ... God is trusting you.«
Die anderen
Nonnen gucken nachsichtig auf Alina, und geben ihr irgendwann den Katalog der 464 Sünden der Orthodoxen Kirche zu lesen.
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Dass ist dann einer der Momente, wo der Film abkippen könnte in eine absurde Komödie, wo die versteckte Komik ausbrechen könnte. Man sieht geradezu vor sich, was sich aus dem Szenario in der Hinsicht machen ließe. Oder ein trashiger C-Movie, ein rumänischer Girls-Camp-Film, mit Frauensex und Duschszene. Weinkrämpfen vor der Ikone...
Aber leider gibt es aber auch gar nichts zu lachen. Der Film meint sich selbst gar zu ernst, zumal er in seinen blau-grau-braun-schwarz-Farben einen angeblichen realen Vorgang nacherzählt, den die Journalistin Tatiana Niculescu Bran in einem Buch beschrieben hat.
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Dupa dealuri ist im Stil prätentiös, in der Botschaft miserabilistisch. Die Botschaft des Films ist vor allem die, wie schrecklich die Welt und die Menschen sind. Spekulativ ist die distanzierte Machart des Films, die es erst möglich macht, ihn als Metapher auf alles und nichts zu verstehen: Mungiu hält sich bedeckt in Bezug darauf was er uns mit dieser fürchterlichen, trotzdem recht banalen Geschichte eigentlich sagen will: Das Panorama der kollektiven Hysterie der Nonnen und ihres Priesters kann man als eine Parabel auf religiösen Wahn ebenso verstehen, wie als Kritik der Hexenjagden des Stalinismus, Kritik politischer Fundamentalismen jeder Art, ebenso aber auch als kulturpessimistische, reaktionäre Abrechnung mit der liberalen, demokratischen Gesellschaft der Gegenwart, die der Film nur mit Verachtung straft.
Man kann sagen: Es geht hier um die Spannungen zwischen dem Säkularen und dem Spirituellen, der Gruppe und dem Einzelnen, innerhalb der materiellen Mauern eines Klosters und den psychologischen Mauern der Religion.
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Ganz ganz ganz schlimm ist aber das Ende: Die Polizei verhaftet Popen und Nonnen, fährt sie mit einem Wagen in die winterlich verschmutzte Stadt. Unterwegs schimpfen die Polizisten. Der letzte Satz: »What a state the world is in...« In dem Moment fährt ein Auto vorbei, und eine große Dreckpfütze platscht auf die Autoscheibe, und langsam rinnt der Schmodder die Scheibe herunter.
Damit entlarvt sich Mungiu endgültig als der, der er ist: Ein Exploitation-Filmemacher par
excellence, der effekthascherisch sich für nichts Grelles zu schade ist; berechnend, sensationalistisch, menschen- und zuschauerfeindlich. Trunken von der eigenen Bedeutung.
Wie Seidl ein Paradebeispiel dafür, wie das Kunstkino längst das wahre Exploitation-Kino geworden ist.
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»Tough hill to climb« schreibt Justin Chang in der »Variety«.
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Einmal haben Violeta aus Barcelona neben mir und ich doch gelacht: Als der Pope zur Obernonne den Satz sagte: »God is testing us with this Girl« murmelte ich: »God is testing us with this movie.«
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Heiß diskutiert wird an den ersten Tagen die sogenannte Frauenfrage, sprich: Die Gründe dafür, warum diesmal keine einzige Regisseurin im Wettbewerb vertreten ist. Der Kommentator von »Le Monde« lästerte, obschon die Tageszeitung Cannes-Medienpartner ist, zum Auftakt kräftig über die vermeintliche Frauenfeindlichkeit der beiden starken Männer von Cannes, Gilles Jacob und Thierry Fremaux, der zudem auch noch bekennender Schwuler ist. Fremaux verteidigte seine Entscheidungen einleuchtend, in dem er zum einen auf die drei Regisseurinnen in der Sektion »Un Certain Regard« verwies, und dann sinngemäß sagte, man könne dann ja auch gleich Quoten nach Kontinenten, Kulturen, religiöser und sexueller Orientierung aufstellen. Auf der Pressekonferenz der Jurymitglieder antwortete dann die direkt angesprochene Andrea Arnold, die bereits zweimal im Wettbewerb vertreten mit dem klassischen und etwas abgestandenen Argument gegen jede Quote: Sie wolle doch eingeladen werden, weil ihr Film gut ist, nicht, um noch eine Frau für den Wettbewerb zu finden.
So ganz versteht man(n) die große Aufregung und den Zorn mancher Kolleginnen nicht, denn erst im letzten Jahr liefen allein im Wettbewerb schon vier Regisseurinnen. Ein wenig erinnert mich das alles daher an inzwischen sehr alte Reflexe. Und ist es denn wirklich nur ein Zeichen für versteckten Machismo meinerseits und bei anderen Kollegen, dass sich über so etwas fast immer nur Frauen aufregen? Oder doch auch ein ranzig gewordener Feminismus, der verzweifelt nach echten Gegnern sucht? Klar wir Männer sind ja nicht betroffen. Aber das ist es ja gerade: Der Zwang der Gruppenidentität. Warum müssen sich Frauen über eine fehlende Frau – ein völliges Abstraktum, denn nie wird hier erwähnt, welche Frau und welchen Film man denn bitteschön hätte unbedingt einladen müssen – eigentlich mehr empören, als darüber, dass Woody Allens fertiger Film nicht in Cannes läuft, und nicht der neue von Terrence Malick, und nicht der neue von Wong Kar-Wai. Da heißt es dann, der sei halt nicht fertig geworden, was man immer sagt, wenn einer der »Üblichen Verdächtigen« dann doch nicht in Cannes läuft, oder Malick werde in Venedig laufen, denn der Mann wolle halt den Grand Slam der Regisseure gewinnen – Goldene Palme und Goldenen Bär hat er schon, den Goldenen Löwen nicht. Oder die Entschuldigung sind, wie bei Cronenbergs Freud-Film im letzten Jahr, die angeblich fehlenden Stars. Als ob wir es glauben, dass Keira Knightley wirklich irgendeine Londoner Theateraufführung nicht für einen Abend mal absagen würde, um an der Croisette zu sein.
Aber bei einer Frau waren es natürlich geschlechterpolitische Vorurteile, wenn der Film nicht gezeigt wird. Da wird dann auf angebliche Männerkartelle verwiesen, die es natürlich gibt, ohne aber auch nur mit einem Nebensatz zu erwähnen, dass die gleichen Kartelle im letzten Jahr überaus frauenfreundlich entschieden haben. Pardon, das war jetzt wieder so ein typisch männliches Vorurteil, denn im letzten Jahr waren die Einladungen natürlich nicht frauenfreundlich, sondern nur recht und billig.
Aber vielleicht ist es doch so gewesen, dass ja wirklich die diesjährigen Filme von Frauen einfach zu schlecht waren? Nein, das kann nun wirklich nicht stimmen. Das beste Argument gegen diese These lieferte gestern Alexandra aus Wien: Noch schlechter wie der Ägypter, meinte sie, könne der Film irgendeiner Frau auch nicht gewesen sein.