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christian schoen Visuelle Labyrinthe Neue Bildmedien - Kunsthistorische Positionen
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Seit mehreren Jahrzehnten erhitzen sich die Gemüter an den
sogenannten ‘neuen Medien’ (was immer darunter zu verstehen ist).
Die Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen, die
politischen Chancen oder die aus den Naturwissenschaften erwachsenen
Gefahren durch die neuen, technischen Möglichkeiten, sorgen
hier für Diskussionsstoff. Bei diesen Debatten geht es jedoch
weniger, um den tatsächlichen Nutzen, der aus dem Internet
beispielsweise zu ziehen ist, als um ein visionäres Spektakel.
In den Begriffen wie "Cyberspace, Virtuelle Realität, Künstliche
Intelligenz oder gar künstliches Leben” drückt sich
der Wunsch nach der Überwindung aller irdischer Zwänge
aus. Die Utopie einer technoiden Gesellschaft, wie sie wohl -
im Hinblick auf die Kunst - am deutlichsten zu Beginn des Jahrhunderts
im Futurismus manifestiert wurde, scheint zum Greifen nahe. Unzählige
Philosophen, Literaten und Künstler haben sich an diesem
utopischen Spektakel beteiligt und tun es noch, ohne daß
die Technik wirklich soweit wäre, diesen Wunsch zu befriedigen.
Die Beeinflussung der Kultur durch die ‘neuen Medien’ wird jedoch
keineswegs nur positiv gewertet. Pessimisten sehen hierin vielmehr
eine zerstörerische Gefahr für die Gesellschaft. So
stehen sich futuristische Technikbegeisterung und Zivilisationskritik
gegenüber. Die Kunst setzt sich mit den Gefahren und Hoffnungen,
die mit den neuen Technologien verbunden sind, schon seit geraumer
Zeit auseinander, die Disziplin Kunstgeschichte hingegen - zumindest
in München - so gut wie gar nicht. Warum auch?: Kunstgeschichte
hat sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Die Medien sollen von
einer Medien- oder Technikgeschichte erforscht werden. Für die Kunst boten neue Bildmedien immer die Möglichkeit Themen neu anzugehen. Man denke beispielsweise an die Rolle des Videos für die Körper- und Identitätsthematik Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre und die Frage: Was ist Realität (Aufnahme und Wiedergabe in Echtzeit oder das sog. Closed Curcuit-Verfahren). Die Frage nach Wirklichkeit, nach Authentizität stellte sich aber nicht nur beim Video, und heute dem Cyberspace, sondern war schon im letzten Jahrhundert mit dem Aufkommen der Fotografie das Thema. Einen wesentlichen Teil nämlich seiner Aussage bezieht ein Kunstwerk aus der Art und Weise wie es sich dem Betrachter präsentiert - und das nicht erst seit der Fotografie. “The medium is the message” ist der Leitspruch, der erst recht im Medienzeitalter für die Kunst gilt, und somit auch vom Kunsthistoriker fordert, sich mit den Erscheinungsformen der Bilder auseinanderzusetzen. Nicht
zuletzt bedingt durch neue Bildtechnologien haben sich grundlegende
Dinge im Umgang mit Kunst verändert: Das einzelne Kunstwerk
muß sich gegenüber der Bilderflut von Werbung und
Fernsehen abheben, und daß obwohl viele Künstler auf
die selbe Technik zurückgreifen. Der Künstler selbst
verschwindet hinter der Technik, die sein Bild konstruiert. D.h.
der einstige subjektive Pinselstrich fehlt - das Kunstwerk wird
objektiviert und verliert seine Einzigartigkeit (oder eben seine
Aura, um Walter Benjamin ins Spiel zu bringen). Der Kunstbetrachter
kann sich nicht zurücklehnend dem Bild hingeben, sondern
muß aus der Fülle des visuellen Angebots selektieren
und unter Umständen aktiv an der Entstehung der Arbeit mitwirken.
Daß sich mit der wandelnden Präsenz von Kunst schließlich
auch das Präsentieren von Kunst verändert, ist eine
weitere Folgeerscheinung, die die Ausstellungspraxis betrifft. Die Allgegenwart der Bilder ist ein Zeichen unserer Zeit. Bilder haben politische Funktion, sie sind Wirtschaftsfaktor. Bilder bedeuten Macht. Die visuelle Reizüberflutung der Welt und die Konsequenzen die sich für den Menschen ergeben sind vielfach Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachgebiete erörtert worden. Schrauben wir den generalisienden Anspruch dieser Fragestellung ein wenig zurück und fragen lieber nach dem Einfluß dieser Entwicklung auf das Fach Kunstgeschichte und wie diese damit umzugehen hat und welche Rolle sie vielleicht spielen könnte. Die Institutionalisierung des Fachs Kunstgeschichte fällt zusammen mit der Entwicklung eines neuen Mediums: der Fotografie. Die systematische Ablichtung der Kunst- und Kulturgüter der Welt, die Gründung von Bildarchiven, die Einführung der Lichtbildprojektion und vor allem die Möglichkeit, die Aufnahmen massenhaft abzudrucken, haben das Fach entscheidend geprägt. Daß die Fotografie im akademischen Umgang nicht nur dankenswertes Hilfsmittel ist, sondern das Sehen im allgemeinen, den Umgang mit der Kunst und nichtzuletzt auch das Geschichtsverständnis beeinflußt hat, ist von Jacob Burckhardt und Heinrich Wölfflin immerhin schon früh erkannt worden. Letzterer forderte eine Kunstgeschichte, “wo man Schritt für Schritt die Entwicklung des modernen Sehens verfolgen kann.” Eine Forderung die jüngst von Horst Bredekamp in Bezug auf die neuen Bildmedien wieder formuliert wurde. Also mal abgesehen von der Tatsache, daß die Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel erst sehr spät Beachtung in unserem Fach erlangte, ist der eigene Umgang mit diesem “Hilfsmittel” selbst nie Forschungsgegenstand geworden und das, obwohl er unseren Blickwinkel auf die Kunstgeschichte entscheident prägt. Die Fotografie diente mir hier nur als markantes Beispiel, denn überhaupt scheint die Kunstgeschichte ihre Augen vor den Bildmedien außerhalb der “hohen Kunst” zu verschließen. Und daß obwohl jede kunsthistorische Interpretation mehr oder weniger Gefangene des jeweils herrschenden ästhetischen Systems ist. Es stellt sich die Frage: Kann man über Bilder urteilen, wenn man große Teile des visuellen Feldes nicht überblickt? Christian Schoen Um Stellungnahmen und Diskussionsbeiträge
wird gebeten. | |
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