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vortrag
beat wyss
der notwendige anachronismus der kunst

vortragsreihe der fachschaft kunstgeschichte im januar und februar

Der angekündigte Vortrag "Die mediale Ästhetik der Kunstgeschichte. Ein Diapositivvortrag." wurde von Beat Wyss in Absprache mit der Fachschaft Kunstgeschichte durch den Vortrag "Der notwendige Anachronismus der Kunst" ersetzt.
In wenigen Sätzen formulierte Wyss die zentralen Thesen seines zuerst geplanten Vortrags. Neben der Bedeutung der Fotografie und des Diapositivs für die Entstehung der Kunstgeschichte stellte Wyss die unmittelbare Verstrickung der Kunstgeschichte mit der Zeitgenossenschaft heraus. Die Methoden und Interessen der Kunstgeschichte stehen parallel zur je zeitgenössichen Kunst. Die zeitgenössische Ästhetik ist gekoppelt mit der Wiederentdeckung einer vergangenen Kunstepoche. Der blinde Fleck der Kunstgeschichte ist ein zeitlicher Standpunkt, der die innere Gleichzeitigkeit einer neuen und einer wiederentdeckten Kunstepoche nicht erkennen läßt. Dieser blinde Fleck kann nur durch zeitliche Distanz überwunden werden.

Zu Beginn seines Vortrags nannte Wyss seine vier inhaltlichen Hauptpunkte als Leitmotive: Kulturarbeit und Öffentlichkeit, Kunstwissen und Technologie, Wünsche an das 21. Jahrhundert - bitte keine Erlösungen und Ethik und Information.

Die Antworten auf die Frage, was mit der Kunst im Zeitalter digitaler Produktion sei, sind entweder von Euphorie, Kapitulation oder einer Mischung aus Kulturpessimismus und futuristischer Technikbegeisterung geprägt.
Vor der Medienrevolution fand Kunst noch vor einem Publikum statt, so daß die Pflege des Schönen zu einem sozialen Akt wurde. Heute können moderne Medien zwar das Bedürfnis nach Schönem "per Knopfdruck" befriedigen, aber es findet keine soziale Zusammenführung mehr statt. Kunstpflege und Kulturarbeit erhalten daher die soziale Qualität, Menschen zusammenzuführen und die Idee der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten.

Eine Einheit von Kunst und Wissenschaft bezeichnet Wyss als eine "Utopie", deren Erfüllung fatal wäre. Die Maxime für die Gewaltentrennung von Kunst und Wissenschaft findet sich bei Hegel im "notwendigen Anachronismus der Kunst". Kunst und Humanwissenschaften, die im Gegensatz zu den technischen Wissenschaften metaphysische Bedürfnisse befriedigen, erhalten die Sinnschöpfung aufrecht. Das Sparen im Kunstsektor ist daher ein Sinnverlust, den wir uns heute nicht mehr leisten dürfen.

An der Schwelle zum nächsten Jahrhundert muß aus den Fehlern des 20. Jahrhunderts gelernt werden. Das Fehlverhalten der Moderne zeigt sich in einer Technologiebegeisterung, die nicht aus der Vergangenheit gelernt habe. Die Welt sei nie durch technischen Fortschritt besser geworden. Trotzdem sollen sich Kunst und Humanwissenschaften dem technischen Diskurs stellen und neue Informationstechnologien, soweit sie tatsächlich Verbesserungen gegenüber alten Methoden bedeuten, aufgegriffen werden.


Der Erfolg der globalen Vernetzung liegt in dem Kappen kultureller Wurzeln, die Informationsgesellschaft wird zu einer nachtraditionalen Gesellschaft. Der Verlust einer kulturellen Identität formuliert sich in der Forderung nach festen Werten. Kunst und Humanwissenschaft gewährleisten den Zusammenhalt der Gesellschaft, indem sie mit den Fragen der Ethik arbeiten und die Auffassungen von Sitten und Bräuchen vergangener und gegenwärtiger Gesellschaftsformen analysieren. Doch das Band zwischen Kulturwissenschaften und Gesellschaft habe sich gelöst, die düstere Schlußfolgerung lautet: Das Abendland ist unmerklich untergegangen.


Abschließend faßte Wyss seine Thesen zur Kulturarbeit zusammen.
Eine kulturelle Identität unter den Bedingungen einer globalen Vernetzung muß geschaffen werden.
Aufgabe der Kunst in der nachtraditionalen Gesellschaft ist, das organische Wissen, das Erbe von Brauch, Sitte und Gewohnheit, zu vertreten. Es muß ein Kulturvertrag zwischen organischem Denken und technischer Produktion geschlossen werden.
Eine Öffentlichkeit entsteht nicht allein durch die Information, sondern muß dazu den Ethos hinzuziehen.
Kommunikation muß durch öffentlichen Diskurs in Kulturarbeit verwandelt werden. Der virtuelle Informationsfluß muß real übersetzt werden.
Wyss schloß seinen Vortrag mit der für die Studenten freudigen Aussicht, daß demnach dem Kulturwissenschaftler die Arbeit nicht ausgehe.

Eva Schlipp

Um Stellungnahmen und Diskussionsbeiträge wird gebeten.





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