Kreuzigung ohne Erlösung |
||
So nah und doch so fern – nicht einmal die Liebe hat noch eine Perspektive | ||
(Foto: Netflix) |
Von Axel Timo Purr
Wer sich über die gegenwärtige politische Eskalation in Israel nach dem Rechtsrutsch durch die letzten Wahlen wundern und fragen sollte, wie das alles hat passieren können und was nur noch kommen mag, dem sei die Ende Januar 2023 erschienene vierte Staffel der israelischen Ausnahmeserie »Fauda« empfohlen. Natürlich nicht ohne Vorbehalte, auch wenn bereits die dritte Staffel fast ausnahmslos großes, politisch höchst ambivalentes Thriller-Kino war, das mit einer Doppelhelix aus Empathie und gnadenlosem analytischem Kalkül sowohl israelische Siedler zum ersten Mal für die palästinensischen Belange interessierte als auch das Publikum im arabischen Raum und in der netflixweiten Welt sowieso hinter die Kulissen dieses Konfliktes blicken ließ.
Die vierte Staffel setzt diese Entwicklung fort, erlaubt sich jedoch erstmals ein paar Wiederholungen, verliebt sich Doron (Lior Raz) etwa wie schon in Staffel 2 in eine Palästinenserin, die als israelische Polizistin nicht besser assimiliert sein könnte. Doch Maya (Lucy Ayoub) ist über ihren radikalisierten Bruder Omar (Amir Boutrous) natürlich genauso gespalten und zerrissen wie es die Sondereinheit um Doron ist, die wie in allen Staffeln den palästinensischen Terrorismus im Keim, das heißt verdeckt und am Ende tödlich, ersticken soll.
Doch der Writing Room um Avi Issacharoff, Liora Raz und Noah Stollmann macht schon schnell deutlich, dass er wie bereits in der dritten Staffel die üblichen Thriller-Gefilde, die bei »Fauda« immer wieder auch an ein »Guilty Pleasure« denken lassen, so rasend schnell und Cliff-Hanger-fokussiert sind die meisten der Folgen konzipiert, verlassen will.
Statt in das im dritten Teil im Fokus stehende Gaza mit dem Machtzentrum der Hamas begibt sich »Fauda« dieses Mal nach Molenbeek, jenen Brüsseler Stadtteil, der durch seinen hohen Migrationsanteil und die Attentate von 2016 immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt und und einmal mehr die Frage aufgeworfen hat, wie innerhalb Europas mit der Bedrohung durch Terrorismus umgegangen werden soll. »Fauda« positioniert sich auch hier wie so oft ambivalent. Zum andern wird in den Molenbeek-Folgen deutlich gemacht, dass die europäische bürokratisierte Terrorbekämpfung dem israelischen Point & Shoot-Ansatz hoffnungslos unterlegen ist.
Doch wie in in den anderen Staffeln wird diese Blut-und-Boden-Ideologie, eine der gegenwärtigen rechten israelischen Politik nahestehende Handlungsanweisung, auch gleich wieder hinterfragt. Ist der vemeintlich radikalisierte Brüsseler Imam genauso wenig stereotyp radikalisiert wie es die Bewohner von Moolenbeek sind, die über eine fast schon soziologisch anmutende »Tür-zu-Tür-Befragung« ihren Standpunkt verdeutlichen, der nicht viel anders beschaffen ist, als die gespaltenen Ansichten der Sondereinheit selbst oder die eines palästinensischen Vaters in der West Bank in einer der späteren Folgen. Jeder hier hat die besten Absichten und wünscht sich ein Land, in dem er frei leben kann, mehr noch als Israelis und Palästinenser sich auch in ihren Dialogen in dieser Staffel stärker als sonst schon annähern, sich das Team um Doron fast schon selbstverständlich mit dem arabischislamischen »Salam aleikum« begrüßt und auch außerhalb eines Einsatzes das arabische »Habibi« (Liebling) zwischen Männern selbstverständlich zum Einsatz kommt.
»Fauda« stellt damit eine viel grundsätzlichere Frage. Es wird nicht gefragt, wie und warum es zu der Verschärfung des Konfliktes kommen konnte, sondern wie Menschen, die sich kulturell so nah stehen und in jedem Feind auch ihren Freund und dann wieder Feind erkennen, durch politisch radikalisierte Strukturen instrumentalisiert werden und auf beiden Seiten den Konflikt nicht nur einfach reproduzieren, sondern ihn zunehmend verstärken.
Die vierte Staffel zeigt zudem sehr realistisch, dass diese Eskalation schon lange kein israelisch-palästinensischer Binnenkonflikt mehr ist, sondern auch in Europa und im Iran ausgetragen wird, so wie es die von den gleichen Machern produzierte Parallel-Serie Teheran detailliert erzählt. Und mehr noch wird über die Figur des bis dahin stets »besonnenen« Gabi (Itzik Cohen) deutlich, dass in der »Hitze des Gefechts« nicht einmal mehr die Prozeduren des Rechtsstaats eingehalten werden.
Das ist näher an der Realität und dem gegenwärtigen Kampf um die Justizreform in Israel, als man es für möglich halten könnte, und zeigt, wie nah das Autorenteam in »Fauda« schon lange vor den letzten Wahlen am Puls der Zeit operiert hat.
Eine Zeit, die so komplex, voller Chaos (die Übersetzung des arabischen Wortes »Fauda«) und lösungsresistent ist, dass »Fauda« in der Abschlusseinstellung, der allerletzten, zutiefst deprimierenden Szene am Ende der 12. Folge eigentlich nur noch eins einfällt – der Rückzug in die Ikonografie des Glaubens und die so reale wie symbolische Kreuzigung von Jesus und den Verbrechern.