WO POMMES ??? |
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Wang Bings Man in Black | ||
(Foto: 18. Underdox 2023) |
Von Nora Moschuering
»Wo Pommes???« hatte sich heimlich in die Sommerferien verabschiedet und sich dem Radfahren gewidmet, worauf man übrigens sehr viel Pommes-Hunger bekommt, was kein Problem ist, denn Pommes bekommt man überall. Auf einer dänischen Insel lernte ich ganz zufällig die beiden Filmemacher Ann Carolin Renninger und René Frölke kennen, die u.a. den Film Aus einem Jahr der Nichtereignisse (2017) gemacht haben, in dem sie Willi, einen fast 90-jährigen Bauern über ein Jahr auf seinem Hof begleitet haben. Sie haben in wunderschönen Super8- und 16mm-Aufnahmen über Willis Alltag erzählt, von seinen Routinen, dem Wechsel der Jahreszeiten, seinem Leben mit den Tieren und seinen Erinnerungen. Den Film habe ich vor sechs Jahren gesehen und er ist mir seither geblieben, besonders mit diesem Zusammenspiel des haptischen, begrenzten Filmmaterials und des alten Mannes. Beides ähnelt sich in seiner klaren Sprödigkeit und seiner Vergänglichkeit. Da liegt auf eine Weise viel Dramatik drin, die sich aber nicht so sehr in Aktionen zeigt, sondern in Beobachtungen von leichten Veränderungen.
Von diesem Reisezufall, einem wunderbaren, dokumentarischen Moment, zum Münchner Underdox Festival, das sich solchen Arbeiten widmet und auf dem der Film 2017 lief. Was heißt solchen Arbeiten? Konzentrierte Arbeiten, die sich oft, wie bei Renninger und Frölke, mindestens genauso viele Gedanken um die Form machen, wie um den Inhalt. Oft wird mit dem Dokumentarischen experimentiert und was bei Renninger und Frölke sehr klar dokumentarisch ist, ist in anderen Filmen weniger
eindeutig. Immer schwingt also die Frage mit: Was heißt das denn eigentlich, das Dokumentarische? Underdox zeigt Filme, die sich mit dem Film als Medium beschäftigen, und das nicht als praktisches Werkzeug, sondern als vielschichtige Möglichkeit. Das kann auch mal herausfordernd sein und deshalb ist es für mich eines der Festivals, das gar nicht anders kann, als im Kino stattzufinden, denn hier konzentriert man sich, harrt aus, lässt sich von anderen Sitzenden motivieren und
ist hoffentlich nicht zu schnell im Fällen eines Urteils (man kann aber auch gehen, das ist dann auch eine durchdachte Entscheidung, weil sie Überwindung kostet).
Underdox findet im Filmmuseum, der Theatiner Filmkunst und im Werkstattkino statt, die damit auch zu Filmkunstgalerien werden, obwohl beispielsweise das Werkstattkino, dank nicht erhaltenem Kinoprogrammpreis der BKM dieses Jahr auf sich aufmerksam
machte, weil es eben keine Kulturförderung für Kinos gibt.
Aber das ist ein anderes Thema.
Eröffnet wird das Festival an diesem Donnerstag, 05.10. um 19:00 im Filmmuseum mit Landshaft von Daniel Kötter, den er vor drei Jahren in Bergkarabach gedreht hat, einer Region, über die man in den letzten Tagen und Wochen viel lesen konnte, da gerade die meisten Armenier*innen auf der Flucht vor den aserbaidschanischen Soldaten sind, die Bergkarabach eingenommen haben. Bergkarabach ist seit über 30 Jahren von Armenien und Aserbaidschan umkämpft. Als Kötter 2020 dort war, ist der Krieg gerade zu Ende und die Region wurde von den Armeniern als unabhängig erklärt. Kötter führt Interviews mit den Menschen über die oft kargen Landschaften: »Landshaft sketches the psychogeography of a geopolitically charged landscape and its inhabitants between extractivism, war and displacement.« Neben Landshaft ist von Kötter bei Underdox auch Water & Coltan [360°] zu sehen, ein 360° Film, den er gemeinsam mit Olande Byamungu, Yasmine Bisimwa und Christian Muhigwa gemacht hat. Für 50 Minuten ist man in einer Coltanmine in Süd-Kivu im Kongo und sieht, welche Auswirkungen dieser Abbau auf die Natur und die Arbeiterinnen hat. Zu sehen ist die Installation im Stadtmuseumssaal im 1. OG des Filmmuseums am Fr. 06.10. 17:00 und 19:00 Uhr und Sa. 07.10 & So. 08.10., jeweils um 15:00, 17:00 und 19:00 Uhr.
Übergang zu Wang Bing, einem der diesjährigen Artists in Focus, der sich auch oft über die Landschaft, und wie diese vom Kapitalismus geprägt wird, dem Menschen nähert, der mit ihr und darin leben und vor allem arbeiten muss. Underdox zeigt zwei Arbeiten aus diesem Jahr, die beide in Cannes liefen. Wang Bing ist bekannt für seine aus der Hand gedrehten Einstellungen, ohne Musik und Interviews, die auch sehr lange dauern können. So dauert West of the
Tracks 9 Stunden und ist damit eine Erfahrung für sich, der versucht uns aus der bequemen, distanzierten und passiven Erfahrung zu bringen und auch den Faktor Zeit einzuarbeiten. Obwohl ich nicht die Arbeitsbedingungen in der chinesischen Industrie mit einem schmerzenden Hintern auf Kinosesseln vergleichen möchte. Über »Länge« sollte es aber definitiv mal eine »Pommes« geben. Underdox zeigt Youth (Spring) (08.10., 20:00 Uhr, Filmmuseum), der mit 212 Min ohnehin moderat ist. Darin folgt man einer Gruppe von jungen Textilarbeiter*innen in Zhili, 150 km von Shanghai. Oft kommen sie von weit entfernt, aus ländlichen Regionen, um dort zu arbeiten, bzw. ihre Jugend zu leben. Sie arbeiten, schlafen, imaginieren ihre Zukunft, sprechen über ihre Wünsche, finden Freund*innen, Liebesbeziehungen entstehen ... und so ist es vielleicht
einer der optimistischsten Wang Bing-Filme, denn obwohl die Arbeit hart ist, die Jugend ist lebendiger.
Der zweite Film ist Man in Black (11.10., 21:00 Uhr, Filmmuseum) und ist mit seinen 60 Min eine Miniatur und auch sonst nicht wie andere Wang Bing-Filme, nicht dokumentarisch, d.h. beobachtend, sondern eine Performance. Man sieht Wang Xilin, 86 Jahre alt, einen der bedeutendsten
modernen klassischen Komponisten Chinas, nackt auf einer dunklen Bühne. Seine eigene Musik begleitet ihn, erst während er stumm dasteht und schließlich, wenn er von seinem Leben und dem vieler chinesischer Intellektueller und den Repressionen, die sie in China erleben, erzählt. Über »Performances« sollte es definitiv auch mal eine »Pommes« geben.
Der zweite Artist in Focus ist der Ire Declan Clarke, der, anders als Bing, oft extrem klare Narrative als ein Gerüst für seine Recherche baut oder in Essayfilmen größere Kontexte mit seiner persönlichen Geschichte scheinbar kausal verbindet. Bei Underdox kann man für beide Arbeitsweisen jeweils einen Filmblock sehen.
Am 07.10. um 19:30 Uhr läuft im Werkstattkino, die Geist Trilogy (part1&2) mit den Filmen We Are Not Like Them (2013) und The Most Cruel of All Goddesses (2015). Zwei »Spionage-Filme« über die Geschichte der europäischen Linken.
Im ersten Film besucht der Spion/Agent (Clarke) verschiedene Arbeiter-Planstädte und wartet dort auf neue Anweisungen: Die ehemalige Wallsend&Walker Werft in Newcastle Upon Tyne, Eisenhüttenstadt, Nowa
Huta in Krakau und die Groupe Scolaire L’Octobre in Paris. Dazwischen – und das sind wohl dokumentarische Tropen, auch darüber definitiv mal eine »Pommes« – werden in langen, statischen Einstellungen eben jene Orte in Schwarz-Weiß und ohne Ton gezeigt. Wie ist denn das mit den vergangenen Revolutionen? Wo manifestieren sie sich in Bauten, die schließlich zu Museen werden? Wie eben auch Filme zu Typen und Klischees? Im zweiten Film begibt sich der Spion/Agent auf
den Spuren von Engels an die Orte, an denen dieser gewirkt hat: Manchester, Salford, London und Barmen/Wuppertal. Selbst auf dem Oktoberfest landet er, weil irgendwie Horváths »Kasimir und Karoline« als Allegorie dafür stehen soll, dass die Versprechen vorheriger Zeiten nicht eingehalten werden. Das ist dann schon ein bisschen zu viel des Guten, aber wahrscheinlich ist das so, wenn man auf der Jagd nach dem großen Narrativ ist und man sehen will, was davon übrig geblieben ist, eben welche
»Geister« sich weiterziehen.
Der zweite Block, der am 08.10., 19:30 Uhr im Werkstattkino zu sehen ist, ist mit His Story betitelt. Hier verbindet er zwei Mal seine eigene irische Familiengeschichte, mit Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
In Group Portrait with Explosives (2014) die ehemalige Tschechoslowakei mit South Armagh in Nord-Irland, die durch Industrie und Handel und politische Interessen verknüpft sind: Von einer
Traktor-Fabrik zur Waffen-Fabrik, zum Irland-Konflikt und seinem Vater, der ihm sehr wirklichkeitsgetreue Spielzeugwaffen baut. Saturn and beyond (2021) beginnt dagegen wie ein Lehrfilm, mit einer didaktischen Sprecherstimme, die über die Erfindung der Elektrizität erzählt und dann zur Kommunikation übergeht. Er ist viel spielerischer, obgleich nicht weniger ernst. Auch hier wird Persönliches, wie die Leidenschaft des Vaters für
Broadcasting/Rundfunk und dessen Zusammenbruch, sehr assoziativ mit Alzheimer zusammengebracht.
So viel oder so wenig zum Programm von Underdox, weitere Informationen zu allen Filmen, den Gästen, zum Ukraine-Schwerpunkt, zum Projekt »Connecting futures«, zum Besuch von Werner Herzog zu seinem Film Auch Zwerge haben klein angefangen (1970), den Specials »Seventies Filmmaking« und »Labor of Love«, findet ihr auf der neuen Homepage von Underdox.
Zu Underdox gehört seit 2014 auch Videodox, die Biennale für Videokunst aus Bayern. Das ist folgerichtig, denn viele der filmischen Arbeiten befinden sich im Grenzraum zur Kunst (siehe oben: Filmkunstgalerien), vielleicht ist die Galerie der Künstler*innen also einfach nur ein weiterer »Präsentationsort« mit anderen räumlichen und technischen Möglichkeiten und anderen Rezeptionspositionen. Aus gut 80 Einreichungen von in Bayern arbeitenden Künstler*innen wurden 13 Arbeiten ausgewählt.
Es fällt auf, dass sich nicht wenige der Arbeiten mit künstlich geschaffenen Bildern beschäftigen. Und das nicht, indem sie Bilder aus dem Netz nehmen, sondern indem sie neue schaffen. In Maximiliane Leni Armanns Binary Tree : profiles _ missing node, betrachtet man eine ganz neue Art von Porträt, nicht gesetzt, unveränderbar und statisch, wie in Gemälden, sondern ineinander morphend. Es sind acht Porträts, die sich immer wieder konkretisieren, sich
vorstellen und Beziehungen zueinander angeben, bevor sie wieder verschwinden. Was definiert Persönlichkeit? Was ist künstlich, was nicht? Es sind Low-Poly-3D-Charaktere, deren Gesichter mit dem Headshot einer realen Person verschmelzen.
In The New Flesh von Rupert Jörg sind Chatbots der Ansicht, dass es sinnvoll und nötig für die Menschen ist, vollständig mit einer virtuellen Welt zu verschmelzen. Aber selbst ihnen kommen Zweifel, sie fangen an zu
halluzinieren und landen schließlich bei der Frage, inwiefern die Menschheit eigentlich überhaupt ein Existenzrecht hat. Auch hier fließen Bilder ineinander, Körper verschmelzen, aber die Bilder, die eine KI erschaffen hat, sind grotesk verzerrt, das »Ineinander-Aufgehen« wirkt verstörend.
Paul Valentins A piano plays in another room and it’s raining zeigt keine Körper, sondern hyperrealistische, computergenerierte Räume, mit einer Fülle
von Referenzen an Filme, Malerei und Computerspielen. Das Gefühl in ihnen ist unheimlich, irgendwie beklemmend und nostalgisch. Valentin war schon 2020 mit »Sleeping Ride to the Airport« vertreten. Ein bisschen erinnert seine Arbeit mit den Filmreferenzen und den Kamerabewegungen ohne Kameraperson, also das »Wie wir Film sehen«, an Clarke, obwohl der Ansatz ein ganz anderer ist.
Auch Leila Fatima Keitas Arbeit Wenn du wir sagst – meinst du nicht mich betrachtet, wie Filme aussehen, also was uns gezeigt wird, hinterfragt aber dabei besonders, wer diese Bilder macht, also wer die Macht des Erzählens hat und welche Narrative wir von ihnen vorgesetzt bekommen. Ausgangpunkt ist für sie ihr Gefühl von Trauer und Isolation bei dem Konsum vermeintlich progressiver Stoffe.
Ayala Shoshana Guy sucht in ihrem eigenen Erleben, ihrer
eigenen Biografie. In I will take your shadow folgt sie den Brüdern Jancsi und Bandi, die 1939-40 auf der Flucht vor den Nazis Wien verlassen. Die Regisseurin, die Enkelin von Jancsi, macht sich auf die Suche nach dem Unerzählten, das aber immer präsent ist.
An einen großen Dokumentaristen, der zum Schluss auch eher seine Heimstatt in Galerieräumen als im Kino gefunden hat, knüpft die Arbeit von Johanna Seggelke und Carlotta Wachotsch Der Geschmack des Lebens an. Sie stellen Harun Farockis Der Geschmack des Lebens von 1979 ihre eigene Reise an Orte im heutigen West-Berlin gegenüber, die schon Farocki gefilmt hat. Auch hier, ähnlich wie bei Clarke, der die wichtigen Orte der europäischen Linken etwa 100 Jahre später sucht, schauen die beiden, wie sich die Menschen fast 40 Jahre später dort bewegen.
Das ausführliche Programm mit allen Künstler*innen gibt es hier. Die Ausstellung ist geöffnet: Mi., Fr. – So. 11:00-18:00 Uhr / Do. 13:00-20:00 Uhr / Eröffnung: 10.10., 18:00-22:00 Uhr / Preisverleihung: 15.10., 16:00 Uhr.
Der VIDEODOX-Förderpreis ist mit 1.000 Euro dotiert. Preisstifter ist Medienkünstler und Filmemacher Peider Defilla von B.O.A. Videofilmkunst.