Wo Pommes???
Wo Pommes??? |
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Doku-Musical: Vienna Calling |
Von Nora Moschuering
November scheint der Musikdokumentarfilmmonat zu sein, noch nie, in der freilich sehr kurzen Pommes-Historie, hat sich ein Thema so aufgedrängt wie in diesem Monat, und ich nehme es gerne an, denn vielleicht ist Musik eines der fröhlichsten Dokumentarfilmthemen überhaupt.
Ein Klassiker der Filmmusik-Erfahrung, in der realen Welt, ist die Walkman-Erfahrung (Kopfhörer-Erfahrung) und mit ihr dann zum Beispiel die Bahn-Erfahrung, heißt: man unterlegt die eigene Realität mit einem Soundtrack, mit dem Effekt, dass man die persönliche Stimmung und die Geschehnisse an die zur gleichen Zeit gehörte Musik anpasst. Man bekommt also das Gefühl, die vorbeiziehende Umgebung reagiert auf die Musik, ein bisschen so wie in der Eröffnungsszene von Guardians of the Galaxy (2014). Das wäre dann auch ein legitim dokumentarischer Moment, weil er vom Protagonisten selbst gemacht wird, weil man ansonsten auch finden kann, dass Musik über dokumentarischen Bildern, sofern sie eben nicht gerade im Radio, Fernsehen oder Handy läuft, nicht dokumentarisch ist. Musik verändert die Haltung oder Stimmung, zu der zu sehenden Welt, auf sehr subtile, weil emotionale Art und Weise, die man stark steuern und damit auch manipulieren kann. Aber Dokumentarfilm ist eben auch Film, also warum nicht alle seine Mittel nutzen? Soviel sehr kurz zu nichtdiegetischer Musik und der Frage danach, weshalb viele Dokumentarfilme damit sparsam umgehen – mal die Rechte-Frage außen vorgelassen. In den folgenden 4 Filmen ist aber die Musik das Sujet der Filme und damit ist die Arbeit mit der Musik und ihr Einsatz noch mal eine andere.
Wir beginnen klassisch, mit Bach: weltweit gibt es mehr als 300 Bachchöre & Ensembles und alle wollen zum Bachfest nach Leipzig, wo er gewirkt hat. Damit hat Living Bach eine ganz klare Dramaturgie: Lauter Punkte, überall auf der Welt, deren Weg zum finalen Punkt nach Leipzig führt, wo die Zusammenkunft festlich gefeiert wird. Bilder für Bachs Musik findet der Film in den verschiedenen Menschen, die man trifft und im Menschlichen allgemein. Das ist das
eigentliche Thema des Filmes und die Musik spiegelt sich darin wider. Möglich, dass da schon die Weihnachtswärme aus mir spricht. Die Musik, und in diesem Fall dann auch der Film, bringen zusammen und legen den Fokus auf das, was uns überall auf der Welt verbindet und das ist eben nicht nur die Liebe zu Bachs Musik. Das ist schön und das erzeugt auch schon wieder diese Wärme, die auch kitschig ist, wenn sich z.B. die Schweizer Zwillinge an einem See mit Bergpanorama zum Üben treffen oder
die Australierin auf einem verkohlten Baumstamm an einem Strand Geige spielt. Nichtsdestotrotz: Musiker*innen von überall auf der Welt zuzusehen, wie sie Musik machen und dann über ihre Freude dabei sprechen, das ist schon schön. Da werden in harmonischen Gruppensituationen Gemeinsamkeiten gefunden und der richtige Ton. Konflikte oder Auseinandersetzung gibt es keine oder kaum.
Über Bach und seine Musik lernt man leider nur wenig, oft werden Interviews über die Musik gelegt.
Dafür lernt man doch einiges über die einzelnen Protagonist*innen. Da ist z.B., in Paraguay, der Singer-Songwriter, der mit seinen Kindern Musik macht, oder die Café-Besitzerin in Malaysia, die sich, zusammen mit einem Freund, ein Cembalo gebaut hat. In Australien spricht eben jene Lehrerin/Geigerin mit First Nation People über ihre Musik und den Kolonialismus, denn fast in jedem Land wird zu Beginn auch die regionale Musiktradition angesprochen, auch in Südafrika, dort läuft
übrigens der Protagonist dann mit Bach auf dem Ohr durch Johannesburg zu seiner Arbeit, das ist ziemlich schön und ein Walkman/Kopfhörer-Moment. Man lernt noch weitere Protagonist*innen kennen, alle werden reihum vorgestellt und man nähert sich ihnen auch privat, erfährt Details aus ihrem Leben, dann werden sie ineinander geschnitten, also filmisch schon mal zu einer Gruppe gemacht. Beim Finale in Leipzig mag man dann auch am Liebsten seinen Nachbarn im Kino umarmen. Leider wird auch
hier das gemeinsame Singen abgeschnitten. Wärmend irgendwie, aber auch ein bisschen lang mit seinen 114 Minuten, aber vielleicht ist das so, wenn man einen globalen Verbindungsfilm schaffen möchte, eine Art Feel Good Dokumentarfilm – und das meine ich jetzt gar nicht despektierlich, sondern ich glaube, davon dürfte es gerne mehr geben.
Vienna Calling ist der einzige der vier Filme, der 90 Minuten dauert und der einzige, bei dem ich mehr gewollt hätte, das hat aber in diesem Fall vielleicht mit Musikgeschmack zu tun. Falko wird immer wieder angesprochen (»Vienna Calling« ist ein Lied von ihm), als Vorbild und wahrscheinlich auch, um ein Wien-Bild zu bedienen, das wir alle kennen. Falko habe ich nie gehört, aber dank des Spotify-Algorithmus, eine ganze Zeit lang nur österreichische Musik
und dabei war auch der »Der Nino aus Wien« und »Voodoo Jürgens«, jetzt wird das Ganze glücklich ergänzt durch EsRAP, Lydia Haider, Kerosin95 und noch viele andere. Der Film schließt ein bisschen, aber wirklich nur ein bisschen, an Living Bach an, weil es in ihm schon auch um die verbindende Kraft von Musik geht und um Spaß, das liegt aber vor allem daran, wie der Film gemacht ist und weniger in den oft lakonisch, real-beobachteten, subversiven und selbstironischen
Texten der Protagonist*innen. Philipp Jedicke, der mit Chilly Gonzales – Shut Up And Play The Piano (2018), schon einen Musikfilm der anderen Art gemacht hat, macht dieses Mal ein Doku-Musical (Genre und Dokumentarfilm immer eine spannende Idee) und so gehen dokumentarische Sequenzen in musikalische Performances über, Musikvideos, die mal mehr, mal weniger aufeinander eingehen, also miteinander zu tun haben. Teilweise antworten die Lieder aber
aufeinander: von Flüssen, Wassern und Fischen, das Haar, das Grau und das Geschnittene, Sport, Kniebeugen, sich fit halten, Schönheit und Jugend. Die einen kommen immer wieder, andere sind in die »Handlung« nicht oder wenig eingebunden, man verliert sie, andere kann man nicht zuordnen und das kann auch verwirren. Dazu gibt es eine Rahmenerzählung: Eine Party wird vorbereitet, auf der sich alle treffen und feiern sollen, in Wien, irgendwo im Untergrund. Alles bewegt sich zwischen
Morbidität, Lakonie, Sozialstudie, Gesellschaftskritik, Retro-Liebelei und Selbstinszenierung.
Teilweise versuchen sich die Wien-Bilder, außerhalb des klassischen Wien-Bildes zu bewegen, gesucht werden Brachen, Kneipen, die Kanalisation, dann wieder wird mitten ins Klischee reingegangen. Erstaunlicherweise erschafft beides eine Atmosphäre, die sich trotz der sehr unterschiedlichen Szenen und Settings durch den Film zieht. The Sound Of Cologne,
der nächste Film, versucht genau das, Bilder von Köln zu finden, die erklären, warum genau hier, in dieser eigentlich recht hässlichen Stadt (Sorry Köln, ist ein Zitat aus dem Film), innovative, elektronische Musik entstehen konnte. Es gelingt aber nicht, weil die Bilder so unbedacht, beliebig und eben nicht atmosphärisch sind – und ich glaube, dass gerade Hässlichkeit sehr atmosphärisch sein kann.
Ansonsten hat es Vienna Calling natürlich leichter,
weil er es mit aktuellen, künstlerischen Gesamtprojekten zu tun hat, Selbstinszenierungen von Musiker*innen, ihrem Habitus, ihrer Kleidung, ihren Goldketten, ihrer Lakonie und ihren Texten. Sie haben sichtlich Lust darauf mitzumachen, mitzuspielen. Hier scheitert der Film dann vielleicht auch als Dokumentarfilm, denn die Szenen, in denen man sie beim Schafscheren begleitet, beim e-Roller einsammeln oder mit der Familie, sind so kurz und vereinzelt eingestreut, dass sie
gleich vergessen werden. Aber es macht Spaß und vielleicht sind es am Ende auch die Liedtexte, die bleiben, mit ihrer Melancholie und manchmal auch mit ihrem Schalk, die aber mit dem Jetzt zu tun haben.
Eine Filmempfehlung: Am 01.02.2024 kommt Rickerl – Musik Is Höchstens A Hobby ins Kino, darin spielt Voodoo Jürgens den Musiker Rickerl, der dauer-rauchend und trinkend durch die Kneipen im Wiener Arbeiterviertel zieht und dabei versucht, sich um seinen Sohn zu kümmern. Sehenswert und eine richtig gute fiktionale Ergänzung. (Allein zu bemängeln wäre, dass der Regisseur Adrian Goiginger seit dem grandiosen Die beste aller Welten keine komplexe, vielschichtige Frauenfigur mehr auf die Leinwand bekommen hat. Hier auch nicht. Urschade irgendwie.)
Wie schon angekündigt, ab nach Köln und zu einem Film, bei dem man wirklich etwas Neues lernen konnte und das finde ich ja tendenziell ziemlich gut, gerade etwas über die Anfänge der elektronischen Musik, die Experimente und Versuche, Musik neu zu denken und die Technik mit einzubeziehen. Leider, wie schon angerissen, geht der Film wenig ins Visuelle, gerade elektronische Musik und Nachkriegsarchitektur sollten da gut zusammengehen, aber sie scheinen keine Bilder zur Musik
gefunden zu haben, will sagen: Nichts komponiert. Die Bilder erscheinen etwas wahllos in Auswahl, Ausschnitten, Cadrage, Farbigkeit, den Architekturen. Man hätte Köln erkunden können, nach der Schönheit suchen können oder auch der Schönheit im Hässlichen, nach Härte, Rhythmus, Klängen in der Stadt, oder der Heimeligkeit der Kneipen, der Beton der Clubs, die Kühle von Industriebauten oder die Weichheit des Rheins: Eben ein Sound in Bildern.
Die Geschichte der elektronischen Musik
in Köln wird klassisch chronologisch erzählt, von den 50er Jahren bis heute. Der Film folgt der Musik in die WDR Studios für elektronische Musik, dort wollte man nach dem Krieg nicht auf Vorgefundenes zurückgreifen, sondern Klänge selber erzeugen, z.B. mit einem zweckentfremdeten Sinus-Generator aus der Rundfunktechnik. Der WDR war damit damals die prägende Anstalt für neue Musik, und Karlheinz Stockhausen zeitweise ihr künstlerischer Leiter. Man geht weiter zu CAN,
Avantgarde-Band, die u.a. mit elektronischer Musik experimentierte, Helmut Zerlett und der »Phantom Band« (ich überspringe jetzt einiges), dem Plattenladen und späterem Label »Kompakt«, dem Plattenladen »A-Musik«, »Mouse on Mars«, Rave-Clubs, Techno, bis zur Krise in den 2000er Jahren, der Raumnot und der Abwanderung vieler Künstler*innen nach Berlin. Der Film endet bei der heutigen, jungen Generation, die an der Vergangenheit anknüpft und Neues schafft. Alle diese tollen
Menschen werden nacheinander interviewt, dazwischen Bilder der Stadt, Found Footage: Filme, Fotos, Flyer aus der jeweiligen Zeit, wie eine Perlenkette von damals bis heute, ein bisschen wie ein fleißiges Abarbeiten und ja nichts vergessen wollen. Schade, denn Künstler*innen wie Irmin Schmidt, Jaki Liebezeit, Gregor Schwellenbach, Niobe und Lena Willickens u.v.a. haben viel zu erzählen, aber in der Reihung entsteht etwas Repetitives, in dem man auch versumpft.
Natürlich gibt es
Querverbindungen, Inspirationen, natürlich gibt es Partyaufnahmen, aber man bekommt nur einen Hauch von damals mit oder von so etwas wie Party. (Über einigen Clubaufnahmen liegt auch Musik, bei der ich den Verdacht habe, dass sie eigens komponiert ist, was möglicherweise bei remixenden DJs auch an der Rechtelage liegen könnte.)
CAN war Elektro, Funk, Rock, Avantgarde-Jazz und Free Jazz. Die Band hat u.a. »demokratisch« gespielt, wie auch Alexander von Schlippenbach,
ein Jazz-Pianist, Arrangeur und Komponist des Free Jazz und damit zum letzten Film im Pommes-November, seinem Porträt: Tastenarbeiter.
Der Nerdfaktor steigert sich hier von Film zu Film, also das Spezialistentum und es kulminiert im Tastenarbeiter. Hier hört man zum ersten Mal den Filmemacher und sein Interesse, also die Fragen, die er stellt, was sehr charmant ist und zu einer eher freundschaftlichen Begleitung des Musikers durch sein Leben wird. Man kommt auch seiner Konzentration im Arbeiten näher, der intensiven Auseinandersetzung im Schaffensprozess, die Arbeit mit den
Bands und Kollegen und Kolleginnen und der Art, sehr ernsthaft, gemeinsam im Chaos zusammenzufinden. Man begleitet ihn bei Arbeits- und Probenprozessen, auf Besuch bei musikalischen Freunden oder im Studio mit seiner Frau, der Jazz-Pianistin Aki Takase und seinem Sohn. Von Schlippenbach gilt als musikalischer Umsetzer der 68er Bewegung mit dem »demokratischen« Spiel, in dem jede Stimme gleichberechtigt ist. Auch wenn er sich selbst und seine Arbeit als nicht politisch
bezeichnet, ist Musik natürlich auch immer Ausdruck ihrer Zeit.
Rau sind die Bilder, wackelig, das ein oder andere Mal wird die Schärfe nachgezogen, vielleicht auch eine Art der Improvisation, hier ist man bei einem Prozess dabei, bei einem Kennenlernen. Damit ist alles natürlich viel weniger vorgedacht und gesetzt als bei Living Bach oder bei Vienna Calling, dafür aber auch viel weniger glatt und inszeniert und man kommt dem Menschen
wirklich näher. Zu Living Bach unterscheidet er sich zudem, weil wenig Text über der Musik liegt und sie frei stehen kann. Und natürlich wird über die Musik viel technischer und weniger emotional verhandelt, was sicher auch am Grad der Professionalität der Musiker*innen liegt.
Und dann: Bahnfahrsequenzen, in die die Musik eingebaut wird, ja also, finally, die Bahn-Musik-Erfahrung, da ist sie.