17.06.1999

»Ich fühle mich voll als ein Don Quixote«

Ibrahim Ferrer und Ry Cooder
Ibrahim Ferrer und Ry Cooder

Wim Wenders über Kuba, Fidel Castro, den deutschen Film, Hollywood und „Dogma 95“

Am Donnerstag, den 17. Juni 99, kommt sein neuester Film ins Kino: Buena Vista Social Club ist ein gefühl­volles Portrait kuba­ni­scher Musik, und dabei auch eine Hommage an die einzig­ar­tige Karibik-Insel. Gewiß kein Hauptwerk, doch unter der Hand auch eine Stel­lung­nahme zu Politik und Gesell­schaft auf Fidel Castros Insel.
Aus Anlaß des Films­starts war Wim Wenders in München. Für Artechock sprach Rüdiger Suchsland mit ihm am 29.4.1999 im Hotel Vier Jahres­zeiten.

artechock: Im letzten Bild Ihres Filmes Buena Vista Social Club sieht man wie die kuba­ni­sche Flagge in der Carnegy Hall gehisst wird. Was bedeutet das? Zufällig haben Sie das Bild sicher nicht gewählt. Ist das ein poli­ti­sches Statement?

Wim Wenders: Die Carnegy Hall war natürlich zur Hälfte voll mit Exil­ku­ba­nern, die von Anfang bis Ende geheult haben. Und einer ist dann am Schluß mit der Fahne vorge­laufen, und dann 'ham alle geheult, auf der Bühne und unten. [LACHT] Das ganze Konzert war ein bißchen ein poli­ti­sches Statement. Und das die alle einfliegen konnten, und Visa bekommen haben, war schon ungeheuer. Das hat auch bis zum Schluß auf der Kippe gestanden. Daß da eine wirklich kuba­ni­sche Band in der Carnegy Hall gespielt hat, und davor saßen dann die Exil-Kubaner, das war schon ein richtiges poli­ti­sches Ereignis. Ich hoffe auch, daß das Folgen haben wird, wie auch der Film jetzt, der ja auch in Amerika im Kino kommt.
Die Ameri­kaner wissen nämlich herzlich wenig über Kuba. Ich glaube 95 Prozent der Ameri­kaner wissen nicht, daß es dieses Embargo gibt. Die wissen das nicht, die habe keinen Schimmer, die wissen nicht mal, wo Kuba liegt. [LACHT]

artechock: Wie war es denn in Kuba? Da hocken dann die Touristen in ihren Touris­ten­bun­kern, und sonst geht es doch eher traurig zu, oder?

Wenders: Das stimmt schon, es fehlt den Leuten wirklich am Nötigsten. Kuba ist halt hoff­nungslos allein­ge­lassen, weil alles, was da einmal an Verbün­deten da war, nicht mehr da ist, und wirklich alles ausein­an­der­fällt. Nicht nur die Autos. Ich glaube, in Havanna fallen jeden Tag 30 Häuser in sich zusammen. Weg! Es fehlt wirklich an allem. Und auf dem Land ist es wahr­schein­lich nochmal schlimmer.
Das Erstaun­liche ist, wie gelassen die Kubaner das nehmen. Und wie lebens­froh die trotz all dem sind.

Den Tourismus haben wir auch gesehen: Da kommen schon Flug­zeug­la­dungen aus England, Frank­reich, Deutsch­land an. Die offi­zi­elle Währung ist jetzt schon der Dollar. Auch Kubaner zahlen meistens in Dollar.

artechock: Aber die Kubaner bekommen ja nur das Wenigste von dem Geld ab, das meiste bleibt doch bei den Firmen, die die Hotels betreiben.

Wenders: Genau. Die Touristen essen auch meistens im Hotel. Der Tourismus ist schon sehr frag­würdig. Und das hilft denen auch überhaupt nix, natürlich.
Was denen hilft, weiß man natürlich nicht so richtig. Wenn irgend­wann Castro abtritt, und irgend­wann ja notwendig ein Kollaps passiert, das System weg ist, dann stehen ganze Armeen -Super­markt­ketten, Händler in Miami- bereit, 'rüber­zu­fahren. Und ob die Kubaner das auf die Reihe kriegen, so straight aus den 60er Jahren da im Jahr 2000 zu landen? Ich möchte schwer hoffen, daß das keine fürch­ter­liche Bauch­lan­dung wird.
Man möchte ihnen das auch nicht wünschen, daß das so Hals über Kopf, Holter-die-Polter irgend­wann eines Tages von einem Tag auf den anderen da zusam­men­klappt.

artechock: Wie haben Sie denn die Exil­ku­baner erlebt? Auf der einen Seite hört man, daß die ziemlich rechts stehen, und klar gegen das Castro-Regime einge­stellt sind, auf der anderen Seite haben Sie ja gerade von der Rührung in der Carnegie-Hall erzählt.

Wenders: Die Kubaner sind erstmal a priori unheim­lich patrio­tisch. Und auch die Mitglieder der „Buena-Vista-Band“ sind alles Leute, die willent­lich, wissent­lich in Kuba geblieben sind. Jeder von denen hätte irgend­wann die Chance gehabt, abzuhauen. Das sind alles Leute die dage­blieben sind, weil sie ihr Land lieben. Dabei ist aber keiner dabei, der sich politisch damit irgendwie iden­ti­fi­ziert. Es ist auch schwer, mit denen darüber zu reden, das wollen die natürlich nicht so gern. Muß man verstehen. Wir wollten ja niemand da irgendwie in die Bredouille bringen.
Aber ich glaub' schon, daß man sagen kann, daß die echt alle ziemlich unpo­li­tisch sind, und sich wirklich kaum dafür inter­es­sieren. Die ganze Bevöl­ke­rung ist in so 'ner Art Winter­schlaf und möchte irgend­wann aufwachen, und dann ist es vorbei. Aber selbst das zu Ende bringen wollen sie auch nicht. Da gibt es schon eine gewisse Soli­da­rität. Nicht nur politisch. Aber es war schon die gloriose Zeit in der Geschichte dieses Landes. Wenn man sich das anschaut, war es ja auch eine wahn­sin­nige Leistung, was die dahin gestellt haben.
Aber wie lange das mit diesen Zuständen auszu­halten ist, weiß man natürlich nicht.

artechock: Was ist denn Ihre eigene Position dem Regime gegenüber? Über­wiegen für Sie die negativen Seiten der Diktatur, oder die positive Bilanz: Gesund­heits­ver­sor­gung, Ausbil­dung haben in Kuba einen besseren Stand, als in vielen anderen Ländern.

Wenders: Kann man auch nicht umhin, das zu sagen. Man merkt es ja erst, wenn man wieder wegfährt: Nach drei Wochen in Kuba bin ich über Mexico City nach Los Angeles geflogen und da merkt man plötzlich, daß da an jeder Straßenecke jemand steht, der die Hand aufhält, und auf Papp­kar­tons schläft – es ist ja unglaub­lich, wie das in den USA zuge­nommen hat.

Und dann erinnert man sich plötzlich: In Kuba hat man keinen betteln sehen, und nicht weil da Betteln verboten ist. Es hat niemand gebettelt. Und ich glaube nicht daß ich in den drei Wochen jemanden getroffen habe, der kein Dach überm Kopf hatte. Wie gebildet die Kinder sind, daß kriegt man auch gleich mit, und wie gelesen wird – die Zahlen kennt man ja. Man merkt das dann wirklich, daß es keinen Anal­pha­be­tismus gibt. Und das Bildung keine Klas­sen­sache ist. Da kann man nicht umhin, daß einiges so ist, daß man sich wünscht, daß es so bliebe.
Auf der anderen Seite ist es natürlich völlig anachro­nis­tisch und lächer­lich, wie die sich da gebärden. Castro ist ein Ritter von der traurigen Gestalt.

artechock: Es gibt in letzter Zeit wieder mehr Versuche, Doku­men­tar­filme ins Kino zu bringen. Ist das ein Revival, ist die Kino­land­schaft wieder etwas freier geworden?

Wenders: Ich möchte eigent­lich annehmen, daß sich das doch hoffent­lich letzten Endes nach Bedürf­nissen richtet. Und das das Kino doch ein Markt ist, in dem es um Nachfrage geht. Und möchte doch annehmen, daß viel­leicht beim Konsumgut Action­film und großes Spektakel eine gewisse Sättigung erreicht ist, daß das viel­leicht daran liegt, daß ein Bedarf, eine Nachfrage nach etwas, was mehr mit Realität zu tun hat, da ist.
Also ich hoffe, daß es so ein Bedürfnis gibt.

artechock: Meinen Sie daß die Zeiten vorbei sind, der Ironi­sie­rung von allem und jedem im Film? Die hat man ja erlebt, viel­leicht sogar weniger im Action­film, viel­leicht eher in manchen sehr quali­tät­vollen Sachen, wenn ich an Tarantino denke.

Wenders: Ich glaube, daß man an dem Zeitgeist zum Ende des Jahr­hun­derts und Jahr­tau­sends gewisse spiri­tu­elle Bedürf­nisse mehr sieht, als vor 10 Jahren. Also Sinn­be­dürf­nisse wieder mehr ins Spiel kommen. Und die Leute da anders rangehen, als mit der Frage: Wie kann ich mich am besten amüsieren?
Viel­leicht hat das auch viel zu tun mit diesem Jahr 2000 – hat ja irgendwie so 'ne gewisse mythische Dimension. [LACHT]

artechock: Was meinen Sie, was da Antworten sein könnten? Denn die Frage stellt sich natürlich leicht.

Wenders: Die Frage stellt sich leicht. Und die meisten Antworten machen sich auch lächer­lich – per defi­ni­tionem. [LACHT] Trotzdem gibt es noch den einen oder anderen Don Quixote, der sich hier aufs Roß schwingt. So wie jetzt Benigni sich aufs Roß geschwungen hat, und einen Film gemacht hat, der tatsäch­lich Fragen stellt, und versucht, andere Sinn­zu­sam­men­hänge herzu­stellen.
Der eine oder andere Don Quixote wagt es, und ich finde es unheim­lich toll, daß da hin und wieder einige ein paar Wind­mühlen hinter sich lassen.

artechock: Fühlen Sie sich denn als so ein Don Quixote?

Wenders: Voll. [LACHT]

artechock: Und Castro – haben Sie ja eben gesagt – ist das auch: Ein Ritter von der traurigen Gestalt. Ich habe eben schon gedacht, daß das ja eigent­lich nichts Unsym­pa­thi­sches ist: Daß einer an ein paar Ideen, wie verquer auch immer, festhält. Und nicht alles preisgibt.

Wenders: Dort steht überall: »Wir glauben an unsere Ideen.« Nur die meisten dieser Ideen sind halt leider dermaßen ins Leere gelaufen, daß da kaum noch jemand da ist, der mit ihm daran glaubt.

Also es ist schon unglaub­lich anachro­nis­tisch. Das ganze Land ist so ein merk­wür­diges Zeitloch. Es liegt ja da auch am Bermuda-Dreieck. [LACHT] Also ein schwarzes Loch ist das schon. Man merkt das erst wieder, wenn man abreist, daß man da wieder 1999 landet. Und dazwi­schen war man in so einem Niemands­land, wo vieles von dem, was bei uns gilt, nicht gegolten hat.

artechock: Gibt es denn auch ein paar Ideen aus der Zeit, als Sie früher in Deutsch­land Filme gemacht haben, denen sie heute nach­trauern, weil sie nicht mehr wirken, oder die nicht mehr akzep­tiert werden, weil sich die deutsche Kino­land­schaft ja ganz entschei­dend verändert hat?

Wenders: Ich wüßte nicht, wem oder was ich nach­trauern würde. Ich setze eigent­lich – wie eben schon mal gesagt habe – all' meine Hoffnung darauf, daß das Kino die Chance hat, sich aus Bedürf­nissen zu rege­ne­rieren. Und daß das Kino ja so eine weite Idee ist, daß sich das in allen Varia­tionen erhält, nicht nur in der Variation großer Unter­hal­tungs­filme, nicht nur in der Variation: Zwei Stunden zudröhnen. Sondern daß daneben die anderen Möglich­keiten, die das Kino hat weiter exis­tieren können, weil es Leute gibt, die darauf 'mal Bock haben.

artechock: Aber das meiste Kino ist ja heute nicht auf die Bedürf­nisse des Publikums aufgebaut, sondern auf das finan­zi­elle Risiko, die Finan­zie­rung...

Wenders: ...das ist ja ein Kreislauf...

artechock: ...wenn ich mir so einen Film anschaue, wie Straight Shooter jetzt, der hat 10 Millionen gekostet. Und wenn die nur 20.000 ins Drehbuch inves­tiert hätten, wäre es ein besserer Film geworden.

Wenders: Das fragt man sich ja öfters. Da werden sogar Filme für 100 Millionen gemacht, wo das Drehbuch hane­büchen ist.

artechock: Sie sind jemand, der in zwei Welten arbeitet. Hat Deutsch­land filmi­schen Nach­hol­be­darf?

Wenders: Die selben Fehler werden in Amerika genauso gemacht. Es ist ja nicht so, daß die irgendwie die Geheim­re­zepte wüßten. Man glaubt das immer, daß die irgendwas wissen, was man woanders nicht weiß. Aber da gibt es ja noch viel mehr „trial and error“. Was da in den Sand gesetzt wird, mit welchen Unsummen, das geht auch auf keine Kuhhaut.

Es ist halt nur so, daß in der Masse auch notge­drungen immer die Treffer drin sind, und insgesamt es sich offen­sicht­lich lohnt, auch Filme für 50 Millionen in den Sand zu setzen. Ich denke nicht, daß die so viel mehr wissen. Es ist insgesamt einfach nur eine weiter­ent­wi­ckelte Apparatur – von Produk­tion bis Verleih –, und so ein viel größerer Heimat­markt. Das ist halt der größte Markt auf der Welt.
Und da ist es dann ein Dilemma, wenn man in Deutsch­land Filme macht.

artechock: Ältere US-Filme haben Sie ja immer faszi­niert und ihr Werk beein­flußt. Gibt es denn für Sie in zeit­genös­si­schen US-Filmen auch Ansätze, die Sie faszi­nieren?

Wenders: Es ist schon erstaun­lich, mit welcher Grad­li­nig­keit die Ameri­kaner in Bildern erzählen können. Da kann man machmal nur mit den Ohren schla­ckern, und sagen: Gut erzählt.
Aber das ist auch nicht die Regel. Ich sitze oft im Kino, und denke: Wer hat die Entschei­dung gegeben, daß so eine gequirlte Scheiße gedreht wird. Wo man sich doch an drei Fingern abzählen kann, daß das nichts wird. Aber hin und wieder geht ja dann doch plötzlich ein Film, wo man sich das auch gedacht hätte, und dann ist das wieder eine Recht­fer­ti­gung für eine ganze Gene­ra­tion solcher Sachen.

artechock: Dieses in-Bildern-erzählen liegt doch in Deutsch­land eher brach. Und das liegt nicht an den Kame­ramän­nern, von denen wir ja gute Leute haben...

Wenders: In der Tat!

artechock: ...aber dieses erzählen-in-Bildern wird bis heute eher stief­müt­ter­lich behandelt. Ich habe schon mit einigen jungen ameri­ka­ni­schen Regis­seuren gespro­chen, die erzählen, daß sie in Los Angeles die ersten zwei Jahre gar keinen Dialog verwenden durften. Die mußten ihre Geschichten ganz in Bildern erzählen. Ich denke, daß ist an deutschen Film­hoch­schulen nicht so. Da erlebt man Dialoge – das muß wirklich nicht sein.

Wenders: Ja, da kommt dann auch eine andere deutsche Tradition ins Spiel, die alles gerne noch mal gesagt hat. Da gehör' ich ja selbst auch dazu. [LACHT] Aber man lernt ja aus Fehlern.

artechock: Was denken Sie denn über neue Ansätze, die es im europäi­schen Kino gibt. Man muß in dem Zusam­men­hang nach „Dogma 95“ fragen. Warum kommt so etwas nicht aus Deutsch­land? Oder warum kommt es nicht von Leuten wie Ihnen selbst, die ja durchaus in andere Rich­tungen denken – weg von Hollywood?

Wenders: Ich finde das Kino so viel­seitig, daß ich so ein Dogma so dusselig finde. Es gibt so viele inter­es­sante Arten, Filme zu machen. Warum nur eine?
Für einen Film finde ich das aufregend. Ich habe auch schon Filme gemacht, wo ich nur ein Objektiv benutzt habe. Man kann auch Filme ohne Dialog machen. Und das kann ja auch jeweils ganz wunderbar sein. Aber jetzt zu sagen: »Man darf nur das und das« – das finde ich Käse.
Außer daß es einen dann natürlich lockt, das Dogma zu brechen. Viel­leicht muß man hin und wieder eins aufstellen, nur damit man’s selbst brechen kann.

artechock: Die geben ja auch alle im Internet die „Confes­sion“ an, in der sie dann zugeben, wo sie das Dogma gebrochen haben. Aber die Filme, die dabei 'raus­kommen, sind doch ganz gut, oder?

Wenders: Zum Teil ja.

artechock: Glauben Sie, das ist überhaupt ernst gemeint? Oder ist es nicht eine Form von Ironie?

Wenders: Ich bin mir ziemlich sicher, daß dahinter eine ganz witzige Public-Relations-Idee steckt, eine ganz schlaue.
Im Grunde müßte jeder Film sich sein eigenes Dogma suchen. Jeder Film hat ja seine eigene Sprache. Man muß die finden, und dazu dann auch stehen. Und manchmal muß man sich auch bis zum Schluß an diesen Katalog von Ausdrucks­formen halten. Es ist auch sehr gut, wenn man sich beschränkt. Das ist toll. Aber andere Arten von Filme-machen zu deklas­sieren, daß finde ich absurd. Nur eine PR-Idee. Hat doch funk­tio­niert.

artechock: In was für eine Richtung gehen Sie jetzt mit Ihrem nächsten Spielfilm: The Million Dollar Hotel – was muß man sich darunter vorstellen?

Wenders: Der hat nun auch sein Dogma. [LACHT]
In dem Fall hieß das Dogma: Alles drehen an einem Ort, ein Hotel und die vier Straßen drumherum. D’rüber­hinaus galt et nich. [LACHT]
Ich habe noch nie bessere Schau­spieler gehabt. Ich habe noch nie so lange gesucht – die optimale Besetzung. Einen Besseren als den Mel Gibson für den FBI-Agenten hätte ich auch nicht gefunden. Der ist ein groß­ar­tiger Schau­spieler.

artechock: Stimmt es, daß Sie die Möglich­keit hatten, Lulu on the Bridge zu drehen, und die Option verstrei­chen ließen?

Wenders: Die Geschichte ist ein bißchen anders: Das ist echt eine Komödie der Irrungen. Juliette Binoche und ich wollten gerne zusammen einen Film machen. Wir hatten viele Ideen, wußten aber nicht genau, was das werden sollte. Juliettes Idee war irgendwas, das auf dem »Lulu«-Stoff von Wedekind basieren könnte.
Dann habe ich versucht etwas zu entwi­ckeln, und habe dann der Juliette vorge­schlagen, daß ich den Paul Auster da mit 'reinnehme als Dreh­buch­autor. Das fand sie dann auch gut. Und dann habe ich mit dem Paul gespro­chen, und der sagte: »Das trifft sich ja wahn­sinnig, ich habe sowieso etwas, an dem ich arbeite. Deine Lulu-Idee paßt da gut rein.« Dann habe ich mit dem Paul an diesem Drehbuch gear­beitet, und dann war das Drehbuch fertig, und hat mir gut gefallen. Aber je mehr Paul und ich darüber geredet haben, um so mehr hab' ich gemerkt, daß Paul da unheim­lich viele Ideen hatte, Ideen, die man eigent­lich nicht hat, wenn man nur der Autor ist.

Und irgend­wann habe ich dann gesagt: Paul, wir sind gute Freunde und sollten das auch bleiben. Willst Du nicht den Film selber machen? Es ist schwer mit einem Autor zu arbeiten, der eigent­lich gerne selbst Regie führen will. Und er ist ganz weiß geworden, aber dann hat er es geschluckt.

Und das hat dann dazu geführt [LACHT], daß die Juliette gesagt hat: Aber eigent­lich wollte ich doch mit dem Wim... Sie hat sich das lange überlegt, aber jetzt ist es die Mira Sorvino geworden. Und jetzt sind wir beide nicht mehr drin in einem Projekt, das eigent­lich von uns ausge­gangen ist.
Aber ohne bad feelings.

artechock: Aber das war doch für Sie bestimmt ein bißchen blöd? Sie haben ja auch Arbeit inves­tiert. Und wollten 'nen Film mit Juliette Binoche machen.

Wenders: Wir finden schon was [LACHT].