Die verborgenen Seiten der Seele |
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Zärtlicher Blick in die Ferne: Intimacies (2012) |
Von Dunja Bialas
Happy Hour des japanischen Regisseurs Hamaguchi Ryusuke war nicht nur einer der schönsten Filme der Viennale, er war mit über drei Stunden auch einer der längsten. Bevor wir im Juli beim Münchner Filmfest das elegische Werk mit Bezügen auf Ozu Yasujirō, Hirokazu Koreeda und Anklängen an die asiatischen Meister Jia Zhangke (China), Hong Sang-soo (Korea) und Hou Hsaio-hsien (Taiwan) sehen können, kann jetzt im Werkstattkino bei der Reihe »Neues asiatisches Kino« in einer kompletten Werkschau sein bisheriges Filmschaffen entdeckt werden. Die deutsch-koreanische Filmemacherin Susanne Mi-Son Quester hat vor einem Jahr das Festival gegründet, um dem asiatischen Film einen konzentrierten Blick in München zu geben. Im Zentrum ihres Programms steht jeweils ein junger Regisseur (oder eine Regisseurin), dessen Filme es zu entdecken gilt.
Nach dem Koreaner Whang Cheol-Mean, der im ersten Jahr beim Festival zu Gast sein konnte, nimmt sie sich diesmal den Filmen des 1978 in Japan geborenen Hamaguchi Ryusuke an.
Hamaguchi zeigt in unspektakulären, stillen Filmen ein sehr alltägliches Japan. Die Arbeitswelt ist für ihn ein Thema, auch die Beziehungen zwischen den Menschen. Ganz allgemein. Liebesbeziehungen kommen eher am Rande vor, und auch nicht in der großen Tragik eines Hirokazu Koreeda, der viel deutlicher noch als Hamaguchi Ryusuke mit den Filmen Ozus Bezug aufnimmt. Hamaguchi gehört zu einer neuen Welle des digitalen asiatischen Kinos, das ohne großes Budget auskommt und ohne große Plots. Unter seinen acht zum Teil überlangen Filmen ist fast die Hälfte Dokumentarfilme: Hamaguchi ist ein Beobachter, der an dem »realen«, unverkünstelten Leben interessiert ist. Dementsprechend arbeitet er überwiegend mit Laiendarstellern, bei denen er es schätzt, dass sie »sie selbst sein wollen«, einen unverstellten Blick auf ihre Persönlichkeiten und »die menschliche Natur freizulegen« erlauben, wie er im Interview erzählt.
Nun kann an den kommenden sieben Tagen das Werk Hamaguchi Ryusuke erkundet werden. Den Auftakt macht Sound of the Waves, der erste Teil der »Tohoku Documentary Trilogy« über die Tohoku-Region auf der Insel Honshu im Nordosten Japans. Sie wurde über die Jahre von horrenden Naturkatastrophen heimgesucht, darunter die Tsunamis von 1933 und 2011. Hamaguchi reist mit seinem Co-Regisseur Sakai Ko, mit dem er alle Dokumentarfilme realisiert hat, auf die Insel, um den Spuren von Verwüstung und Wiederaufbau nachzugehen und die Erfahrungen der Überlebenden in vielen Gesprächen zu sammeln (Do. 21.01. und Mi. 27.01.). Auch die anderen beiden Teile der Trilogie suchen vor allem den Kontakt mit den Überlebenden von Katastrophen. Voices from the Waves: Shinchimachi (Mo. 25.01.) und Voices from the Waves: Kesennuma (Mo. 25.01.) sammeln beide die Zeugenberichte der Erdbeben-Überlebenden Ostjapans, die üblicherweise mit »Fukushima« verschlagwortet werden. In den Interviews kommt zum Ausdruck: Sie fühlen sich schuldig, weil sie überlebt haben, tragen aber die Hoffnung in sich.
Die verborgenen Seiten der Seele sind auch in den Spielfilmen Hamaguchis die stillen Dramaturgen. Einen Beziehungsreigen setzt in Passion ein Liebesgeständnis in Gang, was, wie bei vielen anderen asiatischen Filmautoren auch, französische Einflüsse à la Rohmer deutlich macht (Fr. 22.01. und Di. 26.1.).
Der Fotograf, sein Model und der Zuhälter: Das homoerotische, in
japanisch-koreanischer Co-Produktion entstandene Drama The Depths ist voller Anspielungen auf das Yakuza-Genre und zeigt den Hang, den Hamaguchi immer wieder auch zum großen Kino verspürt (Fr. 22.01. und So. 24.01.).
An Jacques Rivettes Theaterfilme erinnert wiederum der über vierstündige Intimacies, bei der sich die Proben zum Stück mit den Nachrichten über die Ereignisse im Nachbarland Korea mischen. Theater und Film, Dokumentation und Fiktion gehen ineinander über – die ganze Facette des Lebens (Sa. 23.01.).
Einen Ausflug ins Mystery-Genre wagt schließlich der knapp einstündige Touching the Skin of Eeriness. Manipulation, Mord und Modern Dance gehen hier eine unheilbringende Laison ein. Zu entdecken am Do. 21.01., Di. 26.01. und Mi. 27.01.
Neues Asiatisches Kino – Werkschau Hamaguchi Ryusuke
21. bis 27.01.2016, Werkstattkino