»Einfach eine große amerikanische Liebesgeschichte!« |
||
Oscarpreisträger Ang Lee (r.) bei den Dreharbeiten zu Brokeback Mountain |
Der aus Taiwan stammende Amerikaner Ang Lee ist schon lange ein Grenzgänger zwischen West und Ost. Immer wieder hat der 51-Jährige, der seit über 30 Jahren in Amerika lebt, diese seine doppelte Zugehörigkeit thematisiert. Gleich vier Oscars gewann er im Jahr 2001 allein für seinen Martial-Arts-Film Tiger & Dragon – mehr als jemals ein anderer nicht-englischsprachiger Film. Sein neuester Film Brokeback Mountain, der beim Filmfestival in Venedig den »Goldenen Löwen« gewann, gewann in diesem Jahr für Brokeback Mountain den Regie-Oscar.
Mit dem Regisseur sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Nach dem Bürgerkriegsfilm Ride with the Devil haben Sie jetzt zum zweiten Mal eine Art Western gedreht...
Ang Lee: Ride with the Devil war eher eine Art Pre-Western. Erst die letzte Szene verweist auf den Western.
artechock: Und Brokeback Mountain ist dann ein Post-Western, oder wie würden Sie ihn bezeichnen?
Lee: Ja, ein Post-Western. Manchmal fragen die Leute mich, warum ich das Genre verdrehe. Dann antworte ich ihnen: Wahrscheinlich bin ich verdreht. [Lacht]. Denn mein Film zeigt die Realität des Landlebens im amerikanischen Westen. Was wir im Western als Filmgenre zu sehen bekommen, ist meiner Meinung nach reine Erfindung: Revolverhelden. Machotum. Man ignoriert die andere Seite der Geschichte: Die Komplexität. Manche Western-Filme sind
zwar komplexe Dramen, aber das Bild des Westens, das sie entwerfen, ist nicht sehr komplex. Man benutzt es allenfalls als Hintergrund.
Als ich zu diesem Thema kann, war mir schnell klar, dass ich beide Seiten zeigen wollte: Einerseits die Macho-Haltung, andererseits die weicheren Seiten der Cowboys: Sie haben große Achtung vor der Natur, sie kümmern sich um ihre Tiere, sie bemuttern sie regelrecht. Voller Zärtlichkeit. Aber zueinander sind sie brutal. Erst wenn man sie kennenlernt,
erkennt man ihre weicheren, gefühlvolleren Seiten.
artechock: Welches sind Ihre persönlichen Favoriten unter den klassischen US-Western?
Lee: Oh, da gibt es natürlich einige großartige: Ohne Zweifel John Ford, auch wenn mir ein Teil der politischen Botschaften nicht so sympathisch ist – aber es sind großartige Filme. Howard Hawks hat einige gute gemacht – obwohl er kein reiner Western-Regisseur ist. Sam Peckinpah auch. Bud Boetticher mag ich wirklich. Ich mag es, wenn Regisseure den Western-Hintergrund als Bühne eines universalen Dramas nutzen: Auch wenn
die Landschaft weit und monumental ist, ist der Rahmen klar umgrenzt. Ein großes, sehr isoliertes Drama, wie auf einer Theater-Bühne.
Ich denke, Western sind wie chinesische Martial-Arts-Filme: Ein nationaler Schatz. Man kann das Genre sehr effektiv als Rahmen eines existentiellen Drama auffassen. Das gefällt mir ausgesprochen. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass das viel mit der Wirklichkeit zu tun hat. Das sind völlig imaginäre Phantasmen.
Wenn es um die
Wirklichkeit des Lebens im Westen, an der „Frontier“ geht, dann muss man auf ganz andere Werke zurückgreifen: Filme wie Peter Bogdanovichs The Last Picture Show – ein großes Drama –, Geschichten von Schriftstellern wie Annie Proulx, die mit ihrer Kurzgeschichte die Vorlage zu meinem Film geliefert hat.
artechock: Sehen Sie sich selbst als Genre-Regisseur? Blickt man auf ihre Filmographie, könnte man den Eindruck haben: Sie haben zwei Fast-Western gedreht, einen Kostümfilm, eine Superhelden-Comic-Verfilmung, einen Martial-Arts-Film...
Lee: Nein, das glaube ich nicht. Vielleicht springe ich zwischen den Genres hin und her, weil ich eben überhaupt kein Genre-Regisseur sein möchte. Ein bestimmtes Material gewinnt meine Aufmerksamkeit, ich will daraus einen Film machen – es sind ja oft literarische Vorlagen gewesen, worunter ich auch den Hulk-Comic fasse –, und während der Arbeit daran, leihe ich mir gewissermaßen manche Genre-Stereotypen aus. Denn die Erwartungen im Kino sind genaugenommen eng limitiert: Man muss zumindest Anleihen ans Genre machen, damit das Publikum eine Ahnung hat, was es erwarten kann. Das tue ich auch. Aber ich habe Angst davor, mich zu deutlich auf das Genre einzulassen, und irgendwelchen Erwartungen zu entsprechen. Meine Produzenten, das Publikum und Kritiker würden mir nur vorwerfen, nicht »zu liefern«. Das würde meine kreative Freiheit einschränken. Darum versuche ich, eindeutige Genre-Zugehörigkeiten so weit wie möglich zu vermeiden. Das meinte ich mit »verdreht«. Ich drehe mir die Sachen so zurecht, wie ich es brauche, nach dramatischen Bedürfnissen. Ich versuche niemandem – keinen Menschen und keinen Genreregeln – zu gehorchen. Ein bisschen muss ich es dann doch. So ist einfach das Leben.
artechock: Ihr letztes Original-Drehbuch war Eat Drink Man Woman. Seitdem haben Sie Drehbücher anderer verfilmt. Warum? Waren das reine Auftragsarbeiten?
Lee: Nein, ich habe nur einmal eine Auftragsarbeit ausgeführt, das war Sense and Sensibility. Alle anderen Stoffe habe ich schon selber und ganz eigenständig entwickelt. Nur bin ich ein besserer Regisseur als Drehbuchautor. Darum suchte ich mir für meine letzten Filme Drehbuchautoren, mit denen ich das Script zusammen geschrieben habe.
Bei
meinen ersten drei Filmen hatte ich dafür einfach nicht das Geld. Darum musste ich sie selber schreiben. Da habe ich mir dann Geschichten ausgedacht, die etwas mit meinem eigenen Leben – Generationenkonflikte in chinesischen Familien, Einwandereridentitäten zwischen China und USA und zwischen Tradition und Moderne – zu tun haben. Und ich habe viele Sätze eingebaut, die ich von meinen Eltern kannte. Aber nach drei Filmen hatte ich genug. Ich bin sehr froh, dass diese
Zeit jetzt vorbei ist. Auch andere Leute haben auch gute Ideen.
artechock: Ihre Filme drehen Sie zumeist an Originalschauplätzen außerhalb eines Studios. Ihr langjähriger Produzent James Schamus behauptet, Sie mögen Studios nicht besonders. Warum?
Lee: Studios können sehr angenehm sein. Aber sie sind nicht immer besonders realistisch. Darum gehe ich lieber an Originalschauplätze. Womit ich nicht sagen will, dass man nicht sehr viel tricksen kann. Aber gerade manche Schwierigkeiten, die Widerständigkeit eines Ortes, an dem nicht alles möglich ist, kann sehr inspirierend sein. Das bringt gerade Realismus und Lebensnähe, die dann wieder das Publikum berührt. Weil Film ein
fotorealistisches Medium ist, ist Detailfülle der beste Weg, um das Publikum dazu zu verführen, eine nichtrealistische, emotionale Welt zu betreten.
Aber Studios sind sehr bequem. Man kann gerade mit der Kamera viel mehr machen. Außenaufnahmen sind hingegen oft sehr anstrengend. Einige unserer Szenen draußen im Sommerlager der beiden Hauptfiguren hätte man viel bequemer in einem Studio drehen können, anstatt in der Kälte Kanadas wo wir gedreht haben ohne Elektrizität, wo
die Nacht so kurz ist.
artechock: Warum lassen Sie die Geschichte von Brokeback Mountain in den 60er und 70er Jahren spielen? Hätte es nicht Vorteile gehabt, sie in der Gegenwart spielen zu lassen?
Lee: Nun eine schwule Liebesgeschichte im Westen ist in jenen Tagen schwieriger gewesen, komplizierter, privater. Davon abgesehen: Annie Proulx' Kurzgeschichte spielt in dieser Zeit. Warum, das habe ich sie nie gefragt. Aber sie hat mir auch aufgrund der Epoche gefallen. Ich denke, in unseren Tagen wäre das alles in jeder Hinsicht ein geringeres Problem. Die Gefühle wären in gewisser Hinsicht weniger rein. Das sage ich, weil Anfang der 60-er noch viele Informationen fehlten. Die beiden haben keinen Wortschatz, um sich auszudrücken, um auch nur ihr eigenes Benehmen zu verstehen. Besonders für Ennis gilt das. Alles was er fühlt, ist entweder verzerrt oder sehr privat. Das gefiel mir sehr gut für die Geschichte. Erst 20 Jahre später begreift er, was er verfehlt hat. Ich denke, das ist sehr berührend.
artechock: Ich habe auch danach gefragt, weil fast alle Ihre Filme in der Vergangenheit spielen.
Lee: Das fing an, als ich aufgehört habe, über mein eigenes Leben zu schreiben. [Lacht] Ich kenne die Gegenwart nicht so gut. Die Bilder und die Ideen der Vergangenheit haben bereits eine Textur. Wenn Sie mich zum Beispiel fragen würden, was ich über die politischen Verhältnisse in Deutschland denke, dann weiß ich einfach nichts zu sagen. Ich weiß noch nicht, was herauskommt.
Wenn sie mich nun nach meiner Definition der
Vergangenheit fragen, dann kann ich sehr konkret antworten: 23 Jahre! Mit 23 Jahren Abstand beginnt die Vergangenheit. Das habe ich bei meinem Film The Ice Storm entdeckt. Als ich den gedreht habe, konnte ich mich nicht entscheiden: Ist das Vergangenheit oder Gegenwart? Dann entschied ich mich: Ich mache den neuesten Kostümfilm. Aber er lag noch ganz nahe an der Gegenwart.
Bei Brokeback Mountain ist das ähnlich: Der Film endet Anfang der 80er. Das ist schon sichere Vergangenheit.
Ich mag das. Ich fühle mich der Vergangenheit gegenüber sicherer, als gegenüber der Gegenwart. Ich recherchiere gern und baue eine Welt nach den Resultaten wieder auf. Die Gegenwart verändert sich zu leicht. Das ist eine Frage der Distanz, die gegenüber der Gegenwart fehlt. Und für das Publikum ist es auch
viel leichter, sich mit einer Vergangenheit zu konfrontieren.
Nur bei fremden Filmen ist alles egal: Zum Beispiel bei Eat Drink Man Woman hat der Film beim Publikum außerhalb Taiwans viel besser funktioniert, weil manche Künstlichkeit gar nicht mehr ins Gewicht fiel. Die Distanz half, sich auf die Substanz zu konzentrieren. Distanz hilft der künstlerischen Anerkennung. Wir brauchen alle
künstlerische Freiheit: Zeit, Raum, Territorium. Wenn man mich fragt warum ich einen Western drehe, erklärt sich das genau daher: Als Western-Outsider sehe ich nicht die Oberfläche, sondern den Subtext. Das half wirklich.
artechock: In Taiwan nahm man den Film als taiwanesischen Film auf?
Lee: Ja. Mehr oder weniger. In Taiwan sieht man wenig taiwanesische Filme. Edward Yang bringt sie dort gar nicht mehr raus.
artechock: Die meisten Ihrer Filme leben unter anderem von ihren wunderbaren Landschaften...
Lee: Ich denke das hat viel damit zu tun, dass ich in der chinesischen Kultur aufgewachsen bin. Die chinesische Kultur ist eine unterdrückte, sehr indirekte Kultur. Man lernt dort, indem man über das Wetter, über die Landschaft, über scheinbare Alltäglichkeiten wie den Mond spricht, indirekt über seine Gefühle zu reden. Man kann das bei anderen chinesischen Filmemachern auch finden. Wir interessieren uns vielleicht weniger für Tiere… [Lacht]
artechock: Wie haben Sie die »Marlboro«-Falle der falschen Western-Romantik vermieden?
Lee: Es gab ein paar Szenen, da habe ich meinen Mitarbeitern gesagt: Hier will ich eine Marlboro-Szene.
artechock: Wie haben Sie Ihre Hauptdarsteller gefunden?
Lee: Ich habe wenige angefragt, nicht alle haben geantwortet, bei anderen konnte man die Nervosität riechen – in Bezug auf das Thema „Homosexulität“. Bei diesen beiden gab es kein Problem. Für mich ist das Thema Herausforderung genug, da wollte ich keine zusätzlichen Probleme.
artechock: Waren die Liebesszenen ein besonderes Problem?
Lee: Nein. Wir haben uns ganz normal vorbereitet, und über diese Szenen nicht besonders gesprochen. Das ist eine Liebesgeschichte, das Wichtigste war, dass sie emotional in die Story hineinkamen. Davon abgesehen ist es mir selbst immer peinlich, über Sexszenen jeder Art zu viel zu reden. Die Darsteller sind Profis, die wissen schon, wie das geht.
artechock: Wie bereiten Sie überhaupt Ihre Schauspieler vor?
Lee: Ich übe, ich gebe ihnen etwas zu lesen, einen Film zu gucken. In diesem Fall mussten sie echte Cowboys kennenlernen, mussten vor allem die Sprache üben. Körpersprache war hier sehr wichtig.
artechock: Wissen Sie, wie verbreitet Homosexualität unter den „harten Männern“ der Cowboys ist?
Lee: Ich habe keine Studie darüber. Aber Sie können sich das vorstellen: Wenn Sie den ganzen Sommer nur mit einem anderen Mann da oben in den Bergen sind… [Lacht] Es sind mehr, als man glaubt. In den USA gibt es sogar eine eigene Gay-Rodeo-Vereinigung. Die Übergänge sind fließend und die menschliche Natur ist kompliziert: Wie nahe liegt eine Berührung bei einem Ringkampf an einer zärtlichen Geste.
artechock: Als Regisseur sind sie ein Grenzüberschreiter. Ihre Filme unterscheiden sich vom Mainstream. Haben Sie als Künstler vor nichts Angst? Woher kommt Ihr Mut?
Lee: Manchmal fühle ich mich mit der Welt nur schwach verbunden und bei der Arbeit wohler und erdverbundener, als ohne sie. Ich sage Darstellern intime Sachen, die ich zu meiner Frau nie sagen würde. Es ist eine sonderbare Sache.
Aber darum gehen wir ins Kino: Es ist eine intime Kommunikation, jeder überschreitet hier Grenzen.
artechock: Wie waren die Reaktionen auf Ihren Film in den USA? Ging es Ihnen mit diesem Film überhaupt darum, etwas für die Rechte der Homosexuellen zu tun?
Lee: Nein, darum ging es nicht. Das ist einfach eine große amerikanische Liebesgeschichte.
artechock: Einige würden es „unamerikanisch“ nennen… würden sagen, sie machen sich über amerikanische Mythen lustig...
Lee: Manche Kritiker sagen, ich sei gut darin, Amerika zu entlarven. Aber selbst wenn das das Ergebnis wäre: Das war nicht meine Absicht. Aber Hollywood zeigt nur Wunschdenken. Da ich in Amerika lebe, und ich meine Sinne beieinander habe, interessiert mich auch die andere Seite, die genauso wichtig ist. Alles Amerikanische hat einen globalen Einfluss.