»Ja, es ist ein typisch deutscher Stoff« |
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Tropfen auf heiße Steine |
Der 1963 geborene François Ozon gehört zu den interessantesten Vertretern der jungen französischen Regisseursgeneration. Nach zwei schrägen Komödien (Sitcom) und mehreren Kurzfilmen (die ebenfalls ab dieser Woche in ausgewählten Kinos gezeigt werden) hat sich Ozon in seinem neuesten Film an ein besonders ungewöhnliches und überraschendes Thema
gewagt: Tropfen auf heiße Steine ist die Verfilmung eines Theaterstücks, dass Rainer Werner Fassbinder im Alter von 19 Jahren geschrieben hat. Es wurde zu Fassbinders Lebzeiten nie inszeniert.
Rüdiger Suchsland sprach mit Ozon.
artechock: Wie kamen Sie darauf, ausgerechnet ein nahezu unbekanntes Fassbinder-Stück zu inszenieren?
François Ozon: Ich habe schon lange einen Film über die Schwierigkeiten einer Zweier-Beziehung machen wollen. Dabei war es mir völlig egal, ob es sich um eine heterosexuelle oder homosexuelle Beziehung handelt. Ich hatte das Stück von 5 Jahren in einer Pariser Aufführung gesehen, und mich daran erinnert. Als ich es wieder las, gefiel es mir sehr gut. Gerade weil ich kein Deutscher bin, hatte ich genügend Distanz zu der Geschichte und ihren gesellschaftlichen Hintergründen, um daraus einen Film machen zu können. Fassbinder scheint mir heute auch zu Unrecht relativ vergessen – gemessen an seiner Bedeutung.
artechock: In Deutschland ist er tatsächlich vergessen. Aber gilt das auch für Frankreich?
Ozon: Er ist da vielleicht weniger vergessen. Man kennt seine Filme, es gibt immer wieder Retrospektiven – insofern ist er als Filmemacher sehr respektiert. Mit seinen Theaterstücken seht das anders aus. Allenfalls ein paar junge Regisseure interessieren sich dafür.
artechock: Was ist Ihre persönliche Beziehung zu Fassbinder?
Ozon: Ich lernte seine Filme als Schüler kennen, als ich etwa 16 war. An der Schule gab es regelmäßige Kurse in Filmgeschichte. Mein Lehrer liebte die Filme von Wim Wenders, und hat sich mit uns eine Retrospektive seiner Filme angesehen. Um ehrlich zu sein, hat mich Wenders tödlich gelangweilt – bis heute ist das so. Ich bin fast eingeschlafen. Und einmal habe ich mich davongeschlichen. In einem Nachbarkino lief ein Fassbinder-Film: Die Ehe der Maria Braun. Ich habe nur Teile gesehen, aber war fasziniert. Daraufhin habe ich alles von Fassbinder gesehen, was ich sehen konnte. Es war mein Initialerlebnis als Filmemacher. Seine Stücke habe ich erst später kennengelernt.
artechock: Wie verfilmt man den Stoff eines so bedeutenden, aber auch schwierigen Film-Autors? Gerade wenn Sie Fassbinder so respektieren, gab es doch vielleicht Berührungsängste...
Ozon: Ich möchte mich als Filmemacher keinesfalls mit Fassbinder vergleichen. Mir schien es sinnvoll, mich im Stil ein wenig an ihn anzulehnen, ohne natürlich plump zu imitieren. Aber gegenüber dem Text war ich nicht sehr demütig.
artechock: Sie haben das Stück zum Teil umgeschrieben...
Ozon: Ja, Fassbinder war 19, als er das Stück schrieb. Der Anfang hat mir sehr gefallen, gegen Ende verliert es aber auch, ist zum Teil regelrecht misslungen. Ich habe einiges verändert, und zudem eine Figur verwandelt, Alter verändert, und ähnliches. Ziel war, das Personal glaubwürdiger zu machen. Zum Teil habe ich mich in alldem aber auch wieder an andere Arbeiten von Fassbinder angelehnt.
artechock: Wie blickt man als Franzose auf diesen Stoff, der doch vieles enthält, dass eine typisch deutsche und zudem in den 60er Jahren verhaftete Problematik wiederspiegelt?
Ozon: Ja, es ist ein typisch deutscher Stoff. Diese Form, in der Sexualität und Macht verbunden sind, scheint mir speziell zu sein. In meinem Film wird alles aber durch eine französische Brille gesehen. Ich wollte auch diese Sicht nicht verlieren. Also: ein europäischer Film.
artechock: Ich glaube, verglichen mit dem derzeitigen deutschen Film wirkt Ihrer typisch französisch. Das ist als Kompliment gemeint. Können Sie präzisieren, was hier das „typisch deutsche“ ist?
Ozon: Die Art der Liebesbeziehungen. Fassbinder hat hier einerseits nach dem verlorenen Krieg und der ganzen deutschen Schuld eine sehr pessimistische Sicht des Menschen gezeigt, andererseits doch versucht eine universelle Vision zu entwickeln. Diese versteckte Auseinandersetzung mit der Romantik, dieser Antiromantismus eines Romantikers erinnert mich an Heinrich Heine. Fassbinder ist ähnlich ironisch, aber eben auch ein indirekter Romantiker.
artechock: Was haben Sie für ein Verhältnis zu den sechziger Jahren? Wir gehören einer ähnlichen Generation an – mir scheint auf viele unserer Altergenossen wirkt diese Epoche heute sehr antiquiert. Die Sicht auf Sexualität, auf Politik & Gesellschaft, die Politisierung der Sexualität war eine ganz andere als heute.
Ozon: Ich war ein Kind, aber ich habe viele Erinnerungen. Man war stark engagiert, der Kommunismus schien eine reale Option. Es stimmt leider, dass das einem Zwanzigjährigen heute gar nichts mehr bedeutet.
artechock: Wie würden Sie verglichen mit damals den heutigen Zeitgeist beschreiben? Als größere Gelassenheit, oder als Indifferenz?
Ozon: Als Vergessen. Heute interessiert man sich kaum noch für die Vergangenheit. Die allgemeine Stimmung ist sehr oberflächlich. Nehmen Sie nur Fassbinder. Vor 20 Jahren war er weltberühmt, Deutschland könnte stolz auf ihn sein. Aber man hat ihn hier völlig vergessen. Das finde ich traurig.
Ich habe den Eindruck, dass man in Deutschland Film ausschließlich als Unterhaltung versteht. In Frankreich ist es anders. Film gilt bei uns als Kunst es gibt viele Cine-Clubs, die die Kinokultur pflegen. Auch kulturpolitisch wird in Frankreich mehr für den Film getan, als in Deutschland. Das ist schade, denn ich bin davon überzeugt, dass es Filme wie die von Fassbinder verdienen, gesehen zu werden. Sie sind so wichtig für die deutsche Kultur, Fassbinder setzt sich mit der Ära Adenauer auseinander, mit der Entwicklung der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Wir reden hier von einem wichtigen Teil der deutschen Kulturgeschichte. Seine Filme sind historische Schätze.
artechock: Ich sehe es ähnlich, aber ich glaube, dass heute viele Leute Fassbinders Kino als Antiquiertheit wahrnehmen, und glauben, die Zeit sei darüber hinweggegangen. Man kann mit dieser Art von Diagnose nichts anfangen. Es gibt ja deutsche Filme, die sich mit der Nazi-Zeit oder den 50ern befassen, aber eben ganz anders, als Fassbinder es tat.
Ozon: Wie geschieht das zum Beispiel?
artechock: Historistisch und gefällig. Als Stoff für Unterhaltung. Man sieht diese Zeit nicht mehr politisch, als offene politische Frage, sondern als eine Epoche, die vergangen ist; in der man aber – weil es eine „aufregendere“ Zeit war, „gute Geschichten“ erzählen kann. Das hat natürlich auch eine zynische Komponente, andererseits kommt es manchmal auch moralisierend daher. Aber politisch ist es nicht.
Ozon: Das ist natürlich schon deswegen schlecht, wenn sie an Ereignisse denken, wie Haiders Regierungsbeteiligung in Österreich. Fassbinder thematisiert ja gerade diese Fragen von Schuld und Hass. Historisch ist es natürlich interessant, dass einer wie er, der diese Arbeit der Vergangenheitsbewältigung hinter sich hat, heute eher ignoriert wird. Es ist mein Eindruck, dass viele Deutsche nicht die selbe Arbeit leisten wie er.
artechock: Kritik braucht etwas, auf dem sie ruht, worauf sie sich beziehen kann. Viele sind der Ansicht, die Linke hätte keine Visionen mehr, es gebe keine Programme mehr, auf die sie sich beziehen kann. Ist es aus Ihrer Sicht eine Selbsttäuschung vieler Filmemacher oder Intellektueller, die sich als politisch verstehen, oder stimmen Sie dieser Sicht zu?
Ozon: Oh nein, ich glaube ganz bestimmt, dass es sich da um Selbsttäuschungen handelt. Lange Zeit ist die Welt binär gewesen: Kommunismus vs. Kapitalismus, man kennt das; alles hat sich nach diesem Gegensatz konstruiert. Heute leben wir in Verhältnissen, die kapitalistisch und liberalsozialdemokratisch sind, und es scheint, als wäre die Politik aus denen verschwunden. Als gebe es keine Politik mehr, keine großen Ideologien, nur feine Unterschiede, wie den, dass England ein bisschen liberaler und Frankreich ein bisschen sozialdemokratischer ist. Gleichzeitig gibt es aber – glücklicherweise muss man fast sagen – viel Spielraum für politische Aktivität. Und natürlich gibt es Dinge, die politisch zu kritisieren sind: Ungleichheiten, die Ungerechtigkeit zwischen Nord und Süd. Aus diesen gründen muss man aus meiner Sicht weiterhin Politik und politische Filme machen. Und es ist schade, dass Fassbinder nicht da ist, um dies zu tun. Und dass es keine anderen deutschen Cineasten gibt, die das leisten (können).
artechock: Welche Rolle spielt in diesem Tableau die Sexualität?
Ozon: Sie ist eine große politische Macht. Das ist es, was mich an diesem Stück interessiert: Wir haben da einen Intellektuellen, Franz, der sich für Poesie und Theater interessiert, und der sich dann in einen Menschen verliebt, Leopold, der nicht besonders intelligent ist, nur aufs Kommerzielle fixiert, aber der eine sexuelle Macht über ihn ausübt, die seine sexuellen Phantasmen realisiert, dem er sich komplett aussetzt, und sich von ihm beherrschen lässt. Der eine Tür öffnet.
artechock: Wer hat ihre Perspektive beeinflusst außer Fassbinder? Gibt es bestimmte andere filmische oder intellektuelle Vorbilder, die ihre Arbeit an diesem Stoff mitgeprägt haben? Es scheint Anklänge an Michel Foucaults Werk zu geben.
Ozon: Ja, darauf werde ich oft angesprochen. Aber ich habe Foucault nicht gelesen. Aber man hat mir schon gesagt, dass ich ihn lesen sollte. Auf Filmemacher bezogen habe ich einen sehr klassischen Geschmack: Ich schätze Douglas Sirk, Fritz Lang, Hitchcock, Bergman – alles nicht sehr originell.
artechock: Und wen schätzen Sie unter den jüngeren, neueren Regisseuren besonders?
Ozon: Cronenberg, David Lynch, Claire Denis, Bruno Dumont. Unter den Deutschen habe ich leider niemanden. Ich mag Cineasten, die etwas versuchen, die in jedem Film etwas anderes ausprobieren. Die nicht zu sehr den Rezepten der Vergangenheit verhaftet sind. Die eine neue Narrationen, neue Sensationen erproben, die experimentieren.
artechock: Wie würden Sie denn Ihren eigenen Stil beschreiben?
Ozon: Das ist die Arbeit von Journalisten, nicht von uns Regisseuren. Sagen wir so: Ich intellektualisiere nicht alles, was ich mache. Ich stelle mir selbst nicht zu viele Fragen. Ich mache einfach weiter. Gehe voran. Eines Tages, wenn ich Tod sein werde, werde ich darüber nachdenken. [Lacht]
artechock: Aber wenn Sie an Drehbüchern arbeiten, müssen Sie schon ein bisschen nachdenken.
Ozon: Oh ja, aber das ist kein theoretisches Nachdenken. Da geht es um ganz praktische Fragen der Erzählweise. Das steht für mich wirklich im Zentrum: Welche Geschichte will ich erzählen, und wie mache ich das.
artechock: Früher haben französische Filmemacher weitgehend mit einer Stimme gesprochen, standen für einen bestimmten relativ einheitlichen Stil. Heute ist das nicht mehr so. Leider Gottes kommen auch viel weniger französische Filme in die deutschen Kinos. Wie sehen Sie das französische Gegenwartskino?
Ozon: Es ist absolut fertig. [Lacht] Man muss es retten. Nein im Ernst: wir haben natürlich Quoten fürs französische Kino. Das hilft enorm. Ich denke es sollte Quoten geben, die den übermächtigen Einfluss des US-Kinos zurückdrängen, und den europäische Film schützen. Bei uns gibt es dazu einen politischen Willen. Das ist gut. Auch der kulturelle Zentralismus in Frankreich kommt dem Film zugute. Seien wir ehrlich: französisches und italienisches Kino existiert praktisch nicht mehr. National ist es schlecht, international kommt es gar nicht vor. Europäisches Kino heißt heute: Französisch und Britisch. Die haben natürlich einen Sprachvorteil. Aber beide Länder machen auch andere Filmpolitik. Und sie haben eine andere Filmkultur. Das zahlt sich aus.