Die schönen Tage von Aranjuez

Les beaux jours d'Aranjuez

F/D/P 2016 · 98 min. · FSK: ab 0
Regie: Wim Wenders
Drehbuch:
Kamera: Benoît Debie
Darsteller: Reda Kateb, Sophie Semin, Jens Harzer, Nick Cave, Peter Handke u.a.
Ein Mann, eine Frau, eine Terrasse, ein schöner Sommertag.

Kino der Entschleunigung

Wim Wenders hat es nicht leicht. Sein neuester Film Die schönen Tage von Aranjuez feierte auf den Film­fest­spielen von Venedig Premiere und wurde von der Kritik leiden­schaft­lich gehasst. Erschwe­rend kommt hinzu, dass die Vorlage von Peter Handke stammt, auch Peter Handke wird von vielen nicht gemocht. Und dann auch noch das: Ein Kino der Entschleu­ni­gung. In 3D. Ein Mann, eine Frau, eine Terrasse, ein schöner Sommertag. Wozu hier 3D, wurde von vielen gefragt. Weshalb überhaupt ein Film, und kein Hörspiel? Oder eben gleich Theater?

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»Wer fängt an?« – »Du fängst an.« – »Wie war deine erste Nacht mit einem Mann?« – »Meine erste Nacht mit einem Mann war keine Nacht und nicht mit einem Mann.«

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Die Dialoge sind thea­ter­haft gespro­chen, und eigent­lich sind es nicht einmal Dialoge, es ist mehr ein Frage- und Antwort­spiel zwischen einem Mann und einer Frau, die im Film noch nicht einmal ein Paar sind. Und hier bereits beginnt die Perfidie, mit der Wim Wenders den Text seines lang­jäh­rigen Freundes und Wegbe­glei­ters Peter Handke zersetzt und zu etwas Neuem macht. Peter Handke hatte den »Sommer­di­alog«, wie er sein Stück »Die schönen Tage von Aranjuez« im Unter­titel nennt, für seine Frau geschrieben. Wim Wenders besetzt die Rolle der Frau mit Handkes realer Frau, der fran­zö­si­schen Schau­spie­lerin Sophie Semin und öffnet damit die Fiktion in die Realität hinein. Auf ähnliche Weise bricht er den geschützten Raum der Spiels auf, wenn er einmal Peter Handke mit einer Leiter als Gärtner im Hinter­grund zeigt, wie der sich an der Hecke zu schaffen macht. Es sind Quer­ver­weise auf die außer­fik­tio­nale Realität, aber mehr noch: zum realen Autor des Textes und der realen Adres­satin, für die dieser Text geschrieben wurde. Dieses Aufbre­chen des scheinbar so intakten Fikti­ons­ortes auf der Terrasse in einem male­ri­schen Garten setzt sich weiter fort, durch Figuren, die Wenders für den Film erfunden hat und mit denen er zwar den Text nicht verändert, ihn dennoch deutlich bricht. Hier kann sich Ironie hinein­schlei­chen und ein »plaisir« am Text, das Handkes Dialog mit seinen recht schweren Zeilen tatsäch­lich eher nicht bereit­hält.

Vexier­spiel­chen

Das Aufbre­chen geht weiter: Ein Schrift­steller sitzt im Haus, blickt auf die Terrasse, vor sich eine Schreib­ma­schine, und imagi­niert den Dialog, den Mann und Frau dann sprechen. Eine Fiktion der Kreation, die sich wie ein Teleskop zwischen die Szene auf der Terrasse schiebt und den Dialog in die Ferne rückt, ihn nicht mehr beim Wort nimmt: Wird der Dialog vom Schrift­steller vorge­spro­chen und auf die Lippen des Paares souf­fliert? Oder spricht der Schrift­steller nach, was er hört? Immer wieder lässt er die Worte auf seiner Zunge zergehen, mit sicht­li­cher Amüsiert­heit, einmal verlässt er seinen Schreib­platz, geht in die Küche, holt sich ein Glas Wasser und lacht lauthals. Über das, was er sich ausdenkt oder was er zu hören glaubt? Oder gar über den Film?

Dieses Vexier­spiel mit Kreation und Kreiertem, mit dem Erzähler außerhalb der Geschichte und den Figuren, die er erfindet, nimmt Wenders mit großem Spaß ganz ernst. Wenn dann auch noch urplötz­lich Nick Cave an einem Flügel sitzt, im Kame­ra­schwenk hinter der Jukebox auftaucht, dann ist das Spiel mit der Mate­ria­li­sie­rung der Schöpfung perfekt und die Ebenen sind ins Unend­liche gedehnt: Für Handke war die Jukebox sogar ein eigenes Essay wert (»Versuch über die Jukebox«, 1990), in dem er deren Wich­tig­keit beim Schreib­pro­zess betont. Darüber tut sich auch die Truhe zum Zita­ten­schatz von Wenders' eigenen Filmen auf, die oft auch von der Freund­schaft zu Handke inspi­riert waren (die Jukebox verweist auf Alice in den Städten, 1973, Nick Cave auf Der Himmel über Berlin (1987), das »krea­tio­nis­ti­sche« Zuhören des Schrift­stel­lers auf die Engel ebendort, Peter Handke wiederum auf 3 ameri­ka­ni­sche LPs, 1969, und auf Falsche Bewegung, 1974, und eben die Jukebox). Die Musik, die aus der Jukebox ertönt, wird einge­setzt wie ein antiker Chor, der das Geschehen aus der Warte außerhalb der Fiktion kommen­tiert, die Lieder sind bewusst gesetzte Elemente des Films. »I don’t believe in an inter­ven­tio­nist God«, singt Nick Cave, während der Autor-Kreator andauernd inter­ve­niert. Das alles ist natürlich ein ziemlich intel­lek­tu­eller Spaß.

Wenders stellt sicher­lich keine Schen­kel­klopfer her, aber er amüsiert sich auch über Handkes Text, der eini­ger­maßen chau­vi­nis­tisch ist: die Frau wird ausge­fragt, nach intimen Details ihrer Sexua­lität, sie beginnt zu erzählen, auf der Seite des Mannes keine Reaktion. Was Wenders als ziemlich tumbes Zuhören zeigt. Bis die nächste Frage kommt. Sophie Semin entfaltet, während sie spricht, eine gluck­sende Mädchen­haf­tig­keit, sie ist aber nicht mehr jung, im Gegenteil. Reda Kateb, der den Mann spielt, erscheint neben ihr wie ein Schön­geist, der kein Alter und kein Leben in sich trägt und nur Staffage ist, ein Stich­wort­geber, der nicht weiß, wohin mit seiner Männ­lich­keit. Der dann folglich auch, in einer ausbre­chenden Szene, für die »Action« zuständig ist.

3D-Sinn­lich­keit

Der große, auch sinnliche Genuss bei Die schönen Tage von Aranjuez ist das Aufein­an­der­treffen der Schau­spieler, des Textes, der Figuren – mit dem 3D. Es ist der dritte Film, den Wenders in 3D gedreht hat, und wie die Male zuvor bürstet er auch hier wieder die Technik gegen den Strich. Nimmt es nicht als »Kino wie noch nie«, sondern bricht es runter auf ein »3D wie noch nie«: auf ein 3D jenseits der jahr­mark­tähn­li­chen Effekte, unter denen man sich unwill­kür­lich hinweg­du­cken will. Das 3D von Wim Wenders lässt die Bilder einfach nur plastisch erscheinen. Der Effekt, den er derart unspek­ta­kulär erzielt, ist jedoch sehr sophi­s­ti­cated und hat stets mit dem Film zu tun, den man gerade sieht. Gemäß dem Credo »form follows function« der Archi­tekten (keine Form ohne Funktion, denn sonst wäre sie nur Deko­ra­tion) oder der Dicho­tomie von Form und Inhalt der Literatur, nach der jede Form auf den Inhalt zu beziehen sei und eine Form ohne Inhalt nur eine leere (Wort-)Hülse.

Pina (2011), Wenders erstes 3D-Expe­ri­ment insze­nierte das Tanz­theater von Pina Bausch als Guck­kasten-Auffüh­rung. Das 3D verschob teilweise die Dimen­sionen so, dass man den Eindruck von tanzenden Figurinen hatte, die sich auf einem Bühnen­mo­dell bewegten, das den Raum vorstellbar machen sollte. Der Doku­men­tar­film war ein großer Erfolg, aber bereits Every Thing Will Be Fine (2015) wurde schon nicht mehr gemocht: Wozu das 3D, wurde gefragt. Wenders jedoch entrückt die Welt hier der Unmit­tel­bar­keit, lässt sie wie im Inneren einer Schnee­kugel erscheinen, wie hinter Glas. Jetzt, in Die schönen Tage von Aranjuez schafft Wenders' 3D eine Tiefen­struktur, die das Bild nach Innen, in die Tiefe der Leinwand hinein verlegt (und nicht in den Zuschau­er­raum bringt, wie sonst so gerne) und dadurch eine unauf­dring­liche Plas­ti­zität und die Illusion eines Realraums schafft. Dies verstärkt das neckische Spiel mit der Kreation: Als Zuschauer erleben wir das Paar, als würde es tatsäch­lich dort sitzen.

Bei aller Zurück­ge­nom­men­heit gibt es dann aber auch bei Wenders noch wahre 3D-Effekte. Es sind ganz stille und doch intensive Momente, in denen die Kamera die Welt zu strei­cheln scheint. Die Kamera streift durch die Zweige eines Baumes, jedes einzelne Blatt entfaltet sich in den Zuschau­er­saal hinein, es ist ein Kino der Zärt­lich­keit. Oder die ersten Einstel­lungen überhaupt des Films: ein menschen- und auto­leeres Paris, eine Tiefen­di­men­sion in die Stadt hinein, die sich auftut. Alles ist still, ein ganz langsamer Kame­ra­schwenk zu früher Morgen­stunde – wie eine umge­kehrte Hommage an Claude Lelouchs C'était un rendez-vous (1976), der eine hals­bre­che­ri­sche Autofahrt durch das morgend­liche und noch leere Paris zeigte. Auch hier wieder die Entschleu­ni­gung von Wenders.

Die schönen Tage von Aranjuez ist kein Film, der sich aufdrängt. Es ist ein Film, der gesehen, gehört und entdeckt werden will.

Brille ab!

»Den schau ich mir gar nicht an« – das ist viel­leicht auch der falsche Zugang. Aber Die schönen Tage von Aranjuez ist schon ein merk­wür­diger Film.

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Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass man eine Brille aufsetzen muss, wenn man ins Kino geht. Und das ausge­rechnet so einer wie Wenders diesen 3-D-Fimmel hat, überhaupt diesen Technik-Feti­schismus, obwohl Wenders doch von etwas ganz anderem kommt, vom Kino als direktes, boden­s­tän­digem Erlebnis, beiläufig, alltäg­lich, nah an den Menschen, Straßen­kunst wie Straßen­musik. Und nun fidelt er im Kunst-Jetset, versucht sich an geschmäck­le­ri­s­cker Kino-Kunst als neuer bürger­li­cher Hoch­kultur.

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Es beginnt mit Paris-Bilder, menschen­leeren. »What a perfect day« klingt aus dem Off. Die Kamera streift über einen Garten, jede Bewegung eine Unschärfe und Flimmern, es stimmt eben etwas nicht.

»Wieder ein Sommer. Und wieder ein schöner Sommertag.... Ein Garten, eine Terasse, eine Frau und ein Mann unter den Bäumen in einem sanften Sommer­wind; wie außerhalb der Zeit...« Ein Schrift­steller sitzt in einem edlen fran­zö­si­schen Landhaus, umgeben von einer male­ri­schen Garten­an­lage und hämmert Buch­staben in die Tasten seiner altmo­disch-wohl­de­si­gneten Olivetti-Schreib­ma­schine (neben der aller­dings ein iPad liegt). Ist dies eine ganz und gar fiktive Figur, oder ist der von Jens Harzer mit vornehmem Under­state­ment und jungen­haft-verschmitztem Charme gespielte Wörter­meister doch nur ein Avatar von Peter Handke, der ja tatsäch­lich in einem von einer male­ri­schen Garten­an­lage umgebenen Landhaus bei Paris lebt, und der am liebsten auf einer Schreib­ma­schine schreibt?
Schreib­ma­schine und iPad, Musicbox und 3-D, das ist Wenders. Und ist es eigent­lich noch nie jemand aufge­fallen: Die Unter­titel machen bei 3-D die Leinwand zum Aquarium.

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So oder so: Mit ihm beginnt der Film, nach der Vorlage eines Stückes von Peter Handke. Wir hören seine Worte, wir sehen die ihnen entwach­senden Vorstel­lungen. Wenn sich ein Wort verändert, verändert sich im Nu auch die Kleidung, oder die Sitz­an­ord­nung der Personen auf der Leinwand. Der Erfin­dungs­zauber der Kunst wird hier gefeiert.
Aber auch spießiges Design: Die Limonade, der Hund. Sie in rot, er in blau. Sie gelbes Cape, er roten Apfel. Dann er mit Ziga­ret­ten­etui und Feuerzeug, natürlich blau. Das wäre als Thea­ter­stück schon recht öde. Warum muss das ein Film sein? Ich verstehe es nicht.

Ande­rer­seits: Weil es sich bei Die schönen Tage von Aranjuez um ein Zwei-Personen-Stück handelt, und weil diese beiden Figuren permanent sitzen und mitein­ander reden, wie schon gehört an einem schönen Sommertag in einem Garten, auf einer Terrasse, unter Bäumen, weil das alles so ist, sind die Varia­ti­ons­mög­lich­keiten in der Anschauung begrenzt. Unendlich variabel erscheint vielmehr die Phantasie, oder einfach das Spiel der Wörter...

»Ein Sommer wie noch nie – tja, viel­leicht ja auch der letzte Sommer überhaupt. Wer macht den Anfang?«
»Du?«
»Wie war Deine erste Nacht mit einem Mann?«
»Die erste Nacht war keine Nacht. Und er, das war kein Mann.«
»Erzähl!«
»Magne­ti­siert! Nein: Vielmehr erfüllt. Nein: Über­wäl­tigt von Begehren.«

Zwei Menschen sitzen 90 Minuten lang und reden derart, mal sprung­haft und unkon­zen­triert, mal anek­do­tisch und unkon­zen­triert, jeden­falls immer wie, als würden sie Texte eines Thea­ter­stü­ckes aufsagen, nicht aber anein­ander inter­es­siert sein. Sie reden über Sex. Potzblitz!
Besser Sex zeigen, als über Sex reden – im Kino.

Es ist eine ganze Weile her, dass man einen Film über zwei Menschen, die auf einer Terrasse über Sex reden, noch per se für große Kunst oder wenigsten mutige Provo­ka­tion halten konnte. Eher wirkt diese Konstel­la­tion – Mann fragt, Frau erzählt, Mann schmun­zelt, Frau stöhnt, Mann schreibt auf, Frau gibt preis – wie eine satte Alther­ren­phan­tasie.

Wenn es das aber wenigs­tens wäre. Mehr noch hingegen wirkt Wim Wenders' neuer Film, so, als sei dem Regisseur sein Realitäts­sinn abhanden gekommen.
Der Inhalt der Dialoge erscheint komplett unwichtig, gegenüber dem puren Akt des Sprechens selbst. Man redet anein­ander vorbei, man ringt mit Worten. Die Außenwelt scheint dieses Reden im als-ob fast zu stören. Der Mann mit dürrem Bart und Brille von einer nerdy Unsexi­ness heuchelt nur Interesse, die Frau, älter als der Mann, eine klas­si­sche junge herbe Matrone, wie Wenders-Frauen leider oft, heuchelt nur die Verruchte. Verweise auf Eric Rohmer, die im Vergleich hybrid und völlig unan­ge­messen sind, retten den Regisseur auch nicht: Die schönen Tage von Aranjuez ist über weite Strecken einfach nur unin­spi­riertes Laberkino.

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Warum man zudem einen solchen Film auch noch im teuren 3-D-Format drehen muss, bleibt das Geheimnis des Regis­seurs. Jenseits des Narziss­mus­ver­dachts taugt allein Wenders bekannter Tech­nik­fimmel als Erklärung. 3-D wird hier zur Farce. Aber das ist nicht etwa eine ironische Geste von Wenders. Es kostet ein Heiden­geld – für nix. Was 3-D mit dem Kino macht: es nimmt das Leuchten raus. Man merkt es, wenn man die Brille mal absetzt – was man bei Wenders gut kann, denn dieser Film ist eh nur ein Hörbuch. Richtig unscharf sind da nur die Unter­titel, wenn man den Film auf Fran­zö­sisch guckt. Der Vorder­grund ist nur ganz leicht verzerrt, der Rest aber ist flirrend, vibrie­rend, und es sieht gleich besser aus. Wie Impres­sio­nismus, wie Sukurov vor Jahren.

Ansonsten ist dieser Film ein fast bewe­gungs­loses Kammer­spiel. Ästhe­tisch mausetot. Der Offen­ba­rungseid eines Filme­ma­chers.

Nur ziemlich genau alle 15 Minuten wird das Gerede dann unter­bro­chen, und der Autor schmeißt seine Wurlitzer-Musicbox, an. Schon klar: »Versuch über die Juke-Box«. Auch von Peter Handke. Einmal mate­ria­li­siert sich auch dieser Gesang, wenn Nick Cave dann unver­mit­telt am Flügel sitzt und singt.

Post­scriptum:
Wim Wenders ist schon immer ein sehr über­schätzter Film­re­gis­seur gewesen. Eigent­lich finde ich es über­flüssig, so einen Satz überhaupt hinzu­schreiben. Denn warum sollte man? Der Mann ist über 70 und hat wie jeder alte Herr einen gewissen Respekt verdient, auch wenn man seine Sachen nicht mag. Respekt ist sowieso etwas, was man in Deutsch­land vor Filme­ma­chern, vor allem älteren, irgendwie verdienten Filme­ma­chern zu wenig hat.
Wenn aller­dings der Name Wenders immer noch im In- und Ausland mit so einer Aura umgeben wird, immer noch so ausge­spro­chen wird, als sei ja klar, dass dessen Filme ganz toll sind, dann muss man das auch einmal infrage stellen.