"Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch
wirst du mit mir im Paradies sein." Lukas 23,43
Kommen in relativ kurzen zeitlichen Abständen mehrere Filme
zum gleichen Thema in die Kinos, riecht das oft nach Plagiaten.
Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, daß diese Themenverwandtschaft
auf gewisse gesellschaftliche Strömungen zurückzuführen ist;
manche Themen liegen wohl wirklich in der vielbeschworenen
Luft.
Zur Zeit kann man in den Kinos unserer Lande drei Filme sehen,
auf die diese Art der Verwandtschaft zutrifft. Es handelt sich um
den "Western" "Dead Man" von Jim Jarmusch, das Schuld-und
Sühnedrama "Dead Man Walking" von Tim Robbins und die
Alkoholikergeschichte "Leaving Las Vegas" von Mike Figgis. Der
Verdacht des Plagiats kommt aufgrund der Verschiedenartigkeit
dieser Filme erst gar nicht auf, und obwohl alle drei typisch
amerikanische Geschichten erzählen und natürlich auch in den USA
produzie rt wurden, sind sie doch vom plagiatträchtigem
Hollywood-System mehr oder weniger weit entfernt. Jarmusch, als
großer Mann des unabhängigen Films seit den Achzigern, hatte schon
immer andere Produzenten (vor allem aus Deutschland, wo er ja auch
die größte Anhängerschaft hat), Robbins und Figgis kamen bei der
Herstellung ihrer Filme größtenteils ohne Geld aus dem Filmmekka
aus. Daß zwei ihrer Hauptdarsteller mehr oder weniger überraschend
einen Oscar gew annen, ist hier nicht von Interesse.
Diese drei Filme haben nun ein zentrales Thema gemein: das lange
Sterben und die daraus folgende Vorbereitung auf den Tod. Johnny
Depp in "Dead Man", von einer Kugel tödlich verwundet, wehrt sich,
seine Verfolger in den Tod vorausschickend, gegen sein
zwangsläufiges Ende. Ebenso wie Sean Penn in "Dead Man Walking",
der, wegen Mordes zum Tode verurteilt, um seine Begnadigung kämpft.
Erst spät ergeben sich beide ihrem Schicksal und akzeptieren es.
Allein Nicolas Cage in "Leaving Las Vegas " bewegt sich, in seiner
Art von Fallsucht, von Beginn an bewußt auf sein Ende zu, indem er
sich zielgerichtet zu Tode säuft.
Alle drei sind eigentlich noch zu jung, um sterben zu müssen.Sie
sind höchst individualisierte Menschen, von ihren Familien getrennt
und an den Rand ihrer Gesellschaft gedrängt. Sie alle haben ihr
bisheriges Leben mit seinen Orten zurückgelassen und sind Fremde in
ihrer neuen Welt. Auf ihrem letzten Weg werden sie von Menschen
begleitet, die sie erst durch diesen Weg kennengelernt und lieb
gewonnen haben. Für Depp, dessen Eltern bereits tot sind, ist das
ein Indianer, der ihm auf s eine traditionelle Weise den
zeremoniellen Übergang ins Reich der Toten ermöglicht. Für Penn,
durch das Gefängnis von seiner Familie getrennt, ist es seine
Seelsorgerin, von Susan Sarandon gespielt, die ihn auf irdische wie
metaphysische Weise zu retten versucht. Und für Cage ist es die von
Elisabeth Shue dargestellte Prostituierte Sera, die ihn bis in
seinen Tod liebt.
Die Filme handeln vom Sterben des vereinzelten Menschen, in
einer Zeit in der die Individualisierung weiter fortgeschritten ist
als je zuvor. Sie mögen sich zwar formal und inhaltlich deutlich
unterscheiden - ob sie nun aber in düsterem schwarz-weiß gedreht
sind, sehr emotional Kritik am Rechtsstaat üben oder eine
glamouröse Geschichte der Selbstvernichtung erzählen - allen zum
Tode Verurteilten steht ein helfender Freund zur Seite. Dies gibt
den Filmen trotz des schweren The mas eine sehr positive Seite. Wie
aber wären die Geschichten ohne diese Sterbehelfer verlaufen?
Der Tod als Grenze des Lebens hat seine zwei Gesichter, er ist
Ende und Anfang. Selbst wenn er nur die Fortsetzung des pränatalen
Nichts sein sollte, verweist er doch auf ein Jenseits, das
sich in den drei Filmen bereits in der Religiösität des Diesseits
niederschlägt. Der Indianer verehrt Depp als eine für ihn
heilige Reinkarnation und erweist ihm deswegen die letzte
Ehre, der Säufer und die Hure werden als sich gegenseitig
stützende Heilige einer Gegenwelt inszeniert un d Sean Penn
bereut und tut Buße, so daß ihm vergeben wird, wie das nur
die Christen können. Diese Vergebung seiner Sünden wird in
der Szene deutlich, in der er, wie ein Gekreuzigter auf die
"Todesliege" gefesselt, die Eltern der Opfer um Vergebung
bittet. Hier wird Penn nicht, wie häufig vermutet, als Christus-Figur
dargestellt, sondern als einer der beiden Verbrecher, zwischen
denen Jesus gekreuzigt wurde. Auch dieser Verbrecher bereute
am Kreuz, und daraufhin wurden ihm seine Sünden vom Herrn
vergeben.
Max Herrmann
|