Es gibt Schauspieler, die sind dem großen Publikum fast
unbekannt, und dennoch haben sie eine treue, sich stets vermehrende
Gemeinde von Bewunderern. Und wer sie einmal für sich entdeckt hat,
der vergißt sie nicht wieder. Zu diesen heimlichen Stars gehört Udo
Kier, der letzte Woche seinen 52. Geburtstag feierte.
Viel gäbe es an Udo Kier zu preisen, doch es sind vor allem
seine Augen, die einen nicht mehr loslassen. Sein Blick, der meist
bei leicht gesenktem Kopf von unten zu kommen scheint, hat eine
bedrohliche Tiefe. Kier scheint stets auf der Lauer zu liegen, doch
er läßt im Unklaren, was seine Beute erwartet. In seinem Blick
liegt Bedrohung und Versprechen, und dahinter manchmal auch eine
uralt wirkende Traurigkeit. Kier hat, mit seinem fein
geschnittenen Gesicht und seinen eleganten Bewegungen, etwas
Dandyhaftes an sich. Doch "androgyn" ist nicht ganz das rechte
Wort, um seine Ausstrahlung zu beschreiben. Seine Erotik hat wenig
mit Sex zu tun und sehr viel mit Geist und Macht.
Seine Entdeckung für den Film (sein Debut hatte er 1967 in
Michael Sarnes THE ROAD TO ST. TROPEZ) verdankte er seinem guten
Aussehen, doch daß er daraus eine solch erfolgreiche Karriere
gestalten konnte, liegt an seinem Talent. Zum Kultschauspieler
avancierte er durch seine Titelrollen in Paul Morrisseys ANDY
WARHOL'S DRACULA und ANDY WARHOL'S FRANKENSTEIN. Für ersteren
hungerte er sich bis zur völligen Erschöpfung innerhalb einer Woche
10 Kilo herunter und konnte dem Hunger Draculas somit
Glaubwürdigkeit verleihen. In letzterem bescherte er der
Kinogeschichte nicht nur den denkwürdigen Satz "To know life, you
have to fuck death in the gall bladder", sondern auch eine
Sterbeszene, die eines William Shatner würdig wäre: er hält einen
minutenlangen, hoch dramatischen Monolog, während an dem ihm
durchbohrenden Enterhaken seine Leber dank des 3D-Verfahrens direkt
über den Köpfen der Zuschauer zu schweben scheint.
Seine Filmographie...
Die Lust am Experiment ist ihm geblieben, und seine Heimat hat
er nicht vergessen. Er spielt nach wie vor nicht nur in
Avantgarde-Filmen und Spielfilm-Erstlingen, sondern auch in
HFF-Kurzfilmen oder deutschen Fernsehproduktionen (kürzlich z.B. in
einem Tatort). Finanziell hätte er dies schon längst ebensowenig
nötig, wie für Christoph Schlingensief in dessen Kino-Happenings
den Kasper zu spielen, wenn er dies nicht aus Überzeugung täte.
Udo Kier ist stets ein absoluter Profi. Er gibt für jedes seiner
Projekte das Beste, und selbst im schlechtesten Film bewahrt er
eine unantastbare Integrität, die jeden Streifen veredelt, in dem
er zu sehen ist. Sein Spiel hat stets einen Hauch Theatralik,
er scheint nie ganz von dieser Welt. Seine Spezialität sind
deswegen überlebensgroße Bösewichte mit einem Schuß Tragik und
mysteriöse Figuren, die aus einer fremden Zeit zu kommen scheinen.
Dabei ist er aber auch einer der wenigen Vertreter seiner Zunft,
die zwar das enthusiastische Over-Acting lieben, in den Händen des
richtigen Regisseurs aber dennoch zu überzeugendem subtilem Spiel
fähig sind.
Derzeit ist Udo Kier gleich in drei Filmen zu bewundern; nur
verhält sich ironischerweise die Qualität dieser Streifen genau
umgekehrt zum Ausmaß seiner Mitwirkung.
THE ADVENTURES OF PINOCCHIO
BARB WIRE
BREAKING THE WAVES
Wem Udo Kier bisher noch kein Begriff war, der sollte nun diese
überfällige Entdeckung nachholen. Die Gelegenheit ist derzeit,
angesichts der dreifachen Präsenz Kiers in unseren Kinos, äußerst
günstig.
Thomas Willmann
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