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24.10.1996
 
 
   
 

Die Augen des Udo K.

 
Udo Kier als Andy Warhols Dracula
     
 
 
 
 

Es gibt Schauspieler, die sind dem großen Publikum fast unbekannt, und dennoch haben sie eine treue, sich stets vermehrende Gemeinde von Bewunderern. Und wer sie einmal für sich entdeckt hat, der vergißt sie nicht wieder. Zu diesen heimlichen Stars gehört Udo Kier, der letzte Woche seinen 52. Geburtstag feierte.

Viel gäbe es an Udo Kier zu preisen, doch es sind vor allem seine Augen, die einen nicht mehr loslassen. Sein Blick, der meist bei leicht gesenktem Kopf von unten zu kommen scheint, hat eine bedrohliche Tiefe. Kier scheint stets auf der Lauer zu liegen, doch er läßt im Unklaren, was seine Beute erwartet. In seinem Blick liegt Bedrohung und Versprechen, und dahinter manchmal auch eine uralt wirkende Traurigkeit.
Kier hat, mit seinem fein geschnittenen Gesicht und seinen eleganten Bewegungen, etwas Dandyhaftes an sich. Doch "androgyn" ist nicht ganz das rechte Wort, um seine Ausstrahlung zu beschreiben. Seine Erotik hat wenig mit Sex zu tun und sehr viel mit Geist und Macht.

Seine Entdeckung für den Film (sein Debut hatte er 1967 in Michael Sarnes THE ROAD TO ST. TROPEZ) verdankte er seinem guten Aussehen, doch daß er daraus eine solch erfolgreiche Karriere gestalten konnte, liegt an seinem Talent.
Zum Kultschauspieler avancierte er durch seine Titelrollen in Paul Morrisseys ANDY WARHOL'S DRACULA und ANDY WARHOL'S FRANKENSTEIN. Für ersteren hungerte er sich bis zur völligen Erschöpfung innerhalb einer Woche 10 Kilo herunter und konnte dem Hunger Draculas somit Glaubwürdigkeit verleihen. In letzterem bescherte er der Kinogeschichte nicht nur den denkwürdigen Satz "To know life, you have to fuck death in the gall bladder", sondern auch eine Sterbeszene, die eines William Shatner würdig wäre: er hält einen minutenlangen, hoch dramatischen Monolog, während an dem ihm durchbohrenden Enterhaken seine Leber dank des 3D-Verfahrens direkt über den Köpfen der Zuschauer zu schweben scheint.

Seine Filmographie...

Die Lust am Experiment ist ihm geblieben, und seine Heimat hat er nicht vergessen. Er spielt nach wie vor nicht nur in Avantgarde-Filmen und Spielfilm-Erstlingen, sondern auch in HFF-Kurzfilmen oder deutschen Fernsehproduktionen (kürzlich z.B. in einem Tatort). Finanziell hätte er dies schon längst ebensowenig nötig, wie für Christoph Schlingensief in dessen Kino-Happenings den Kasper zu spielen, wenn er dies nicht aus Überzeugung täte.

Udo Kier ist stets ein absoluter Profi. Er gibt für jedes seiner Projekte das Beste, und selbst im schlechtesten Film bewahrt er eine unantastbare Integrität, die jeden Streifen veredelt, in dem er zu sehen ist.
Sein Spiel hat stets einen Hauch Theatralik, er scheint nie ganz von dieser Welt. Seine Spezialität sind deswegen überlebensgroße Bösewichte mit einem Schuß Tragik und mysteriöse Figuren, die aus einer fremden Zeit zu kommen scheinen. Dabei ist er aber auch einer der wenigen Vertreter seiner Zunft, die zwar das enthusiastische Over-Acting lieben, in den Händen des richtigen Regisseurs aber dennoch zu überzeugendem subtilem Spiel fähig sind.

Derzeit ist Udo Kier gleich in drei Filmen zu bewundern; nur verhält sich ironischerweise die Qualität dieser Streifen genau umgekehrt zum Ausmaß seiner Mitwirkung.

THE ADVENTURES OF PINOCCHIO
BARB WIRE
BREAKING THE WAVES

Wem Udo Kier bisher noch kein Begriff war, der sollte nun diese überfällige Entdeckung nachholen. Die Gelegenheit ist derzeit, angesichts der dreifachen Präsenz Kiers in unseren Kinos, äußerst günstig.

Thomas Willmann

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