Es ist naß, kalt, regnet. Die Mädchen in ihrer leichten
Bekleidung warten nun schon seit Stunden auf ihren Einsatz.
Ein paar haben sich um Heizkörper geschart, andere rauchen
in ihren Autos. Plötzlich verbreitet sich Unruhe: Haare werden
zurechtgerückt, die Jacken abgelegt, Lippenstift nachgezogen.
Man bezieht Position. Dann nähert sich langsam ein Wagen und
die Damenliga verwandelt sich in eine Schar geschäftstüchtiger
Nutten, die sich dem Vorbeifahrenden höchstprofessionell entgegenräkeln.
5:30, Sonntagmorgen. Die Szene, die sich gerade in einer
Münchner Eisenbahnunterführung abgespielt hat, war keinesfalls
echt. Natürlich ereignet sie sich so ähnlich tagtäglich in
allen Großstädten der Welt - und doch mußte Florian Gallenberger
sie für seinen Kurzfilm "Hure" bis ins kleinste Detail durchgeplant
nachstellen, denn bei seinem Film handelt es sich um eine
sog. "Plansequenz". Diese etwas rätselhafte Bezeichnung kommt
aus dem Französischen und steht für eine/n Film/-Szene mit
einer einzigen Einstellung aus subjektiver Sichtweise. Was
sich in der Theorie gar nicht so kompliziert anhört, bedeutet
in der Praxis ein Maximum an Organisation und Konzentration
- schließlich muß alles auf Anhieb klappen, die Möglichkeit,
an einer (beinah) x-beliebigen Stelle wieder neu einzusetzen,
fällt weg.
Um diese Schwierigkeit wußte man auch bei arte, dem deutsch-französischen
Kultursender. Man dachte sich, solch eine Plansequenz sei
eine besonders hübsche Herausforderung, um den Einfallsreichtum
des europäischen Filmnachwuchses zu testen. So wurde ein Drehbuchwettbewerb
ins Leben gerufen, bei dem die Gewinner finanzielle Unterstützung
für die Umsetzung ihres Projektes erhalten sowie einen Sendeplatz
im Abendprogramm. Die ersten Ergebnisse (aus dem deutschsprachigen
Raum) wurden bereits auf dem Festival der Filmhochschulen
gezeigt, Florian Gallenbergers "Hure" war einer von ihnen.
Durch die subjektive Sichtweise der Kamera in den 3-Minuten-Filmen
werden dem Zuschauer ungewohnte Perspektiven eröffnet - die
Welt sieht mit den Augen einer Superwindel, eines Guilloutine-Fallbeils
oder eines Spiegels einfach ziemlich anders aus und ist voller
Überraschungen.
Auch wenn diese teilweise etwas zuviel des Guten waren -es
ist offenbar angesagt, dem verwöhnten Kinobesucher noch einen
Gag nach dem Gag zu präsentieren, schließlich gehört eine
unerwartete Wendung ja heutzutage schon zum Pflichtprogramm-,
so war das arte -Special im Vergleich zu den anderen Festivalbeiträgen
eine richtig unterhaltsame Ausnahme. Und das lag keinesfalls
daran, daß hier die Finanzen gestimmt haben, im Gegenteil:
der Großteil der Filmstudenten scheint sich in Ermangelung
von wirklich Erzählenswertem auf aufwendige Szenarios zu verlassen.
Es stimmt zwar, das solch liebevoll und vor allem teuer! ausgestatteten
Filme wie z.B. "Der Steuermann" von Stefan Schneider und "Die
lebende Bombe" von Walter Feistle erst einmal Appetit machen.
Umso enttäuschender ist es aber dann, wenn man feststellen
muß, daß dem Jungregisseur keine gescheite Auflösung zu seinem
Jahrhundertanfang eingefallen ist.
Höchst bedenklich, daß dies bei der Mehrzahl der Beiträge
der Fall war. Entweder wurde man mit gewollten Witzen und
anderen Belanglosigkeiten gequält oder aber die Filmstudenten
schienen die Filmemacherei mit einer Sitzung beim Therapeuten
zu verwechseln: die Aufarbeitung von Kindheitserlebnissen
mag für die persönliche Entwicklung ja ganz hilfreich sein,
aber ist nicht notwendigerweise für den Kinobesucher spannend.
Da fragt man sich doch wirklich: wozu das alles? Wieso will
jeder zweite heute unbedingt Filme machen? Sollte man nicht
lieber dafür plädieren, daß Psychoanalysen billiger und Drogen
legaler werden, damit unsere Jungregisseure beschäftigt sind...und
uns in Ruhe lassen?
Andererseits ist es doch immer wieder erstaunlich, welch
Anstrengungen so mancher Filmaktivist auf sich nimmt. Man
denke an besagten Sonntagmorgen im Regen. Wie ein Stromausfall
die Dreharbeiten stundenlang lahmlegte und Wartezeit und Kälte
unerträglich wurden. Und Florian Gallenberger seine völlig
übermüdete Crew mit unerschütterlicher Ausdauer bei Laune
gehalten hat. Solche Beispiele gibt es zur genüge. Woher kommt
also dieser Idealismus, dieser Wunsch, Regisseur zu werden?
Und vor allem: ist es sinnvoll, daß Hinz&Kunz heutzutage
dieser Leidenschaft aktiv nachgeht und dabei massig Kohle
raustut? Wie merkt man, ob man dazu berufen ist...?
Zur Erörterung dieser zutiefst weltbewegenden Fragen soll
in Kürze an dieser Stelle ein Interviews mit einem HFF-Studenten
erscheinen. Vielleicht weiß der ja, was er will. Und kennt
die Antwort.
Nina Stuhldreher
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