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Als Weihnachtsstern eine Projektionslampe
Über die tröstliche Wirkung des Kinos in Zeiten des Unfugs

  19.12.1996
 
 
 
 

Nun sind wir mittendrin, im Advent, der Zeit des Lärmes und der Wirrnis, grauses Vorweihnachten, die wehe Phase des geistfernen Shoppertums und der ziellosen Rumdekorierei. Und obwohl viele sich wacker vorgenommen haben, das leidige Phänomen Weihnachten mit all seinen üblen Wurmfortsätzen auf das Sturste zu ignorieren, werden sie dennoch genötigt durch die dunklen Machenschaften des Schicksals, dem praktizierten Christentum ins triefende Auge zu blicken, wenn sie zum Beispiel den Marienplatz überqueren wollen und dabei einer Sauerei von einem Weihnachtsmarkt gegenüberstehen. Übelriechende oder penetrant glitzernde religiöse Praktiken unterliegen hierzulande ja nach wie vor noch nicht den entsprechend ausreichenden Verboten. Die erweiterten Ladenöffnungszeiten, - verflucht der Schoß, der sie gebar - haben in diesem Jahr die Lage in unserer Innenstadt noch zusätzlich verschlimmert, so daß die Trubel-Vermeidung für den edelmütigen Weihnachtsgegner drastisch erschwert wurde.

Abhilfe schaffen da die zahlreichen Filmtheater, in die man sich retten kann, bis die Geschäfte wieder zu sind.

In guten Kinos hängen keine Weihnachtssterne, ist keine Weihnachtsmusik zu hören, gibt es auch keine Feiertagsextras zu kaufen, zu deutsch, es herrschen menschenwürdigere Umstände als draußen in der bunten und dennoch grauenhaften Einkaufswelt. Der kriegerische Radau der shoppenden Horden in den Straßen macht den friedlichen Kulturgenuß im warmen, heimeligen Kino zu einem meditativen Prozeß, der den Menschen erhebt über so krummbeinige Existenzen, wie die Ameise, den Seeigel oder den Imobilienmakler. Der maßlose Einkäufer in seiner sabbernden Freude am Rumschenken ist und bleibt der bucklige Knecht und Kettensklave der jeweiligen Saison, ihn wollen wir im Kino gar nicht haben, wär er doch eh nur erblindet durch all den Feiertagsglitzer, der Verblendete. Soll er nur sehen, wie er das mit seinem Seelenhaushalt vereinbart, wenn am heiligen Abend der Magen gefüllt ist, das Hirn aber immer nochunwiederbringlich leer ist.

Laßet uns also eilen, Brüder und Schwestern, in möglichst kaufhausferne Stätten der Kunst, z.B. ins 'Isabella' oder ins 'Neue Arena', um dort tunlichst lange zu verweilen, bis die Dreikönigsglocken künden vom Ende der gottgewollten Feierei. Ab Februar kann man sich ja dann vielleicht schon wieder den einen oder anderen Weihnachtsfilm ansehen.

Richard Oehmann

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