Früher sah man sie nur von hinten. In den meisten älteren
Hollywood-Filmen wurden die US-Präsidenten wenn sie denn -selten
genug- überhaupt vorkamen, nur schemenhaft, fast unbewegt und
gesichtslos dargestellt. Die Person sei unwichtig, wurde damit
gesagt, allein das Amt an sich zähle; und dessen Charisma kann man
am reinsten darstellen, indem man es so gut wie unsichtbar macht.
Heute dagegen ist das alles ganz anders. Amerika und seine
Präsidenten sind ein großer Stoff für das Hollywood-Kino geworden,
allein in diesem Jahr bricht ein ganzer Sturzbach von
"Präsidentenfilmen" (wie man die entstandene neue Filmgattung
nennen könnte) auch über uns Europäer herein: nachdem in MARS
ATTACKS! im Burtons Marsmenschen das Weiße Haus in die Luft
sprengen und jetzt gerade im neuen Clint Eastwood-Reißer ABSOLUTE
POWER Gene Hackman den Präsidenten als psychopathischen Mörder
zeigt, werden wir noch Harrison Ford als Präsidenten-Haudegen in
Wolfgang Petersens AIRFORCE ONE und Jack Lemmon als verschlagenen,
unsauberen ersten Mann Amerikas in MY FELLOW AMERICANS von Peter
Segal erleben dürfen. Schließlich folgt noch PRIMARY COLORS der
Film zum letztjährigen Bestseller, der wenig schmeichelhaftes
Insiderwisssen über Clintons Präsidentschaftswahlkampf enthüllt.
Hier spielt John Travolta die Rolle Clintons.
Vielleicht haben Amtsinhaber Clinton und der Boom der
Präsidentenfilme mehr miteinander zu tun, als es auf den ersten
Blick scheint. Denn die Darstellung des Präsidenten ist immer
wieder Anlaß zu einer Selbstreflexion der Gesellschaft geworden, in
der sich Träume und Ängste, Hoffnungen und Befürchtungen
wiederspiegeln. Anfang der 90er Jahre blieb das noch Oliver
Stone vorbehalten: er war der erste nach der großen Ausnahme von
Alan J. Pakulas Watergate-Drama ALL THE PRESIDENTS MEN, der das
-natürlich düstere- Treiben im Herzen des politischen Amerika zum
Thema eines Films machte. JFK zeigte Verschwörung und Verbrechen,
aber hier blieb der Präsident selbst doppelt verschont. Als
Hoffnungsträger und Mordopfer ist der von Stone recht unreflektiert
bewunderte John F. Kennedy ein unschuldiger Held, an dem sich die
Korruption der restlichen politischen Szene nur noch deutlicher
zeigen läßt. 1995 nahm sich Stone dann nach der Lichtgestalt
den umstrittenen Richard Nixon vor. Eine Art Richard III. soll da
im Weißen Haus von Furcht und Eigennutz besessen sein Unwesen
getrieben haben. Gründlich wird das heere Image des
Präsidentenamtes auseinandergenommen. Und doch verlieh Anthony
Hopkins großartiges Spiel der zwilichtigen Person Nixons die
tragischen Züge eines Getriebenen, der im Zuschauer auch Sympathie
und Mitleid weckte. Zugleich offenbarte sich hier geheime Sehnsucht
nach einem Dämonischen, das neueren Präsidenten wie Clinton zu
fehlen scheint, ohne das sie dafür besonders moralisch wirken.
Nixon hatte in aller Unmoral immerhin ein Format, das man sich von
Clinton nicht mal im Traum vorstellen kann. Wo Nixon mit
fragwürdigen Methoden wenigstens politische Ziele verfolgte, droht
Clinton höchstens ein Verfahren wegen "sexual harrassment".
Doch dann kam INDEPENDENCE DAY. In imposanten Bildern wird hier
die primitive, zutiefst ideologische Geschichte erzählt, wie ein
moralisch intaktes Amerika sich wieder zum Hoffnungsträger der
ganzen Menschheit aufschwingen kann. Der junge Präsident (Bill
Pullman) ist ein all-american-boy, der sich vom Alltagsgeschäft der
Politik genervt fühlt, und lieber Jagdflieger fliegt. Zugleich eine
lichte Führergestalt, die weiß, was zu tun ist. Kein Drückeberger,
wie "slicky willie" Bill Clinton, sondern ein Teilnehmer des
Golfkriegs. Wo andere Hollywood-Filme (ERASER, THE ROCK, MISSION
IMPOSSIBLE) mit Verschwörungsszenarien bis in die höchsten Ebenen
hinein zumindest oberflächlich den Zweifel an den Institutionen und
deren moralischer Qualität nährten, versuchte INDEPENDENCE DAY auf
plumpe Weise, die alten Verhältnisse wieder herzustellen. Daß
das zumindest filmisch nicht gelang, ist nicht zuletzt das
Verdienst von Tim Burton. Sein MARS ATTACKS! wurde zum bösen
Gegenstück zu ID4. In der überdrehten Komödie hat der Präsident
(Jack Nicholson) längst versagt, nur klebrige Rhetorik hilft ihm
noch, an der Macht zu bleiben. Kurzfristig rührt der präsidentielle
Schmierenkomödient sogar die Marsmenschen zu Tränen. Hier ist aller
Respekt vor Washington dahin. Der höchst unterschiedliche
Kassenerfolg beider Streifen zeigt aber auch, woher derzeit der
Wind weht. Offenbar ist die moralisch-gesellschaftliche Lage in den
USA derart, daß die Primitiv-Diagnose aus INDEPENDENCE DAY nicht
nur angenommen und die vorschlagenen Heilmittel für richtig erkannt
wird, sondern daß ein derartiges Szenario selbst dem US-Präsidenten
bei einer Vorführung im weißen Haus bereits als positiv-utopische
Ausflucht aus den Krisen der Gegenwart erscheinen kann.
Der Boom der Präsidenten-Filme verrät die unausgesprochene
Sehnsucht nach politischem Charisma, nach ästhetischer Politik. Wo
Helden und Schurken fehlen, und die Wirklichkeit banal und
langweilig wird, da muß das Kino in die Bresche springen.
Rüdiger
Suchsland
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