Welcher Filmfreund kennt nicht das Problem: Man möchte sich
einen schönen Abend im Kino machen, aber die Entscheidung für den
richtigen Film fällt schwer. Werbung und Trailer versprechen
selbstverständlich für jeden Film Spaß, Spannung und Staunen
non-stop - aber die bittere Erfahrung lehrt, daß diese Versprechen
gar zu oft nicht eingehalten werden. Und die unfehlbaren
Artechock-Kritiken sind ja leider (wir geben1s zu) nicht immer für
alles, was gerade so läuft, verfügbar. Woher soll man als
geplagter Moviehead also wissen, ob es auch wirklich genügend
Explosionen, Schießerein und Faustkämpfe gibt; ob das Blut in
ausreichenden Mengen spritzt und Eingeweide und Körperteile so
richtig schön durch die Gegend fliegen; ob geflucht wird, was das
Zeug hält; ob genügend pralle Titten die Leinwand füllen und
stramme Burschen eine ausreichende Zahl williger Maiden besteigen
(oder umgekehrt, oder Burschen Burschen und Maiden Maiden); ob die
Helden standhafte Säufer und kräftige Raucher sind, und ob man auch
mal so richtig erschreckt?
Keine Sorge - Abhilfe ist hier. Man peile mit dem Web-Browser einfach
www.screenit.com an, und sofort ist alle Unsicherheit
beseitigt. Zu zahlreichen Filmen finden sich dort alle der
oben angeführten Details minutiös aufgelistet - und noch mehr:
selbst gruselige Musik, "Tense Family Scenes" und respektloses
Verhalten finden hier ihre genau protokollierte Erwähnung,
und was irgend jemanden mit schädlichen Folgen zur Nachahmung
inspirieren könnte sowieso.
Das ganze ist ein Projekt für besorgte amerikanische
Eltern, die auch ganz genau wissen wollen, was sich ihre Kleinen da
im Kino so ansehen (es gibt darüberhinaus noch Rubriken für Video
und Musik). Denn wir wissen ja alle: an Verbrechen und Unmoral, ja
am bevorstehenden Untergang des Abendlandes schlechthin sind ja nie
verfehlte Politik und gestörte Familienverhältnisse schuld, sondern
immer nur Filme und Bücher. Und da ist es dann schon wichtig,
daß jemand im Kino sitzt und zählt, wie oft "fuck" gesagt wird
(übrigens fein differenziert ob als Fluch oder in sexuellem
Kontext). Das ist eben wahres soziales Engagement, wie es sein
sollte - nur so wird die Welt wieder friedlich, schön und
lebenswert. Es fehlt nur leider noch der genaue Leitfaden, ab
wievielen "f-words", "s-words" und "slang terms for male genitals"
man denn nun für immer unrettbar verdorben ist. (Bezeichnenderweise
fehlen übrigens sowohl RESERVOIR DOGS, als auch PULP FICTION im
Katalog der überprüften Filme - da hat1s halt wohl doch die Zähluhr
zerrissen.)
Das ganze Unternehmen zeugt von einem Weltbild, das zum Gruseln
einfach und beschränkt ist. Alles Böse dieser Erde ist in fünfzehn
rechteckige Kästchen gebannt, zähl- und quantifizierbar wie
Scheibletten-Käse, und problemlos dadurch zu bannen, daß man nur
Augen und Ohren fest genug verschließt. Hinter dem Konzept von
Screen It! steht eine Reiz/Reaktions- Vorstellung, wie sie
einfältiger nicht sein könnte. Der Kontext, in dem die
protokollierten "Übel" erscheinen, interessiert nicht im
Geringsten. Wer in einem Film Gewalt gegen wen oder was ausübt, ist
den moralinsauren Erbsenzählern von Screen It! ebenso herzlich
wurscht wie die Frage, wie der Film selbst das Dargestellte
bewertet. Da müßte man ja am Ende noch das Denken anfangen - und da
läge wohl der Verdacht auf unamerikanische Umtriebe schon wieder zu
nahe.
Welch begrenzte Sicht der Dinge die guten Menschen von Screen It!
haben (die sich hinter einem editorialen "we" verborgen halten),
offenbart sich dann vollends in den sogenannten Kritiken, die sie
ihren Greuel-Auflistungen des öfteren beigeben. Da werden
selbstverständlich alle Filme auf einer jener tollen "1 bis
10"-Skalen bewertet, die ja soooo geeignet sind, um Kunstwerken
differenziert gerecht zu werden. Und wehe, wenn ein Film es
wagt, sich der amerikanischen Mainstream-Ästhetik zu verweigern. Da
wird dann allen Ernstes an CRASH bemäkelt, daß die Polizei nicht
auftaucht, um dem auf offener Straße stattfindenden, abartigen
Treiben der Protagonisten Einhalt zu gebieten - das sei ja wohl
unrealistisch. Und bei den Bemerkungen zu David Lynchs visionärem
Zelluloid-Alptraum LOST HIGHWAY entblödet man sich tatsächlich
nicht, es für dumm zu halten, daß die Hauptfiguren nicht das Licht
anmachen, wenn1s ihnen gruselig wird. Da müsste der Herr denn
das Hirn schon containerweise vom Himmel werfen, daß es noch was
hilft.
Aber immerhin: zumindest einen unschätzbaren Dienst hat man mit
dem Unternehmen der Menschheit schon geleistet. Denn da man mit der
Anwendung des Kästchen-Schemas vor nichts und niemandem Halt macht,
eröffnen sich nun der Literaturwissenschaft ganz neue Wege. Kann
man doch nun erstmals auf einen Blick feststellen, welch (und
wieviele) Unziemlichkeiten der gemeine Shakespeare in seine Werke
gepackt hat. Jetzt ist1s endlich amtlich, was der HAMLET an Sex
(mild), Gewalt (moderate) und Schimpfwörtern (2 "ass" words, 1
damn, and 4 uses of "Oh my God," and 1 use of "God" as
exclamations) hergibt. Na, wer da nicht restlos begeistert ist,
dem kann man wahrlich nur noch sagen: Fuck You!
(Dieser Text enthält zweimal das "f-word" und sollte von leicht
zu beeindruckenden Kindern unter keinen Umständen nachgemacht
werden.)
Thomas
Willmann
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