"Man entwickelt sich immer weiter - auch in München." (Herbert
Achternbusch, "Picasso in München") "München ist gar nicht so
schlecht" (Rolf Peter Kahl, Hauptdarsteller von "Sylvester
Countdown")
Wem wirft man 60 000 Mark in den Rachen, wenn es darum geht den
deutschen Film zu fördern? Soll man derzeit noch den Mut zum
Kommerz oder schon wieder den Mut zur Kunst unterstützen? Der
Hypo-Regie-Förderpreis ist in den letzten Jahren nicht immer so
leichtfertig an die glanzvollsten Gestalten verschmissen worden wie
beispielsweise der plumpe bayerische Filmpreis, auch wenn die Riege
der Geehrten in gleichem Maße mit Rohrkrepierern bestückt
ist. Ausschließlich Männer waren's bisher, die vom Münchner
Filmfest die hilfreiche Kohle mit nach Hause nahmen. Die einzige
aussichtsreiche Kandidatin Caroline Link ist letztes Jahr mit ihrem
"Jenseits der Stille" zugunsten von Volker Einrauchs "Die Mutter
des Killers" übergangen worden, obwohl schon 1996 eine Idee
angebracht gewesen wäre, die in diesem Jahr ihre Umsetzung fand:
Das Geld wurde aufgeteilt. Die eine Hälfte ging an Martin Walz für
"Liebe Lügen", die andere an Oskar Roehler für "Sylvester
Countdown". Ob ihrer Weisheit und ihres Geschmackssinnes ist die
Jury hier mal ausdrücklich zu loben, denn die Entscheidung war ein
blitzgscheiter Kompromiß.
"Liebe Lügen" ist ein kleines, einfaches Seemannsmärchen, leicht
bekömmlich, latent bösartig und schön zu schauen. Ben (Bernd
Michael Lade) entstammt einer Seemannsfamilie, fristet sein dasein
aber als Wachmann beim Pfandhaus, denn ihn plagt eine unheilbare
Seekrankheit. Die liderliche Marie (Meret Becker), angestachelt vom
fiesen Jack, ihrem Stecher, macht sich an Ben heran, um ihn zu
einem Geldraub zu überreden. Die Liebe kommt da erwartungsgemäß in
die Quere, die Bösen haben am Ende das Nachsehen und der
unbeholfene Seemannssohn kann endlich auch zur See fahren, denn
freilich heilen ihn Maries Küsse von seinem Leiden.
Hausbackenes also, zugegebenermaßen. Martin Walz begnügt sich
vollauf mit der selten gezeigten Hafenwelt und der nordischen
Spielart der Kriminalkomödie. Vielen deutschen Filmen täte es wohl,
wenn sie ebenso wie "Liebe Lügen" vom Drange befreit wären, das
ultimative Top-Genre-Werk des Jahres zu sein. Dabei kommen nur
Baukasten-Movies wie "Knockin on Heaven's Door" heraus. Wenn wir
schon einen Aufschwung deutscher Filmwirtschaft erleben, dann
sollten wir uns auch mal darauf besinnen, daß es auch in goldenen
Kinozeiten kleine Filme gegeben hat.
Oskar Roehler reduziert den Inhalt seines Filmes "Sylvester
Countdown" absichtsvoll in einen noch engeren Rahmen. Sein Thema
ist der Kleinkrieg innerhalb einer Beziehung. Marie Zielcke und
Rolf Peter Kahl spielen ein Pärchen im Dauerclinch, sie lieben sich
und halten sich dennoch nicht aus. Zärtlichkeit, Gleichgültigkeit,
Haß, Geilheit, Verletzlichkeit, die ganze Gefühlspallette wird
aufgebracht in diesem Entstadium einer anstrengenden Liebe. Eher
beiläufig erfolgt schließlich die Trennung nach diesem qualvollen
Hin und Her. Seinen Zuschauer gönnt Roehler keine gefälligen
Nebenmotive, auch treten kaum Nebenfiguren auf. Die Konzentration
auf die Rangeleien der beiden Liebenden läßt dennoch keinerlei
Langeweile aufkommen, und eben darin liegt die Leistung in
"Sylvester Countdown", daß er trotz seiner thematischen
Beschränkung nicht ins Geschwätzige abrutscht. Auch entzieht sich
der Film durch seine Mischung aus Drama, Kammerspiel und Komödie
jeder Etikettierung. Die Direktheit mit der sexuelle Handlungen
dargestellt werden und die Beharrlichkeit, mit der der Regisseur
seinen Blick auf dem immergleichen Konflikt ruhen läßt, dürfte ihm
zudem den Zugang zum großen Publikum verwehren. Doch gerade das
Bestreben seiner Kollegen, es allen recht und dazu noch Kohle zu
machen, treibt unsereins ja in letzter Zeit verstärkt in die
Nachbarkinos, wo die Amis ihre virtuose Hausmannskost darreichen
oder die Franzosen ihre schönen Weiber zur Schau stellen.
Richy Oehmann
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