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14.08.1997
 
 
   
 

Phantasie und Provokation - Fantasy Filmfest 97

   
     
 
 
 
  Ein Nachtclub in Paris. Drinnen die Gangster, noch wiegen sie sich in Sicherheit. Draußen die Polizei. Die Ruhe vor dem Sturm. Plötzlich stürzt ein Mann auf die Straße. Der Drogenkonsum zeitigt durchschlagende Folgen. Da bleibt nur die Erleichterung in den Seinekanal. Ein suchender Blick. In Reichweite liegt eine Zeitschrift auf der Straße. Die Kamera identifiziert sie als Exemplar der Cahièrs Du Cinéma. Wer bislang nichts anzufangen wußte mit dieser Postille der Filmkritik, dem werden nun vielleicht neue Perspektiven eröffnet. Das einstige Bollwerk der Kritiker und späteren Regisseure der Nouvelle Vague kann heute allemal noch dazu dienen, sich den Hintern abzuwischen.

So gesehen in Jan Kounens Spielfilmdebüt DOBERMANN, dem der Publikumserfolg von Cannes vorauseilte, und der vor dem offiziellen Deutschlandstart das Programm des 11. Fantasy Filmfestivals beschloß.

Kounen will provozieren, zweifellos. Geglückt ist ihm dies allerdings nur sehr bedingt. Undifferenzierte Gewaltdarstellung in Anlehnung an PULP FICTION (hier scheint der überstrapazierte Vergleich tatsächlich einmal gerechtfertigt zu sein) ist so neu nicht. Was sich laut, schrill und ultrazynisch gibt, ist nicht per se subversiv. Nun ist der Verstoß gegen die Regeln, zumal die eingefahrenen des Kinos, grundsätzlich begrüßenswert. Es bleibt die Frage, was von einem Regisseur zu halten ist, der im wahrsten Sinne des Wortes auf Filmverständnis im Sinne der Cahièrs Du Cinéma scheißt, sich dann aber ergeht in Bildern und ästhischen Kunstgriffen, die auf eben jenem Verständnis basieren. So treibt Kounen frisch von der Leber weg sein permanentes Spiel mit der Vierten Wand, erhebt den Blick in die Kamera zum Programm oder zitiert an prominenter Stelle Robert Aldrich´s KISS ME DEADLY. Bilderstürmer Kounen erweist sich bei näherer Betrachtung also als Schattenboxer. DOBERMANN ist nicht so apokalyptisch wie er sich gerne geben möchte.

Dabei bietet gerade der Horrorfilm wie kaum ein anderes Genre die Möglichkeit, Regeln zu brechen, aktuelle Tagespolitik dem kritischen Blick preiszugeben. All das im Schutz des scheinbar Fantastischen, des Irrealen, das so manchem Filmemacher jene Narrenfreiheit garantierte, in deren Schatten sie das subversive Potential ihrer Filme voll entfalten konnten.

So formulierte es auch der walisische Regisseur Julian Richards, der sich anläßlich der Aufführung von DARKLANDS zum Gespräch stellte. Gerade eine halbe Millionen Pfund teuer, wurde der Film in nur fünf Wochen fertiggestellt. Vor dem Hintergrund keltischer Religion, düsterer Zeremonien und Menschenopferungen, will Richards DARKLANDS auch verstanden wissen als Film über seine Heimat Wales und die Waliser, ihre Identitätssuche im übergeordneten Kontext Großbritaniens, sowie den aufkommenden Nationalismus vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Niedergangs.

Ein verstörender Höhepunkt des Festivals auch GONIN 2. Ishii Takashi führt auf bedrückend intensive und pessimistische Weise vor, wie sich die Gewalt der Männerwelt auf Frauen auswirkt. Ein kurzer Moment des Glücks, ein flüchtiger Traum von der Freiheit ist den fünf Frauen vergönnt, die zufällig in einen Überfall verwickelt werden und mit der Beute zunächst fliehen können. Aber nur wenn sie wie Leichen auf dem Boden liegen, können die Frauen ihre optimistischen Zukunftspläne schmieden. Ein Anachronismus. GONIN 2 weist keinen Ausweg aus der Gewalt als die Gewalt selber. In einer Schlußvision werden die drei überlebenden Frauen durch das nächtliche Tokyo ziehen und Männer abknallen. Daß das Publikum Sätze wie "Sorry, we have no time to rape your wife today" mit schenkelkbrechendem Gelächter quitierte, mag als Ausdruck der Hilflosigkeit durchgehen. Lustig war dieser Film wirklich nicht.

Der versuchten Provokation also soweit überführt Wales und Japan. Wie sieht es aber aus mit den Beiträgen aus den Vereingten Staaten? Zumindest anteilsmäßig liegen die USA weit vorn im Rennen, qualitativ zu überzeugen wußten dagegen nur wenige Filme.

David Michael Latt´s KILLERS (ja, auch hier ging man wieder einmal mit der PULP FICTION Referenz hausieren) ergeht sich in merkwürdiger Madonnensymbolik inklusive Kreuzigung und anschließender Pieta und lehrt unter dem Strich, was wir eigentlich in den Zeiten von AIDS längst wissen sollten: Sex kann das Leben kosten, aber Mütter sind sakrosankt und überdauern auch den Kampf gegen das Tier (im) Mann, der hier strippt wie ein Chippendales Veteran. Provokationsfaktor: Null.

VAMPIRE JOURNALS präsentiert sich als schamlose Kopie von Neil Jordans meisterhaftem INTERVIEW WITH THE VAMPIRE. Da werden die Locken des bösen Untoten Ash haargenau (!) so onduliert wie weiland der Blondschopf von Tom Cruise alias Lestat, da stibitzt Gegenspieler Zachary unverblümt Dialogzeilen aus dem Munde Brad Pitts alias Louis. All das könnte erträglicher sein, wenn die Darsteller nur halb so gut aussehen würden, wie die Vampire Cruise, Pitt oder Banderas. Tun sie aber nicht. Provokationsfaktor: für eingeschworene INTERVIEW-Aficionados wie mich beträchtlich, ansonsten Null.

Ein Brad-Pitt-Verschnitt a lá CALIFORNIA tummelt sich auch in der Ballade um Gangsterethos und Racheschwüre CITY OF INDUSTRY (nein: der Vergleich mit RESERVOIR DOGS ist nicht statthaft!). Verläßlich gut ist Harvey Keitel und auch Timothy Hutton macht das Beste aus seinem kurzen Auftritt. Solide Kinoware in phallischem Showdown-Ambiente. Provokationsfaktor: Null.

Ein absolut gewaltfreier Film wurde den erwartungsvoll der Sneak Preview harrenden Zuschauern angekündigt. Dabei hatte das Gerücht bereits die Runde gemacht, als Rainer Stefan das Podium betrat und somit kam der Überraschungsfilm wohl nur noch für einen kleinen Teil wirklich überraschend. Was bleibt zu sagen zu einem weiteren Auswurf der Walt Disney Studios, außer daß auch HERCULES wieder das Hoch auf die heile Familie ausbringt, arische Helden ins Rennen schickt und den ein oder anderen antisemitischen Pinsel schwingt. Walt Disney - da weiß man was man hat. Provokationsfaktor: erheblich, allerdings ex negativo, womit der Genuß auf der Strecke bleibt (Übrigens: wer einen gewaltfreien Disney kennt, bitte melden!).

Wirklich ärgerlich der wohl schlechteste Film des Festivals (Sommers? Jahres? Jahrzehnts?): BRAM STOKERS SHADOW BUILDER hat nicht nur Nichts zu tun mit einer etwaigen Vorlage des DRACULA-Autors, sondern auch relativ wenig mit der Kunst des Horrorfilms an sich. Daß der Film noch nicht fertiggestellt war, kann den Eindruck höchstens positiv beeinflusst haben. So war die unvermittelte Einblendung "Scene Missing" zumindest der beste Lacher des Streifens. In Ermangelung eines Soundtracks bediente man sich ungeniert bei Jordan´s INTERVIEW, Coppola´s DRACULA, HELLRAISER, SCREAM und anderen. Provokationsfaktor: siehe oben (dem INTERVIEW WITH THE VAMPIRE Fan wurde es wahrlich nicht leicht gemacht dieses Jahr!)

Im Mittelmaß fanden sich allerdings auch einige Juwelen, und die wären schließlich weniger erfreulich, wenn en gros verfügbar. GROSSE POINT BLANK darf wohl zurecht als einer der Publikumserfolge des Festivals gewertet werden. Eine rabenschwarze Kömödie, die diese Woche in den Kinos startet und nicht verpaßt werden sollte.

Auch FEELING MINNESOTA hat einen Verleih gefunden. Die Beziehung zweier ungleicher Brüder (Vincent D´Onofrio und Keanu Reeves) wird von Steven Baigelman mit reichlich schrägem Humor in Szene gesetzt. Ein vielversprechendes Debüt, dem nur der allzu konservativ-versöhnliche Schluß nicht gut steht.

Die Filme um den berüchtigten timewarp kennen wir alle, heißen sie nun GROUNDHOG DAY oder 12:01. Während herkömmlicherweise mit jeder Zeitschleife alles etwas besser wird, der Held kleine Fortschritte macht, wird es für die Protagonisten in Louis Morneaus RETROACTIVE mit jeder Reise in die Vergangenheit blutiger, die Zahl der Leichen steigt, Kontrollfähigkeit wächst nicht etwa proportional zum akkumulierten Wissen, sondern sinkt vielmehr rapide ab. Ein Film als Gegenbeweis für wohlmeinende Erziehungsberechtigte (nein, Erfahrung macht nicht klüger!!). Der ultimative Film auch zum 20. Todestag des King of Rock ´n´ Roll. Nie war ein Elvis-Verschnitt so fies wie John Belushi! Kein Film für verstörte Graceland-Pilger oder Elvis Lebt! Gläubige. Für alle anderen ein Geheimtip!

Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, daß die Filmnation USA derzeit wirklich nur in der Komödie zu begeistern weiß, was ja bekanntlich eine der schwierigsten Künste sein soll. Das wirklich Verstörende, Düstere, Provokante kam dieses Jahr aus Asien und Europa. Dennoch: nach zwanzig Filmen inklusive mittelmäßiger Kost bleibt das Fantasy Filmfest auch dieses Jahr wieder unangefochten der Rezensentin liebster Filmevent in und um München und hat sich seinen Platz im Terminkalender 1998 definitv gesichert.

Regine Welsch

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