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25.09.1997
 
 
   
 

Eine Frage der Ehre - John Woo in München

 
John Woo, Regisseur
     
 
 
 
  Oscar Wilde hat einmal die Bemerkung gemacht: "Die Tatsache, daß jemand ein Lustmörder ist, besagt nicht das Geringste über sein Geigenspiel." Und dies ist nicht nur schön formuliert, sondern auch wahr: die Fähigkeit, auf künstlerischem Gebiet herausragende Leistungen zu erbringen, setzt nicht zwangsläufig einen guten Charakter voraus. Deshalb empfiehlt es sich meistens, einer ersten persönlichen Begegnung mit bewunderten Künstlern vorsichtshalber mit recht zurückhaltender Hoffnung entgegenzusehen.

Solch eine Gelegenheit bot sich mir unlängst, als John Woo anläßlich des Deutschlandstarts seines neuen Films FACE/OFF in München zu Gast war. John Woo, einer der großen Meister des Hong Kong Kinos und dank seines neuen Werks derzeit auf dem besten Weg, auch in Hollywood die Anerkennung zu erfahren, die er verdient, präsentierte im Filmmuseum Sam Peckinpahs THE WILD BUNCH - eines der großen Vorbilder Woos.
Ich hatte vorher schon davon gehört, daß John Woo ein äußerst netter Mensch sei, aber Promotiontouren sind meist selbst unter den besten Bedingungen nicht der ideale Anlaß, um einen Künstler kennenzulernen. Reisestreß und voller Terminplan, Hektik und die Monotonie der immergleichen Interviewfragen zollen üblicherweise auch von ausgesprochenen Frohnaturen ihren Tribut. Doch im Lauf des Abends zeigte sich, das Woos Ruf nicht nur völlig berechtigt ist, sondern daß "nett" nicht annähernd ausreicht, um John Woos Charakter zu beschreiben.

Dies war schon bei dem kleinen Empfang vor Beginn des offiziellen Teils der Veranstaltung zu spüren. Obwohl er bereits einen langen, anstrengenden Tag hinter sich hatte, war John Woo einer der bestgelaunten Menschen im Raum. Mit Engelsgeduld und höchst zuvorkommend erfüllte er fröhlich alle Autogramm- und Fotowünsche, war für jeden für ein Gespräch zu haben, zeigte sich in echter Bescheidenheit über jedes Lob seiner Werke nicht nur erfreut, sondern fast schon erstaunt, und war sichtlich davon angetan, wenn er mit jemandem über Kino plaudern konnte, der seinen Filmgeschmack teilte.

John Woos Erscheinung ist auf den ersten Blick unauffällig: er ist relativ klein, und an seinem Aussehen sticht zunächst nichts besonders ins Gesicht. Seine Bewegungen sind kontrolliert und zurückhaltend, aber in ihnen und seiner Haltung liegt unbestreitbar etwas von Eleganz. Als er später im Gespräch die Anekdote bestätigt, daß er früher als Tanzlehrer gearbeitet hat, verwundert dies nicht im Geringsten. Und wenn man ihn im perfekt sitzenden Anzug dann so dastehen sieht, wirkt er plötzlich wie aus einer fernen Zeit zu uns gekommen: als wäre er im Ballsaal eines Nobelhotels im Shanghai der zwanziger Jahre zu Hause.

Auch beim Publikumsgespräch ist John Woo durchgehend freundlich, fröhlich, bescheiden und geduldig. Und da alle im Saal spüren, daß dies bei ihm ganz ehrlich und natürlich ist, hat er sehr schnell alle Sympathien auf seiner Seite. Doch selbst daß es aus dem Wald bekanntlich zurück schallt, wie man hineinruft, scheint für ihn nicht selbstverständlich. Von der begeisterten, warmherzigen Aufnahme, die ihm bei seinem (ersten) Besuch in Deutschland zuteil wurde, ist er so sehr angetan, daß er erklärt, wir alle seien seine Helden. "Everybody who has a big heart is my hero." Und selbst das, unvorstellbar wenn man's nicht erlebt hat, ist bei ihm nicht gespielt oder kitschig - man glaubt ihm aufs Wort.
Und dann wird einem langsam klar, warum John Woo auf exaltierte Selbstdarstellung verzichten kann, warum man erst auf den zweiten Blick erkennt, daß er jemand Besonderes ist, es dann aber um so stärker und nachhaltiger spürt: er hat die natürliche Autorität eines Menschen, der seine innere Mitte gefunden hat.

Woo präsentiert an diesem Abend keines seiner eigenen Werke, sondern Sam Peckinpahs genialen Spätwestern THE WILD BUNCH - einen der wenigen wirklich perfekten Filme und einer von Woos absoluten Favoriten. Oberflächlich scheint sofort klar, wo die Verbindung liegt und wo Peckinpah für Woo als Vorbild gedient hat: Schießereien als apokalyptische, zeitlupengedehnte Blei- und Blutballette zu inszenieren hat der Chinese offensichtlich hier gelernt. Dies gibt er bereitwillig zu - obwohl natürlich auch die Erfahrung als Tanzlehrer in der geradezu musikalischen Choreographierung der ballistischen Apotheosen deutlich ihre Spuren hinterlassen hat.
Aber wenn John Woo über THE WILD BUNCH spricht, so offenbart sich, daß das entscheidende Moment seiner Beziehung zu Peckinpahs Werk tiefer liegt. Seine Lieblingsszene ist jene, als William Holden und seine Gefährten sich vor dem finalen Massaker noch einmal bei gekauftem Sex amüsieren - und Holden angewiedert erkennt, daß es in dieser dreckigen, traurigen Welt zwar keine Hoffnung mehr gibt, aber wenigstens noch die Möglichkeit, für das ausgemusterte Ideal der Ehre zu sterben. "Let's go," sagt er, und nach kurzem Zögern antwortet Warren Oates "Why the Hell not". Nur zwei Dialogsätze braucht diese Sequenz, die alles sagt durch Bilder, Pausen und Blicke - einer der grandiosen, tragischen, unerbittlichen, herzzerreißenden und zärtlichen Momente der Filmgeschichte. In dieser Szene, sagt John Woo, offenbart uns Sam Peckinpah seinen Charakter, sein großes Herz.

Seele, Charakter, Herz, das ist es, was John Woo am allermeisten interessiert. Wie Peckinpahs Helden, so glauben auch die John Woos als Letzte in einer amoralischen Welt noch an einen antiquierten Kodex (männlicher) Ehre.
Und wie bei Peckinpah finden sich auch bei Woo diese letzten wahren Helden stets auf den beiden Seiten des Gesetzes wieder, das sie in Feindschaften zwingt, die von tiefem Respekt geprägt sind.
In unserer Zeit, wo Zynismus und blasierte Attitüde zum guten Ton der Aufgeklärtheit gehören, wirkt solch eine Haltung altmodisch. Und wenn John Woo auf die Frage, ob er eher auf der Seite des "bad guy" oder des Polizisten stehe, antwortet, er möge sich da zwar eigentlich nicht entscheiden, da beides Menschen wären, seine größere Achtung gebühre aber doch eher dem Polizisten, da dieser uns beschütze, dann ist man zunächst peinlich berührt - bis einem Woos ernste Ehrlichkeit bei dieser Antwort nachdenken läßt, warum man als vermeintlich tabufreier Mensch eine solche Aussage so sehr als Tabubruch empfindet.

John Woos Größe - als Mensch und als Künstler - rührt eben daher, daß er noch einen tiefen Glauben an große Werte besitzt. Er ist damit gänzlich unzeitgemäß, aber tiefe Überzeugungen sind bekanntlich nicht an Mode interessiert.
Ich habe bereits bemerkt, daß "nett" nicht das richtige Wort ist, um John Woo zu beschreiben. Aber erst wenn einem klar ist, daß das heute gängige Vokabular schlicht das falsche für diesen Mann ist, so findet man den treffenden Ausdruck. Es ist ein Ausdruck, den Woo selbst benutzt, um seine beiden Stars aus FACE/OFF, John Travolta und Nicholas Cage, zu beschreiben. Es ist ein antiquiert scheinender Begriff, kaum noch ohne Ironie zu verwenden. Doch hier gilt er noch in seiner vollen Bedeutung: John Woo ist ein wahrer Gentleman.

Thomas Willmann

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