|
Oscar Wilde hat einmal die Bemerkung
gemacht: "Die Tatsache, daß jemand ein Lustmörder ist, besagt nicht
das Geringste über sein Geigenspiel." Und dies ist nicht nur schön
formuliert, sondern auch wahr: die Fähigkeit, auf künstlerischem
Gebiet herausragende Leistungen zu erbringen, setzt nicht
zwangsläufig einen guten Charakter voraus. Deshalb empfiehlt es sich
meistens, einer ersten persönlichen Begegnung mit bewunderten
Künstlern vorsichtshalber mit recht zurückhaltender Hoffnung
entgegenzusehen.
Solch eine Gelegenheit bot sich mir unlängst, als John Woo
anläßlich des Deutschlandstarts seines neuen Films FACE/OFF in
München zu Gast war. John Woo, einer der großen Meister des Hong
Kong Kinos und dank seines neuen Werks derzeit auf dem besten Weg,
auch in Hollywood die Anerkennung zu erfahren, die er verdient,
präsentierte im Filmmuseum Sam Peckinpahs THE WILD BUNCH - eines
der großen Vorbilder Woos. Ich hatte vorher schon davon gehört,
daß John Woo ein äußerst netter Mensch sei, aber Promotiontouren
sind meist selbst unter den besten Bedingungen nicht der ideale
Anlaß, um einen Künstler kennenzulernen. Reisestreß und voller
Terminplan, Hektik und die Monotonie der immergleichen
Interviewfragen zollen üblicherweise auch von ausgesprochenen
Frohnaturen ihren Tribut. Doch im Lauf des Abends zeigte sich, das
Woos Ruf nicht nur völlig berechtigt ist, sondern daß "nett" nicht
annähernd ausreicht, um John Woos Charakter zu beschreiben.
Dies war schon bei dem kleinen Empfang vor Beginn des offiziellen
Teils der Veranstaltung zu spüren. Obwohl er bereits einen langen,
anstrengenden Tag hinter sich hatte, war John Woo einer der
bestgelaunten Menschen im Raum. Mit Engelsgeduld und höchst
zuvorkommend erfüllte er fröhlich alle Autogramm- und Fotowünsche,
war für jeden für ein Gespräch zu haben, zeigte sich in echter
Bescheidenheit über jedes Lob seiner Werke nicht nur erfreut,
sondern fast schon erstaunt, und war sichtlich davon angetan, wenn
er mit jemandem über Kino plaudern konnte, der seinen Filmgeschmack
teilte.
John Woos Erscheinung ist auf den ersten Blick unauffällig: er
ist relativ klein, und an seinem Aussehen sticht zunächst nichts
besonders ins Gesicht. Seine Bewegungen sind kontrolliert und
zurückhaltend, aber in ihnen und seiner Haltung liegt unbestreitbar
etwas von Eleganz. Als er später im Gespräch die Anekdote
bestätigt, daß er früher als Tanzlehrer gearbeitet hat, verwundert
dies nicht im Geringsten. Und wenn man ihn im perfekt sitzenden
Anzug dann so dastehen sieht, wirkt er plötzlich wie aus einer
fernen Zeit zu uns gekommen: als wäre er im Ballsaal eines
Nobelhotels im Shanghai der zwanziger Jahre zu Hause.
Auch beim Publikumsgespräch ist John Woo durchgehend freundlich,
fröhlich, bescheiden und geduldig. Und da alle im Saal spüren, daß
dies bei ihm ganz ehrlich und natürlich ist, hat er sehr schnell
alle Sympathien auf seiner Seite. Doch selbst daß es aus dem Wald
bekanntlich zurück schallt, wie man hineinruft, scheint für ihn
nicht selbstverständlich. Von der begeisterten, warmherzigen
Aufnahme, die ihm bei seinem (ersten) Besuch in Deutschland zuteil
wurde, ist er so sehr angetan, daß er erklärt, wir alle seien seine
Helden. "Everybody who has a big heart is my hero." Und selbst das,
unvorstellbar wenn man's nicht erlebt hat, ist bei ihm nicht
gespielt oder kitschig - man glaubt ihm aufs Wort. Und dann wird
einem langsam klar, warum John Woo auf exaltierte Selbstdarstellung
verzichten kann, warum man erst auf den zweiten Blick erkennt, daß
er jemand Besonderes ist, es dann aber um so stärker und
nachhaltiger spürt: er hat die natürliche Autorität eines Menschen,
der seine innere Mitte gefunden hat.
Woo präsentiert an diesem Abend keines seiner eigenen Werke,
sondern Sam Peckinpahs genialen Spätwestern THE WILD BUNCH - einen
der wenigen wirklich perfekten Filme und einer von Woos absoluten
Favoriten. Oberflächlich scheint sofort klar, wo die Verbindung
liegt und wo Peckinpah für Woo als Vorbild gedient hat:
Schießereien als apokalyptische, zeitlupengedehnte Blei- und
Blutballette zu inszenieren hat der Chinese offensichtlich hier
gelernt. Dies gibt er bereitwillig zu - obwohl natürlich auch die
Erfahrung als Tanzlehrer in der geradezu musikalischen
Choreographierung der ballistischen Apotheosen deutlich ihre Spuren
hinterlassen hat. Aber wenn John Woo über THE WILD BUNCH
spricht, so offenbart sich, daß das entscheidende Moment seiner
Beziehung zu Peckinpahs Werk tiefer liegt. Seine Lieblingsszene ist
jene, als William Holden und seine Gefährten sich vor dem finalen
Massaker noch einmal bei gekauftem Sex amüsieren - und Holden
angewiedert erkennt, daß es in dieser dreckigen, traurigen Welt
zwar keine Hoffnung mehr gibt, aber wenigstens noch die
Möglichkeit, für das ausgemusterte Ideal der Ehre zu sterben.
"Let's go," sagt er, und nach kurzem Zögern antwortet Warren Oates
"Why the Hell not". Nur zwei Dialogsätze braucht diese Sequenz, die
alles sagt durch Bilder, Pausen und Blicke - einer der grandiosen,
tragischen, unerbittlichen, herzzerreißenden und zärtlichen Momente
der Filmgeschichte. In dieser Szene, sagt John Woo, offenbart uns
Sam Peckinpah seinen Charakter, sein großes Herz.
Seele, Charakter, Herz, das ist es, was John Woo am allermeisten
interessiert. Wie Peckinpahs Helden, so glauben auch die John Woos
als Letzte in einer amoralischen Welt noch an einen antiquierten
Kodex (männlicher) Ehre. Und wie bei Peckinpah finden sich auch
bei Woo diese letzten wahren Helden stets auf den beiden Seiten des
Gesetzes wieder, das sie in Feindschaften zwingt, die von tiefem
Respekt geprägt sind. In unserer Zeit, wo Zynismus und blasierte
Attitüde zum guten Ton der Aufgeklärtheit gehören, wirkt solch eine
Haltung altmodisch. Und wenn John Woo auf die Frage, ob er eher auf
der Seite des "bad guy" oder des Polizisten stehe, antwortet, er
möge sich da zwar eigentlich nicht entscheiden, da beides Menschen
wären, seine größere Achtung gebühre aber doch eher dem Polizisten,
da dieser uns beschütze, dann ist man zunächst peinlich berührt -
bis einem Woos ernste Ehrlichkeit bei dieser Antwort nachdenken
läßt, warum man als vermeintlich tabufreier Mensch eine solche
Aussage so sehr als Tabubruch empfindet.
John Woos Größe - als Mensch und als Künstler - rührt eben daher,
daß er noch einen tiefen Glauben an große Werte besitzt. Er ist
damit gänzlich unzeitgemäß, aber tiefe Überzeugungen sind
bekanntlich nicht an Mode interessiert. Ich habe bereits
bemerkt, daß "nett" nicht das richtige Wort ist, um John Woo zu
beschreiben. Aber erst wenn einem klar ist, daß das heute gängige
Vokabular schlicht das falsche für diesen Mann ist, so findet man
den treffenden Ausdruck. Es ist ein Ausdruck, den Woo selbst
benutzt, um seine beiden Stars aus FACE/OFF, John Travolta und
Nicholas Cage, zu beschreiben. Es ist ein antiquiert scheinender
Begriff, kaum noch ohne Ironie zu verwenden. Doch hier gilt er noch
in seiner vollen Bedeutung: John Woo ist ein wahrer
Gentleman.
Thomas
Willmann
|