Das 17. Internationalen Festival der
Filmhochschulen endete am 29.November mit der festlichen Verleihung
des VFF Young Talent Award. Die diesjährige Jury mußte dabei
aus mehr als 170 aktuellen Produktionen von 37 Hochschulen aus
25 Ländern, die im Wettbewerb standen auswählen und Artechock
war dabei, um unsere verehrten Leser mit Infos über den filmischen
Nachwuchs zu versorgen.
Nach welchen Kriterien die Jury dieses Jahr ihre Auswahl der
Preisträger rechtfertigte, entzieht sich leider unserer Kenntnis.
Leider auch warum kein erster Preis verliehen wurde, sondern nur
zwei zweite Preise, die an EASY DAY und THE ARCHITECT gingen. Mit
den dritten Platz wurde der bulgarische Beitrag KAL ausgezeichnet.
Daß ein Film wie EASY DAY prämiert wird zeigt den etwas
zwiespältigen Versuch der Jury einen Ausgleich zwischen der
wirtschaftsnahen Ausrichtung der HFF und eher künstlerisch und
inhaltlich ambitionierten Anliegen anderer Hochschulen zu
finden. Schade auch um die zahlreichen guten Filme, für die sich
hier weder der Platz noch die Zeit zur Besprechung finden.
THE ARCHITECT ist ein Beitrag vom britischen Royal College of Art
in London. Regie führte der vielversprechende Luke Watson, der
auch für das Buch mitverantwortlich zeichnet. THE ARCHITECT hat
die Geschichte von Albert Speer, Hitlers Architekt und
Kriegsminister, der 1947 eine 20-jährige Haftstrafe für seine
Mitschuld an den Kriegsverbrechen der Nazis im alliierten Gefängnis
in Spandau antreten muß, zur Grundlage. Eingesperrt und all
seiner bisherigen Privilegien sich beraubt sehend, umgeben von den
Wachmannschaften und einer handvoll anderer Inhaftierter, wird
Speer während seiner Haftstrafe immer mehr mit sich selbst und
seiner Vergangenheit konfrontiert. Der Charakter Speer in
Watson´s THE ARCHITECT ist eine gebrochene, gespaltene
Persönlichkeit, die sich erst der Wahrheit und der damit
verbundenen Schuld bewußt werden muß, während er immer noch Stolz
auf seine größenwahnsinnige Aufgabe ist, einstmal die größte Stadt
der Welt zu erbauen. Watson´s THE ARCHITECT schildert,
wunderbar unaufdringlich photographiert, die Zusammenhänge zwischen
Wahrheit, Ehrgeiz und nicht zuletzt der Schuld eines Menschen,
stellvertretend für Millionen anderer. Mit diesem jungen Talent
im Rücken dürfte der Strom an inteessanten britischen Produktionen
auch in Zukunft nicht abreißen. Hoffentlich. Wiedersehen macht
Freude.
Ganz anders im Fall von EASY DAY. Eine Produktion der HFF unter
der Regie von Hans Horn, ist der andere Preisträger des VFF Award.
EASY DAY ist zuallererst eine blitzende Stilübung in
Werbeästehtik . Plot und Stil der Kamerafahrten des Films ist
bekannt aus unzähligen Backwood-Filmen der 70er Jahre begonnen bei
Meisterwerken, wie DELIVERANCE von John Borman über Tobe Hoopers
TCM bis zu Legionen von Low Budget Horrorfilmen. Hans Horn ist
hier ein technisch aufwendig und perfekt produzierter Film
gelungen, der ihm als Visitenkarte bei seiner künftigen Karriere
als Werbefilmer wohl noch nützlich sein dürfte. Was das Pulikum aus
diesem Film noch neues an Erkenntnis gewinnen soll, bleibt die
Frage.
KAL (MUD), ein bulgarischer Beitrag von Ivaylo Simidciev, wurde
von der Jury mit dem dritten Preis prämiert. Ein Ausländer wird
in eine Verfolgungsjagd auf ein Straßenkind, das Geld aus einem
Kiosk gestohlen hat, verwickelt und von diesem mit einem Messer
schwer verletzt. Dennoch kommen sich die beiden näher und es
entsteht unmerkliche Freundschaft zwischen den beiden. Zusammen
erlebt das ungleiche Paar eine vielzahl von Abenteuern, die
Menschen aus anderen Sozialisationsschichten absurd erscheinen
müssen, bis der schwerverletzte Fremde an den Folgen seiner
Verletzung stirbt. Der Junge fällt in die Einsamkeit zurück, aus
der er hoffte zu entkommen während er mit einem langsen Schrei
seinen inneren Schmerz artikuliert. Langsam verebt der
Schmerzensschrei des Jungen ungehört über der Müllkippe, seiner
Welt. Eine Geschichte über Freundschaft und Einsamkeit,
angesiedelt in einem Millieu, das einem sonst verborgen bleibt. Die
Welt der Unterpriviligierten sind die dreckigen Hinterhöfe,
Treppenhäuser, Ruinenviertel und Müllkippen unserer
Großstädte. Daß in diesem Umfeld eine Freundschaft möglich wird
ist ein kleines Wunder, daß hoffen läßt. Ivaylo Simidciev ist
mit KAL ein dichter und emotionaler Film gelungen, der sein
Publikum durchaus berührt.
Für die herausragende Kamerarbeit bei MARIA wurde der Kameramann
Mihail Sarbusca ausgezeichnet. Inhaltlich gehört dieser Film eher
in die Kategorie "Das nervt !!!!". Eine junge Frau wird auf ihrem
Leidensweg zu einer Märtyrerin hochstilisiert, die sich in ihr
Schicksal ergibt, anstatt Konsequenzen zu ziehen. Katholizismus
läßt grüßen. Kollegin Nina Stuhldreher sieht diesen Sachverhalt
etwas anders, also : Nina, bitte übernehmen !
Sicherlich, MARIA schildert eine Leidensgeschichte, die aus der
Sicht des durchschnittlichen westlichen Kinobesuchers einer
emotional überbewerteten Selber-Schuld-Moritat gleichkommt. Eine
Frau, die im späten 20.Jahrhundert noch unterwürfig ihren Mann um
Gnade anfleht und sich von ihn demütigen läßt, anstatt ihn zu
verlassen: jenseits jeder Nachvollziehbarkeit eines emanzpierten
Verständnisses. Dabei ergibt sie sich allerdings nicht einfach
ihrem Schicksal, Christian, sondern startet immerhin einen
Verbesserungsversuch - um ihre 7 Kinder ernähren zu können, geht
sie auf den Strich - , der natürlich angesichts ihres kulturellen
und sozialen Hintergrunds angemessenen eingeordnet werden muß. Daß
diese traurige Geschichte der modernen Märtyrerin auf einer wahren
Begebenheit beruht , verleiht dem Ganzen eine ergreifende Tragik,
nach der es in unserer Reality-TV-Gesellschaft einen gewissen
Bedarf zu geben scheint - die täglichen Exclusiv-Reporter-Reißer im
Vorabendprogramm beweisen es: zum-Himmel-schreiende-Ungerechtigkeit
als Petit Remontant nach der ewiggleichen Arbeitsroutine. Doch auch
wenn die HFF für eine gewisse trendbewußte Ausrichtung bekannt ist,
so wird es sicherlich nicht allein die herzergreifendeTragik dieser
wahren Geschichte gewesen sein, die die Jury zu dieser Entscheidung
geführt hat. Auch die Leistung des Kameramannes, die sich eher auf
gekonnte Emotionsrührung, pathetische Zeitlupen inclusive,
beschränkt, wird MARIA nicht letztendlich zu diesem Preis verholfen
haben. Man muß davon ausgehen, daß diese Auszeichnung ein
Zugeständnis war zum einen an die so zahlreich vertretenen
Hochschulen der ehemaligen Ostblockländer, zum andern an eine bei
diesem Festival fast in Vergessenheit geratene Form des
engagierten, idealistischen Films. Davon kann man halten, was
man will. Überlegungen zum Sinn & Unsinn, Möglichkeiten und
Grenzen des Kurzfilms im allgemeinen folgen nächste Woche an dieser
Stelle. Als Wort zum Donnerstag und kleinen Denkanstoß hinsichtlich
der Kitschberechtigung in den Werken werdender Künstler möchte ich
mich als Late-Night-Serials-Fan entlarven und mit folgenden Worten
Michael Statments aus den „Besten Jahren“ schließen:
Wer selber etwas auf die Beine stellt, dem gelingt vielleicht
nicht immer das Allerbeste. Vielleicht wird es noch nicht einmal
gut. Die Hauptsache ist jedoch, es ist etwas Eigenes. Und
ehrlich.
Christian Galuschka /
Nina Stuhldreher
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