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Süße Träume, künstliche Paradiese, große Illusionen
In Berlin beginnt die 48. Berlinale

  12.02.1998
 
 
 
 
Berlin, 11.Februar. Es geht los. Ausgerechnet "Sweet Dreams" heißt eine Sammlung von Kurzfilmen, mit der an diesem Mittwoch in Berlin die Filmfestspiele beginnen. Was könnte uns hoffnungsfroher stimmen ? Von nun an wird es fast zwei Wochen lang täglich 3 Wettbewerbsfilme zu sehen geben, dazu pro Tag Dutzende anderer aktueller Produktionen in den traditionellen Reihen "Panorama" und "Internationales Forum". Außerdem locken zwei verführerische Retrospektiven, eine zu Catherine Deneuve, die andere zu den Brüdern Robert und Curt Siodmak, die die Münchner Kinogänger schon gut vom letzten Filmfest und diversen Vorführungen im Filmmuseum kennen dürften.

In diesen nächsten zwölf Tagen, so darf man erwarten, wird sich hier tatsächlich bereits vieles von dem abzeichnen, das das bevorstehende Filmjahr prägen wird. Schließlich gilt die Berlinale als zweitgrößtes Filmfestival der Welt, und hierher kommt alles, was Rang und Namen hat, und nicht in Cannes oder Venedig Premiere haben wird.

Filmgeschichte in Jahren zu rechnen, mag auf den ersten Blick allzu simpel wirken, denn mit Jahreszeiten, mit Aussaat und Ernte hat das Filmgeschäft, so scheint es, genauso wenig zu tun, wie sich seine Trends nur durch ein neues Datum plötzlich ins Gegenteil verkehren.

Und doch. Filme werden getimed, und schon aus werbestrategischen Gründen sind Fragen der Präsenz auf einem -und auf welchem- Festival wichtig. Hinzu kommen die Preise. Und für kleinere unbekanntere Produktionen ist ein Festival die Chance sich vor großem, professionellen und aus der ganzen Welt angereistem Publikum zu präsentieren. Für die "Kleinen" ist das sogar noch viel wichtiger, als für Filme aus großen Studios, die allemal mit großem Werbebudget auf den Markt geworfen werden, und darum oft eine Wettbewerbsteilnahme scheuen, bei der sie nur verlieren können. Insofern sind Filmfestivals Zwischenbilanzen, Zusammenfassungen, Börsen über den augenblicklichen Stand der Dinge, die einen besseren, weil konzentrierteren Vergleich erlauben. Und Themen wie Tendenzen sichbarer machen. Nichts also gegen Filmfestivals, auch nichts gegen große. Und nichts gegen die Theorie von Filmjahrgängen.

Im letzten Jahr jedenfalls spiegelte die Berlinale bereits alles, was noch kommen sollte im durchwachsenen Filmjahr 1997. Keine schlechten Filme, aber irgendwie unaufregende. Teurer Mainstream, der meist altes kaum originell aufbereitete, zwei, drei gute Überraschungen (ROMEO AND JULIET natürlich und dann den von der Kritik einseitig als Kitsch mißverstandenen ENGLISH PATIENT) und unter den Independent-Produktionen einige schöne Sachen, beispielweise interessante Fortsetzungen des Trends zu Filmen von und über junge Frauen. Aber doch nichts wirklich Überraschendes, neue Horizonte öffnendes.

Blickt man auf das diesjährige Programm, darf man hoffen. Es ist ohne Frage stärker, als im vergangenen Jahr. Manche sagen sogar: das beste seit Jahren. Allein schon der Wettbewerb: Die neuen Filme von Tarantino, den Coen-Brüdern, von Alain Resnais und Barry Levinson finden sich da ebenso wie die von Neil Jordan und Robert Altman (außer Konkurrenz). In letzter Minute sagte auch Francis Ford Coppola noch zu: wie Altman mit einer John Grisham-Verfilmung. Ein hochkarätiger Wettbewerb, bei dem es schwerfällt, Favoriten zu benennen.

Mit zu ihnen könnte THE BOXER gehören, mit dem die Berlinale am Nachmittag eröffnete: Ein in Belfast spielendes anrührendes IRA-Drama, von Jim Sheridan mit (echtem, nicht falschem) Pathos inszeniert. Sollte der Wettbewerb so weitergehen, werden es schöne zwei Wochen werden in Berlin.

Aber der Sinn eines Festivals ist vor allem die Begegnung mit dem Fremden und Unerwarteten, mit Filmen, die man nur hier sehen wird, und dann nie mehr in den Kinosälen. Asiatische Beiträge bilden diesmal das konzentrierteste Angebot: mit blumigen Titeln locken vor allem japanische und koreanischer, daneben auch chinesische Filme das Publikum: SWEET DEGENERATION und JUNK FOOD heißen sie sehr vielversprechend, oder auch TIMELESS BOTTOMLES BAD MOVIE.

Daneben gibt es dann noch ziemlich viel zu Sergej Eisenstein und Bertold Brecht, etwa mit einem so schönen Titel wie LIEBE, REVOLUTION UND ANDERE GEFÄHRLICHE SACHEN. Wenn das nicht hoffen läßt.

Fin de Siecle-Blüte kurz vor der Jahrtausendwende, süße Träume in künstlichen Paradiesen - egal was davon geblieben sein wird, wenn die Party in zwei Wochen vorbei ist: zumindest als Versprechen macht die 48.Berlinale Laune. Freuen wir uns drauf. Auf nach Berlin !

Rüdiger Suchsland

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