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2:1 für Berlin
Notizen von der 48. Berlinale (2.Folge)

  26.02.1998
 
 
 
 
Die Sonne strahlte über Berlin, die sonst eisigen Wasser der Spree flossen frei, und ein paar Schwäne und Gänse schwammen im Fluß. Ben Kingsley sprach von der Möglichkeit, "mit anderen Kulturen zu lachen, zu lieben, und ihre Gefühle zu teilen". Aber über was reden wir eigentlich ? Über Kino natürlich.

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Auf dem Weg zum Film "Good Will Hunting": Gregor Gysi spricht auf dem Platz vor der Gedächtniskirche. "Im Durchschnitt hat jeder Deutsche 135.000 Mark Sparvermögen. Jetzt können sie sich einmal überlegen, wie weit Sie drüberliegen." Während ich noch darüber nachdenke, kommt ein Haufen PDS-rotgekleider Fans des FC Bayern vorbei. Denn heute spielt Hertha BSC gegen Bayern. 70 Mark haben sie pro Karte bezahlt, wahrscheinlich wird das Olympiastadion, das es in Berlin ja auch gibt, ausverkauft sein. Seit über 20 Jahren hat Berlin nicht mehr gewonnen. Abends "Life during wartime", eine sehr schöne, schnelle Komödie von Evan Dunsky, die im Milieu von Sicherheitsunternehmen und Alarmanlagenverkäufern spielt. "The world is a dangerous place" hat die Hauptfigur am Ende gelernt. Das findet auch Gregor Gysi. Der meinte schon am Vormittag: "Man muß sich entscheiden, auf welcher Seite man steht. Und dann hat man auch Feinde, deren Interesse man verletzt."

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Vielleicht sind es weder Familiengeschichten, noch neue Langsamkeit, die das eigentliche Thema der Berlinale Filme bilden, sondern Strafanstalten (und nebenbei bemerkt: irgendwie können ja Familien und langsame Filme auch unter diese Kategorie fallen): In "The Boxer", "The Boys", "I want you", "Great Expectations" kommen Hauptfiguren gerade aus dem Knast, in "Good will Hunting" und "The Butcher Boy" landen sie irgendwann in der Besserungsanstalt, in den beiden Grisham Verfilmungen geht es eh um Justiz, und selbst Pam Grier muß in Tarantinos "Jackie Brown" zwischendurch einsitzen. Eigentlich klar, daß auch Robert de Niro, statt nach Berlin zu kommen, erst einmal festgenommen wurde.

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Deutsche Filme sind alle Jahre wieder das ganz besondere Trauerspiel des Wettbewerbs. Diesmal trägt die Bankrotterklärung den Titel "Das Mambospiel". Corinna Harfouch spielt die Hauptrolle, aber das hilft auch nichts, denn der Regisseur ist ihr Mann Michael Gwisdek, der auch die Hauptrolle spielt, das Buch geschrieben hat, und mit all dem etwas überfordert ist. Selten hat man Schauspieler so distanzlos und undiszipliniert agieren sehen, und auch der Rest ist ohne Sinn und Verstand. Die Geschichte ist unfreiwillig peinlich, wenn eine Vergewaltigung und eine Geburtstagsfeier gegeneinander geschnitten werden. Wahrscheinlich glaubte Gwisdek auch noch, irgendetwas neorealistisches im Stil von Ken Loach fabriziert zu haben. Zu recht gab's laute Buhrufe im Zoopalast. Corinna Harfouch weinte. Hätte man dann doch wenigstens einen der deutschen Filme aus anderen Reihen in den Wettbewerb genommen, und wenn es Achternbuschs "Neue Freiheit, keine Jobs" gewesen wäre.

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Teutonische Eigenarten wurden freilich in anderen Beiträgen des Wettbewerbs thematisiert. In "The Big Lebowski" der Brüder Coen sind die zunächst unsichtbaren Gegner die "deutschen Nihilisten". Als sie dann auftauchen handelt es sich aber überraschenderweise doch nicht um deutsche Komödienregisseure, sondern um drei schwarzgekleidete Lulatsche, die an die Gruppe Kraftwerk erinnerten, und wegen ihres deutschen Akzents tatsächlich richtig fies wirkten.

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Welch ein Glück: Moritz de Hadeln durfte endlich französisch sprechen. Sichtlich erfreut kündigte der Helmut Kohl der Berlinale an, er werde sich von nun an Catherine Deneuves Muttersprache bedienen. Gemeint war damit natürlich nicht die ganze restliche Zeit seines noch bis zum Jahr 2003 laufenden Vertrages, sondern nur der Mittwochabend, als er dem französischen Weltstar einen Goldenen Bären überreichte, ehrenhalber wie man so sagt, um damit ihr Lebenswerk zu würdigen. Derartige Ehrenpreise haben etwas Zwispältiges. Denn so wie der Ehrenvorsitzende einer Partei eben nicht ihr Vorsitzender ist, so sehr nährt der Ehrenbär den Verdacht, man könnte es hier mit einer abgehalfterten Preisträgerin zu tun haben, oder einer uralten, oder einer todkraknen, oder gar allen drei Fällen zusammen. Doch nichts davon trifft auf Catherine Deneuve zu. Die diesjährige Preisträgerin, deren wichtigste Filme derzeit in einer Hommage auf der Berlinale gezeigt werden, ist ganz gegenwärtig, und nach wie vor gut im Geschäft.

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Zwei Filme machten Catherine Deneuve Mitte der 60er Jahre zum Weltstar: "Repulsion" ("Der Ekel" von 1965, der zur Preisverleihung gezeigt wurde) von Roman Polanski und Luis Bunuels "Belle de jour". "Repulsion" ist die große Ausnahme ihrer Filmkarriere. Denn da spielt sie nicht eine mehr oder weniger kultivierte Frau aus mehr oder weniger gesettelten Verhältnissen. Die vielleicht tagsüber als Hure arbeitet, oder ihren Ehemann betrügt, aber doch nie ganz den weitgesteckten Rahmen des Bourgoisen verläßt. Bei Polanski ist die Deneuve eine fingernägelkauende Hypersensible, die schließlich ganz dem Wahnsinn verfällt. Fast unscheinbar wirkt sie da, verhuscht. Ein einziges Mal war sie nicht "die Deneuve". Danach immer.
Am Mittwochabend war sie selbstverständlich "die Deneuve". Mit rosafarbener Jacke, sehr passend zum blonden Haar wie zum schwarzen Hosenanzug, elegant und doch lässig kam sie mit flottem Schritt aufs Podest. Klein ist sie, dachte man unwillkürlich als sie neben de Hadeln stand. In ihren Filmen wirkt sie oft groß und immer souverän. Charmant aber auch entrückt steht Catherine Deneuve vor dem Berliner Publikum. Ein paar freundliche Worte, was man eben so sagt bei einer Preisverleihung, und ein Dank an Francois Truffaut und an Jacques Demy: "Sie machten mich zu dem was ich bin." Es stimmt schon: ein Film mit ihr ist immer ein Deneuve-Film. Das gilt selbst für die Téchiné-Filme, in denen sie ihre ganze Kunst als Schauspielerin zeigen darf. Nur bei Polanski war es einmal anders.

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Claudia, eine Filmproduzentin, erzählt, daß sie neulich Cameron Diaz in einer Pariser Kneipe begegnet ist. Eng umschlungen habe sie dort mit ihrem Freund Matt Dillon getanzt. Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, Cameron Diaz in einer Pariser Kneipe zu begegnen ? Jedenfalls deutlich höher, als in Berlin, denn außer Senta Berger und Ben Kingsley, die beide in der Jury sitzen, ist uns noch kein Promi über den Weg gelaufen. Und natürlich die unvermeidliche Veronika Ferres, die passenderweise Patronin vom Kinderfilmfest geworden ist.

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Wie viele Wettbewerbsfilme sind auch Robert Siodmaks "The Spiral Staircase", "The Cry in the City", "The Great Sinner"(in der Retrospektive zu sehen) großartige, intensive Familiendramen. "Rückkehr zur Klassik" meint Züli, der an der Kölner Medienhochschule studiert, sei der Trend des Kinos. Darauf kommt er nicht allein, weil wir uns über Siodmak unterhalten, sondern vor allem, weil ihm jene typischen Filme auf die Nerven gehen, in denen man krampfhaft nach neuen Bildern sucht, oder ebenso krampfhaft Erfolgreiches (sprich zu 90% Tarantino) nachahmen möchte. Das Ergebnis sind dann entweder besonders langsame, oder besonders schnell geschnittene Film. Hektik oder Lahmarschigkeit. Dabei kann man aus Siodmaks Filmen gerade lernen: die von ihnen, die noch heute funktionieren, tun das, weil sie eine überzeugende Geschichte haben (die nichts Zeitgebundenes, sondern allgemein-menschliches in der Gestalt ihrer Entstehungszeit erzählt), UND weil sie ihre filmischen Mittel sehr bewußt, aber dezent gebrauchen. Man könnte also probeweise die Regel aufstellen: wo wir statt über die Geschichte über Schnitt, Kamera und andere Technik nachdenken, hat der Film Schwächen.

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Iara Lee hat es gut. Sie ist jung, intelligent, Amerikanerin, und ist Filmregisseurin. Ihr Produzent George Gund ist ein superreicher Amerikaner, und ist außerdem ihr Mann. Deswegen kann Iara Lee genau die Filme machen, die sie machen möchte, denn Geld spielt keine Rolle. Ihre beneidenswerten Möglichkeiten nutzt Iara Lee nun aber immerhin für Dokumentarfilme, die viel besser und formal wie thematisch interessanter sind, als die übliche 08/15-Konfektionsware. Vor zwei Jahren konnte man "Synthetic Pleasures" auf dem Münchner Filmfest sehen. Damals ging es um die Vergnügungsindustrien und künstlichen Welten von morgen. Im Delphi stellt Lee jetzt ihren Film "Modulations" vor. Dem Trip in die Zukunft folgt jetzt einer in die Gegenwart. Sie erzählt die Geschichte der elektronischen Musik seit ihren Anfängen bis zum Hype von heute.
Am interessantesten war die soziale Momentaufnahme, die da unter der Hand entstand. Im "organisierten Lärm" (so ein Produzent) der techno-Musik kann man so hautnah, wie kaum irgendwo sonst erfahren, wie weit sich die unter-Dreißigjährigen von den Arbeits- und Verzichtsidealen ihrer Eltern entfernt haben. Eine Kultur des Gedächtnisverlusts ist entstanden, die über ihre eigenen historischen Wurzeln nicht nachdenken will. Wer nicht wissen will, was er tut, der macht dann oft dumme Sachen. Aus der einst innovativen Subkultur ist längst eine Industrie geworden. Kein Grund zur Freude: Eine Massenbewegung im schlechtesten Sinn, die für ziemlich jeden Mist zu begeistern ist. Ihr Motto brachte ein Musiker auf den Punkt: "No sense is good and nonsense is good".

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"...dann noch ein paar Redakteure, und schon ist die Woche 'rum" - Susanne, Filmproduzentin aus Berlin, erzählt von ihrer Berlinale. Sie repräsentiert den sehr sehr wichtigen zweiten Aspekt des Filmfestivals, der uns filmeguckenden Kritikern meist entgeht. Die Berlinale als Ort des Marketing und des "Kontaktens". Schon zwei Wochen zuvor hatte sie sich einen engen Terminplan gemacht, während des Festivals trifft sie Regisseure, Autoren, Produzenten und andere Filmschaffende, und geht auf viermal soviel Partys, Cocktails und Frühstücke, wie sie Filme sieht. Dabei würde sie lieber Filme schauen, aber wenn sie hier und heute nicht gute Aufträge an Land zieht, sieht es das ganze Jahr über schlecht aus.

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White Trash ist schlecht. Faschistoid, und was nicht alles, damit wollen wir Aufgeklärten nichts zu tun haben. White Trash ist Kult, wenn er in Filmen von Tarantino oder den Coen-Brüdern vorkommt. Denn klar, wir sind doch alle Proleten, zumindest tief in unserem Herzen und vielleicht auch in einigen anderen Organen. Ok, nicht übertreiben. Aber warum sympathisieren wir mit Filmfiguren, warum finden wir Typen cool und kultig, die wir im wirklichen Leben keine 10 Minuten ertragen würden ?

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Daß das Leben die Kunst nachahmt, ist keine neue Nachricht. Aber mußte es, Mister Bill Clinton, denn gleich so plump geschehen ? "Wag the Dog" in dem Robert de Niro und Dustin Hoffman die Hauptrollen spielen, heißt Barry Levinsons neuester Streich. Er kommt gerade zur richtigen Zeit. Es geht um einen US-Präsidenten, der mit allen Mitteln vor einem Sex-Skandal geschützt werden soll. Notfalls sogar durch einen kleinen Krieg. Das erinnert uns doch an was. Das Leben schreibt eben doch immer noch die schönsten Geschichten.

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Bertolt Brecht, den man dieser Tage ja besonders gern zitiert, hat das Kino einmal eine "Lügenmaschiene" genannt, was er wahrscheinlich kritisch meinte. Doch auch Brecht hat gewußt, daß Wahrheit nicht eins zu eins abgebildet werden kann. Wer das schon für Realismus hält, ist nur naiv. Insofern sind die gepflegten Übertreibungen, wie sie "Wag The Dog", "The Butcher Boy" und platter "The Boxer" praktizieren, realistischer, als die chinesischen ("Xiu-Xiu") und italienischen ("Der Trauzeuge") Historienfilme, die noch im Wettbewerb liefen.

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Überhaupt werden die Filme in diesem Jahr wieder politischer. "Wag the Dog" ist grandios. Und auch "The Big Lebovski" hat einen unerwartet aktuell-politischen Bezug, spielt er doch zur Zeit des Golfkriegs 91. Gar nicht übel auch "The Commissioner", von manchen als "Europudding" geschmäht. Der Held ist hier ausgerechnet ein britischer EU-Kommissar, der in üble politische Maxhenschaften verwickelt wird. Wahrscheinlich realistischer als in "Wag the Dog" ist das Bild, das hier von Politik vermittelt wird, statt der Karikatur ein psychologisches Portrait und die Lehre das aufrichtig guter Wille vor bösen Handlungen keineswegs schützt.

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Es gehört zum alljährlichen Berlinale-Ritual, daß Festspielleiter Moritz de Hadeln allerlei Stars zuerst groß ankündigt(am besten mit drei Pressemitteilungen pro Person), um dann kurz vor oder während der Festspiele "mit großem Bedauern"(das man ihm sogar abnehmen darf) deren Nichterscheinen mitzuteilen. Natürlich ist einer, der den Berlinale-Starkult so enorm schürt wie de Hadeln, selber schuld, wenn das dann ins Auge geht. Andererseits ist der Berlinale-Chef hier ein Gefangener undurchsichtiger Verleihpolitik. Eine Mitarbeiterin von ihm, deren Namen wir lieber verschweigen wollen, erzählt folgende Geschichte, die einiges über die Einstellung der Verleihfirmen und die Machtlosigkeit von Festivalchefs aussagt: Regisseur X wurde für die diesjährige Berlinale eingeladen, um seinen Wettbewerbsbeitrag vorzustellen. Der Verleih, eine der reichsten Firmen der Branche wollte zwar die Flugtickets für den Regisseur zahlen, auch für seine Ehefrau, nicht aber für die beiden kleinen Kinder (obwohl das wahrscheinlich weniger kosten würde, als ein zusätzlicher Feinschmeckertrog auf der Premierenparty). Daraufhin sagt der Regisseur ab, der Verleih teilt dies aber de Hadeln erst mit, als alles zu spät ist, damit der Film nicht kurzfristig noch aus dem Wettbewerb gekegelt wird. Und die Journalisten hacken dann auf de Hadeln herum.

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Derjenige, auf dessen Erscheinen de Hadeln am meisten hingeackert hatte, kam aber. Wie ein Barockengelchen grinste der Festivalleiter von einer Backe zur anderen, als er verkündete: ER, Robert de Niro sei nach Berlin gekommen. Wer davon wirklich etwas hatte, waren in erster Linie die Fernsehnachrichten, die anstelle unfotogener Politiker und anderer Karnevalsjecken einen gutaussehenden Schauspieler als Appetizer an den Anfang ihrer Sendung stellen konnten.
Die Pressekonferenz war so dumm und überflüssig, wie sie berlinaleerfahrene Journalisten schon vorher erwartet hatten. Blöde feige Fragen (die vorwitzigen nach den kleinen Mädels aus Paris wischte ein besorgter Moderator mit kurzem "next question, please" beiseite) und ein Star, der sich genauso langweilte, wie die meisten Journalisten. Aber die Medienmaschiene reproduziert sich selbst, inklusive dazugehöriger Kritik.

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Am letzten richtigen Berlinale-Tag ging wieder die Sonne auf, die Menschen saßen auf der Straße, und Gwyneth Paltrow kam. Mit ihren schwarzlackierten Fingernägeln sieht sie schon mal ganz sexy aus, aber vielleicht ein bißchen zu exzentrisch für diese zurückhaltende und wohlerzogen wirkende Person. Audrey Hepburn hätte so etwas nie getragen. Und mit Audrey Hepburn wird die Paltrow gern verglichen, zumal sie in ihren Filmen höhere Töchter, wohlerzogen neckische Liebhaberinnen, jedenfalls passive Frauen spielt. Dabei würde man Gwyneth Paltrow gern einmal mit Lederjacke und einem Colt in den Händen sehen. Von neuen Projekten erzählt sie, unter anderem einem Thriller mit Michael Douglas. Aber auch da kein Colt.

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Am Ende dann einer der allerbesten Filme dieser Berlinale: "Junk Food" von Masashi Yamamoto. Ein düsteres Großstadt-Portrait im Geist der Surrealisten. Vier Episoden, in der besten geht es um Miyuki, die so perfekt aussieht wie eine Manga-Figur, Mörderin ist, Junkie und tagsüber im Tokioter-Yuppie-Milieu arbeitet. Der Film ist voll von poetischen Bildern, und mischt eine kühle Distanz mit der Darstellung extremer Situationen. Im Gespräch entpuppt sich Yamamoto, den man eher für einen Melancholiker gehalten hätte, als Optimist, der tatsächlich glaubt, daß sich die Dinge eines Tages zum Guten wenden. Vielleicht haben wir zumindest das Glück, daß sein Film auch einmal in deutschen Kinos gezeigt wird.

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Der Saal zur Mitteilung der Preisträger war voll. Ben Kingsley, gespielt von Mahatma Ghandi und Senta Berger die sich mit blaugetönter Sonnenbrille (wegen der Kamerascheinwerfer !) selbst spielte, lasen vor: "Central do Brasil", der arg menschelnde, aber solide brasilianische Wettbewerbsbeitrag von Walter Salles bekommt den Goldenen Bären. Natürlich freuen wir uns alle für das lateinamerikanische Kino, das noch nie in Berlin gewann, und solche Preise doch so dringend nötig hat. Noch mehr freuen wir uns mit "Wag the Dog" Barry Levinsons bis zum Zynismus kritischen Film, der auf Inhalt statt auf Effekte setzt, und mit Samuel L. Jackson (für seinen Auftritt in Tarantinos "Jackie Brown"), der so schön auf Spike Lee schimpfen kann, und bewiesen hat, daß man in zweieinhalb Stunden über hundertmal "motherfucker" und "nigger" sagen kann. Zum ersten Mal seit Jahren gab es keine Buhrufe für die Juryentscheidungen, alles in allem eine Preisvergabe, mit der alle leben können, weil sie ausgeglichen, aber nicht übertrieben PC ist.

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"Ein frischer Wind geht durch das Kino der Welt" meinte Moritz de Hadeln zu Beginn des Festivals. 25 Filme aus 15 Ländern liefen im Wettbewerb, insgesamt waren rund 600 Filme zu sehen, mehrere tausend Kritiker, TV- und Medienvertreter berichteten.
Am Ende schien selbst der sonst ganz und gar nicht melancholisch wirkende de Hadeln so etwas wie fin-de-siècle-Stimmung auszustrahlen, denn nächstes Jahr findet das alles zum letzten Mal in den Kudamm-Kinos mit ihrem 50er Jahre Glamour statt, danach geht's ins stromlinienförmige Multiplex am Potsdamer Platz. Ob wir uns dann nicht lieber auf den Partys rumtreiben, die wir dieses Jahr vor lauter Filmlust gemieden haben ?

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In diesem Jahr kann man zufrieden sein mit der Berlinale. Ein guter Querschnitt durch das Weltkino, der die offensichtlichen Probleme, die das europäische Kino derzeit hat, noch sichtbarer machte. Die Berlinale spiegelt die Situation in Europa besser wieder, als Cannes, das leicht zur Selbstfeier gerät. Auch vom bekannten Streit zwischen den Reihen, und der von der merkwürdigen Situation der Berlinale, die ein Schiff mit zwei Kapitänen ist, die in verschiedene Richtungen steuert, hörte man diesmal nichts. Beide Leiter, de Hadeln und der als "links" geltende Forumsleiter Ulrich Gregor (der auf seine Weise ein genauso eitles, etabliertes Gehabe an den Tag legt, wie mitunter de Hadeln) hätte ihre Arbeit, die Auswahl von Filmen weitaus schlechter machen können.
Natürlich freuen wir uns jetzt schon aufs nächste Jahr, denn wie sagte einst Robert Mitchum:
"Vier Filme pro Tag zu sehen ist besser, als jeden Tag ins Büro gehen zu müssen."

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Ach ja, Ernst Jünger ist tot, Brecht lebt, und Hertha BSC gewann gegen den FC Bayern mit 2:1

Rüdiger Suchsland

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