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Das falsche Lied vom Tod

  30.04.1998
 
 
 
 


Ostern - Das Fest der Auferstehung. In diesem Jahr schien das nicht nur für die Christenheit zuzutreffen, sondern auch für die Gemeinde der gläubigen Cineasten.
Der Fernsehsender Pro 7 hatte uns, als besondere Osterüberraschung, die Auferstehung von SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD im Director’s Cut versprochen. Wir ließen also alle bunten Eier liegen und setzten uns erwartungsvoll vor den Fernseher. Doch 3 ½ Stunden später war uns klar, daß dieses Osterei gestunken hat.

Es erstaunt mich immer wieder, wie mit den Filmen großer Regisseure umgesprungen wird. Während es in der Literatur nur selten von Nöten ist, mit einer kritischen Neuausgabe (wie z.B. beim Werk von Franz Kafka) die eigenmächtigen Veränderungen selbstherrlicher Dritter zu revidieren, so dürften im Filmgeschäft die Werke, die den Vorstellungen ihrer Macher entsprechen, in der Minderheit sein.
Das hat grundsätzlich zwei Gründe. Zum einen sind an der Produktion eines Filmes Dutzende Menschen beteiligt, die alle irgendwie ihre Ideen einbringen wollen, ohne dabei zwangsläufig im Sinne des Regisseurs zu handeln. Zum anderen kosten Filme sehr viel Geld, weshalb zusätzlich einige Geschäftsleute ein finanzielles Interesse an diesem "Produkt" haben und es sich nicht nehmen lassen, ihre Einflußmöglichkeiten voll auszuschöpfen, um einen guten Profit sicherzustellen.
Tragischster Beweis für diese Problematik ist Orson Welles der, trotz seines Rufs als Genie und Wunderkind, seine gesamte Karriere lang gegen die Einflüsse der großen Studios kämpfen mußte und meist dabei verlor.
Als Waffe der Filmemacher gegen diese Bevormundungen entstand der Director’s Cut, der den Film, zumindest nachträglich, so zeigen soll, wie er ursprünglich gedacht war.

Am bekanntesten dürfte dabei der Director’s Cut von BLADE RUNNER sein. Dieser Film, der die Welle der Director’s Cuts erst richtig los trat, zeigt deutlich drei Dinge:
1: Bereits einige kleine Änderungen können einen Film vollkommen verändern.
2: Der Begriff Director’s Cut ist in der Regel eine Farce da etwa Ridley Scott überhaupt nicht an der neuen Fassung von BLADE RUNNER beteiligt war.
3: Filmstudios und Verleiher sind ein selbstgefälliges Pack, da sie es sich als Verdienst anschreiben, einen Film, der auf ihre Veranlassung hin verstümmelt wurde, etwas weniger verstümmelt wieder ins Kino zu bringen und einmal mehr Geld damit zu verdienen (der Director’s Cut von BLADE RUNNER ist immer noch weit von der ursprünglichen Vorstellung Scotts entfernt).

Um SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD gibt es schon lange ein heiteres Rätselraten über die verschiedenen Versionen die davon existieren. Als nun der Director’s Cut angekündigt wurde durfte man darauf hoffen, endlich die eine, ultimative Fassung zu sehen und alle Unklarheiten für immer aus der Welt zu schaffen.
Was man dann tatsächlich sah, war der Film den man bereits kannte, bereichert um 15 Minuten beliebigen Füllmaterials. Manche Kameraeinstellungen dauerten einige Sekunden länger und einige belanglose Szenen wurden hinzugefügt.

Geht man nach dieser Technik vor, kann man so ziemlich aus jedem Film einen Director’s Cut machen, da der Rohschnitt eines normalen Zweistundenfilms mindestens drei Stunden dauert. Diese eine Stunde, die für den Endschnitt noch herausgenommen wird, vermißt kein Mensch, vielmehr dient dieses Vorgehen der Straffung des Films.
Von den in Büchern dokumentierten Szenen, die aus der Urfassung von SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD geschnitten wurde, und die durchaus relevant für die Handlung sind, war leider im Director’s Cut keine Spur.

Es fällt auch auf, das fast keine Szenen mit Dialog eingefügt wurden. Das führt uns aber zum nächsten Problem. Hätte man neue Dialogszenen eingefügt, hätte man diese auch synchronisieren müssen. Dies hätte vielleicht dazu geführt, generell über eine neue Synchronisation nachzudenken, denn leider ist die momentane deutsche Fassung so dumm und teilweise sinnentstellend, daß man sich streckenweise an Woody Allens Arbeit an WHAT’S UP, TIGER LILY erinnert fühlt.
Das auffälligste Beispiel für diese bedauerliche Praktik ist der titelgebende Satz "Spiel mir das Lied vom Tod", der im Original nie vorkommt.

Als SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD 1968 am Höhepunkt des Italowesterns in die deutschen Kinos kam, mag diese dümmliche und reißerische Synchronisation noch angebracht gewesen sein.
Wenn sich Pro 7 aber heute hinstellt und als großer Retter des Kinos präsentieren will, dann hätte es zumindest auch eine neue Synchronisation in Auftrag geben können. Die Übersetzung von grenzdebilen amerikanischen Fernsehfilmen finanzierte es ja auch, ohne mit der Wimper zu zucken.
Man könnte dieses Problem natürlich auch ganz umgehen, indem man den Film gleich im englischen Original mit Untertitel zeigt aber diese Variante ist den privaten Fernsehsendern leider so unbekannt wie die antiquierte Vorliebe von Filmfans, sich einen Abspann anzusehen.

Davon, daß der Director’s Cut von SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD, wie mir scheint, hundertmal von Werbung unterbrochen und zudem mit lächerlichen Balken anstatt in seinem traumhaften Widescreenformat ausgestrahlt wurde, will ich erst gar nicht anfangen. Schließlich gehören Werbung, Programmtrailer und Vollbildfassungen zu den Folterinstrumenten mit denen der Cineast schon seit Jahren gequält wird.

Als Empfehlung für weitere kinematographische Großleistungen von Pro 7 und Co. kann ich deshalb nur auf den Titel des Überraschungserfolges des letzten Jahres verweisen: GANZ ODER GAR NICHT.

Michael Haberlander
 

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