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Was bisher geschah, und warum, dürfen alle, die darauf Wert
legen, hier nachlesen.
Kino und Kunst Kino über Kunst: ein bißchen fehlte
MODULATIONS, Iara Lees Dokumentation über elektronische Musik, der
Raum, um all die spannenden Themen, die sie anschnitt, auch
tiefergehend zu verfolgen. Trotzdem ein Film, den man alleine
deswegen schon lieben muß, weil er es schafft Karlheinz
Stockhausen, Can, Giorgio Moroder, Africa Baambaata, Future Sound
of London und einen dicken, deutschen Jungle-Produzenten, dem
partout das englische Wort für "Mülltonne" nicht einfallen will,
auf einem Streifen Zelluloid zu vereinen. Kino über & Kino
als Kunst: Zu LOVE IS THE DEVIL hatte uns der freundliche Herr vom
Verleih den Wunsch auf ein "anstrengendes Vergnügen" auf den Weg
gegeben - und der ging aufs trefflichste in Erfüllung. John
Mayburys Werk um die zerstörerische Beziehung von Francis Bacon zu
George Dyer stellt unbequeme Fragen über das Verhältnis von Kunst,
Leben, Macht und Wahrheit, enthält sich einfacher Antworten, und
glänzt nicht nur mit hervorragenden Schauspielerleistungen, sondern
auch einer meisterhaften, vom Gegenstand inspirierten Optik.
Glücklicherweise wird dieser Film regulär in heimische Kinos
kommen, so daß noch Gelegenheit sein wird, ausführlicher auf ihn
einzugehen. Kino als Kunst (?): Daß sich SECRET DÉFENSE in
dieser Rubrik findet, verdankt er hauptsächlich dem Umstand, daß er
das neue Werk von Jacques Rivette ist. Den Qualitäten des Films
läßt sich das nämlich nicht so leicht zuschreiben, denn an der
Oberfläche sah da alles eher banal aus - nur halt ins Endlose
gedehnt. Nehmen wir's als Symptom dafür, daß mir hier "där
intälektuelläh Zuhgaang" gefehlt hat. Entweder daß, oder der
einstige Meister wird langsam alt. Gerade hatte mir (nach der
verstörenden Underground-Reihe jüngst im Werkstattkino) SHALL WE
DANCE? die Japaner wieder in normalerem, menschlichem Licht
erscheinen lassen, da lieferte Nippon mit TSUMETAI-CHI
(BESESSENHEIT) schon wieder den fremdesten, befremdlichsten Film,
den ich auf dem Filmfest gesehen habe. Langsam war der nicht
weniger als der Rivette, dazu aber deutlich kryptischer und
hermetischer. Verstanden habe ich ihn allerhöchstens ansatzweise -
gefallen hat er mir trotzdem ziemlich gut. Fragen Sie nur bitte
nicht warum.
Kino und Leben Auf der Pressekonferenz zum Filmfest
wurde es schon groß angekündigt: Das heutige Kino schaue wieder
viel öfter "dem Leben bei der Arbeit" zu. Ob's tatsächlich schon
zum neuen Trend reicht, mag ich nicht beurteilen, aber
unbestreitbar waren unter den interessantesten, erinnernswertesten
und (im positiven wie negativen Sinne) aufregendsten Filmen des
Festivals erstaunlich viele, die sich die authentische Abbildung
von Lebenswirklichkeit zum Ziel gesetzt hatten. Ob es die in
GUMMO dargestellte Lebenswirklichkeit so tatsächlich gibt - das war
wohl letzlich die unausgesprochene Frage, an der sich die
"Kontroverse" um diesen Streifen entzündete. Ist's ein notwendiger,
von therapeutischem Ekel begleiteter Einblick in eine fremde Welt
der abstoßenden Ausgestoßenen - oder ist's ein langweiliges, fakes
Hirngespinst des Kindskopfes Harmony Korine, dem der Wunsch, mit
seiner lieblosen Freakshow mal wieder alle zu schockieren, weit
wichtiger ist als die Würde jener unmündigen Menschen, die er für
diesen Zweck schamlos ausnützt. Ich plädiere für letzteres.
Allerdings: die Haarwasch-Szene - die ist unbestreitbar klasse, und
ein komödiantischer Höhepunkt des Kinojahres. Die Frage nach
der tatsächlichen Existenz des Dargestellten stellte sich bei
Penelope Spheeris Dokumentation THE DECLINE OF WESTERN
CIVILIZATION, PART III nicht - um so mehr die nach dem geeigneten
Zugang und nach der Würde der Beobachteten. Im Zentrum stehen die
obdachlosen Punks vom Hollywood Boulevard (der, trotz des
klangvollen Namens, alles andere ist als eine Prachtstraße) - die
die Filmemacherin bis zur Aufdringlichkeit direkt porträtiert und
befragt. Ein unbequemer Film über unbequeme Menschen. Liebe kann
vielleicht auch bedeuten, den Gegenüber für so voll zu nehmen, daß
sie/er keiner besonderen Schonung bedarf. Jedenfalls ein Film, der
für längere Zeit beschäftigt und sehr klar im Gedächtnis bleibt -
und damit eben auch den Porträtierten ein Stück Aufmerksamkeit, ein
winziges Stück Unsterblichkeit schenkt, deren übliches Schicksal es
ist, verdrängt und vergessen zu werden. Menschen aus den
Randbereichen der Gesellschaft hatte sich auch Eoin Moores
PLUS-MINUS NULL als Hauptfiguren gewählt - allerdings aus deutlich
weniger extremen Zonen und mit wesentlich hoffnungsvollerem Blick.
Einige Tage im Leben eines Berliner "Kackspechts" (R. Oehmann) auf
der Suche nach Geld und Frauen, der beides findet und am Ende...
nun, der Titel verrät alles. Ein charmante, witzige und berührende
Charakter- und Milieustudie, so gut getroffen, daß einen permanent
das Gefühl des "So isses" beschleicht; dazu Schauspieler, die so
herausragend gut sind, daß sie völlig hinter ihren Rollen
verschwinden, und ein gewagtes Regiekonzept (gedreht wurde der
weitgehend improvisierte Film mit einer Video-Handkamera), das voll
aufgeht: Ein mehr als würdiger Preisträger für den diesjährigen
Hypo-Award. (Nebenbei bemerkt: Die Jury des High-Hopes Awards legte
mit ihrer Entscheidung für WITH FRIENDS LIKE THESE ein klares und
traurig stimmendes Bekenntnis zur Harmlosigkeit ab. Eine
ernüchternde Investition in eine Zukunft braven
Konsum-Kinos.) Aus dem Leben gegriffen schließlich auch der
vielleicht sympathischste Film der langen Kinowoche, Neil
Matsumotos PHANTOM PAIN (und das keineswegs nur, weil er den
langegehegten Verdacht nährte, daß Leute, die von Phil Collins'
Solo-Werken begeistert sind, mit dem Bösen im Bunde stehen).
Gedreht nicht als Einstieg in eine Filmkarriere, nicht aus
Profilierungssucht oder narzißtischem Mitteilungsbedürfnis, und
erst recht nicht mit finanziellem Interesse (der gute Neil
Matsumoto wird dank dieses Projekts wohl noch einige Jahre
verschuldet sein) - sondern weil der Regisseur mal eine Nachbarin
hatte, der er ein bescheidenes, filmisches Denkmal setzen wollte.
Es ist diese ehrliche, neugierige Liebe zu einem ungewöhnlichen
Menschen, die bei diesem Porträt eines identitätssuchenden
Transsexuellen aus den heruntergekommeneren Teilen Hollywoods sehr
bald all die eklatanten technischen und handwerklichen Schwächen
vergessen läßt - und die einem am Ende des Films das Gefühl gibt,
soeben für kurze Zeit einfach eine faszinierende Person
kennengelernt zu haben, mit der man nun gerne mal zum Ratschen auf
einen Kaffee gehen würde.
Und dann noch eine letzte Kategorie - jene, in der es nur einen
Film geben kann: der Festival-Favorit. Für mich dieses Jahr eine
jener Entdeckungen, auf die man immer hofft - ein Film, der im
regulären Kinoprogramm nicht anzutreffen gewesen wäre; ein Film,
dem man so ganz ohne Erwartungen begegnete, und der dann mehr
erfüllte, als man sich sonst selbst im besten Fall zu wünschen
wagt. Aber weil ich da eine ausführliche Würdigung für angebracht
halte, gibt's darüber erst demnächst - inklusive eines Gesprächs
mit dem Regisseur - mehr. Um welchen Film es sich dabei handelt? Da
kann ich Ihnen nur raten, es mit einem anderen der großen,
abendländischen Philosophen zu halten: "Schau mer mal, dann seh
ma's scho."
Thomas
Willmann
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