KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
     
 

Zusammenschauen, was zusammen gehört
(Teil II)

  16.07.1998
 
 
 
 


Was bisher geschah, und warum, dürfen alle, die darauf Wert legen, hier nachlesen.

Kino und Kunst
Kino über Kunst: ein bißchen fehlte MODULATIONS, Iara Lees Dokumentation über elektronische Musik, der Raum, um all die spannenden Themen, die sie anschnitt, auch tiefergehend zu verfolgen. Trotzdem ein Film, den man alleine deswegen schon lieben muß, weil er es schafft Karlheinz Stockhausen, Can, Giorgio Moroder, Africa Baambaata, Future Sound of London und einen dicken, deutschen Jungle-Produzenten, dem partout das englische Wort für "Mülltonne" nicht einfallen will, auf einem Streifen Zelluloid zu vereinen.
Kino über & Kino als Kunst: Zu LOVE IS THE DEVIL hatte uns der freundliche Herr vom Verleih den Wunsch auf ein "anstrengendes Vergnügen" auf den Weg gegeben - und der ging aufs trefflichste in Erfüllung. John Mayburys Werk um die zerstörerische Beziehung von Francis Bacon zu George Dyer stellt unbequeme Fragen über das Verhältnis von Kunst, Leben, Macht und Wahrheit, enthält sich einfacher Antworten, und glänzt nicht nur mit hervorragenden Schauspielerleistungen, sondern auch einer meisterhaften, vom Gegenstand inspirierten Optik. Glücklicherweise wird dieser Film regulär in heimische Kinos kommen, so daß noch Gelegenheit sein wird, ausführlicher auf ihn einzugehen.
Kino als Kunst (?): Daß sich SECRET DÉFENSE in dieser Rubrik findet, verdankt er hauptsächlich dem Umstand, daß er das neue Werk von Jacques Rivette ist. Den Qualitäten des Films läßt sich das nämlich nicht so leicht zuschreiben, denn an der Oberfläche sah da alles eher banal aus - nur halt ins Endlose gedehnt. Nehmen wir's als Symptom dafür, daß mir hier "där intälektuelläh Zuhgaang" gefehlt hat. Entweder daß, oder der einstige Meister wird langsam alt.
Gerade hatte mir (nach der verstörenden Underground-Reihe jüngst im Werkstattkino) SHALL WE DANCE? die Japaner wieder in normalerem, menschlichem Licht erscheinen lassen, da lieferte Nippon mit TSUMETAI-CHI (BESESSENHEIT) schon wieder den fremdesten, befremdlichsten Film, den ich auf dem Filmfest gesehen habe. Langsam war der nicht weniger als der Rivette, dazu aber deutlich kryptischer und hermetischer. Verstanden habe ich ihn allerhöchstens ansatzweise - gefallen hat er mir trotzdem ziemlich gut. Fragen Sie nur bitte nicht warum.

Kino und Leben
Auf der Pressekonferenz zum Filmfest wurde es schon groß angekündigt: Das heutige Kino schaue wieder viel öfter "dem Leben bei der Arbeit" zu. Ob's tatsächlich schon zum neuen Trend reicht, mag ich nicht beurteilen, aber unbestreitbar waren unter den interessantesten, erinnernswertesten und (im positiven wie negativen Sinne) aufregendsten Filmen des Festivals erstaunlich viele, die sich die authentische Abbildung von Lebenswirklichkeit zum Ziel gesetzt hatten.
Ob es die in GUMMO dargestellte Lebenswirklichkeit so tatsächlich gibt - das war wohl letzlich die unausgesprochene Frage, an der sich die "Kontroverse" um diesen Streifen entzündete. Ist's ein notwendiger, von therapeutischem Ekel begleiteter Einblick in eine fremde Welt der abstoßenden Ausgestoßenen - oder ist's ein langweiliges, fakes Hirngespinst des Kindskopfes Harmony Korine, dem der Wunsch, mit seiner lieblosen Freakshow mal wieder alle zu schockieren, weit wichtiger ist als die Würde jener unmündigen Menschen, die er für diesen Zweck schamlos ausnützt. Ich plädiere für letzteres. Allerdings: die Haarwasch-Szene - die ist unbestreitbar klasse, und ein komödiantischer Höhepunkt des Kinojahres.
Die Frage nach der tatsächlichen Existenz des Dargestellten stellte sich bei Penelope Spheeris Dokumentation THE DECLINE OF WESTERN CIVILIZATION, PART III nicht - um so mehr die nach dem geeigneten Zugang und nach der Würde der Beobachteten. Im Zentrum stehen die obdachlosen Punks vom Hollywood Boulevard (der, trotz des klangvollen Namens, alles andere ist als eine Prachtstraße) - die die Filmemacherin bis zur Aufdringlichkeit direkt porträtiert und befragt. Ein unbequemer Film über unbequeme Menschen. Liebe kann vielleicht auch bedeuten, den Gegenüber für so voll zu nehmen, daß sie/er keiner besonderen Schonung bedarf. Jedenfalls ein Film, der für längere Zeit beschäftigt und sehr klar im Gedächtnis bleibt - und damit eben auch den Porträtierten ein Stück Aufmerksamkeit, ein winziges Stück Unsterblichkeit schenkt, deren übliches Schicksal es ist, verdrängt und vergessen zu werden.
Menschen aus den Randbereichen der Gesellschaft hatte sich auch Eoin Moores PLUS-MINUS NULL als Hauptfiguren gewählt - allerdings aus deutlich weniger extremen Zonen und mit wesentlich hoffnungsvollerem Blick. Einige Tage im Leben eines Berliner "Kackspechts" (R. Oehmann) auf der Suche nach Geld und Frauen, der beides findet und am Ende... nun, der Titel verrät alles. Ein charmante, witzige und berührende Charakter- und Milieustudie, so gut getroffen, daß einen permanent das Gefühl des "So isses" beschleicht; dazu Schauspieler, die so herausragend gut sind, daß sie völlig hinter ihren Rollen verschwinden, und ein gewagtes Regiekonzept (gedreht wurde der weitgehend improvisierte Film mit einer Video-Handkamera), das voll aufgeht: Ein mehr als würdiger Preisträger für den diesjährigen Hypo-Award. (Nebenbei bemerkt: Die Jury des High-Hopes Awards legte mit ihrer Entscheidung für WITH FRIENDS LIKE THESE ein klares und traurig stimmendes Bekenntnis zur Harmlosigkeit ab. Eine ernüchternde Investition in eine Zukunft braven Konsum-Kinos.)
Aus dem Leben gegriffen schließlich auch der vielleicht sympathischste Film der langen Kinowoche, Neil Matsumotos PHANTOM PAIN (und das keineswegs nur, weil er den langegehegten Verdacht nährte, daß Leute, die von Phil Collins' Solo-Werken begeistert sind, mit dem Bösen im Bunde stehen). Gedreht nicht als Einstieg in eine Filmkarriere, nicht aus Profilierungssucht oder narzißtischem Mitteilungsbedürfnis, und erst recht nicht mit finanziellem Interesse (der gute Neil Matsumoto wird dank dieses Projekts wohl noch einige Jahre verschuldet sein) - sondern weil der Regisseur mal eine Nachbarin hatte, der er ein bescheidenes, filmisches Denkmal setzen wollte. Es ist diese ehrliche, neugierige Liebe zu einem ungewöhnlichen Menschen, die bei diesem Porträt eines identitätssuchenden Transsexuellen aus den heruntergekommeneren Teilen Hollywoods sehr bald all die eklatanten technischen und handwerklichen Schwächen vergessen läßt - und die einem am Ende des Films das Gefühl gibt, soeben für kurze Zeit einfach eine faszinierende Person kennengelernt zu haben, mit der man nun gerne mal zum Ratschen auf einen Kaffee gehen würde.

Und dann noch eine letzte Kategorie - jene, in der es nur einen Film geben kann: der Festival-Favorit.
Für mich dieses Jahr eine jener Entdeckungen, auf die man immer hofft - ein Film, der im regulären Kinoprogramm nicht anzutreffen gewesen wäre; ein Film, dem man so ganz ohne Erwartungen begegnete, und der dann mehr erfüllte, als man sich sonst selbst im besten Fall zu wünschen wagt. Aber weil ich da eine ausführliche Würdigung für angebracht halte, gibt's darüber erst demnächst - inklusive eines Gesprächs mit dem Regisseur - mehr. Um welchen Film es sich dabei handelt? Da kann ich Ihnen nur raten, es mit einem anderen der großen, abendländischen Philosophen zu halten: "Schau mer mal, dann seh ma's scho."

Thomas Willmann
 

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]