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06.08.1998
 
 
   
 

Tödliche Natur

 
Nature goes Boom!
     
 
 
 
 

Der durchschnittliche Amerikaner sieht die Welt ungefähr so:
Wenn jemand das Kunststück fertig bringt, sich mit dem Rasenmäher selbst in den Fuß zu mähen, ist daran der Hersteller des Mähers schuld. Wenn 12jährige Kinder mit großkalibrigen Waffen ein Blutbad anrichten, ist daran das Fernsehen schuld. Wenn es soziale Mißstände gibt, sind daran die illegalen Emigranten schuld. Wenn die Welt untergeht, ist daran ohne Zweifel die Natur schuld.
Zumindest der letzte Punkt war nicht immer so.

Filme in früheren Zeiten führten uns noch eindringlich vor Augen, wer meist der eigentliche Schuldige an Desastern jeder Art ist: Der Mensch respektive wir selbst.
Die Ursache eines Unheils in älteren Katastrophenfilmen ist beinahe immer der Mensch, der durch einen blinden Fortschrittsglauben, technischen Größenwahn und sein eigenes, in der Regel falsches, Verhalten Katastrophen von biblischem Ausmaß auslöste.

Damals entstanden Flutwellen durch defekte Staudämme, wurden brennende Hochhäuser zu tödlichen Labyrinthen, rissen Flugzeuge und Züge durch Sabotage oder menschliches Versagen ihre Passagiere in den Tod, erwuchsen durch die atomare Verseuchung, der Umwelt todbringende Mutanten und sorgten die Atombomben der Weltmächte für einen strahlenden Tag danach.

In der heutigen Zeit, in der die Menschen ihre zunehmende Freiheit durch ein abnehmendes Verantwortungsbewußtsein kompensieren, und in der es immer schwieriger wird, einen allumfassenden Sündenbock wie etwa die selige Sowjetunion zu finden, hat vor allem der Stadtbewohner seinen ältesten Feind wieder neu entdeckt. Die tödliche Natur.

Auch genährt durch die entsprechenden Dokumentationen im Fernsehen, peinigen im Kino der 90er Jahre teuflische Wirbelstürme wie in TWISTER die armen Bewohner des mittleren Westens, bringen Lavamassen in VOLCANO und DANTE’S PEAK zerstörerisches Unheil und als ob unsere Natur nicht schon grausam genug wäre, bombardiert uns das Weltall auch noch mit Meteoriten wie in DEEP IMPACT und ARMAGEDDON.
Es verwundert nicht, daß in dieser Zeit die Geschichte vom hinterhältigen Eisberg, der die unschuldigen Passagiere und das tolle Luxusschiff in ein eiskaltes Grab zieht, ihre phänomenale Wiederauferstehung feiert.
Irgendwie erscheint einem sogar der gute alte WEIßE HAI, als Opfer der Umstände und/oder seiner Natur, wenn man ihn mit einem berechnenden Biest wie in ANACONDA oder DER GEIST UND DIE DUNKELHEIT vergleicht.

Bezeichnend ist auch der Vergleich von zwei "Wildnisfilmen" wie DELIVERANCE (BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE) und dem letzten Film von Lee Tamahori AUF MESSERS SCHNEIDE. Während in DELIVERANCE, selbst in der entlegensten Region, der Mensch die Ursache der traumatischen Erlebnisse ist, schweißt in AUF MESSERS SCHNEIDE der Kampf gegen die Natur und einen fiesen Bären die beiden Rivalen zusammen.

Lee Tamahori ist dabei nicht der einzige anspruchsvolle Regisseur, der die unheilbringende Kraft der Natur wiederentdeckt. Bei Ang Lee ist es der titelgebende EISSTURM, der in seiner Frostigkeit als beliebtes Symbol für die "Vergletscherung der Gefühle" herhalten muß. Und selbst Robert Altman ist sich nicht zu schade, einen herannahenden Sturm als Zeichen für das, sich über seinem Helden verdichtende, Unheil im GINGERBREAD MAN zu bemühen.

Sogar im Zusammenspiel mit der Hochtechnologie zeigt die Natur endlich ihr wahres Gesicht. Früher war die Natur das Opfer der atomaren Machenschaften des Menschen. Ausdruck hierfür waren das filmisch sehr ergiebige "postatomare" Zeitalter oder schreckliche Mutanten aus dem Tierreich. Heute haben wir die Gentechnik für solche Fälle, doch sind hier die Beweggründe der neuen Forscher weit von den Ambitionen eines Mad Professors entfernt. Vielmehr wollen sie Gutes tun (etwa die süßen Dinosaurier wieder zum Leben erwecken), scheitern aber an der naturgegebenen Bösartigkeit ihrer Geschöpfe, siehe JURASSIC PARK oder MIMIC.

All das bedenkend, verwundert es nicht, einen zufrieden grinsenden Roland Emmerich in einem Interview sagen zu hören, daß Godzilla irgendwie die Rache der Natur an den Menschen sei. Mir dagegen scheint, daß GODZILLA die Rache Gottes an allen Filmfreunden ist, aber das ist wieder ein anderes Thema.

Michael Haberlander

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