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10.09.1998
 
 
   
 

COMPUTER MACHT BILDER
Das Genre des Special Effects-Films

 
Reißbrettmonster
     
 
 
 
 


Jetzt stapft er (bzw. sie) nun also endlich auch über bundesdeutsche Leinwände, Emmerichs GODZILLA - das schuppenbewehrte Ungetüm, dessen zerstörungswütiger Feldzug durch New York sich reichlich harmlos ausnimmt gegen die geballte Macht, mit der die begleitende Werbekampagne derzeit blitzkriegartig die Lande überzieht, im Kampf um Raum in unser aller Köpfe und reichlich Beute an der Kinokasse.
Und was immer man von dem Film halten mag - eines ist auch den Bewunderern des schwäbischen Spielbergles klar: GODZILLA schaut man sich nicht in Erwartung einer originellen oder interessanten Geschichte, fein gezeichneter Charaktere, mitreißender Emotionen, gekonnten Suspenses oder möglicher Einsichten in Leben und Welt an. An GODZILLA interessiert Eines, und Eines allein: die Special Effects.
Darauf konzentriert sich die gesamte Verkaufsstrategie, das steht im Mittelpunkt der journalistischen Berichterstattung, und das ist es, wovon sich das Publikum bei diesem Film etwas erwartet.
Damit reiht sich GODZILLA nahtlos ein in ein Genre, das immer noch den amerikanischen Kino-Sommer dominiert; dem wir solch cineastische Perlen wie TWISTER verdanken; und das sich dadurch auszeichnet, daß enorme Budgets meist in Projekte investiert werden, deren Drehbücher fast unverändert 20 jahre alten Fernsehfilmen entstammen könnten: dem Special Effects-Film.

Das Genre ist noch relativ jung: Zwar hat es seine Vorläufer quer durch die gesamte Filmgeschichte hindurch, aber seine festen Wurzeln hat es erstmals Ende der '70er Jahre, als die Herren Spielberg und Lucas mit JAWS und STAR WARS den Sommer-Blockbuster ins Leben riefen, und so richtig in Schwung kam es wohl erst durch James Camerons TEMINATOR 2. (Was uns daran erinnert, daß es im Genre-Kino meist umgekehrt ist, wie bei den Blumen: Hier sind zuerst die schönen Blüten da, und daraus wächst dann Mist.)
Special Effects gibt es, seit es das Kino gibt. Aber zunächst waren sie noch aufs Engste mit dem Medium selbst verknüpft - war Kino eigentlich selbst noch ein "Special Effect". Beim wohl ersten Großmeister der Spezialeffekte, Georges Méliès (der, wie die meisten seiner Kollegen, von der Bühnenzauberei kam), ging es noch um die Magie, die im Bewußtsein des Publikums der ganzen unheimlichen, neuen Apparatur des Kinos anhaftete. Das Spektakel Kino war noch kaum zu unterscheiden vom Spektakel der Effekte.
Als das Kino dann zur bürgerlichen (Populär-)Kunstform gemacht worden war, gab es durchaus schon recht früh Werke, die mit ihren aufwendigen Spezialeffekten prahlten, und bei denen in Werbung und journalistischer Berichterstattung auch die aufwendige, technische Realisierung eine wichtige Rolle spielte - das für Fritz Langs METROPOLIS entwickelte Schüfftan-Verfahren beispielsweise wurde durch den Film auch für Nicht-Fachleute zum Begriff, und über die Stop-Motion Animation von KING KONG war damals bereits in Filmmagazinen zu lesen.
Aber daß die Effekte zum alleinigen Star eines Films werden, daß sie Anfang und Ende von dem sind, was das Publikum an einem Streifen zu interessieren hat - das wurde erst in den '80er Jahren zum allgemeinen Phänomen. Und nicht umsonst geschah dies im Jahrzehnt der Reaganomics: Denn zunächst und vor allem ist das Genre des Special Effects-Films eine Feier des Films als Industrieprodukt.
Wo die Regeln des klassischen Erzählkinos sonst alle darauf ausgerichtet sind, uns so gut wie möglich vergessen zu lassen, daß wir einen Film, ein Artefakt, sehen, sollen wir in diesem Genre immer aufmerksam und bewußt darüber staunen, wie das alles gemacht ist. Und uns dabei immer darüber freuen, daß das: a) eine irrsinnige Menge Geld kostet; b) hochspezialisierte Profis erfordert; und c) dabei die neueste, modernste Technologie zum Einsatz kommt. Der industriell organisierte, großkapitalistische Hollywood Studio-Markt feiert sich selbst, und wir sind alle als zahlende Gäste herzlich eingeladen. Film ist in diesem System zwangsläufig nicht individuelles Kunstwerk, sondern massenkompatibles, stromliniengestyltes, globalisiertes Produkt, von austauschbaren Angestellten entworfen und zusammengeschraubt (was, um nicht falsch verstanden zu werden, noch nicht prinzipiell bedeuten muß, daß es sich um ein schlechtes Produkt handelt - aber immerhin...).
Und der Special Effects-Film ist so etwas wie die stolz präsentierte Tour durch die Fabrik, bei der wir all die wunderbaren Fließbänder und glänzenden Maschinen, tollen Roboter und faszinierenden Fertigungsstraßen bestaunen dürfen. Never mind the men behind the curtain.

Ginge es jedoch nur um das stolze Zurschaustellen der Produktionsmöglichkeiten, dann könnte das Genre des Special Effects-Films mittlerweile fast alle großen Hollywood-Produktionen umfassen.
Es ist jedoch nur eine ganz bestimmte Gruppe von Filmen, bei denen sich Vermarktung, Berichterstattung und Publikumserwartung speziell und fast ausschließlich auf die Effekte konzentrieren. Niemand käme auf die Idee, beispielsweise PRIMARY COLORS (MIT ALLER MACHT) unter dem Aspekt der Special Effects zu betrachten - obwohl bei Kamerafahrten wie der auf die kleine Donut-Hütte zu oder jener um das fahrende Auto herum, in dem sich Adrian Lester und Kathy Bates unterhalten, digitale Bildbearbeitungs-Technologien zum Einsatz kommen, die nicht um den geringsten Deut weniger avanciert oder komplex sind als jene, die Emmerichs Echse zum Leinwand-Leben erwachen lassen.
Aber jene Filme, die tatsächlich zum Genre des Special Effects-Films gehören, zeichnen sich nicht zufällig dadurch aus, daß es sich bei ihnen durchweg um Science Fiction- oder Horrorfilme handelt. Denn bei der Begeisterung für die filmische Technologie, die die Bilder dieser Produktionen ermöglicht, schwingt unbewußt noch weitaus mehr mit.
Es geht um einen Fortschrittsglauben der Abbildungstechnologien: Um den Glauben, daß Schrift, Malerei, Photographie, Film immer prefektere, immer umfassendere Möglichkeiten darstellen, Wirklichkeit einzufangen und beherrschbar, reproduzierbar und - vor allem - produzierbar zu machen. Unsere abendländisch-christliche Kultur hat sich seit jeher wenig um das Verbot des Bildermachens in der Bibel geschert - und das Bild schon immer als ein Instrument der Macht gesehen. Über das, was ich abbilden kann, und über wessen Abbild ich verfügen kann, besitze ich eine gewisse Macht - und dem raube ich im Moment des Abbildens immer etwas an Leben. Je perfekter, je "realistischer" das Bild, je größer die Macht.
Was die Special Effects im heutigen Big Budget-Kino nun leisten, ist das Versprechen, auch jene Dinge, die sich eigentlich prinzipiell der Darstellung durch die "realistischen", "objektiven" Medien Photographie und Film entziehen, auf eine Weise zur Abbildung zu bringen, die uns ununterscheidbar scheint von tatsächlich Gefilmtem, Photographierten. Daß das, was nur der Vorstellungskraft von Menschen entspringt, auf eine Art sichtbar gemacht werden kann, die völlig jener gleicht, die wir als eine wahrzunehmen gelernt haben, die frei ist von subjektiver, menschlicher Einmischung - denn Kameras, so die Illusion, sind ja Apparate, die einfach nur Wirklichkeit 1:1 so einfangen, wie sie sich vor der Linse abspielt: Das Objektiv ist objektiv.
Somit versprechen die Special Effects implizit aber auch eine neue, ungeahnte Qualität der Macht und Kontrolle über das Ungreifbare. Deswegen Science Fiction und Horror: Die ungewisse Zukunft, das Unheimliche - was einst nur unzulänglich oder überhaupt nicht auf die Leinwand zu bannen war, ist nun detailliert und (wenigstens potentiell) perfekt in aller Ausführlichkeit zu bewundern. Die be(un?)ruhigende, unausgesprochene Botschaft dieses Genres ist: Es gibt nichts mehr, was Du Dir vorstellen könntest, wofür wir nicht die Technologie hätten, es zum industriell gefertigten Bild werden zu lassen. We can picture it for you wholesale.

Wenn David Foster Wallace (größter Star unter den "Jungen Wilden" der amerikanischen Literatur) das Genre in einem Essay als "F/X Porn", als "Special Effects Porno", bezeichnet, dann hat er damit doppelt recht.
Zum einen im von ihm gemeinten Sinn: Die Spezialeffekte haben in diesen Filmen die selbe Rolle wie der Geschlechtsakt im Porno. Sie sind raison d'être, sie sind alles, worum es letzlich geht, und das ganze drumherum ist nur Füllmaterial, Sättigungsbeilage.
Zum anderen aber auch, weil es, im Special Effects-Film wie im Porno, um das explizite, detaillierte Zeigen geht. Was andernorts nur angedeutet werden, nur durch Suggestion präsent gemacht werden kann, wird hier lange und ausführlich ins grelle Licht gezerrt. Das Versprechen beider Genres ist: Ich überlasse nichts Eurer Vorstellung - was ich ankündige, werde ich auch Euren Blicken zugänglich machen.
Special Effects-Filme sind letztlich (wer will, darf jetzt auch Baudrillard trapsen hören) obszöne Filme.

Immerhin mehren sich die Anzeichen, daß das Genre dabei ist, sich sein eigenes Grab zu schaufeln. $100 Mio. in einen Film mit aufwendigen Special Effects zu investieren ist längst keine Garantie mehr für Einspielergebnisse über den ca. $300 Mio., die nötig sind, um überhaupt aus den roten Zahlen zu kommen - der relative Mißerfolg von GODZILLA ist nur das jüngste Beispiel dafür. Die Gewinnmargen schrumpfen, die Gefahr von ruinösen Fehlinvestitionen steigt (fragen Sie nur die Warner Studios), und Jahr für Jahr erweisen sich kleine, finanziell ohnehin wenig riskante Produktionen wie THE FULL MONTY oder THERE'S SOMETHING ABOUT MARY als die weitaus profitabelsten. Es ist zu erwarten, daß sich Hollywood - wie stets - dort hinbewegt, wo das Geld zu holen ist.
Kein Wunder, daß den großen Special Effects-Filmen immer häufiger die Zuschauer fernbleiben: Sie haben eine Attraktion zu bieten, die sich zunehmend abnutzt. Es waren ja tatsächlich verblüffende, aufregende Momente, als wir zum ersten Mal die Wassertentakel in THE ABYSS, den Flüssig-Metall Terminator in T2, oder den T-Rex in JURASSIC PARK auf der Leinwand erblickten. Das war so noch nie dagewesen und hatte durchaus eine neue Qualität.
Mittlerweile aber haben wir aber zu Genüge den Beweis vor Augen gehabt, daß dank computergenerierter Bilder fast alles, was sich Filmemacher einfallen lassen, auch in einer Weise auf Zelluloid gebannt werden kann, die uns im Rahmen unserer ästhetischen Gewohnheiten als "realistisch" anmutet. Diese Tatsache alleine reicht nicht mehr, um zu begeistern - so langsam müssen nun wieder die Einfälle selbst überzeugen.

Gerade die scheinbare Omnipotenz des Werkzeugs CGI (Computer Generated Images) aber ist es, die dafür sorgen wird, daß auf absehbare Zeit keine andere Technologie eine ähnliche Revolution auf dem Gebiet der Special Effects hervorrufen wird. Für die nächsten paar Jahre dürften bedeutende qualitative Sprünge nicht zu erwarten sein. Die quantitative Verbesserung aber wird kaum in der Lage sein, beim Publikum das nötige Staunen und Interesse wachzurufen, das einen Film aufgrund seiner Effekte alleine zum unversäumbaren Spektakel macht.
Und auch die Berichterstattung über die neuesten Special Effects wird wohl immer mehr erlahmen - so toll wirkt es inzwischen nicht mehr, Typen vor Computermonitoren sitzen zu sehen, auf denen an Drahtgittermodellen herumgebastelt wird. Und um wieviel sich die Renderzeiten mal wieder verkürzt haben, um welchen Grad der Komplexität sich eine neue Partikel-Animation gesteigert hat, oder wie der jüngste Algorithmus zur Darstellung von Fell-Texturen funktioniert - das dürften Fragen sein, für die sich die durchschnittlich Filminteressierten kaum brennend begeistern werden.
Außerdem wird - dem unaufhaltsamen Fortschritt sei's in Ewigkeit gedankt - die Technologie immer erschwinglicher, und der Punkt rückt nahe, wo umfangreiche digitale Bildgenerierung und -bearbeitung auch für gewöhnliche Filmemacher so selbstverständlich wie die Kamera zum Handwerkszeug gehört. Filme, die ihre Spezialeffekte dann zur Hauptattraktion erklären, werden sich schwer tun, noch die Aura des Außergewöhnlichen für sich zu beanspruchen.
Und dann wird sich auch das Massenpublikum hoffentlich wieder weniger dafür interessieren, ob die Technologie hinter den Bildern neu und aufregend ist - sondern dafür, ob es die Bilder selbst sind.

Thomas Willmann

P.S.: Wem technische Perfektion weniger bedeutet als Charme und kreative Verrücktheit, der hat derzeit Gelegenheit, sich im Werkstattkino bei einer kleinen Ishiro Honda-Reihe mit den Verwandten des einzig wahren Godzillas prächtigst zu unterhalten. Zu sehen sind noch RODAN, U 2000 - TAUCHFAHRT DES GRAUENS und das reichlich durchgedrehte Meisterwerk MONSTER DES GRAUENS GREIFEN AN. Weitere Informationen gibt's bei uns im Programm, Bier gibt's an der Kinokasse, alle weiteren bewußtseinsverändernden Substanzen bitte selbst mitbringen (ähem).

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