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Jetzt stapft er (bzw. sie) nun also endlich auch über
bundesdeutsche Leinwände, Emmerichs GODZILLA - das schuppenbewehrte
Ungetüm, dessen zerstörungswütiger Feldzug durch New York sich
reichlich harmlos ausnimmt gegen die geballte Macht, mit der die
begleitende Werbekampagne derzeit blitzkriegartig die Lande
überzieht, im Kampf um Raum in unser aller Köpfe und reichlich Beute
an der Kinokasse. Und was immer man von dem Film halten mag -
eines ist auch den Bewunderern des schwäbischen Spielbergles klar:
GODZILLA schaut man sich nicht in Erwartung einer originellen oder
interessanten Geschichte, fein gezeichneter Charaktere, mitreißender
Emotionen, gekonnten Suspenses oder möglicher Einsichten in Leben
und Welt an. An GODZILLA interessiert Eines, und Eines allein: die
Special Effects. Darauf konzentriert sich die gesamte
Verkaufsstrategie, das steht im Mittelpunkt der journalistischen
Berichterstattung, und das ist es, wovon sich das Publikum bei
diesem Film etwas erwartet. Damit reiht sich GODZILLA nahtlos ein
in ein Genre, das immer noch den amerikanischen Kino-Sommer
dominiert; dem wir solch cineastische Perlen wie TWISTER verdanken;
und das sich dadurch auszeichnet, daß enorme Budgets meist in
Projekte investiert werden, deren Drehbücher fast unverändert 20
jahre alten Fernsehfilmen entstammen könnten: dem Special
Effects-Film.
Das Genre ist noch relativ jung: Zwar hat es seine Vorläufer quer
durch die gesamte Filmgeschichte hindurch, aber seine festen
Wurzeln hat es erstmals Ende der '70er Jahre, als die Herren
Spielberg und Lucas mit JAWS und STAR WARS den Sommer-Blockbuster
ins Leben riefen, und so richtig in Schwung kam es wohl erst durch
James Camerons TEMINATOR 2. (Was uns daran erinnert, daß es im
Genre-Kino meist umgekehrt ist, wie bei den Blumen: Hier sind
zuerst die schönen Blüten da, und daraus wächst dann
Mist.) Special Effects gibt es, seit es das Kino gibt. Aber
zunächst waren sie noch aufs Engste mit dem Medium selbst verknüpft
- war Kino eigentlich selbst noch ein "Special Effect". Beim wohl
ersten Großmeister der Spezialeffekte, Georges Méliès (der, wie die
meisten seiner Kollegen, von der Bühnenzauberei kam), ging es noch
um die Magie, die im Bewußtsein des Publikums der ganzen
unheimlichen, neuen Apparatur des Kinos anhaftete. Das Spektakel
Kino war noch kaum zu unterscheiden vom Spektakel der
Effekte. Als das Kino dann zur bürgerlichen (Populär-)Kunstform
gemacht worden war, gab es durchaus schon recht früh Werke, die mit
ihren aufwendigen Spezialeffekten prahlten, und bei denen in
Werbung und journalistischer Berichterstattung auch die aufwendige,
technische Realisierung eine wichtige Rolle spielte - das für Fritz
Langs METROPOLIS entwickelte Schüfftan-Verfahren beispielsweise
wurde durch den Film auch für Nicht-Fachleute zum Begriff, und über
die Stop-Motion Animation von KING KONG war damals bereits in
Filmmagazinen zu lesen. Aber daß die Effekte zum alleinigen Star
eines Films werden, daß sie Anfang und Ende von dem sind, was das
Publikum an einem Streifen zu interessieren hat - das wurde erst in
den '80er Jahren zum allgemeinen Phänomen. Und nicht umsonst
geschah dies im Jahrzehnt der Reaganomics: Denn zunächst und vor
allem ist das Genre des Special Effects-Films eine Feier des Films
als Industrieprodukt. Wo die Regeln des klassischen Erzählkinos
sonst alle darauf ausgerichtet sind, uns so gut wie möglich
vergessen zu lassen, daß wir einen Film, ein Artefakt, sehen,
sollen wir in diesem Genre immer aufmerksam und bewußt darüber
staunen, wie das alles gemacht ist. Und uns dabei immer darüber
freuen, daß das: a) eine irrsinnige Menge Geld kostet; b)
hochspezialisierte Profis erfordert; und c) dabei die neueste,
modernste Technologie zum Einsatz kommt. Der industriell
organisierte, großkapitalistische Hollywood Studio-Markt feiert
sich selbst, und wir sind alle als zahlende Gäste herzlich
eingeladen. Film ist in diesem System zwangsläufig nicht
individuelles Kunstwerk, sondern massenkompatibles,
stromliniengestyltes, globalisiertes Produkt, von austauschbaren
Angestellten entworfen und zusammengeschraubt (was, um nicht falsch
verstanden zu werden, noch nicht prinzipiell bedeuten muß,
daß es sich um ein schlechtes Produkt handelt - aber
immerhin...). Und der Special Effects-Film ist so etwas wie die
stolz präsentierte Tour durch die Fabrik, bei der wir all die
wunderbaren Fließbänder und glänzenden Maschinen, tollen Roboter
und faszinierenden Fertigungsstraßen bestaunen dürfen. Never mind
the men behind the curtain.
Ginge es jedoch nur um das stolze Zurschaustellen der
Produktionsmöglichkeiten, dann könnte das Genre des Special
Effects-Films mittlerweile fast alle großen Hollywood-Produktionen
umfassen. Es ist jedoch nur eine ganz bestimmte Gruppe von
Filmen, bei denen sich Vermarktung, Berichterstattung und
Publikumserwartung speziell und fast ausschließlich auf die Effekte
konzentrieren. Niemand käme auf die Idee, beispielsweise PRIMARY
COLORS (MIT ALLER MACHT) unter dem Aspekt der Special Effects zu
betrachten - obwohl bei Kamerafahrten wie der auf die kleine
Donut-Hütte zu oder jener um das fahrende Auto herum, in dem sich
Adrian Lester und Kathy Bates unterhalten, digitale
Bildbearbeitungs-Technologien zum Einsatz kommen, die nicht um den
geringsten Deut weniger avanciert oder komplex sind als jene, die
Emmerichs Echse zum Leinwand-Leben erwachen lassen. Aber jene
Filme, die tatsächlich zum Genre des Special Effects-Films gehören,
zeichnen sich nicht zufällig dadurch aus, daß es sich bei ihnen
durchweg um Science Fiction- oder Horrorfilme handelt. Denn bei der
Begeisterung für die filmische Technologie, die die Bilder dieser
Produktionen ermöglicht, schwingt unbewußt noch weitaus mehr
mit. Es geht um einen Fortschrittsglauben der
Abbildungstechnologien: Um den Glauben, daß Schrift, Malerei,
Photographie, Film immer prefektere, immer umfassendere
Möglichkeiten darstellen, Wirklichkeit einzufangen und
beherrschbar, reproduzierbar und - vor allem - produzierbar zu
machen. Unsere abendländisch-christliche Kultur hat sich seit jeher
wenig um das Verbot des Bildermachens in der Bibel geschert - und
das Bild schon immer als ein Instrument der Macht gesehen. Über
das, was ich abbilden kann, und über wessen Abbild ich verfügen
kann, besitze ich eine gewisse Macht - und dem raube ich im Moment
des Abbildens immer etwas an Leben. Je perfekter, je
"realistischer" das Bild, je größer die Macht. Was die Special
Effects im heutigen Big Budget-Kino nun leisten, ist das
Versprechen, auch jene Dinge, die sich eigentlich prinzipiell der
Darstellung durch die "realistischen", "objektiven" Medien
Photographie und Film entziehen, auf eine Weise zur Abbildung zu
bringen, die uns ununterscheidbar scheint von tatsächlich
Gefilmtem, Photographierten. Daß das, was nur der Vorstellungskraft
von Menschen entspringt, auf eine Art sichtbar gemacht werden kann,
die völlig jener gleicht, die wir als eine wahrzunehmen gelernt
haben, die frei ist von subjektiver, menschlicher Einmischung -
denn Kameras, so die Illusion, sind ja Apparate, die einfach nur
Wirklichkeit 1:1 so einfangen, wie sie sich vor der Linse abspielt:
Das Objektiv ist objektiv. Somit versprechen die Special Effects
implizit aber auch eine neue, ungeahnte Qualität der Macht und
Kontrolle über das Ungreifbare. Deswegen Science Fiction und
Horror: Die ungewisse Zukunft, das Unheimliche - was einst nur
unzulänglich oder überhaupt nicht auf die Leinwand zu bannen war,
ist nun detailliert und (wenigstens potentiell) perfekt in aller
Ausführlichkeit zu bewundern. Die be(un?)ruhigende,
unausgesprochene Botschaft dieses Genres ist: Es gibt nichts mehr,
was Du Dir vorstellen könntest, wofür wir nicht die Technologie
hätten, es zum industriell gefertigten Bild werden zu lassen. We
can picture it for you wholesale.
Wenn David Foster Wallace (größter Star unter den "Jungen Wilden"
der amerikanischen Literatur) das Genre in einem Essay als "F/X
Porn", als "Special Effects Porno", bezeichnet, dann hat er damit
doppelt recht. Zum einen im von ihm gemeinten Sinn: Die
Spezialeffekte haben in diesen Filmen die selbe Rolle wie der
Geschlechtsakt im Porno. Sie sind raison d'être, sie sind
alles, worum es letzlich geht, und das ganze drumherum ist nur
Füllmaterial, Sättigungsbeilage. Zum anderen aber auch, weil es,
im Special Effects-Film wie im Porno, um das explizite,
detaillierte Zeigen geht. Was andernorts nur angedeutet werden, nur
durch Suggestion präsent gemacht werden kann, wird hier lange und
ausführlich ins grelle Licht gezerrt. Das Versprechen beider Genres
ist: Ich überlasse nichts Eurer Vorstellung - was ich ankündige,
werde ich auch Euren Blicken zugänglich machen. Special
Effects-Filme sind letztlich (wer will, darf jetzt auch Baudrillard
trapsen hören) obszöne Filme.
Immerhin mehren sich die Anzeichen, daß das Genre dabei ist, sich
sein eigenes Grab zu schaufeln. $100 Mio. in einen Film mit
aufwendigen Special Effects zu investieren ist längst keine
Garantie mehr für Einspielergebnisse über den ca. $300 Mio., die
nötig sind, um überhaupt aus den roten Zahlen zu kommen - der
relative Mißerfolg von GODZILLA ist nur das jüngste Beispiel dafür.
Die Gewinnmargen schrumpfen, die Gefahr von ruinösen
Fehlinvestitionen steigt (fragen Sie nur die Warner Studios), und
Jahr für Jahr erweisen sich kleine, finanziell ohnehin wenig
riskante Produktionen wie THE FULL MONTY oder THERE'S SOMETHING
ABOUT MARY als die weitaus profitabelsten. Es ist zu erwarten, daß
sich Hollywood - wie stets - dort hinbewegt, wo das Geld zu holen
ist. Kein Wunder, daß den großen Special Effects-Filmen immer
häufiger die Zuschauer fernbleiben: Sie haben eine Attraktion zu
bieten, die sich zunehmend abnutzt. Es waren ja tatsächlich
verblüffende, aufregende Momente, als wir zum ersten Mal die
Wassertentakel in THE ABYSS, den Flüssig-Metall Terminator in T2,
oder den T-Rex in JURASSIC PARK auf der Leinwand erblickten. Das
war so noch nie dagewesen und hatte durchaus eine neue
Qualität. Mittlerweile aber haben wir aber zu Genüge den Beweis
vor Augen gehabt, daß dank computergenerierter Bilder fast alles,
was sich Filmemacher einfallen lassen, auch in einer Weise auf
Zelluloid gebannt werden kann, die uns im Rahmen unserer
ästhetischen Gewohnheiten als "realistisch" anmutet. Diese Tatsache
alleine reicht nicht mehr, um zu begeistern - so langsam müssen nun
wieder die Einfälle selbst überzeugen.
Gerade die scheinbare Omnipotenz des Werkzeugs CGI (Computer
Generated Images) aber ist es, die dafür sorgen wird, daß auf
absehbare Zeit keine andere Technologie eine ähnliche Revolution
auf dem Gebiet der Special Effects hervorrufen wird. Für die
nächsten paar Jahre dürften bedeutende qualitative Sprünge nicht zu
erwarten sein. Die quantitative Verbesserung aber wird kaum in der
Lage sein, beim Publikum das nötige Staunen und Interesse
wachzurufen, das einen Film aufgrund seiner Effekte alleine zum
unversäumbaren Spektakel macht. Und auch die Berichterstattung
über die neuesten Special Effects wird wohl immer mehr erlahmen -
so toll wirkt es inzwischen nicht mehr, Typen vor Computermonitoren
sitzen zu sehen, auf denen an Drahtgittermodellen herumgebastelt
wird. Und um wieviel sich die Renderzeiten mal wieder verkürzt
haben, um welchen Grad der Komplexität sich eine neue
Partikel-Animation gesteigert hat, oder wie der jüngste Algorithmus
zur Darstellung von Fell-Texturen funktioniert - das dürften Fragen
sein, für die sich die durchschnittlich Filminteressierten kaum
brennend begeistern werden. Außerdem wird - dem unaufhaltsamen
Fortschritt sei's in Ewigkeit gedankt - die Technologie immer
erschwinglicher, und der Punkt rückt nahe, wo umfangreiche digitale
Bildgenerierung und -bearbeitung auch für gewöhnliche Filmemacher
so selbstverständlich wie die Kamera zum Handwerkszeug gehört.
Filme, die ihre Spezialeffekte dann zur Hauptattraktion erklären,
werden sich schwer tun, noch die Aura des Außergewöhnlichen für
sich zu beanspruchen. Und dann wird sich auch das Massenpublikum
hoffentlich wieder weniger dafür interessieren, ob die Technologie
hinter den Bildern neu und aufregend ist - sondern dafür, ob es die
Bilder selbst sind.
Thomas
Willmann
P.S.: Wem technische Perfektion weniger bedeutet als Charme und
kreative Verrücktheit, der hat derzeit Gelegenheit, sich im
Werkstattkino bei einer kleinen Ishiro Honda-Reihe mit den
Verwandten des einzig wahren Godzillas prächtigst zu unterhalten.
Zu sehen sind noch RODAN, U 2000 - TAUCHFAHRT DES GRAUENS und das
reichlich durchgedrehte Meisterwerk MONSTER DES GRAUENS GREIFEN AN.
Weitere Informationen gibt's bei uns im Programm, Bier gibt's an
der Kinokasse, alle weiteren bewußtseinsverändernden Substanzen
bitte selbst mitbringen (ähem).
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