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Immer wieder ist zu hören und lesen, daß Steven Spielbergs
Weltkriegs-Drama SAVING PRIVATE RYAN bei zartbesaiteten Zuschauern
und Zuschauerinnen solch starke Reaktionen hervorruft, daß denen oft
buchstäblich körperlich übel wird und sie sich ihres Mageninhalts in
die nächste greifbare Popcorntüte oder Handtasche entledigen
müssen. Und ich gebe es zu: Auch ich - der ich die Filme Lucio
Fulcis lächelnd genießen und angesichts von Jason Vorhees oder
Freddy Krueger nur müde grinsen kann - auch ich, horrorgeprüft und
splatter-imprägniert, hätte bei PRIVATE RYAN beinahe mein Frühstück
rückwärts verdaut. Und ich kann Ihnen auch genau sagen, bei welchem
Moment des Films ich zum ersten Mal (und von da ab leider immer
wieder) schwer kämpfen mußte, um mein Essen bei mir zu behalten: Es
war, als Harve Presnell in der Rolle von General George C. Marshall
einen Brief von Abraham Lincoln aus der Schublade zieht und mit
salbungsvoller Stimme und tränenglänzenden Augen den ehern
patriotischen Inhalt verliest.
Wenn SAVING PRIVATE RYAN etwas mit absoluter Gewißheit nicht ist,
dann der meisterhafte, neue künstlerische Dimensionen eröffnende,
schonungslose, "realistische" (Anti-)Kriegsfilm, als der er einem
allerorten verkauft werden soll. Weil's aber einfach so bestimmt
wieder keiner glaubt, sei's nun hier in den wesentlichen Punkten
und schön der Reihe nach ausgeführt:
I. Warum die vielgerühmte Omaha Beach-Sequenz weder so
atemberaubend oder innovativ wie allerorts behauptet, noch gar
auch nur annähernd so etwas wie "realistisch" ist. Nicht
wenige Kollegen zeigten sich beeindruckt davon, welch neuartige
ästhetische Bahnen Steven Spielberg mit der anfänglichen,
20-minütigen Sequenz der Erstürmung von Omaha Beach für die
filmische Darstellung von Krieg eröffnet habe - und wie
"realistisch" das alles sei. Nun, was ist dran? Ausgebleichte
Farben, Verzicht auf Musikuntermalung, und fast ausschließlicher
Gebrauch von Handkameras (nie über Augenhöhe) sollen
Dokumentarcharakter vorgaukeln. Daß das bei großen Teilen des
Publikums so gut funktioniert, sagt eigentlich nur etwas darüber
aus, wie brav wir gelernt haben, diese Zeichen zu lesen. Die
Darstellung von Krieg in SAVING PRIVATE RYAN ist (zwangsläufig)
eine ästhetisierte (und eine sehr durchstylisierte noch dazu), und
hat somit allerhöchstens etwas mit "Realismus" (als System
ästhetischer Konventionen), nichts aber mit Realität zu tun.
Spielberg hält sich dabei ohnehin noch sehr weitgehend an die
üblichen, artifiziellen Regeln des klassischen Erzählkinos - von
der Zentrierung über das direction cutting bis zur
Continuity stimmt da noch alles wunderbar, und auch der Rhythmus
offenbart nur gediegene Beherrschung des alten Handwerks.
Was diese Schlachtszene dann noch von denen zahlreicher anderer
Kriegsfilme unterscheidet, ist der hohe Anteil an (im
Mainstreamkino ungewohnt) expliziter Darstellung verletzter Körper.
Mit anderen Worten: Blut und Hirnbatzl spritzen reichlich, und so
manche Gliedmaßen segeln dekorativ durchs Bild. Nun ist das, wie
gesagt, in dieser Häufung und Deutlichkeit auch nur für's
Mainstreamkino neu - und wer so was schon das ein oder andere Mal
auf der Leinwand gesehen hat, wird sich sicher nicht gar so sehr
davon beeindrucken lassen. Zumal 1.) so ziemlich komplett die
emotionale Bodenhaftung fehlt (kein Zufall: dies ist die erste
komplexe Sequenz, die Spielberg je ohne Storyboards gedreht hat):
der Film hat uns noch keinen der Menschen näher gebracht, die hier
sterben, und wir ohnehin (dem zynischen Starsystem sei's gedankt)
sicher sein können, daß es nur namenlose Nebendarsteller erwischt,
deren Schicksal für uns im Verlauf des Films keine Konsequenz haben
wird; und 2.) was Framing und Timing angeht sehr brav nach den
üblichen Regeln des Action-Kinos dahingeschieden wird. (Und ich bin
bereit, mir fünfmal hintereinander THE MAN IN THE IRON MASK
anzuschauen, wenn Samstag abends im Maxx nicht gewisse Teile des
Publikums ihren Heidenspaß an dem Gemetzel haben und das alles
ziemlich cool und voll kraß finden.) Und damit sind wir beim
eigentlichen Problem: Sobald etwas in einem für's große Publikum
insgesamt eben doch offensichtlich gut konsumierbaren Film
darstellbar geworden ist, hat es seinen eigentlichen Schrecken,
seinen wahren Horror schon verloren. Was in einem Spielberg-Film
Bild geworden ist, ist letzlich schon bewältigt, gezähmt,
überwunden. Es gibt noch einen kurzen Stich des Unbehagens, einen
flüchtigen Moment des Betroffenseins - aber der wahre, unfaßbare
Schrecken des eigentlichen Phänomens ist da schon ausgetrieben.
II. Warum - selbst wenn die vielgerühmte Omaha Beach-Sequenz
tatsächlich so atemberaubend, etc. wäre - SAVING PRIVATE RYAN noch
immer (oder sogar: gerade dann) ein grundübler Film
bliebe. Jetzt ist es aber nun mal wohl so, daß besagte
Sequenz auf einen Großteil der Zuschauer sehr überwältigend wirkt
und sie empfunden wird als "So muß es sein, wenn man tatsächlich im
Krieg ist". Es könnte also allein mein Problem sein, wenn ich diese
Wirkung einfach nicht nachvollziehen kann, und wir könnten uns nun
lediglich um die subjektiven Eindrücke streiten. Aber PRIVATE RYAN
besteht nun mal nicht nur aus diesen zwanzig Minuten - und wenn
Omaha Beach gestürmt ist, fangen die wahren Probleme des Films
überhaupt erst an. Denn die gesamte Strategie des Films ist es
gerade, dieser fragmentierten, sinnlosen, "modernen" Sichtweise des
Krieges (ich tu' jetzt einfach mal so, als wäre sie das wirklich)
schlußendlich doch wieder höheren Sinn, wieder die alten Werte
abzuringen. Es geht Spielberg darum zu sagen: Ihr habt schon recht,
daß das alles nicht so sauber und schmerzlos abläuft, wie man
früher oft vorgegaukelt hat - aber um so mehr können sich hier die
echten Helden beweisen. Krieg ist zwar unangenehm und gefährlich -
aber er hat seinen Sinn und ist nicht nur notwendig, sondern für
wahre Männer eigentlich dann doch ziemlich okay.
Es fehlt mir der Platz, den Weg dorthin ausführlich
nachzuzeichnen (oder auf die rahmende, amerikabeflaggte Sequenz auf
dem Soldatenfriedhof einzugehen) - es sei einfach gesagt: Die
Sinnstiftung funktioniert schlußendlich ganz famos. Daß das in
PRIVATE RYAN nicht ganz so reibungslos und selbstverständlich
klappt, wie beispielsweise bei John Wayne, macht den Film
keineswegs lobenswerter, sondern gerade um so perfider. Zu Ende
des Films gibt es eine zweite, große Schlachtsequenz (über die
seltsam wenig zu lesen ist). Und da hat dann schließlich alles
wieder seine alte Ordnung: Krieg ist ein gigantischer
Abenteuerspielplatz, wo sich wahre Kameraden tummeln, die - nach
romantischen Stunden echter, unübertreffbarer Männerfreundschaft -
dem Feind tapfer die Stirn bieten, ihre hoffnungslose Unterzahl
durch löwenartigen Mut, überlegenen Einfallsreichtum und pures
Amerikanersein wettmachend. Vom (angeblichen) verstörenden Chaos
des Anfangs haben wir den Weg geschafft zurück zum Action-Kino, wo
alles seinen Sinn und Platz hat, wo's wahre Helden gibt, und wo man
gar nicht mehr so ungerne zusieht.
Da es Spielberg aber nicht genügt, diese Entwicklung dem Publikum
einfach nur vorzuführen, hat die ganze Haupthandlung des Films
zudem die Form einer Initiationsgeschichte: Aus dem
verweichlichten, zum Kämpfen unfähigen, feigen Corporal Upham
(Jeremy Davies) wird ein richtiger Soldat gemacht. Upham stößt als
Übersetzer zum Trupp des Captain Miller (Tom Hanks), ein
tolpatschiger Schreibtischsoldat, der seit seiner Grundausbildung
keine Waffe in der Hand hatte. (Und fügt es sich nicht wieder
großartig, wie derjenige, der als instabilstes Element der Einheit
immer wieder die Mission in Gefahr bringt, ausgerechnet ein
Übersetzer ist - einer, der implizit die Weltauffassung
destabilisiert, daß Bedeutung, daß Sinn eindeutig und gottgegeben
(ja, der Film zitiert auch explizit Emerson) sind?) Upham ist
von Spielberg (der ja ohne Zweifel einer der letzten großen
Erzähler und Meister der Publikumsmanipulation im amerikanischen
Kino ist) ganz bewußt angelegt als Stellvertreter für die Zuschauer
- und worauf die ganze Geschichte hinausläuft ist, daß man von der
Position des passiven Beobachters an den Punkt gezwungen wird, wo
man nicht nur zustimmt, wenn Upham schließlich auch zum Gewehr
greift und seinen ersten Deutschen erschießt, sondern daß der Film
einen diesen Moment geradezu herbeisehnen läßt, daß er einen fast
soweit bringt, daß man rufen möchte "Nun tu's doch endlich" - daß
man am liebsten selbst die Waffe in die Hand nähme.
Von besonderer Dreistigkeit und Frechheit (und nicht zu
vergessen: breitflächigem Gedächtnisschwund) zeugt es folglich zu
behaupten, gerade dieser Film sei nun die eindrucksvollste, beste,
künstlerisch wertvollste, "realistischste" Darstellung des Kriegs
in unserem Jahrhundert. Als hätten Regisseure wie Coppola und
Kubrick, Peckinpah und Kurosawa, de Palma und John Woo und Cimino
und Sirk nie ihre viel wesentlicheren Beiträge zu diesem Thema auf
Zelluloid gebannt - als müßte sich Hellers "Catch 22" von einem
Naseweis geschlagen geben, der mit Müh' und Not gerade mal auf dem
Stand ist, wo Stephen Crane 1895 mit "The Red Badge of Courage" war
(und letzlich wohl nicht einmal das).
III. Warum dann aber alles recht eigentlich noch viel
übler und widerwärtiger ist, als bisher schon
ausgeführt. Nun könnte man aber - und wohl gar nicht
unbegründet - einwenden, daß ich hier leicht schimpfen und zynisch
sein kann, daß aber doch tatsächlich vor etwas mehr als 50 Jahren
amerikanische Soldaten Leib und Leben eingesetzt (und viel zu oft
verloren) haben, um die unfassbar unmenschliche Tyrannei der Nazis
zu beenden - und daß ich nun zwar gerne die demokratischen Früchte
dieser Tat genieße, aber das Herummäkeln anfange, sobald jemand
diese Soldaten ehren möchte. Nun, das Problem dieser
Argumentation ist, daß sie - die Metapher sei gestattet - sozusagen
auf dem ganz falschen Schlachtfeld stattfindet. Denn im Kern schert
sich SAVING PRIVATE RYAN einen Dreck um die konkrete, historische
Situation des Zweiten Weltkriegs. Warum da wer gegen wen kämpft,
was die geschichtlichen und politischen Zusammenhänge sind - so gut
wie kein Wort davon in 167 Minuten. (Private Mellish darf
gelegentlich darauf hinweisen, daß er Jude ist - als schwache
Erinnerung daran, daß es in diesem Krieg um irgend etwas geht.) Im
Grunde wählt der Film den Zweiten Weltkrieg nur deshalb als
Kulisse, weil es der einzige ist, der ihm zu erlauben scheint, all
diese lästigen Fragen zu umgehen: Kein vernunftbegabter Mensch wird
Zweifel haben, welche der am Krieg beteiligten Parteien die böse
ist; keiner wird abstreiten wollen, daß der Krieg einen Sinn
hat.
Das aber nutzt der Film schamlos aus, um im Hier und Heute ein
Welt- und Menschenbild wieder salonfähig zu machen, das man
unlängst noch im allmählichen Verschwinden begriffen hoffen durfte.
Befehlen wird gehorcht, ohne nach ihrem Sinn und Zweck zu fragen
(und Gott richtet es dann auch schon immer so ein, daß sie
Sinn und Zweck haben); der Feind (ebenso ungefragt) ist der Feind
ist der Feind; "My country, right or wrong", darf jedes Opfer
verlangen, denn es ist mein eigentlicher Vater - ein soldatisches
Menschenbild, wie es sich wohl keine Armee der Welt schöner
wünschen könnte Menschen aber: Das sind für SAVING PRIVATE RYAN
ohnehin nur männliche, weiße Amerikaner. Die Alliierten tauchen gar
nicht erst auf (gerade mal, daß eine französische Familie
kurzfristig ihre kleine Tochter zur Verfügung stellen darf, damit
Herr Spielberg auch ein bißchen Suspense inszenieren kann), die
Deutschen sind gesichtslose Zielscheiben (der einzige von ihnen,
der als Individuum auftreten darf, kann sein Menschsein nur dadurch
beweisen, daß er - "Mickey Mouse, Betty Boop, Bing Crosby, very
good" - seine Vertrautheit mit amerikanischer Kultur beweist, was
ihn freilich auch nicht übermäßig lange davor bewahrt, erschossen
werden zu müssen), vereinzelte schwarze Soldaten dürfen sich auf
Omaha Beach ein paar Kugeln einfangen. Die wenigen Frauen, die (so
gut wie stumm) kurz im Bild auftauchen, sind allesamt nur über die
Funktion der Mutter definiert - ansonsten wird über sie nur
geredet. Und das (vom Film ganz ungebrochen und undistanziert) in
einer Weise, wie es in zünftigen Männergesellschaften eben so seine
rechte Art hat - und wie es sich Klaus Theweleit kaum passender
hätte bestellen können.
Das alles können leider nur ein paar wenige Fingerzeige sein für
die Ideologie, die SAVING PRIVATE RYAN predigt. Aber je länger man
hinschaut, um so deutlicher wird: Der Punkt, wo einem bei diesem
Film tatsächlich unhaltbar das Kotzen, Reihern, Brechen, Speiben,
Würgen überfallen sollte, ist das Welt- und Menschenbild, das er
propagiert - und die Tatsache, daß ein solches heute, immer noch
oder schon wieder?, allerorts solch begeisterte Aufnahme findet.
Denn das Menschenbild von SAVING PRIVATE RYAN ist, leider Gottes,
so weit gar nicht entfernt von jenem, dem wir den Zweiten Weltkrieg
überhaupt erst zu verdanken haben.
Thomas
Willmann
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